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Frau des Monats Mai/Juni 2024

Interview mit Doris Strahm

*1953 I 1973-75 Studium der Evangelischen Theologie, Psychologie und Pädagogik an der Universität Zürich; 1975-1981 Studium der Katholischen Theologie an der Theologischen Fakultät Luzern; 1979-1981 dreijährige Ausbildung an der Akademie für Erwachsenenbildung Luzern (AEB) während des Theologie-Studiums. Von 1982 bis 1985 wissenschaftliche Assistentin im Fachbereich Philosophie an der Theologischen Fakultät Luzern; 1987-1993 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg. Schwerpunkt feministische Theologien, und 1996 Promotion zum Thema «Christologie aus der Sicht von Frauen in Asien, Afrika und Lateinamerika». Lehraufträge an den Universitäten Basel, Bern, Fribourg und Luzern. 1999-2008 Präsidentin des cfd – der feministischen Friedensorganisation. Daneben seit den 1980er Jahren freiberuflich tätig als feministische Theologin, Referentin und Publizistin. (Foto: Dorothee Adrian)

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Zwei einschneidende Ereignisse haben mich dazu geführt, Theologie zu studieren. Da war zum Einen die Konfrontation mit dem Holocaust als Jugendliche: Es war Mitte der 1960er Jahre ─ ich war damals 13 Jahre alt ─ als uns der Vikar an einem Wochenende im ausserschulischen katholischen Religionsunterricht den Dokumentarfilm «Mein Kampf» zeigte. Was sich mir eingeprägt hat und ich bis heute nicht mehr aus dem Kopf bekomme, sind die Bilder von den Leichenbergen der in den Konzentrationslagern ermordeten, vergasten Jüdinnen und Juden. Sie haben mein Welt- und Menschenbild in seinen Grundfesten erschüttert und mein Grundvertrauen in die Menschen zerstört: Seither hat die Welt für mich einen tiefen Riss. Dass ich viele Jahre später dann Theologie studiert habe, hat sehr stark mit dem Holocaust und der Frage zu tun, wie ein guter und gerechter Gott dies zulassen konnte. Diese Frage hat mich nie mehr losgelassen, wie auch die Frage, weshalb Menschen zu solchem Hass und mitleidloser Gewalt fähig sind ─ und wie Christ:innen ihren jüdischen Mitbürger:innen dies antun konnten.

Das andere Ereignis, das mich zum Theologiestudium geführt hat, war der plötzliche Tod meines Vaters, der im Alter von 47 Jahren gestorben ist. Dies hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen und eine Sinnkrise ausgelöst. Ich wechselte deshalb vom Psychologiestudium, das ich an der Uni Zürich begonnen hatte, zur evangelischen Theologie und dann zur katholischen Theologie an der Theologischen Fakultät Luzern, weil ich mir von der Theologie Antworten auf meine existenziellen Fragen erhoffte. Sehr bald musste ich erkennen, dass mir die Antworten, die ich im Theologiestudium bekam, nicht genügten, ja, dass die meisten kirchlichen Glaubenssätze mit meinen Erfahrungen kaum etwas zu tun hatten. Die berühmt-berüchtigte Erklärung der römischen Glaubenskongregation «Zur Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt» von 1976 öffnete mir dann die Augen: Die Arroganz männlicher Machtträger, die in diesem Dokument zum Ausdruck kam, machte mir bewusst, dass die gesamte christliche Theologie von Männern geprägt war und dass diese definierten, was Frauen sind, was Frauen dürfen oder eben nicht dürfen. Ich «verdanke» mein feministisches Erwachen also in gewisser Weise der Verlautbarung aus Rom. Ich hatte in Zürich ein städtisches Gymnasium besucht, das damals noch ein reines Mädchengymnasium war, und habe so, in einem Kreis selbstbewusster Frauen, nicht realisiert, dass Frauen qua Geschlecht weniger gelten als Männer. Auch im Psychologiestudium an der Uni Zürich war mir das noch nicht bewusst. Erst als ich nach Luzern kam, um katholische Theologie zu studieren, wurde ich als Frau zu einem «Spezialfall» unter fast nur Männern. Und durch das Papier von 1976 wurde mir deutlich, dass dies alles System hat. Ich erinnere mich, dass wir dann in einer Lesegruppe an der Theologischen Fakultät mit Mitstudentinnen die Bücher von Mary Daly lasen, die uns mit ihrer radikalen Kritik die Augen öffnete für die Zusammenhänge von christlicher Theologie und Frauenunterdrückung und für die patriarchale Verfasstheit unserer gesamten Kultur, nicht nur der christlichen Religion. Von da an begann ich alles mit einer feministischen Brille zu betrachten und mich für eine feministische Transformation von Theologie und Gesellschaft zu engagieren. In der feministischen Theologie fand ich dann nicht nur mein Berufsfeld, sondern auch ein Zuhause für meine existenziellen Fragen sowie Bilder und Worte für meine eigenen Gotteserfahrungen. Und dies ist bis heute so geblieben.

Geprägt worden bin ich in meiner Theologie anfänglich vor allem von Mary Daly, Elisabeth Schüssler Fiorenza und Rosemary Radford Ruether. Zwei weitere Theologinnen, die später mein eigenes Theologisieren sehr stark beeinflusst haben, sind Carter Heyward mit ihrer «Theologie der Beziehung» und ihrem Verständnis von Gott als «power in relation» und Ivone Gebara aus Brasilien mit ihrem Ansatz einer ökofeministischen Theologie, den sie bereits in den 1990er-Jahren entwickelt hat und den ich im Rahmen meiner Dissertation zu Christologien von Frauen aus dem Globalen Süden kennenlernte. Ivone Gebaras ökofeministische Theologie inspiriert mich bis heute und ist angesichts der Klimakatastrophe aktueller denn je.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Es gibt einige Projekte, die ich mit auf die Welt gebracht habe, und feministische Theologie habe ich in meinen gut 40 Jahren Tätigkeit als feministische Theologin in vielen verschiedenen Kontexten mitentwickelt oder weitervermittelt.

Projekte
:
– 1985 habe ich die feministisch-theologische Zeitschrift FAMA zusammen mit sechs Kolleginnen gegründet und war bis 2006 Mitherausgeberin und Redaktorin. Ich bin stolz darauf, dass uns restlichen Gründerinnen 2006 ein Generationenwechsel gelungen ist und freue mich, dass die FAMA von jüngeren Kolleginnen bis heute voller Elan und Begeisterung weitergeführt wird.

– 1986 war ich als wissenschaftliche Assistentin mitbeteiligt an der Einrichtung eines ständigen Lehrauftrags für feministische Theologie an der Theologischen Fakultät Luzern. Er wurde 2006 dann umbenannt in «Theologische Gender Studies» und wird seit 2016 nur noch einmal im Jahr statt jedes Semester vergeben. Doch es ist der einzige Lehrauftrag, der bis heute existiert!

– 1986 war ich bei der Gründung der ESWTR (European Society of Women in Theological Research) in Magliaso mit dabei, wurde 1987 in den ersten Vorstand gewählt und half beim Aufbau der ESWTR mit (Vereinsstatuten, Finanzen). Bis 1992 war ich zudem Schweizer Kontaktfrau.

– 1991 gründete ich die Interessenvertretung (IG) Feministischer Theologinnen der Schweiz mit und von 2014-2023 engagierte ich mich in deren Vorstand. Es war eine tolle Erfahrung für mich, als eine Theologin der Gründerinnengeneration mit jungen Kolleginnen zusammenzuarbeiten und ihre Sichtweisen kennenzulernen.

– 1996-2017 habe ich als Stiftungsrätin der Helen Straumann-Stiftung für Feministische Theologie mitgeholfen, eine Bibliothek für Gender Studies und Feministische Theologie an der Universität Basel aufzubauen, gemeinsam mit dem Zentrum Gender Studies Basel. Die Bibliothek beherbergt nicht nur die Nachlässe von Pionierinnen der Feministischen Theologie, sondern auch eine Präsenzbibliothek mit einem umfassenden Bestand feministisch-theologischer Bücher.

– Ende 2008 gründete ich zusammen mit einer muslimischen und jüdischen Kollegin den Interreligiösen Think-Tank (www.interrelthinktank.ch) und bin Vizepräsidentin und Geschäftsleiterin desselben. Der Think-Tank ist eine Herzensangelegenheit von mir und die Zusammenarbeit mit meinen muslimischen und jüdischen Kolleginnen jene Art von Tätigkeit, bei der ich in den letzten Jahren am meisten gelernt habe und immer wieder neu lerne (Stichwort Perspektivenwechsel u.a.). Und es ist ein Projekt, mit dem wir uns via Stellungnahmen und Studien in gesellschaftliche und religionspolitische Debatten einmischen, also auch politisch tätig sind.

Mitentwicklung und Weitervermittlung feministischer Theologie:
Im WS 1985/86 konnte ich an der Evangelischen Fakultät Bern den ersten regulären feministisch-theologischen Lehrauftrag der Schweiz übernehmen. 1987 wurde das Vorlesungsmanuskript im Exodus-Verlag unter dem Titel «Aufbruch zu neuen Räumen. Eine Einführung in feministische Theologie» als Buch veröffentlicht. Es fand grosses Echo, erreichte drei Auflagen, machte mich über die Schweizer Grenzen hinaus bekannt und verschaffte mir unzählige Anfragen für Vorträge, Lehraufträge und Artikel. Damit war mein weiterer beruflicher Weg vorgespurt, und ich habe mir meinen Beruf erfunden: freischaffende feministische Theologin.
Mein Vorhaben, die feministisch-theologische Auseinandersetzung mit der traditionellen Christologie im Hinblick auf deren sexistische und antijudaistische Kehrseite, die ich in den Berner-Vorlesungen begonnen hatte, in einer Dissertation zu vertiefen, führte mich 1987 nach Fribourg zum dortigen Dogmatiker Johannes Brantschen. Er unterrichtete damals in seinen Seminaren feministische Theologie, und ich fragte ihn an, ob er eine solche Dissertation begleiten würde (Theologie-Professorinnen gab es damals noch nirgends in der Schweiz). Johannes Brantschen bot mir eine Stelle als wissenschaftliche Assistentin an, mit der Aufgabe, seine feministisch-theologischen Seminare zu übernehmen sowie Seminar- und Lizentiatsarbeiten zur feministischen Theologie zu begleiten. So habe ich parallel zu meiner freischaffenden Tätigkeit viele Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Fribourg feministisch-theologische Hauptseminare durchgeführt, zunächst allein, später dann zusammen mit meiner Kollegin Regula Strobel. Diese Zusammenarbeit war nicht nur ungemein inspirierend und kreativ, sondern auch gegenseitiges Empowerment. Gemeinsam haben wir in dieser Zeit ein Buch zur «Christologie aus feministisch-theologischer Sicht» mit Beiträgen von Autorinnen aus dem europäischen Raum konzipiert und unter dem Titel «Vom Verlangen nach Heilwerden» im Jahr 1991 publiziert, das grosse Resonanz fand. Gemeinsam haben wir nach Ablauf unserer Assistentinnentätigkeit 1993 auch ein Nationalfondsprojekt begonnen, das uns für drei Monate nach Cambridge/Boston führte und uns in Kontakt mit «Women of Color» brachte.

Diese Begegnung hat meinem Dissertationsprojekt zu feministischer Christologie eine neue Richtung gegeben: Ich habe versucht, meine eurozentrische Sicht aufzubrechen, die mir bis dahin nicht bewusst gewesen war, und einen Perspektivenwechsel vorzunehmen, indem ich die theologischen bzw. christologischen Sichtweisen von Frauen aus Asien, Afrika und Lateinamerika ins Zentrum meiner Dissertation stellte. 1996 reichte ich meine Doktorarbeit in Fribourg ein, und 1997 wurde sie unter dem Titel «Vom Rand in die Mitte. Christologie aus der Sicht von Frauen aus Asien, Afrika und Lateinamerika» als Buch publiziert. Mit diesem Buch habe ich nicht nur meinen eigenen eurozentrischen Blick geweitet, sondern die Theologien von Frauen aus dem Globalen Süden in unserem Kontext bekannt gemacht und eine differenziertere Wahrnehmung von Frauenerfahrungen als kontextuell geprägte in die feministisch-theologischen Debatten hierzulande eingebracht. Mit Vorträgen im In- und Ausland sowie Lehraufträgen an den Universitäten Fribourg, Luzern und Basel konnte ich diese Sicht in breite Kreise weitervermitteln.

Die Auseinandersetzung mit kontextuellen Ansätzen feministischer Theologien führte mich dann weiter zur Beschäftigung mit interkulturellen Theologien und schliesslich zum interreligiösen Dialog aus Frauen- und Gendersicht. Mit muslimischen, jüdischen und christlichen Kolleginnen habe ich ab der Jahrtausendwende interreligiöse Theologiekurse für Frauen konzipiert und angeboten, Dialogveranstaltungen und interreligiöse Podien durchgeführt und 2006 mit meiner evangelischen Kollegin Manuela Kalsky aus den Niederlanden ein Buch zum interreligiösen Dialog herausgegeben, das erstmals im deutsch-sprachigen Raum die Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen im interreligiösen Dialog reflektierte: «Damit es anders wird zwischen uns. Interreligiöser Dialog aus der Sicht von Frauen». Die langjährigen Dialog-Erfahrungen in interreligiösen Frauenprojekten führten bei mir und meinen Kolleginnen zum Wunsch, diese Erfahrungen mit mehr Gewicht in die öffentlichen Religionsdebatten einzubringen, die einseitig von männlichen Amtsträgern der Religionsgemeinschaften dominiert werden. Dies hat dann 2008 zur bereits erwähnten Gründung des Interreligiösen Think-Tank geführt.

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Da mein Arbeitsfeld seit Abschluss des Studiums immer die feministische Theologie gewesen ist, flossen feministische Perspektiven in all meine Tätigkeiten ein: als Dozentin und Lehrbeauftrage, als FAMA-Redaktorin, als Buchautorin, als Mitglied des Interreligiösen Think-Tank und als Präsidentin des cfd – der feministischen Friedensorganisation.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Grundlegend war für mich Elisabeth Schüssler Fiorenzas Konzept des Patriarchats bzw. Kyriarchats als einem System ineinandergreifender Unterdrückungsformen wie Sexismus, Rassismus, Heterosexismus, Kolonialismus, ökonomische Ausbeutung, Altersdiskriminierung, Naturausbeutung usw. Ihr Konzept des Kyriarchats war ein Vorläufer dessen, was wir heute Intersektionalität nennen, d.h. die Verschränkung verschiedener Diskriminierungskategorien. Der intersektionelle Ansatz hat das feministische Verständnis von Frauenerfahrung grundlegend verändert und ist auch für mich zur Basis meines Nachdenkens über Frauenunterdrückung und Frauenbefreiung geworden. Wegweisend war aber auch Schüssler Fiorenzas Modell feministisch-kritischer Bibelinterpretation, vor allem die «Hermeneutik des Verdachts» und die «Hermeneutik der Erinnerung». Geprägt wurde mein Denken etwas später auch vom postkolonialen Ansatz und der Erkenntnis von Machtasymmetrien unter Frauen, und in neuerer Zeit kam die queere Sichtweise dazu. Im interreligiösen Dialog sind für mich vor allem die Methode des Perspektivenwechsels und eine Hermeneutik der Differenz und der Anerkennung wichtig geworden.

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?

Da ich nie in kirchlichen Strukturen gearbeitet habe, durfte ich sehr viele positive Reaktionen auf meine feministisch-theologische Arbeit erfahren. Für die Frauen, die an unsere Veranstaltungen kamen, unsere Artikel in der FAMA oder meine Bücher lasen, waren unsere feministisch-theologischen Beiträge stärkend und eine Befreiung aus einer patriarchalen Theologie, die uns Frauen abgewertet und klein gehalten hat. Wenn ich auf mein gut 40-jähriges Berufsleben als feministische Theologin zurückblicke, bin ich voller Dankbarkeit, dass ich meinen eigenen Weg als feministische Theologin konsequent gehen konnte und dafür sogar noch ausgezeichnet wurde: 2020 mit der Ehrendoktorinnenwürde der Universität Bern und im März 2023, gemeinsam mit meiner Schwester Silvia Strahm Bernet, mit dem Herbert Haag-Preis für Freiheit in der Kirche.

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Was die Situation für Frauen in der römisch-katholischen Kirche betrifft, bin ich sehr pessimistisch. Das klerikale absolutistische System in Rom kann von den Frauen strukturell nicht verändert werden, und alle Zeichen aus Rom deuten darauf hin, dass Frauen nie zu ihrem vollen Recht als gleichgestellte Personen kommen werden. Auch die jüngsten Verlautbarungen des Papstes zielen darauf ab, FrauenMenschenrechte wie etwa die reproduktiven Rechte zu bekämpfen und Genderfragen als Ideologie zu geisseln. Den Herren in Rom liegt nichts an den realen Frauen und ihren Rechten, und all die schönen Worte von gleicher Würde, von Mitsprache oder synodalem Prozess sind nichts anderes als eine grosse Täuschung, die das Kirchenvolk ruhig halten soll, wie der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke, Mitpreisträger des Herbert Haag-Preises 2024, in seinem Buch «Die Täuschung» (2021) glasklar aufgezeigt hat.

Auch gesellschaftlich gesehen sieht die Zukunft für Frauen nicht sehr positiv aus: Rechtspopulistische Regierungen in Europa und weltweit schränken die Errungenschaften der Frauenbewegung wieder ein, bekämpfen den «Genderwahn» und forcieren traditionelle Geschlechterrollen. Und die Militarisierung westlicher Gesellschaften im Gefolge des Krieges in der Ukraine macht es feministischer Friedensarbeit schwer. Andererseits ist seit dem Frauen*streik 2019 das feministische Bewusstsein auch vieler junger Frauen erwacht, was Anlass zu Hoffnung gibt, dass viele Frauen nicht mehr bereit sind, all diese Entwicklungen einfach hinzunehmen, und dass sich Frauen generationenübergreifend für ihre Rechte organisieren.

7. Was waren die Gründe, weshalb du dir eine Tätigkeit ausserhalb der Kirche gesucht hast?

Wie bereits gesagt, habe ich Theologie studiert, weil ich meine existenziellen Fragen klären wollte. Eine kirchliche Tätigkeit war nie mein Ziel. Mein Traumjob wäre eine Anstellung in einem Bildungshaus wie der Paulus Akademie Zürich gewesen, weshalb ich während des Theologiestudiums nebenher eine dreijährige Ausbildung zur Erwachsenenbildnerin absolviert habe. Die Erklärung von 1976 aus Rom hat mir dann vollends klar gemacht, das ich in einem solchen frauenverachtenden System, das Frauen zu Menschen 2. Klasse degradiert, nicht arbeiten will. Je länger ich als feministische Theologin tätig war und realisiert habe, wie der Vatikan weltweit Frauenrechte auch ausserhalb der Kirche bekämpft, desto grösser wurde meine innere Spannung. Ich habe jahrelang eine feministische und frauenbefreiende Theologie vertreten und mich für Frauenrechte engagiert und bin trotzdem in einem System geblieben, das die Würde und die Rechte von Frauen grundlegend verletzt. Irgendwann konnte ich dies nicht mehr länger aushalten, bin vor mir selber immer unglaubwürdiger geworden. Zuerst waren es die Missbrauchsfälle: Ich habe als Vorstandsfrau der IG eine scharfe Stellungnahme dazu verfasst und beim Schreiben gespürt, wie mich die innere Spannung fast zerreisst. Das Fass zum Überlaufen gebracht hat dann kurz darauf die Aussage von Papst Franziskus im Herbst 2018, dass Abtreibung mit einem Auftragsmord zu vergleichen sei. Einer solchen Institution, in der zölibatäre Kirchenmänner über den Körper und die Sexualität der Frau bestimmen und Frauen in einer Notlage kriminalisieren, konnte und wollte ich nicht mehr länger angehören und bin im November 2018 zusammen mit anderen Feministinnen ausgetreten.

8. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Aktuell immer noch in meiner Arbeit als Geschäftsleiterin und Vizepräsidentin des Interreligiösen Think-Tank. Und indem ich nach wie vor Themen im Bereich «Ökofeminismus» und «Feministische Theologie» durch Vorträge und Artikel weiterzuvermitteln versuche. Ich fühle mich dabei verbunden mit all jenen zivilgesellschaftlichen Kräften, die für Gerechtigkeit, Frauenrechte, die Bewahrung der Schöpfung und ein gutes Leben für alle Menschen eintreten.

Vielen Dank für das Interview!
Esther Gisler Fischer

Frau des Monats Januar/Februar 2024

Interview mit Catina Hieber

1945 geboren und aufgewachsen in Biel, im Anschluss an die Matur Studium der reformierten Theologie in Basel, Tübingen und Zürich. Nach ihrer Ordination und einer Weiterbildung in Holland in „Pastoral Clinical Training“ baute sie die kirchliche Beratungsstelle der reformierten Kirchgemeinde Uster auf. In den Jahren 1978 – 1986 lebte und arbeitete sie zusammen mit ihrem Mann und drei Kindern (1975, 1977, 1980) in Nordnigeria. Dort machte sie eindrückliche Erfahrungen in einer fremden Kultur, lernte die Lebensrealitäten von afrikanischen Frauen kennen und unterrichte an einem Lehrerinnen-Seminar. Zurück in der Schweiz war sie zuständig für Frauenbildung bei KEM, Bern (Kooperation Evangelischer Missionen) und von 1993 – 2007 als Studienleiterin für die Frauenstelle des Arbeitskreises für Zeitfragen in Biel. Dort lebt sie auch heute nach der Pensionierung. Sie ist Grossmutter von 6 Enkelinnen und 2 Enkeln.

1. Wie bist Du im Verlauf Deines Lebens zur feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben Dich da geprägt?
Aufgewachsen bin ich in einem fortschrittlichen Umfeld. Frauenrechte und eine gute Ausbildung für Mädchen waren meinen Eltern stets ein Anliegen. Bei jeder Gelegenheit betonte mein Vater privat oder als Lehrer, Mädchen seien genau gleich intelligent wie Knaben und sollten unbedingt die gleich gute Schulbildung bekommen. In besonderer Erinnerung ist mir folgende Szene, die sich ca. 1949 abspielte, zu einer Zeit, als das Frauenstimmrecht noch in weiter Ferne war. Mein Vater nahm mich mit zum Stimmlokal. Darauf verspotteten ihn einige seiner Berufskollegen als „Frauenrechtler“.

Nach der Matur 1964 studierte ich Theologie unter anderem auch deshalb, weil es mir attraktiv schien, mich in eine ausgesprochene Männerdomäne hineinzuwagen. In den Vorlesungen waren wir nur wenige Frauen und im Pfarramt gab es damals noch kaum Frauen. Das Theologiestudium in Basel, Tübingen und Zürich habe ich genossen, weil es mir weite Räume des Nachdenkens über Gott und die Welt eröffnete. Jedoch mit der Vorstellung, konkret ein Pfarramt zu übernehmen, hatte ich Mühe. Mir schwebte etwas Modernes, Aufmüpfiges vor. Gleichzeitig stellte ich mir Fragen, wie ich als Frau mit Frauen diskriminierenden Bibeltexten, männlich geprägten Gottesbildern und patriarchalen Mustern umgehen soll. Ich spürte ein Unbehagen, konnte dies jedoch noch nicht richtig formulieren.
In den Geburtsstunden der feministischen Theologie lebte ich in Nigeria, in doppelter Weise weitab vom Schuss. Wir lebten in einem kleinen Dorf, im Busch im Norden von Nigeria, ohne Strom und fliessendem Wasser. Den ganzen kulturellen Kontext zu schildern übersteigt diesen Rahmen. Doch dazu ein paar Stichworte. Bei uns im Dorf oder in der näheren Umgebung gab es keinen Laden für die alltäglichen Produkte, nur den Wochenmarkt. Die meisten Dorfbewohner:innen waren Selbstversorger:innen, so auch wir. Auch gab es kaum Kommunikationsmittel. Es gab keine Postverbindung (nur postlagernd 500 km entfernt) und kein Telefon. Das Zeitalter von Computer und Handy lag noch in weiter Zukunft. Kulturell bewegten wir uns in einem durch und durch patriarchalen Umfeld, gesellschaftlich und kirchlich. Trotzdem oder gerade deshalb war ich neugierig, die Realität der dortigen Frauen kennen zu lernen. Ich begleitete Frauen aus unserem Dorf in ihrem Alltag und interessierte mich für ihr Leben, das sich in einer Gesellschaft abspielte, in der die Rollen von Frauen und Männern klar getrennt sind und als Gott gegeben verstanden werden. Ich fragte nach ihrem eigenen Selbstverständnis und ihren Visionen.

Wir waren die einzige weisse Familie im Ort, zunächst mit zwei, später mit drei kleinen Kindern. Unser eigener Alltag war geprägt von Strategien zum elementaren Überleben. Neben einem recht aufwändigen Haushalt unterrichtete ich an einem Lehrerinnenseminar, war also unmittelbar im Bildungsbereich junger Frauen tätig. In diesem Umfeld stellte ich mir immer wieder Fragen zu Emanzipation, weiblicher Identität und der Auswirkung religiöser Prägungen auf die Identität von Frauen. Fragen rund um Emanzipation und Tradition beschäftigten auch mich persönlich und trieben mich um. Gesprächspartnerinnen gab es kaum. Für mich war es ein befreiendes „Aha-Erlebnis“, in Zeitschriften, die mir eine Besucherin mitgebracht hatte, erstmals von feministisch theologischen Ansätzen zu lesen, wie sie in den frühen 80er Jahren in Akademien wie Bad Boll, Paulus Akademie oder Boldern angedacht wurden. Nach unserer Rückkehr in die Schweiz 1986 sog ich diesbezüglich alles auf: von Mary Daly, Jutta Voss, Carter Heyward, Dorothee Sölle, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Luise Schottroff, Helen Schüngel-Straumann, bis zu Marga Bührig …

2. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut für Deine Lebensgestaltung?
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehörte für mich von Anfang an zu meinem Lebenskonzept. Aus diesem Grund bin ich auch in der Kleinkinderphase immer einer selbständigen beruflichen Tätigkeit nachgegangen, was damals nicht üblich war. Ich war überzeugt, dass die Selbstbestimmung von Frauen einher geht mit einer gewissen ökonomischen Unabhängigkeit. Dafür habe ich mich immer wieder auf verschiedenen Ebenen eingesetzt. Als Mutter von drei Kindern, war es auch für mich nicht immer einfach, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. Es gab kaum Krippenplätze und „Mittagstische“ waren ein Fremdwort. Zusammen mit ein paar engagierten Frauen organisierten wir den ersten privaten Mittagstisch an meinem damaligen Wohnort.

3. Wo warst Du selbst tätig, hast feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und / oder weitervermittelt?
1993 bekam ich meine Traumstelle als Studienleiterin der Frauenstelle beim Arbeitskreis für Zeitfragen in Biel. Die Stelle war im Zusammenhang mit der Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ des ökumenischen Rates der Kirchen (1988-98) eingerichtet worden. Mein Auftrag war es, Frauenanliegen in die öffentliche Diskussion zu bringen sowie feministische Theologie, weibliche Spiritualität und die „Ermächtigung von Frauen“ zu fördern. In diesem Sinn durfte ich meine Herzensanliegen zum Beruf machen.
Ich genoss den grossen Handlungsspielraum dieser Stelle. Mir war es wichtig, auf verschiedenen Ebenen aktiv zu sein. Einerseits griff ich auf gesellschaftspolitischer Ebene Themen zu Fragen der Geschlechtergerechtigkeit auf und brachte sie in die öffentliche Diskussion, um damit etwas zu bewegen. Andererseits war es mir wichtig, spezifische Räume für Frauen zu öffnen zur Ermächtigung und gegenseitigen Stärkung. Dabei ging es um Themen rund um die Lebensrealität von Frauen, zu weiblicher Identität, sowie zur eigenen Körperwahrnehmung.

Gesellschaftspolitisches Engagement für Geschlechtergerechtigkeit
Auf gesellschaftspolitischer Ebene sind mir verschiedene Anlässe in besonderer Erinnerung. Am Aktionstag von Brot für Alle / Fastenopfer 1994 waren mehrere hundert Frauen aktiv. Wir zogen durch Biel und machten an verschiedenen symbolischen Orten Halt, wo wir mit zehn spektakulären Auftritten auf eine Ungleichbehandlung von Frauen und Männern an jenem spezifischen Ort aufmerksam machten. Vor der Beratungsstelle des Frauenhauses ging es um das Thema „Gewalt an Frauen“, vor dem Stadtratssaal kam die Untervertretung von Frauen auf politischer Ebene zur Sprache und vor dem Arbeitsamt die fragile und ungleiche Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Nachhaltige Wirkung erzielten wir auch mit Aktionen zum 8. März, dem Internationalen Tag der Frau und dem 14. Juni. Wir konnten einiges in Bewegung setzen. Doch einige der damals und im Laufe der weiteren Jahre angesprochen Themen sind heute nach 30 Jahren immer noch offene Baustellen.
Anderes, wofür die Frauenstelle auf lokaler und nationaler Ebene mitgekämpft hat, ist umgesetzt. Lokal z.B. werden die Selbstverteidigungskurse für Mädchen von der Stadt weiter subventioniert oder national wurden z.B. die gesetzlichen Grundlagen zur Fristenregelung (2002) oder für die Mutterschaftsversicherung (2005) geschaffen.

Frauen – Räume zur Ermächtigung von Frauen
Im Hinblick auf die individuellen Ebene entwickelte ich mit und für Frauen Kurse mit dem Ziel der Ermächtigung. Wir gingen verschiedenen Aspekten unserer Frauenrealität nach, hoben sie hervor und schauten genau hin. Auf diese Weise entstanden experimentelle Räume für Frauen mit vertieften, zum Teil auch intimen Gesprächen. Frauen nutzten die Gelegenheit, in geschütztem Rahmen ihre Erfahrungen auszutauschen, unausgesprochene Gedanken zu formulieren und Vieles auszuloten. Oft ging es um Fragen der eigenen Identität, um die Rolle von Frauen, aber auch um die verschiedenen Phasen im Frauenleben. Dabei wurde zunehmend der Umgang mit dem eigenen Körper und dessen Wahrnehmung wichtig. Ich denke dabei z. B. an einen dreiteiligen Kurszyklus unter dem Titel „Auf der Suche nach den eigenen Quellen“ oder jenem zu den weiblichen Lebensphasen „Weiss – Rot – Schwarz“, inspiriert von Jutta Voss. Aber auch bei Themen wie „Wechseljahre“, „Neuorientierung in der zweiten Lebensphase“ und verschiedenen Angeboten in Bibliodrama ging es darum, die eigene Körperwahrnehmung einzubeziehen. Immer wieder erwähnten Frauen bei späteren Begegnungen, wie prägend der eine oder andere Kurs für ihre persönliche Entwicklung war. Ein besonderes Highlight bedeutete aber auch die verschiedene Frauenreisen unter anderem jene zum Skulpturengarten von Niki de Saint Phalle in der Toskana. Dabei ging es nicht nur um die Erkundung einer eigenwilligen feministischen Künstlerin, sondern auch im Rahmen von Studieneinheiten um die persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Spiritualität.

Ökumenisch unterwegs
Zusammen mit der katholischen Frauenstelle gestalteten wir während mehr als einem Jahrzehnt ökumenische Frauenfeiern. Wir suchten nach einem stimmigen Ausdruck weiblicher Spiritualität und erprobten viel Neues. Immer wieder ging es um Aufbrüche und Sichtwechsel, sowohl in feministisch theologischen Weiterbildungen wie bei Kursen zu „Frauenbilder-Gottesbilder“, „Evas Töchter entschuldigen sich“ oder der Durchführung geschlechtergerechter Gottesdienste. Wir beteiligten uns auch an der Vorbereitung und Durchführung der 2. Frauen-Kirchen- Synode in Biel 2000 zum Thema „Sichtwechsel- Schichtwechsel“ oder in der Gestaltung des 3-jährigen Theologiekurses.

Blick in die weltweite Kirche
Mit meiner Vergangenheit in Afrika durfte der Aspekt der weltweiten Kirche nicht fehlen. Mit Veranstaltungen wie „fremde Blicke auf Vertrautes – Christologie aus der Sicht von Theologinnen aus Asien, Afrika und Lateinamerika“, „Spiritualität und weiblicher Körper – Sexualität in den Weltreligionen“, „Weibliche Weisheit in den Weltreligionen“ versuchte ich den lokalen Blick zu weiten und für Fremdes zu öffnen.

4. Welche Methoden sind dir besonders wichtig?
Wie erwähnt, war ich auf verschiedenen Ebenen engagiert. Deshalb kamen je nachdem unterschiedliche Methoden zum Zug.

Gründung des Netzwerkes „Frauenplatz Biel – Femmes en Réseau Bienne“.
Beim Antritt der Frauenstelle war ich überwältigt von der sehr lebendigen, wenn auch unstrukturierten lokalen Frauenbewegung in Biel. Um der Bewegung zu mehr Gewicht gegenüber Institutionen und Kontinuität zu verhelfen, unterstützte ich 1999 die Gründung des zweisprachigen Netzwerkes, bei dem sich mehr als 30 Organisationen sowie einige hundert Einzelpersonen zusammenschlossen. Auf vielfältige Weise sollte die Gleichstellung von Frauen in Biel gefördert werden. Gleichzeitig lancierten wir die zweisprachige Zeitschrift KulturELLE, die bis heute regelmässig erscheint. Zusammen mit dem Frauenplatz entwickelte ich neben kreativen Aktionen auch den historischen Frauenstadtrundgang Biel „Der andere Blick, un regard différent“.

Mitbegründerin der Beratungsstelle für Frauen „Frac“
Im Jahr 1999 beteiligte ich mich an der Gründung einer niederschwelligen Beratungsstelle rund um das Thema Frau und Arbeit. Sie ist unabhängig und existiert bis heute.

Methodische Vielfalt
Mir war es wichtig, unterschiedliche Kreise anzusprechen. Dazu gehörte eine Vielfalt im Angebot und in der Methode: Kurse, Einzelveranstaltungen, Vorträge, Podiumsdiskussionen, Bibliodrama-Abende sowie eine Langzeitausbildung in Form eines zwei jährigen evangelischen Theologiekurses.

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf Deine feministisch- theologische Arbeit?
Im Grunde gab es kaum negative Reaktionen auf meine Arbeit. Im Umfeld meiner Pensionierung gab es Stimmen, die meinten, dass sich eine Frauenstelle beim Arbeitskreis eigentlich erübrige. Glücklicherweise wurde aber mit Luzia Sutter Rehmann doch eine hoch qualifizierte Nachfolgerin gewählt.

6. Wie schätzest Du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein?
Was wünschst Du dir für die Zukunft der Frauen?
Sicher ist seit den Anfängen der feministischen Theologie in den 1970er Jahren in Kirche und Gesellschaft viel erreicht worden. Teilzeitstellen im Pfarramt waren damals unvorstellbar, werden jetzt aber von Frauen und Männern selbstverständlich in Anspruch genommen. Über weibliche Gottesbilder, inklusive Sprache in Gottesdiensten und explizit feministisch theologischen Ausbildungsgänge wundert man sich heute kaum mehr. Trotzdem bleibt im Hinblick der Geschlechtergerechtigkeit noch viel zu tun in Kirche und Gesellschaft.
Nachdem man in den 2000er Jahren eher den Eindruck bekam, die neuere Frauenbewegung sei an ein vorläufiges Ende gekommen und sich Tendenzen eines Backlashs breit gemacht hatten, stimmt es mich hoffnungsvoll, dass mit dem Frauenstreik 2019 wieder neuer Schwung in die Bewegung gekommen ist. Eine jüngere Generation von Frauen hat ihre Anliegen aktiv in die Hand genommen, Diskriminierungen benannt und ihre Forderungen klar formuliert. Gleichzeitig bin ich neugierig, wie sich die LGBTQ Bewegung und die damit verbundenen Anliegen der Inklusion gesellschaftlich auf die Geschlechtergerechtigkeit auswirkt.

7. Wie bekommen für Dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?
Nach meiner Pensionierung 2007 habe ich vor allem an zwei feministisch theologischen Projekten mitgearbeitet. Für die „Konferenz der kirchlichen Frauen- und Genderstellen Deutschschweiz“ trug ich in den Jahren 2008 – 2010 Unterlagen für das Faktenblatt „merk.würdig“ zu Frauen – Kirche – Theologie seit 1985 zusammen, das die Breite des Engagements der kirchlichen Frauenbewegung auf einem Plakat sichtbar macht. Ebenso konnte ich eine Einheit zu „Religion und Biografie“ für den Theologiekurs der evangelisch-reformierten Landeskirchen im Themenbereich „Religionswissenschaft“ gestalten. Weiterhin bin ich in verschiedenen Projekten als Freiwillige engagiert. Privat verfolge ich gespannt und neugierig die Entwicklung meiner inzwischen acht Grosskinder im Alter zwischen 8 und 16 Jahren. Sechs sind Mädchen –Frauenpower!!

Vielen Dank für das spannende Interview!
Esther Gisler Fischer

Frau des Monats November/Dezember 2023

Interview mit Judith Stofer

 

Ich bin 64 Jahre alt,
seit dem 1. Mai 2023 pensioniert,
unverheiratet, Single und
alleinerziehende Mutter einer erwachsenen Tochter.
Ich bin weiterhin in der Politik aktiv
und als Journalistin tätig.

 

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?
Ich habe ab 1980 Theologie an der Universität Fribourg studiert. Die ersten zwei Studienjahre waren sehr intensiv, bereichernd und interessant, haben mich aber auch etwas desillusioniert. Die Männerdominanz in der Lehre, in Schriften und Büchern war erschlagend. Nach diesen zwei Jahren überlegte ich mir, ob ich umsatteln sollte. Da tauchte die Feministische Theologie auf. Sie hat mich gerettet. Endlich hatte ich eine Grundlage, die auch etwas mit meinem konkreten Leben zu tun hatte. Ich schloss das Theologiestudium mit dem Lizentiat ab.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?
Beruflich war ich nach dem Studium als freischaffende Journalistin mit dem Schwerpunkt Religion & Gesellschaft tätig. In den letzten sieben Berufsjahren vor meiner Pensionierung habe ich als politische Sekretärin in einer Mediengewerkschaft gearbeitet. Zudem bin ich seit 2011 aktiv in der Politik: ich bin Zürcher Kantonsrätin (bis heute). Politik ist eine Konstante in meinem Leben. Bereits als junge Frau war ich bei der feministisch-politischen Organisation für die Sache der Frau (OFRA) aktiv. Mit feministischer Theologie habe ich mich in meiner Freizeit beschäftigt. Ich habe während vieler Jahre in einer feministisch-interreligiösen Gruppe (christlich-jüdisch-muslimisch) mitgearbeitet. Zwei immer noch sehr lesenswerte Bücher sind dabei entstanden: «Siehe, ich schaffe Neues. Aufbrüche von Frauen in Protestantismus, Katholizismus, Christkatholizismus und Judentum», eFeF Verlag 1998. Ich bin Autorin und Mitherausgeberin wie auch beim Buch «Körperlichkeit. Ein interreligiös-feministischer Dialog», Religion&Kultur Verlag 2007.

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?
Feminismus ist eine Konstante in meinem Leben. Feministische Theologie hat mich gelehrt, kritisch zu hinterfragen, in die Tiefe zu gehen, Unsicherheiten auszuhalten, Neues zu wagen und den roten Faden nicht zu verlieren.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?
Mich haben einige Autorinnen geprägt: Mary Daly, Judith Plaskow, Carol P. Christ, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Rosemary Radford Ruether und Gertrud Heinzelmann. Sie begleiten mich seit mehr als 40 Jahren durch mein Leben.

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?
Als feministische, linke Politikerin erhalte ich viele Reaktionen. Manchmal werde ich angefeindet, manchmal ausgelacht, sehr oft hört man mir zu. Doch es bewegt sich zu wenig. Es gibt noch viel zu tun.

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?
Die Kirche verliert immer mehr als gesellschaftlicher Player. Die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, die nun auch in der Schweiz nicht mehr weg geredet werden können, haben der katholischen Kirche das Genick gebrochen. Ich denke, sie wird sich nicht mehr erholen. Selbstbewusste Frauen sollen das Ruder übernehmen und etwas Neues und Lebendiges aufbauen.

7. Falls zutreffend: Was waren die Gründe, weshalb du dir eine Tätigkeit ausserhalb der Kirche gesucht hast?
Für mich als denkende Frau gab es nie einen Platz in der katholischen Kirche. Das habe ich schon sehr früh wahrgenommen. Ich wollte mich nie verleugnen, darum war es für mich klar, dass ich nicht Teil dieser Kirche werde.

8. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?
Als kantonale und lokale Politikerin setze ich mich für ein gutes Leben für alle in diesem Land und meinem Kanton, dem Kanton Zürich, ein. Ich lasse mich von den feministischen Theologinnen leiten, die mich hauptsächlich während meines Studiums geprägt haben.

Literaturhinweise:
– Siehe, ich schaffe Neues Aufbrüche von Frauen in Protestantismus, Katholizismus, Christkatholizismus und Judentum hg. von Doris Brodbeck, Yvonne Domhardt, Judith Stofer
– Körperlichkeit – ein feministisch-interreligiöser Dialog | Stofer, Judith, Lenzin, Rifa‘ at

Vielen Dank!
Das Interview führte Esther Gisler Fischer.

Frau des Monats September/Oktober 2023

Helmute Conzetti

Geb. 1945 in Bad Reichenhall, Studium der Theologie in Berlin, Heidelberg, Zürich, Tübingen und Abschluss in Berlin. Vikariat und Heirat mit dem Schweizer Theologen C. Conzetti und Geburt unserer beiden Kinder. Ab 1979 in Bern lebend. Arbeit als Pfarrersfrau mit eigenen Betätigungsfeldern in der Pfarrer*innen- & Vikariats-ausbildung, Supervisorin, Stadtrat. 1982 Pfarrerin in Bern-Bethlehem, 1991 Studienleiterin Gwatt-Zentrum, dann Fachstelle „Bildung & Beratung der ref. Kirche Bern-Stadt bis zur Pensionierung.

  1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Zu Beginn meines Studiums 1965 war feministische Theologie für mich noch kein Thema.  Allerdings befremdete mich sehr, dass es hiess, als verheirate Frau könnte ich dann nicht mehr  Pfarrerin sein. Das hielt mich aber nicht vom Studium ab.

Theologen wIe Gerhard von Rad, Ernst Käsemann, Eberhard Jüngel begeisterten mich für Bibel, Theologie und soziale Fragen. – Bei Dorothee Sölle stellten sich diese Fragen bei mir neu und brisant, begünstigt auch durch die sozial-kritische  68-er Bewegung. Luise Schottroff lehrte uns die  präzise Interpretation biblischer Texte, die die Lebenswirklichkeit von Frauen (und anderer Unterdrückter) verdeutlichte und auch Jürgen Ebach hatte einen offen Sinn für soziale und feministische Fragen.

Später in der Bildungsarbeit waren Heidemarie Langer mit  Bibliodrama oder Jutta Voss mit Texten und Tänzen wichtige Wegweiserinnen.

Förderlich für die feministische Bildungsarbeit waren dann besonders die Kolleginnen in Zürich und Biel, Marga Bührig, Reinhild Traitler, Tania Oldenhagen, Doris und Silvia Strahm, Regula Strobel und viele weitere Frauen in den Bildungshäusern und der Frauenkirche.

  1. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Im Gwatt-Zentrum, dem damaligen kirchlichen reformierten Bildungszentrum der Berner Kirche, war ich Studienleiterin für das Ressort „Frauen“. Neben Bildungs- und Ferienkursen für Frauen wurden mir die Vorbereitungstagungen für den Weltgebetstag (WGT) zunehmend wichtig. Ich erlebte, auch auf Reisen in die entsprechenden Länder, welche Bedeutung und welches Empowerment dieser christlich weltweit gefeierte Anlass für die Frauen des WGT-Landes bedeut. Und natürlich haben auch wir reisenden  Frauen viel über die Lebenswirklichkeit der Frauen weltweit gelernt.

Intensiv wurde die Zusammenarbeit mit den Bildungshäusern Boldern, der Paulus-Akademie, dem Verein „Frauen und Kirche Luzern“ mit den Angeboten „Erster Ausbildungskurs feministische Theologie“, 1986 -1993. Darin ging es um christliche feministische Ansätze weltweit. Da gingen uns allen, Teilnehmenden und Organisatorinnen neue Welten auf. – Der Wunsch nach Weiterarbeit war gross.

So wurde  ein weiteren Kurs „Zweiter ökummenischer Ausbildungskurs  Feministische Theologie“ 2000 – 2001 geplant und durchgeführt. Dieser Kurs war interreligiös: Frauen aus Judentum, Islam und Buddhismus kamen zur Sprache und auch der interreligiöse Dialog wurde thematisiert. Die hoch motivierten Frauen trafen sich zwischen den Modulen in Lerngruppen zum Austausch und um das Thema zu vertiefen.

Im März 1998 half ich in Bern die „IG FrauenKirchen Schweiz“ zu gründen und im Oktober die Frauenkirche Bern, die auch eigene Bildungsveranstaltungen durchführte. Marianne Kopp gestaltete und führte für das Programm und weitere Ereignisse den „Frauenkirchenkalender“.

Ab 1998,  an der Fachstelle Frauen der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn, unterstützen und bildeten wir Frauen für Führungsaufgaben (Kirchgemeinderat, Synode u.a.) in der Kirche aus. Damals war das durchaus noch pionierhaft.

  1. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Die feministische Perspektive wurde für mich zunehmend selbstverständlich. Ich habe mich in meiner Bildungs- aber auch in der  politischen Arbeit (Stadtrat der Stadt Bern) dafür eingesetzt und versucht, diese Perspektive nicht aus den Augen zu lassen.

  1. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Mir hat immer die präzise Bibelauslegung sehr gefallen, die gezeigt hat, mit welchem „männlichen“ und europäischen Blick die Bibel jahrhundertelang ausgelegt wurde. Das immer wieder kritisch zu betrachten und entsprechend zu vermitteln, war mir wichtig. Ausserdem war mir auch Kirchenpolitik wichtig, die zu „meiner Zeit“ noch sehr einseitig männlich geprägt war.

  1. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?

Als Pfarrerin in der Kirchgemeinde mit „vorsichtig feministischem Ansatz“ bekam ich Reaktionen wie: „Weisst du, wir verstehen deine Predigten einfach besser.“ Sie waren vielleicht nicht feministisch, aber sie waren aus meiner weiblichen Perspektive. Später in der Bildungsarbeit war die feministische Perspektive durchaus  erwünscht und teilweise auch von männlichen Kollegen mitgetragen.

  1. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Ich wünsche mir, dass die Kirche sowohl Frauen als auch Männer anspricht und für beide interessant und wichtig bleibt. Ich wünsche, dass Care- und Berufsarbeit für Mann und Frau möglich und wichtig ist und dass die Kirche gesellschaftlich und ökologisch relevant bleibt.

  1. Falls zutreffend: Was waren die Gründe, weshalb du dir eine Tätigkeit ausserhalb der Kirche gesucht hast?

—-

  1. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?
    Ich glaube, dass viele Erkenntnisse unserer Generation wichtig, wegweisend und in unserer Gesellschaft teilweise auch selbstverständlich geworden sind. Aber die Herausforderungen haben sich verändert. Die Kirche ist für viele nicht mehr relevant. Das Ungleichgewicht der Mächte weltweit ist bedrohlich. Die Umwelt-, Klima- und Friedensfragen sind brennend. Eine wichtige Aufgabe auch für die Kirchen, wo diese Themen immer wieder neu bedacht werden müssen. Feministische, interreligiöse, ökologische, soziale und Friedens-Perspektiven braucht es für eine lebenswerte Zukunft für alle.

Helmute Conzetti

Vielen Danke für das spannende Interview!
Esther Gisler Fischer.

 

Frau des Monats Juli/August 2023

Interview mit Maria Regli
lic.theol. in Fribourg (CH) & Nijmegen (NL)
Stabsmitarbeit JUSESO Zürich (1999-2002)
Projektarbeit Caritas Bern (2003)
Pfarreiarbeit in Köniz (2003-13 & Bern (2018-20)
Leitung Bildungsstelle Kirchen Biel u. Umgebung (2013-1018)

MAS in Applied Spirituality
Zertifikat in naturzyklischer Prozessbegleitung
Yogalehrerin (Lu Jong/Hatha) und Pilgerbegleiterin (EJW)
Vizepräsidium jakobsweg.ch
geb. 1961 in Andermatt (UR), verh., drei Kinder

seit 2020 freischaffende Theologin, Ritual- und Zeremonienleiterin (www.mariaregli.ch)
seit 2020 Seelsorgerin in der Privatklinik Wyss in Münchenbuchsee
seit 2021 Geschäftsführerin IG Fem. Theologinnen Schweiz & Liechtenstein

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Die erste Feministin in meinem Leben ist meine Mutter. Keck kam sie schon früh im Hosenkleid daher, als viele noch (schwarze) Röcke trugen. Sie managte die Familie, ist sehr belesen, politisch interessiert und allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, auch der feministischen Theologie. Als junges Mädchen imponierte mir, wie sie sich in der Kirche demonstrativ mit uns auf die Männerseite setzte. Ein Zeichen des stillen Protestes? Sie versucht(e) stets, den engen Spielraum, den sie in einem Bergdorf wie Andermatt hat(te), zu vergrössern. Und mit dem, was sich nicht ändern liess bzw. lässt, arrangiert(e) sie sich.

Im Klosterinternat in Ingenbohl, in dem ich sieben Jahre lang das Gymnasium besuchte, war feministische Theologie kein Thema. Aber trotzdem gab es für mich Nonnen, die überzeugten, weil sie innerhalb den Klostermauern ihren eigenen Weg suchten und fanden so z.B. die Sportlehrerin, die auch mal im Trainer daherkam oder die zwei Kunstlehrerinnen, die durch ihre internationale Berühmtheit die Normen sprengten und sich so etwas mehr Freiheit erkämpfen konnten.

Die feministische Theologin Regula Strobel war mir schon damals ein Vorbild. Sie begrüsste mich als junges Küken auf der Klostertreppe, weil sie mir als Mentorin zugeteilt war. Und auch als ich – sieben Jahre später – nach Fribourg ins Theologiestudium wechselte, legte sie mir dort den violetten Teppich aus. Weitere Protagonistinnen kamen dazu: Lisianne Enderli (+2012), Silvia Schroer, Doris Strahm, aber auch meine Studienkolleginnen Rita Pürro, Lydia Meiling, Ruth Theler, Judith Stofer, Beatrice Acklin und viele andere mehr waren wichtige feministische Begleiterinnen in meiner Studienzeit.

Eine damals für viele von uns prägende Figur war die erste feministisch-theologische Professorin in Europa: Catharina J.M. Halkes. Zu ihr pilgerten wir scharenweise nach Nijmegen. Aber auch Mary Daly, die US-amerikanische lesbische katholische Theologin und Philosophin, beeindruckte mich mit ihrem bahnbrechenden Buch «Jenseits von Gottvater, Sohn & Co» (ersch. 1973). Weitere herausragende Frauen waren: Carter Heyward mit ihrer feministischen Theologie der Beziehung, Elisabeth Schüssler Fiorenza mit der historisch-kritischen Methode der Bibellektüre, Christa Mulack und Heide Göttner-Abendroth mit ihren Forschungen zu «Maria» und den hinter ihr verborgenen Göttinnen aus der matriarchalen Vorzeit. Und nicht zu vergessen die politische Theologin Dorothée Sölle, die ich in Bern zu einem persönlichen Interview traf und über deren theologische Ansätze ich meine Lizentiatsarbeit geschrieben habe.

Als ehemalige Klosterschülerin interessierten mich auch frauenfreundliche Formen von Spiritualität. In meinem Studienjahr in Nijmegen lernte ich im «Institut for Spiritualiteit» feministische Frauen innerhalb der Beginenbewegung kennen z.B. Laetitia Aarnink. Ihre kritischen Forschungen in «Mystik – Ihre Aktualität» (1984) zogen mich in Bann und hinterliessen einen bleibenden Eindruck.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Kaum von Nijmegen zurück, gründeten wir in Fribourg Ende der 80igerJahre das erste Feministische Theologinnenforum. Wir organisierten Seminare, Retraiten und setzten uns für Lehraufträge für feministische Theologie ein.

Nach meinem Studienabschluss absolvierte ich zwar das Pastoraljahr zur Berufseinführung, ging dann aber zuerst auf Distanz zur Pfarreiarbeit und arbeitete als Stabsmitarbeiterin bei der Jugendseelsorge in Zürich, dann als Projektleiterin im Sozialbereich beim Wirtschafts- und Arbeitsamt Bern, engagierte mich als Regionalsekretärin bei der OFRA, der Alpeninitiative und trat dem Grünen Bündnis Bern bei, einer Partei mit klaren gleichstellungspolitischen Forderungen. 1993 Jahre wurde ich in den Stadtrat Bern gewählt.

Doch das in Holland geschürte Interesse an feministischer Spiritualität, eine motivierende Begegnung mit dem damaligen Pfarreileiter in meiner Wohngemeinde und die familiäre Auseinandersetzung bzgl. Religionsunterricht unserer drei Kinder, brachte mich mit über 40 in die kirchliche Seelsorge. 2003 übernahm ich eine Stelle in der Pfarrei St. Josef in Köniz. Es war eine Zeit der Offenheit für neue liturgische Formen und Projekte. Begleitend besuchte ich eine MAS-Weiterbildung in angewandter Spiritualität der reformierten Landeskirche in Zusammenarbeit mit den Universitäten Zürich und Salzburg (2004-2010). Es ging dort um das Verbindende unter den Hauptreligionen und nicht um das Trennende (!); damit verbunden ein Meditationslehrgang und viel Austausch über Selbsterfahrung. Mein Fokus war darauf gerichtet, Spiritualität in den Alltag zu holen, praktikable Formen dafür zu finden. So begannen wir in Köniz mit «klosterwandern» und boten verschiedene Arten von (Körper-) Meditationen an. Im Rahmen meiner MAS-Arbeit entwickelte ich die Methode «Spiritualmove» und baute einen (spirituellen) Lauftreff in Köniz auf. Die Integration von Körper – Geist – Seele war und ist auch heute die Basis für mein feministisch-theologisches Schaffen.

Weitere Einsatzmöglichkeiten boten sich im liturgischen Bereich, in der Bibellektüre, der Erwachsenenbildung, diversen Anlässen im Frauenverein, den wir zudem in die zukunftsfähige Form des Frauenforums überführten.

Als Leiterin der Bildungsstelle der katholischen Kirchgemeinde Biel und Umgebung arbeitete ich eng mit den Kolleginnen des reformierten Arbeitskreises für Zeitfragen u.a. mit der feministischen Theologin Luzia Sutter Rehmann zusammen. Unsere gemeinsamen Veranstaltungen hatten zum Ziel, Frauen – auch im interkulturellen Umfeld – zu ermächtigen. Mein eigener Schwerpunkt lag weniger in der Vermittlung von feministischer Theologie, als in der Bewusstseinsbildung und im Empowerment der Frauen allgemein. Ein Highlight war für mich das Seminar mit der protestantischen Theologin Marion Küstenmacher zu ihrem Buch «Gott 9.0» (2010), wo es um die differenzierte Entwicklung des Gottesbildes ging. Später folgte die Auseinandersetzung mit ihrem Buch «Das Integrale Christentum» (2018). Dazu hätte ich gerne in meiner damaligen Pfarrei weitergearbeitet..

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Feministisches Gedankengut war immer zentral in meiner Arbeit: Es offenbarte sich in einer genderbewussten Sprache, in der politischen Arbeit, in der Gestaltung von Liturgien und Predigten, in der Seelsorge und der Erwachsenenbildung, vor allem auch als Leiterin der Bildungsstelle der katholischen Pfarreien Biel und Umgebung (2013-2018). Wenn frau einmal den Blick geschärft hat für die fehlende Gleichberechtigung und Diskriminierung der Frauen v.a. in der katholischen Kirche, dann kann diese (violette) Brille nicht einfach abgesetzt werden.

In den vergangenen Jahren hat sich mein ökofeministischer Ansatz vertieft. Als freischaffende Theologin und Ritualbegleiterin gestalte ich viele Rituale draussen in der Natur, fernab von kirchlichen Strukturen und einengenden Mindsets. Ich versuche, den erdverbundenen matriarchalen Wurzeln nachzuspüren und diese mit der heutigen Wahrnhemung und Erfahrung zu verbinden.

Seit 2013 bin ich bei der IG Feministischer Theologinnen CH/FL tätig, sieben Jahre im Vorstand, davon zwei als Präsidentin und seit 2021 mit einem kleinen Mandat als Geschäftsleiterin. Die Grundlagen dafür bereit zu stellen, damit feministisch-theologisches Forschen weitergehen und (junge) Berufskolleginnen gestärkt werden können, entspricht mir sehr.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Als Theologin ist mir der bibelkritisch-feministische Ansatz nach Schüssler Fiorenza wichtig; als Ritualgestalterin der ökofeministische Ansatz nach Heide Göttner-Abendroth und Ursula Seghezzi, die ich im UMA-Institut in Norddeutschland kennengelernt habe; als spirituelle Begleiterin und Meditationslehrerin sind es u.a. Methoden aus dem Buddhismus  und der christlichen Kontemplation, primär aus der Erfahrungsquelle von Frauen; und als Yogalehrerin Asanas aus der buddhistischen (Lu Jong Yoga) und der hinduistischen Spiritualität (Hatha Yoga).

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?

Im privaten Umfeld stiess ich durchwegs auf Einverständnis und Unterstützung. Im politisch linken Spektrum, in dem ich mich mehrheitlich bewege, wurde eher mit Erstaunen und Skepsis auf meine Tätigkeit innerhalb der katholischen Kirche reagiert.

Im kirchlichen Umfeld stiess ich zuerst auf Offenheit, Neugierde und Entgegenkommen, war doch im Nachklang des Aufbruchs der 80iger Jahre auch die feministische Theologie en vogue. Natürlich gab es immer auch Widerstand von jenen, die die Tradition gefährdet sahen. Doch als der Missbrauchsskandal innerhalb der Kirche aufgedeckt wurde und es zu einem zunehmenden Exodus – gerade auch der fortschrittlichen Kirchgänger*innen – kam, begann der Wind zu drehen. Die Reputation der Kirche war in Gefahr. Kritik und Aufmüpfigkeit wurden immer weniger geduldet. Und das Rad begann sich rückwärts zu drehen…

In dieser Zeit engagierte ich mich auf nationaler Ebene in der Vorbereitung des kirchlichen Frauenstreiks vom 14. Juni 2019. In der damaligen Pfarrei in Bern bildeten wir ein ökumenisches Frauenkirchenkomitee, das zu einem Streikanlass vor Ort aufrief. Das kam dann bei meinen katholischen Kolleg*innen weniger gut an. Mein feministisch motiviertes Arbeiten stiess innerhalb der Pfarreiarbeit immer weniger auf Anklang. Es kam sogar so weit, dass ich dort meinen Platz als Theologin räumen musste.

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Innerhalb der Gesellschaft können Frauenrechte nach und nach umgesetzt werden. Es findet ein parteiübergreifender Dialog statt. Die Forderungen der jungen Generation und der LGBTIQ-Bewegung werden diskutiert und erweitern die Wahrnehmung und Bewusstseinsentwicklung.

Innerhalb der Kirche wird aber nach wie vor Chancenungleichheit kultiviert. Die Macht bleibt in Männerhänden. Zu ihrer funktionalen Macht kommt die spirituelle Überhöhung dazu. Die Forderung der Frauen nach Gleichberechtigung werden zwar gehört, aber oft nicht einmal wirklich verstanden, geschweige denn umgesetzt. Die beiden gelebten Realitäten unterscheiden sich fundamental und klaffen immer weiter auseinander. So wird wohl noch lange die einzige Ordination der Frauen innerhalb der katholischen Kirche die Subordination bleiben.

Was ich mir wünsche? Gleichberechtigung.Punkt.Amen!

7. Was waren die Gründe, weshalb du dir eine Tätigkeit ausserhalb der Kirche gesucht hast?

Es sind unzählige Erfahrungen von Diskriminierungen, die ich mit vielen Berufskolleginnen teile, auch mit unzähligen anderen Frauen. Natürlich braucht es einen langen Atem, Ausdauer und Geduld, bis sich ein über Jahrhunderte gewachsenes System transformiert hat. Aber ob dieses überhaupt dazu fähig ist? Hat es sich nicht schon meilenweit von seinen Vorbild entfernt? Jesus war ein subversiver Kämpfer für die Rechte der einfachen Leute inkl. der Frauen und nicht ein Machtträger innerhalb eines religiösen Systems.

Ein weiterer Grund ist die Entfremdung zur konfessionellen Einengung des Glaubens. Die Erfahrung der Diskrepanz, innerhalb einer Liturgie einerseits den zunehmend traditionellen Kirchgänger*innen gerecht zu werden und andererseits authentisch zu bleiben, wurde für mich immer grösser und der Spielraum dafür immer kleiner.

Last but not least gibt es meist einen «letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte». Bei mir war es die Erfahrung der Ausgrenzung als Theologin vor Ort. Und weil es für mich keine Möglichkeit mehr gab, innerhalb der Landeskirche Bern aufzutreten, bin ich ausgetreten.

Seit drei Jahren bin ich selbstständig als Theologin, Kursleiterin und Ritualgestalterin tätig mit kleinen zusätzlichen Mandaten und wechselnden Jobs.

8. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen (nach wie vor) Hand und Fuss?

In meiner Arbeit gibt es keine konfessionellen, religiösen oder kulturellen Grenzen, sei es in meinem freischaffenden Bereich oder in der psychiatrischen Klinik, in der ich als freie Theologin angestellt bin.

Ich arbeite mit Menschen auf Augenhöhe und nicht (mehr) von der Kanzel. Wir alle sind «Priester*innen» bzw. «spirituelle Menschen mit einer menschlichen Natur» (Willigis Jäger).

In der Gestaltung von Ritualen und Zeremonien nehme ich die Bedürfnisse und Wünsche meiner Auftraggebenden ernst und giesse sie mit ihnen in eine stimmige Form.

Mein spiritueller (Arbeits-) Raum ist oft draussen in der Natur. Ich achte darauf, dass die Rechte aller Wesen gewürdigt und notfalls geschützt werden. «Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will» (Albert Schweizer) oder mit der feministischen Theologin Rosemary Radford Ruether gesprochen: «Unsere Verwandtschaft mit allen Geschöpfen der Erde ist global und verbindet uns jetzt mit der ganzen lebendigen Schöpfung». Die Konsequenz daraus ist, dass ich mich auch politisch für die Biodiversität und die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes einsetze.

Danke für deine Antworten!
Das Interview führte Esther Gisler Fischer

Weitere aktuelle Infos: https://www.kath.ch/newsd/maria-regli-ich-musste-gehen-weil-bleiben-keine-option-mehr-war/

Frau des Monats Mai/Juni 2023

Interview mit Agnes Leu


* 1958
Theologiestudium & Ausbildung auf dem 2. Bildungsweg in Bern
1988 – 1996 Jugendarbeit, kirchlicher Unterricht und Pfarramtliche Tätigkeiten im Kt. Bern
1997 – 2012  Studienleiterin im Forum für Zeitfragen, Basel
2012 – 2021  Evang.-reformierte Pfarrerin und Seelsorgerin, Gesamtkirchgemeinde Biel, Bern und Lengnau BE
Ab 2022  Teilpensum als Pfarrerin in Lengnau BE
Pensionierung in Planung.

Ich bin gerne in Bewegung, in der Natur, lese viel, liebe Poesie und interessiere mich für Kunst und alles Schöpferische. Mit meinem Partner möchte ich mehr gemeinsame Zeit verbringen und unseren Interessen nachgehen. Ich möchte mehr Zeit um private Kontakte zu pflegen, insbesondere zu meinen 2 Töchtern und den 3 Enkeln.

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

„Du bisch en Ruach“ – ein wildes Kind – ungestüm. Es sollte etwas braver sein, besonders ein Mädchen. Aber was machen mit so viel Energie? Wenn es gerne herumstürmt und rennt, den Wind liebt, der ihm um die Nase weht, bis es ausser Atem, mit rotem Kopf, lachend und glücklich ins Haus zurückkehrt? Das Kind wurde erwachsen und vergass den Ausdruck, bis es bei der feministischen Forschung auf ein ganz neues Verständnis von «ruach» stiess.

Als Studienanfängerin an der theologischen Fakultät der Uni Bern 1982 kam mir das Buch von Mary Daly «Jenseits von Gottvater, Sohn & Co.» unter die Augen. Ihr radikales Denken prägte und erschütterte mich. Es öffnete mir die Augen für unser Gesellschafts- und Wertesystem und für mein Unbehagen und meine Unsicherheit, die ich als junge und suchende Frau empfand. Ich träumte von einem selbstbestimmten Leben, wollte mir mehr Wissen aneignen können. Als ich von einer Gruppe von Pfarrherren eingeladen wurde, die u.a. wissen wollten, was denn die junge Studierende so liest, erzählte ich von der Lektüre von Mary Daly. Ich wurde nicht nur nicht ernst genommen, sondern sogar «abgekanzelt» und zum Verstummen gebracht. Diese peinliche Begegnung stachelte meine Wut und Neugier noch mehr an. Da ich schon länger mit der politischen Frauenbewegung in Kontakt war, fand ich ein neues Umfeld von Frauen, die sehr aktiv waren und für Gleichstellungs-forderungen auf die Strasse gingen. Eine Begegnung mit Ursa Krattiger und ihrem Buch «Die perlmutterne Mönchin» machten mir Mut. Ich las die Bücher von Catharina Halkes und Elisabeth Moltmann-Wendel, von Christa Mulack, Elga Sorge, Carter Heyward, u.a.. Zudem hatte ich das Glück, an Tagungen an der Paulus-Akademie Zürich auf viele weitere Frauen zu treffen: Ältere und jüngere, in der Frauenbewegung engagierte Katholikinnen und Frauen aus dem universitären Bereich, die Interesse am Kontakt mit den sogenannten «Basisfrauen» hatten. In einer Sommerkurswoche in der Paulus-Akademie lernte ich katholische Theologinnen kennen, die mich auf meinem Weg begleiteten wie Doris und Silvia Strahm und Li Hangartner, die ersten Redaktorinnen und Herausgeberinnen der FAMA. Ebenso kam ich in Kontakt mit «Labyrinth-Frauen» wie Agnes Barmettler und Rosmarie Schmid. Und in der Sommeruniversität der «Villa Kassandra» im Jura begegnete ich u.a. den Historikerinnen Elisabeth Joris und Heidi Witzig.

In dieser Zeit war ich Mitbegründerin einer Frauengruppe an der theologischen Fakultät der Universität Bern. Wir lasen die Bücher der fem. Theologinnen wie z.B. die «Frau am Anfang» von Helen Schüngel-Straumann. Sie und ihre Stiftung der fem.-theologischen Bibliothek lernte ich später in Basel kennen.

An der Universität Bern initiierten wir mit Unterstützung der Professoren fem.-theologische Veranstaltungen. Wir konnten Li Hangartner zu einem Seminar einladen und Doris Strahm zur Vorlesungsreihe «Einführung in die feministische Theologe – Aufbruch zu neuen Räumen». Auch Elisabeth Moltmann-Wendel wurde zu einem Vortrag eingeladen. Das Interesse – nicht nur von Frauen – war riesig.

In der Evangelischen Unigemeinde, die ich während der ganzen Studienzeit besuchte, traf ich auf sehr offene Menschen und Studierende aus verschiedenen Fakultäten. Wir redeten auch dort über feministische Theologie und eine Gruppe Frauen traf sich regelmässig für Jahreszeitenfeste- und Rituale. Die Abgrenzung zwischen politischen und spirituellen Frauen etc. gab es damals noch nicht. Ich konnte aus dem Vollen schöpfen.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Nach dem Abschluss des Theologiestudiums und der Ordination arbeitete ich ein paar Jahre in einer Kirchgemeinde mit Schwerpunkt «Jugendarbeit und Unterricht». Es kam zur Familiengründung und ich bekam zwei Töchter. Danach arbeitete ich teilzeitlich als Pfarrerin und besuchte eine Weiterbildung in Erwachsenenbildung.

Schon als Studentin suchte ich einen Weg, mich auch mit dem Körper auszudrücken. Ich fand nach längerem Suchen bei Ursula Stricker in Bern, Lehrerin für Tanz und Bewegung, einen offenen Raum für Kreativität und Weiterentwicklung meiner Spiritualität. Einzelne Elemente baute ich jeweils in meine Arbeit ein. Noch heute besuche ich ihre «Placement»-Kurse.

Als im «Forum für Zeitfragen» Basel eine feministische Theologin für die Leitung der Frauenprojektstelle gesucht wurde, bekam ich die Chance, mich von 1997 bis 2012 als Studienleiterin mit den Themen, die mich wirklich umtrieben, einzubringen. Hier war Raum für Ideen, Projekte, Veranstaltungen, für Vernetzung und ökumenische Kontakte. Ich arbeitete mit anderen Frauen- und Genderstellen zusammen, die in diesem Jahrzehnt in fast allen Deutschschweizer Kantonalkirchen entstanden waren.
Wir organisierten das «ökumenische Frauenkirchenfest 1999» in Basel, das Projekt «Labyrinth-Platz Basel» konnte 2002 auf dem Leonhards-Kirchplatz realisiert werden und die 3. Schweizer Frauensynode «anders – wie denn sonst?» fand im Jahr 2004 statt. Auch Frauen-Feiern gehörten zum regelmässigen Angebot. Zur Vermittlung von feministischer Theologie gab es Basiskurse in feministischer Theologie, Vorträge und Seminare von Preisträgerinnen des Marga-Bührig-Preises, Exkursionen zu Felszeichnungen und in den Tarot-Garten von Niki de Saint-Phalle u.a. Kontakte und Veranstaltungen fanden sich mit den «Frauen für den Frieden Basel» u.a. das Projekt «1000 Frauen für den Friedensnobelpreis». Weiter gab es Aktionen zum 8. März mit Gewerkschaftsfrauen und anderen Frauenorganisationen in Basel, die Teilnahme am Frauenstreiktag sowie Aktionen gegen Gewalt an Frauen.
Als die Frauenprojektstelle im «Forum für Zeitfragen» als solche nicht mehr weitergeführt wurde, blieben zwar Frauen- und Genderfragen im Fokus, doch die Stelle wurde gekürzt. So übernahm ich eine Anstellung als Seelsorgerin in einem Pflegezentrum in Bern. Als Seelsorgerin und Begleiterin von Menschen in der letzten Lebensphase, machte ich bereichernde Berufserfahrungen. Authentizität, Offenheit und Empathie waren gefragt sowie Reflexionen über das gelebte und ungelebte Leben. Ich schätzte die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Pflegenden. 2012 begann ich als Gemeindepfarrerin in der Kirchgemeinde Biel zu arbeiten. Dort war ich verantwortlich für den Bereich Sozialdiakonie.
Seit 2022 arbeite ich nur noch in einem Teilzeitpfarramt in der Kirchgemeinde Lengnau/BE.

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Die Arbeit im «Forum für Zeitfragen» stand ganz im Zeichen der feministischen Theologie und Sensibilisierung für Frauen- und Genderthemen. Der Kreis der Interessierten und Beteiligten bestand mehrheitlich aus gut gebildeten, kirchenkritischen oder kirchenfernen Menschen.

In der Gemeindearbeit, die ich seit 2012 als Pfarrerin und Seelsorgerin ausübe, habe ich mit anderen Kreisen zu tun. Im Gottesdienst rede ich gendersensibel, benütze alternative Bibeltexte, lasse Frauen sprechen und bin für Begegnungen und Gespräche da. Die Ausgestaltung der Liturgie ist bei mir beeinflusst von den Erfahrungen mit Frauengottesdiensten und der Körperarbeit. Die Gottesdienste werden wie überall mehrheitlich von älteren Menschen besucht. Auffallend ist, dass sich bei mir immer wieder ältere Männer zu Gesprächen meldeten, die aufgrund meiner Predigtgedanken selber kritische Anfragen an die bisherige Theologie und die Kirche hatten.
Zum Jubiläum «50 Jahre Frauenstimmrecht» konnten wir in Biel eine Predigtreihe «Helvetia predigt» durchführen. Das Interesse meiner jüngeren Pfarrkolleginnen an feministischer Theologie blieb mässig.
In der Kirchgemeinde Biel konnte ich während mehreren Jahren mit gleichaltrigen Frauen Frauenthemen in einer Gesprächsgruppe ansprechen. Da wir sehr unterschiedliche Biografien hatten, begegneten sich verschiedene Welten.
Im Reformationsjahr 2017 beteiligte ich mich in Biel beim Projekt einer Namensgebung für ein umgebautes Haus der Kirchgemeinde. Es war eine lustvolle Zusammenarbeit mit Frauen aus der Gemeinde, initiiert von Luzia Sutter Rehman vom «Arbeitskreis für Zeitfragen».

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Fragen und Hinterfragen der «göttlichen Ordnung». Den Menschen zuhören und ihre Fragen aufnehmen. Interesse für die Menschen zeigen und ihre Geschichten. Empowerment und Ermutigung, Fragen zu stellen und eigene Wege zu gehen. Es brauchte immer einen langen Atem und Geduld in (Seelsorge-)Gesprächen, auf wahrhaftige Fragen zu kommen. Boden schaffen für Vertrauen, für die Fragen, die die Menschen umtreiben, ihre Suche nach Spiritualität. Viele Menschen, die ich kennengelernt habe, hatten bisher keine Gelegenheit gehabt, mit einer Pfarrerin zu reden. Dem Unbehagen auf die Spur gehen und sich auf unkonventionelles Denken einlassen. Sich überraschen und anstecken lassen von anderen Denkweisen. Kehren und Wenden, wie bei einer Labyrinth-Begehung, in die Mitte und zurück, den Fragen aus einem anderen Blickwinkel begegnen. Sich durch Poesie und Kreativität anstecken und überraschen lassen und den vielen Möglichkeiten, die uns das Leben gibt.

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?

Im privaten Bereich waren die Reaktionen von Zustimmung bis Ablehnung immer da.
Im beruflichen Umfeld hatte ich als Studienleiterin viele Kontakte zu Gleichgesinnten und erhielt viel Motivation und Unterstützung. Ich war gut eingebettet. Im Pfarrberuf war es wieder schwieriger. Ich spürte den Respekt der Pfarrkollegen, dennoch war ich einem anderen Klima ausgesetzt. Von Seiten der Gemeindemitglieder kamen immer wieder positive Reaktionen, weil ich ihre Lebenserfahrungen und ihr Interesse an Lebens-Geschichten teilte und ihre kritischen Fragen gegenüber der Institution Kirche und der Religion ernst nahm.

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Meine Gedanken mache ich nicht nur als Frau oder Theologin oder als Individuum in der heutigen Gesellschaft, sondern als Mensch, beyond sex. Viele jüngere Frauen treten heute sehr selbstbewusst auf, haben eine gute Ausbildung, üben ihren Beruf aus und haben Kinder. Sie engagieren sich politisch, sind gut vernetzt und melden sich laut zu Wort. Schwieriger wird es, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht und die Frauen alles unter einen Hut bringen wollen. Es stellt sich für mich die Frage: auf welche Weise haben die Kirchen Anteil genommen an der Frauenbewegung? Ich sehe es nicht. Zum Beispiel war der Frauenstreik ein grosser Erfolg, weil er Generationen verband. Ich traf dort auf meine Töchter, ohne dass wir uns abgesprochen hatten.
Die politische Einmischung und das gesellschaftliche Engagement sollen nicht aufhören. In der Kirche fehlt die jüngere Generation. Aus welchem Grund fühlt sie sich nicht angesprochen? Schon die ältere Generation begann sich zu distanzieren und verlor den Anschluss. Warum hat die Kirche aufgehört für die Menschen von Bedeutung zu sein? Warum hat die Kirche aufgehört, wichtig zu sein für ethische, moralische und gesellschaftliche Fragen? Die Kirche scheint taub, blind und stumm gegenüber den Fragen der modernen Gesellschaft. Alle Vorschläge und Analysen betreffend unserer modernen Gesellschaft scheinen ins Leere zu fallen. Es ist augenfällig: Die Kirchen leeren sich. Die Sehnsucht nach Spiritualität und Transzendenz des menschlichen Handelns ist da. So wie die Kirche sich präsentiert, kann sie die meisten (jungen) Menschen nicht ansprechen. Sie ist eine zu schwerfällige Institution und hilft nicht unbedingt bei der Orientierung.
Heute liegen Themen wie Klimawandel, Ausbeutung unserer Ressourcen, Krieg und Gewalt im Fokus der Sozialen Medien. Diese Themen werden irgendwelchen Händen überlassen, die die Leere mit Hass, Verschwörungstheorien und Verlust der Hoffnung in die Menschen und in die Gesellschaft füllen. Sie stiften Verwirrung. Ohne die ethisch-moralische Analyse der Gesellschaft geht die Orientierung verloren. Die transzendentale Obdachlosigkeit und die Leere nehmen zu. Wo findet sich Gemeinschaft? Kaum in den Social Medias. Die Menschen und die Gesellschaft brauchen eine Utopie. Ohne sie können sich die Menschen und die Gesellschaft nicht weiterentwickeln. Für mich sind Frauenthemen: Gewalt gegen Frauen, Engagement für den Frieden, Umgang mit unseren Ressourcen, Klimawandel, Achtung der Menschenwürde u.a. immer noch hoch relevant. Wir können diese Themen nicht delegieren. Die junge Generation ist stark betroffen. Sie braucht unsere Präsenz, unser Engagement, unsere Ideen und Utopien.

8.Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

In der Begegnung, dem Austausch und der Begleitung von Menschen auf ihrer Suche nach Spiritualität. In den Reflexionen über das Leben und die Gültigkeit von Leben und Transzendenz. Ich will mich von den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht entmutigen lassen. Viele gute Erfahrungen erlauben mir «mitten im Alltag» immer wieder aufzustehen. Und Viel Motivation geben mir meine Enkelkinder.

Danke für deine Antworten!
Das Interview führte Esther Gisler Fischer

Frau des Monats November/Dezember 2021

Interview mit Verena Hungerbühler-Flammer

 

Geboren wurde ich 1943 in Kreuzlingen.
Die meiste Zeit meines Lebens habe ich in St. Gallen gelebt
und bin jetzt in Wittenbach zuhause.
Ich war verheiratet.
Unsere zwei Töchter sind 1972 und 1973 geboren.

 

 

Feministin

Nach meinen Ausbildungen als Krankenschwester und Hebamme gehörte ich zu den medizinischen Hilfsberufen (!); -Frauenberufe in denen ich mit Frauen zusammen lebte, lernte und arbeitete. Das Frauenspezifische war selbstverständlich und ich habe mich da wohl gefühlt. In der Geburtshilfe sind mir allmählich die Geschlechterunstimmigkeiten bewusst geworden. Frauen haben Kinder ausgetragen und geboren, Hebammen haben sie begleitet und die Ärzte, – in meiner Berufszeit nur Männer-, haben die Geburten als ihre Leistung zelebriert. Die Anfänge meines feministischen Denkens wurden im Gebärsaal geboren.

Theologin

Parallel zur Berufsausbildung habe ich den Glaubenskurs, danach den Katechetikkurs besucht. In eine katholische Familie geboren, wollte ich meine selbstverständliche Kirchenzugehörigkeit besser verstehen. Das war 1962, mit dem Beginn des Konzils. Vieles war auf Erneuerung eingestellt, die Dozenten, zum Teil Konzilsteilnehmer haben uns begeistert. In der Liturgiereform hat sich sichtbar viel verändert: Die Gottesdienste sollten den Menschen näher sein. Sie werden von Männern zelebriert. Sie kümmern sich nicht um das eigene Essen, sie zelebrierten ein Mahl samt Abwasch und teilten nicht, was sie bereitet hatten. Einfach skurril. Das war für mich das Geburtserlebnis zur feministischen Theologin.

Kirchenaktivistin

In der Familien Phase habe ich meine Kinder zur Erstkommunion und Firmung begleitet, war Mitglied der Synode 72 im Bistum St. Gallen und bei der gesamtschweizerischen Synode, nachher noch acht Jahre im Seelsorgerat, im Pfarreirat in der Frauengemeinschaft, in der Kinderliturgiegruppe. So wie ich die Kirche da erlebt habe, war sie für mich hoffnungsvoll und ich war überzeugt, dass bald ein Miteinander von Frauen und Männern möglich sein würde. Zu dieser Kirche wollte ich gehören. Ich absolvierte den Theologiekurs für Laien und das Seminar für Seelsorgehilfe und erhielt nach langer Ausbildungszeit das Diplom als Seelsorgehelferin (!).

Frauen – Kirchen Frau

In der Synode 72 wurde Margrit Schöbi meine Freundin, eine Frau «doppelt» so alt wie ich, die sich intensiv mit der Situation der Frauen in der Kirche befasst hat. An ihrer Seite bin ich zur Feministin geworden. Das war die Zeit, in der der Büchermarkt mit feministisch-theologischer Literatur überquoll. Wir habe viel gelesen und in verschiedenen Lesegruppen diskutiert. Die Theologie, die Situation der Frauen in Staat und Kirche waren im Umbruch und ungeduldig haben wir daran geglaubt, dass wir unseren Platz finden können. Aus den Frauengruppen ist das Ökumenische Forum Frau + Kirche entstanden, die Frauenkirche in St. Gallen-Appenzell. Das Engagement bei den Bildungsveranstaltungen, den Frauengottesdiensten und den Festen, die wir feierten hat begeistert. Da hatte ich meinen Platz, feministisch-theologisch aktiv zu sein. Ich war Seelsorgerin der Frauen die sich in der Kirche nicht mehr beheimatet fühlten. Als Forum Frau + Kirche haben wir uns in verschiedene kirchliche Gremien eingemischt, unsere Ansichten dargelegt und ich glaube, dass durch unsere Überzeugungskraft und Hartnäckigkeit das Bewusstsein, dass Frauen auch Kirche sind, gewachsen ist. In den 20 Jahren Forumsarbeit haben viele Frauen ihren eigenständigen Weg im Glauben gefunden. Zur Forumsarbeit gehörte dazu, dass ich während dreier Zyklen beim feministischen Theologiekurs in Boldern Co-Leiterin war mit Elisabeth Miescher, Gina Schibler, Reinhild Treitler und Doris Walser. Von der Gründung an bin ich in der IG feministischer Theologinnen und war auch Mitglied des Vorstandes. Diese intensive Zeit hat mich befähigt und ermutigt, über mein Christin sein selber nachzudenken und zu bestimmen.

Pfarreiarbeit

Nach der Familienzeit habe ich mich in der Pfarreiseelsorge anstellen lassen, zuerst in Appenzell Innerrhoden. Vielleicht ist es mir gelungen, im Kontakt mit den Menschen und in der Predigt zu zeigen, was Frauen können und ganz sachte die feministische Art über Gott zu reden eingeführt. Nachher hatte ich eine Anstellung, bei der die Seelsorge mit alten Menschen zu meinen Aufgaben gehörte. Als junge Frau habe ich als Hebamme Kinder ins Leben begleitet und nun konnte ich Menschen auf ihrem Weg aus dem Leben begleiten. Da wurde für mich die Fülle des Lebens erfahrbar.

Eine inspirierende Erfahrung war für mich die FRU (FrauenReligionsunterricht) Ein Dutzend Frauen haben in regelmässigen Treffen Religionsstunden vorbereitet mit dem Ziel, die Katechese aus Frauensicht zu gestalten. Unsere Treffen waren fruchtbare Streitgespräche.

Fazit

Die Pfarreiarbeit hat grosses Standvermögen gebraucht. Der Pfarreileitung und der Kirchenverwaltung war ich zu wenig devot, den Mitarbeiterinnen zu wenig brav. Ich bin in der katholischen Kirche geblieben. Ich bin da hineingewachsen; da sind meine Wurzeln. Nach der letzten grossen Auseinandersetzung habe ich mich jedoch aus der Kirchgemeinde abgemeldet, ich will die heutige Kirche nicht mit meinen Steuergeldern unterstützen.

Wissenschaftlich theologisch habe ich nicht gearbeitet, dafür mit Interesse verfolgt was vermittelt und geschrieben wurde und mich vom Denken der Theologinnen mitreissen und begeistern lassen. Es ist mein Wunsch, dass sich immer wieder Frauen von der christlichen Botschaft begeistern lassen und ihren Glauben in Gemeinschaften teilen. Dass Hand und Fuss bekommt – lebendig wird was in der Bibel über die Frauen berichtet wird.

Feierabend

In den letzten Jahren zwingt mich ein Rückenleiden zurückgezogen zu leben: -ich bin auf meine Art zur Einsiedlerin geworden und doch eingebettet in eine grosse Gemeinschaft von Frauen, mit denen ich unterwegs war und bin.

Zusammengefasst nach einem Fragenkatalog von Esther Fischer Gisler

 

Frau des Monats März/April 2023

Interview mit Carmen Jud

* 1955
Theologiestudium in Fribourg
1982-84 Fachmitarbeiterin für Theologie und Frauenfragen beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund SKF, danach 20 Monate freischaffend und auf Stellensuche
1986-1992 Mitarbeiterin der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit
1992-2005 Geschäftsleiterin des cfd, des einzigen feministischen Hilfswerks in der Schweiz
2005 bis 2017 Beauftragte für Ökumene, Mission, Entwicklung und interreligiösen Dialog der Reformierten Kirche Kanton Luzern

Seit 40 Jahren lebe ich mit meinem Mann zusammen in Luzern. Wir haben bewusst keine Kinder. So hatte ich Zeit und Energie für meine unzähligen feministisch-theologischen Projekte.

Seit 2018 bin ich pensioniert und freue mich, mehr Zeit zu haben für Garten, Nähen, Kochen, Velofahren und Schwimmen. Ich bin engagierte Schlummermutter für studentische Untermieter:innen und begeisterte Gastgeberin für Airbnb-Gäste aus aller Welt.

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Als Einzelkind in einer Familie mit starken Frauen aufgewachsen erfuhr ich keine Benachteiligung als Mädchen und wurde von meinen Eltern schon früh zum Studieren ermutigt. Hingegen stand ich aufgrund einer leichten Gehbehinderung oft am Rande und hörte immer wieder den Satz: Wer keine Beine hat, braucht einen guten Kopf. In der Jugendarbeit in unserem Dorf erlebte ich die Kirche als Frei- und Experimentierraum und als Ort der lustvollen Zusammenarbeit – auch im Widerstand gegen einen konservativen Pfarrer. So lag es nahe, Theologie zu studieren, nachdem mein langjähriger Traum, Missionsärztin zu werden, wegen meiner körperlichen Einschränkung platzte. Zudem wehte nach Konzil und Schweizer Synode ein frischer Wind durch die offenen Kirchenfenster. Der Beruf der Pastoralassistentin schien mir auch darum attraktiv, weil das Berufsbild noch völlig offen war und ich hoffte, Teilzeit arbeiten und somit Beruf und Familie vereinbaren zu können.

Während eines Praktikums 1978 in der kirchlichen Jugendarbeit nahm mich eine Kollegin mit zum ersten Vortrag über feministische Theologie an der Paulus-Akademie. Ich konnte nicht viel damit anfangen, nahm jedoch die Literaturliste mit. Ich begann zu lesen: Tina Halkes, Elisabeth Moltmann, Rosemary Radford-Ruether, Mary Daly, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Luise Schottroff und vor allem feministische Analysen (Schwarzer, Mitchell, Millett, Janssen-Jurreit, Friedan, Schenk, Haller) und Literatur von Frauen. Rasch fand ich mich in einer neuen faszinierenden Welt und schrieb bald darauf die erste feministisch-theologische Lizentiatsarbeit an der Uni Fribourg.

Vorbild, Beraterin, Mentorin wurden für mich vor allem zwei Frauen: Marga Bührig und Rosmarie Kurz. Als Christinnen, Feministinnen und Pazifistinnen engagierten sie sich leidenschaftlich für weltweite Gerechtigkeit und kämpften gegen Militarismus und Aufrüstung. Im cfd setzten sie sich für die Schaffung der Frauenstelle für Friedensarbeit ein, berieten die Frauenstelle-Mitarbeiterinnen in der Begleitgruppe und unterstützten mich in meinen Engagements.

Geprägt hat mich aber vor allem die intensive Zusammenarbeit mit Freundinnen und Kolleginnen – wir haben Projekte ausgeheckt, Themen gesetzt und diskutiert, um Positionen gerungen (z.B. in unserem Verhältnis zum Judentum, zur Göttin, zu Kirche/Politik/Religionen, zu Frauensolidarität, Waffenlieferungen, Frauenlisten, …), uns gestärkt und so im Reflektieren, Handeln und Feiern feministische Theologie und Friedenspolitik und uns selbst weiterentwickelt.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Ich hatte das grosse Glück fast 20 Jahre lang beim cfd Erwerbsarbeit und feministisch-(theologisches) Engagement verbinden zu können. Die ersten sechs Jahre bei der cfd-Frauenstelle für Friedensarbeit entwickelten wir feministische Friedenspolitik in steter Auseinandersetzung mit feministischer Theorie, Friedensforschung und feministischer Theologie und vor allem in enger Verbindung mit Projekten und Aktionen der Frauenbewegung und Frauenkirche-Bewegung: Frauen-Kirchen-Tage, unzählige Vorträge in der halben Deutschschweiz, Veranstaltungen und Studienwochen mit wichtigen Feministinnen, oft in Zusammenarbeit mit Brigit Keller von der Paulus-Akademie (Christina Thürmer-Rohr, Frigga Haugg, Audre Lorde, Elga Sorge, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Judith Stamm, Marga Bührig, Ruth Epting, Monika Stocker, …), 8. März-Veranstaltungen, Demonstrationen und Mahnwachen gegen Kriege, Solidaritätsaktionen mit den Frauen im ehemaligen Jugoslawien usw. usw.

1991 übernahm ich nach einer Finanzkrise die neu geschaffene Geschäftsleitungsstelle im cfd, hatte ich doch jahrelang gemeinsam mit anderen Frauen über Frauen und Macht reflektiert und wollte diese Konzepte nun erproben. Gemeinsam mit dem Vorstand und feministisch engagierten, hochkompetenten Mitarbeiterinnen entwickelten wir den cfd als feministisches Hilfswerk und Friedensorganisation.

Daneben war ich in verschiedenen Projekten engagiert: Mitgründerin und Redaktorin der FAMA, Mitarbeit im Verein Frauen und Kirche Luzern (später FrauenKirche Zentralschweiz, heute
fra-z), im Ökumenischen Forum christlicher Frauen in Europa, im Ausschuss der Frauenkonferenz des SEK, als Präsidentin der Gleichstellungskommission des Kantons Luzern, wo ich an den Grenzen institutionalisierter Gleichstellungspolitik litt, da diese eben nur den Kuchen neu verteilen kann, statt neue Kuchen zu backen oder die ganze Bäckerei zu übernehmen.

Stolz bin ich darauf, dass ich Geburtshelferin für die Schweizer FrauenKirchenFeste (ab 1995 Frauensynode) sein durfte. Das erste FrauenKirchenFest 1987 in Luzern war eine erste Selbstvergewisserung, dass wir suchenden Frauen viele sind – viele Verschiedene. Marga Bührigs Zuspruch «Wir Frauen sind Kirche, worauf warten wir noch» wurde zum Antrieb für die FrauenKirche-Bewegung. In den folgenden Festen zeigte sich das Wachsen der Bewegung in die feministisch-theologische Tiefe und Weite und dass die Bewegung für immer mehr Frauen religiöse Heimat wurde und Raum, um getragen von der Solidarität der «Gerechtigkeit suchenden FreundInnenschaft» (Mary Hunt) für spirituelle und soziale Selbstbestimmung und für kirchliche und politische Mitbestimmung zu kämpfen.

Unvergesslich ist für mich die Frauensynode 2007 in der Innerschweiz unter dem Motto «Arbeitstitel Heimat – eine Reise», für die ich die Projektleitung machen durfte. Auf der Schifffahrt von Flüelen nach Luzern, an 12 Stationen in der Stadt Luzern, bei der Feier und dem Fest in der Lukaskirche näherten wir uns dem an, was Heimat – spirituell, persönlich, politisch für uns bedeutet, und wie der Begriff Heimat Zugehörigkeit und Ausschluss begründet.

3./4. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein? Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Ich hatte das Privileg, als Feministin beruflich feministisch arbeiten zu können. Im Zentrum stand nicht die Frage, ob feministisch, sondern mit welchen feministischen Ansätzen. Als Pendlerin zwischen feministischer Theologie und feministischer Friedenspolitik/Friedensarbeit lag mein Schwerpunkt vor allem auf den politisch-feministischen Zugängen, bei der Suche nach Möglichkeiten der Veränderung ungerechter sozialer Strukturen und nach Formen öffentlich-politischer Widerstandsarbeit. Zentral dabei war die Auseinandersetzung mit Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt insbesondere gegen Frauen und Minderheiten und den diesen zugrundeliegenden Denkmustern. Dabei war mir der feministisch-theologische Zugang immer sehr wichtig, vor allem Elisabeth Schüsslers Definition von «Patriarchat als eine männlich bestimmte, abgestufte Pyramide von Unterordnung und Ausbeutung, oder sozial-kulturell-politisches System von abgestuften Unterwerfungen und Beherrschungen.» Sie betrachtete Sexismus, Rassismus und militärischen Kolonialismus als die Tragpfeiler des Patriarchats. Diese Herangehensweise ermöglichte es, über den Frau-Mann-Gegensatz hinaus eine differenzierte Sicht auf die Verschränkung unterschiedlicher Formen und Kontexte von Gewalt und Unterdrückung zu gewinnen.

Sehr wichtig war uns der Ansatz der Mittäterschaft von Christina-Thürmer-Rohr. Ihre Analyse der komplexen geschlechtlichen Interessenverquickung zeigte auf, dass Frauen nicht einfach Opfer patriarchaler Strukturen sind, sondern eingebunden in einem System von Belohnungen und Beteiligungen ihren Beitrag zu deren Aufrechterhaltung leisten. Diese Herangehensweise lenkt den Blick auf die Frauen als Akteurinnen und eröffnet dadurch Handlungsmöglichkeiten.
In der cfd-Praxis orientierten wir uns am Konzept des Empowerment. Frauen sollen ermutigt und befähigt werden, die Bedingungen, unter denen sie leben, zu beeinflussen und zu gestalten. Das bedeutet, die realen Biografien der Frauen ernst zu nehmen, ihr Leben differenziert zu sehen, sie nicht nur als Opfer von Gewalt zu sehen sondern als Handelnde mit eigenen Ressourcen und Überlebensstrategien und sie darin zu stärken.

In der Zusammenarbeit mit Migrantinnen in der Schweiz wurde die Auseinandersetzung mit Differenzen unter Frauen zentral. Bei allem Empowerment und Bemühen um egalitäre Beziehungen bleibt ein ungleiches Machtverhältnis, das von allen Beteiligten Selbstreflexion und je andere Arten des Handelns erfordert.
Diese Erkenntnisse waren mir später auf der Luzerner OeME-Stelle in der interreligiösen Zusammenarbeit gerade auch unter Frauen sehr wichtig, und ich war froh, immer wieder Anregungen zu bekommen durch die Arbeit von Doris Strahm und den anderen Frauen des Interreligiösen Think-Tank.

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?

Eine sehr einschneidende Reaktion erlebte ich am Ende meines Studiums. Es war bereits abgemacht, dass ich in der St. Galler Pfarrei Halden, beim Pfarrblatt und als Religionslehrerin an der Kanti eine Teilzeitstelle antreten würde, daneben wollte ich mich im Frauenhaus engagieren. Dann kam das Nein der Bistumsleitung mit der Begründung, dass sich mein Engagement für Frauen, die aus einer Ehe ausbrechen, nicht vertrage mit der Arbeit in der Kirche. Ich war geschockt über dieses Denkmuster, wonach Solidarität mit von Gewalt betroffenen Frauen und Solidarität mit der Kirche nicht vereinbar seien, und beschloss, dass ich in dieser Kirche nicht arbeiten wollte.

Rasch fand ich meine erste Stelle beim Schweizerischen Katholischen Frauenbund. Die scheidende Präsidentin Annemarie Höchli–Zen Ruffinen hoffte, durch die Anstellung einer feministischen Theologin, feministische und feministisch-theologische Positionen im SKF stärker verankern zu können. Bei feministisch-theologischen Vorhaben war die erste Reaktion meist, «die Frauen an der Basis sind noch nicht so weit». Mit einigen Abstrichen realisierten wir sie dann meist doch. Wirklich angeeckt habe ich jedoch bei gesellschaftspolitischen Fragen: Abtreibung und Fristenregelung, Einbezug der Frauen in die Gesamtverteidigung, Familienpolitik. Nach 2 ½ Jahren ging es nicht mehr.

Eine dritte, heftige Reaktion löste die Entscheidung aus, den cfd als feministisches Hilfswerk zu positionieren, hauptsächlich Frauenprojekte zu unterstützen, ein Frauenteam zu bilden und eine Männerquote von 30% für den Vorstand einzuführen. Ich war wochenlang damit beschäftigt, Briefe vor allem von Kirchenvertreter:innen zu beantworten und zu betonen, dass der cfd sich nach wie vor in der christlichen Tradition verorte und mit einem feministisch-befreiungstheologischen Ansatz arbeite.

Insgesamt aber überwogen die positiven Echos. Ich freute mich immer wieder, wenn meine/unsere Arbeit Frauen dazu anstiftete, genau hinzusehen, patriarchale Deutungsmuster zu durchschauen und aus befreienden Impulsen Kraft für die Arbeit an gerechten Beziehungen zu schöpfen.

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Da bin ich sehr unsicher. Einerseits haben wir viel erreicht. Frauen sind sichtbar, ihre Präsenz in kirchlichen, wirtschaftlichen, politischen Positionen ist selbstverständlich(er) geworden und hat diese teilweise auch verändert. Es gibt viele Wahlmöglichkeiten für Mädchen und Frauen.
Andererseits nehmen die Angriffe auf die Rechte von Frauen und Minderheiten weltweit zu. Die Ungleichverteilung von Ressourcen verschärft sich, die Klimakrise bedroht die Zukunft der kommenden Generationen. Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von Interessen und zur Bewältigung von Konflikten ist wieder selbstverständlich. Und ich weiss nicht, was wir dem entgegenzusetzen haben.
Meine grosse Vision des guten Lebens für alle Menschen aber lebt weiter, und ich teile sie mit vielen engagierten Frauen und Männern.

7. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Nach der Pensionierung 2018, führte ich die wichtigsten Projekte in der interreligiösen Zusammenarbeit und im Migrationsbereich noch fast 2 Jahre weiter, da die Nachfolge sich verzögerte. Ich wollte mir zunächst Zeit lassen für die Entscheidung für neue Engagements. Dann kam Corona und Möglichkeiten und Bewegungsräume schrumpften, angedachte Projekte lagen auf Eis. Es fehlten Begegnungen, Berührungen, unmittelbare Erfahrungen.
Ich begann, zuhause Migrant:innen im Tandem in Deutsch zu unterrichten und unterstütze sie bei Stellen- oder Wohnungssuche, Kontakten mit Ämtern usw. Ich sehe das auch als Möglichkeit/Aufgabe, meine Privilegien mindestens ein bisschen zu teilen – und zwar etwas konkreter als mit Spendeneinzahlungsscheinen und den Stimm- und Wahlzetteln.
Im Beirat der fra-z versuche ich, die Brücke zu schlagen zwischen der «alten» FrauenKirche-Bewegung und den Reflexionen und Aktionsformen der jungen Frauen, und vielleicht entsteht daraus irgendwann ein Generationenprojekt – falls wir genügend Zeit und Freiraum haben, über die gegenseitige Neugier hinaus Gemeinsamkeiten und Differenzen herauszuarbeiten, sorgfältig damit umzugehen und eine stimmige Aktionsform zu entwickeln.
Und dann haben wir ein Vor-Corona-Projekt «aufgetaut»: Ab Ende April möchten wir vier Frauen (Li Hangartner, Beata Pedrazzini, Silvia Strahm Bernet und ich) im Friedhof Friedental an drei Nachmittagen pro Woche das «Café unter der Linde» eröffnen als niederschwelliger, barrierefreier Ort der Begegnung und des gemeinsamen Gesprächs. Inzwischen leicht nervös warten wir auf die Bewilligungen der Stadt, denn es ist noch viel zu tun.
«Mein Herz ist berührt von allem, das ich nicht retten kann: so viel ist zerstört worden. Ich muss mein Los mit jenen teilen, die Jahrtausend um Jahrtausend, störrisch und nicht begabt mit besonderer Kraft, die Welt wiederherstellen.» Diese Worte von Adrienne Rich helfen mir derzeit dabei, nicht zu verzweifeln – am Krieg, an der Zunahme von Gewalt, an populistischen Angriffen auf Demokratie und Menschen- und Frauenrechte, an …

Vielen Dank für das spannende Interview!
Esther Gisler Fischer.

Frau des Monats Januar/Februar 2023

Interview mit Ines Rivera-Gloor

Ines Rivera-Gloor, aufgewachsen in Basel,
Theologiestudium in Basel und Rom (Waldenserfakultät), Pfarrtätigkeit in Lugano, Lausanne und Basel,
zuletzt 12 Jahre im Basler Aids-Pfarramt für Frauen und Kinder. 22 Jahre lang als selber Betroffene mit Einelternfamilien
Lager in Venedig durchgeführt.
1 Sohn, 5 Enkel.
Mit Staunen erlebe ich mein Altwerden.

 

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Eigentlich war mir als junger Theologiestudentin alles suspekt, was sich besonders mit der Situation der Frau beschäftigte. Als Frau war ich doch so viel wert wie ein Mann – das hatte mir meine Mutter vermittelt- da gab es nichts zu diskutieren. Ich gehörte zur ersten Generation in meiner Familie, die studieren konnte. Mein italienischer Grossvater hatte sich von der katholischen Kirche abgewandt, ein antiklerikaler Sozialist, erleichtert, dass man in Basel seine Kinder nicht taufen lassen musste, wenn man nicht wollte. Kirche und Staat waren bereits getrennt. So wuchs ich auf mit einer religionskritischen und skeptischen Mutter, die in der Schweiz eben einen Protestanten geheiratet hat. Ihr Skeptizismus steckt noch immer in mir. Kopfschüttelnd und erstaunt liess man mich Theologie studieren. Meine italienischen Verwandten luden mich ein zum Essen, füllten mein Glas mit Wein und boten mir eine Zigarette ein, spielten mit mir Karten und erklärten mich danach als normal geblieben.

Frauenanliegen interessierten mich lange nicht. Allerdings auch das Pfarramt nicht. Die Basler Kirche habe ich als Jugendliche vor allem als ständiger Kampfplatz zwischen Liberalen und sogenannt „Positiven“ erlebt. Mich interessierte aber die Theologie. Durch die Teilnahme an einem Studienlager in Agape lernte ich die Waldenserkirche kennen und studierte ein Jahr an ihrer Fakultät in Rom. Dies im entscheidenden Jahr 1968, als die Student*innenunruhen begannen und meine Kollegen es sich zur Pflicht machten, mich ahnungslose Schweizerin in die Grundlagen des Marxismus-Leninismus einzuführen. Dazu luden sie mich jeweils zum Kaffee in eine Bar ein. Ich schätzte an der Waldenserkirche, dass man in einer Hand die Bibel und in der andern die Zeitung hielt. Ich lernte in Italien und später in Spanien, wo ich ein ökumenisches Jahr verbrachte, die katholischen Basisbewegungen kennen und schätzen.

Erst im Pfarramt realisierte ich, dass ich «nur» eine Frau war und die Länge meiner Röcke mehr zählte als die Worte meiner Predigten. Als mir ein Kollege vorschlug, mich bei den neuen Kollegen vorzustellen, indem ich ihnen den Tee servierte, begehrte ich auf und schliesslich haben wir gemeinsam den Tee angeboten. Ich begann, über meine Rolle nachzudenken. Mein Vorbild war eine junge Waldenser Pfarrerin, Gianna Sciclone, die in Sizilien nach einem Zwist mit der Gemeinde einen Gottesdienst verweigert hatte. Sie wurde dann in eine andere Gemeinde geschickt.

Meine Arbeitserfahrungen machten mich kritisch und ich begann, feministische Literatur zu lesen und aufmüpfige Frauen zu beobachten. Ein wichtiges Vorbild wurden mir Marga Bührig und Else Kähler. Als ich nach Pfarramtsjahren in Lugano und in Lausanne nach Basel kam, wurde ich in eine Frauengruppe eingeladen, in der wir Mary Daly lasen. Langsam begann ich zu verstehen, warum mich die Dogmatik im Studium nie interessiert hatte. Das Leben zählt, nicht die ausgeheckten Theorien über Gott.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/ oder weitervermittelt?

An meiner ersten Stelle in Lugano fiel mir auf, dass ich erst als verheiratete Frau von anderen verheirateten Frauen aufgesucht wurde und durch praktische Fragen mit ihnen in Verbindung kam. Erst in Basel, wohin ich 1982 zügelte, erlebte ich den Aufbruch der kirchlichen Frauen. Und ich nahm begeistert an Frauensynoden teil. In der Gemeinde erlebte ich noch recht viel Patriarchat und übersah es geflissentlich. Als alleinerziehende Mutter und geschiedene Frau hatte ich keine Lust, mir weitere Schwierigkeiten einzuhandeln. Aber ich traf immer und überall auf aufgeschlossene Gemeindeglieder, die Neues denken wollten.

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeit ein?

Das geschah selbstverständlich durch meine Predigten und meine Haltung. Ganz lange habe ich mich gar nicht als Feministin verstanden. Manchen galt ich als Linke und wurde teilweise auch angefeindet von rechtsdenkenden Kirchenleuten.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Ich habe gerne in Gruppen gearbeitet, meist mit Frauen, aber offen auch für Männer. Kleine Gruppen, die zusammen einen Bibeltext interpretieren, eine Predigt vorbereiten oder ein Buch lesen, das ist meine bevorzugte Arbeitsweise. Dass Jede und Jeder Gehör findet. Oft musste ich Interessierte selber ansprechen und in eine Gesprächsgruppe einladen, um jene Frommen auszuschliessen, die auf alles schon eine Antwort wissen und damit das Gespräch verunmöglichen.

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologe/Arbeit?

Wenn es den PredigtzuhörerInnen nicht passt, kommen sie einfach nicht mehr. Eine Reaktion war vielleicht, dass Katholikinnen oder Unkirchliche mich aufsuchten, weil sie endlich bei einem kirchlichen Menschen Gehör finden wollten (konnten?) und das in ihrem Umfeld nicht möglich war. Ich weiss nicht, wie viele in meinem Umfeld sich über meine Theologie Gedanken machten…

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Wir stehen vor einer riesigen Veränderung, auch in der Kirche. Die Frauen in der Kirche sollten schauen, dass sie die Männer irgendwie mitnehmen, sonst ist die Kirche der Zukunft nur eine Frauenkirche und das fände ich schade. Ich freue mich als alte Frau, dass es so viele selbstbewusste Frauen gibt und ich hoffe, dass sie heiter und unentwegt weitergehen, was immer die Zukunft bringt.

7. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Als Pensionierte versuche ich jene zu unterstützen, die selbstverständlich Feminismus leben und offen für Veränderungen sind. Wir in der Schweiz leben in einer privilegierten Situation, in mancher Beziehung. Wir brauchen Flexibilität, Offenheit und Liebe für das, was wir sehen und noch nicht sehen.

Das Interview mit Ines Rivera-Gloor führte Esther Gisler Fischer.

 

Frau des Monats November/Dezember 2022

Interview mit Li Hangartner

1953, aufgewachsen in der katholischen Innerschweiz; im Blauring grossgeworden und als Leiterin und Ausbildnerin in der Kinder- und Jugendarbeit mit feministischen Fragen konfrontiert. Ich hätte gern in einer Pfarrei gearbeitet, was mir als alleinerziehende Mutter damals verwehrt wurde. Dass ich meinen beruflichen Weg im RomeroHaus und in der von mir mitgegründeten FrauenKirche fand, war ein grosses Privileg. Im RomeroHaus lernte ich auch meinen späteren Partner kennen, mit dem ich seit über zehn Jahren in Luzern zusammenlebe. Seit fünf Jahren geniesse ich es, mehr Zeit zu haben für uns, für den Garten, unterrichte leidenschaftlich gern Deutsch für Migrantinnen und bin eine glückliche Ruderin.

Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Begonnen hat es bereits im Studium. Nach dem Grundstudium von 1976-78 in Fribourg lebte ich zwei Jahre in Indien und studierte in Delhi Theologie. Am Vidyajyoti College of Theology lehrten namhafte Befreiungstheologen, die meinen weiteren Weg als feministische Theologin prägten. Bei meinen Aufenthalten in verschiedenen Pfarreien und Klostergemeinschaften lernte ich die praktische Seite der feministischen Theologie kennen: engagierte Klosterfrauen, die sich für die Rechte der landlosen und bildungsfernen Frauen in den dörflichen Gemeinschaften einsetzten; Jesuiten, die mich für die gewaltige Kluft innerhalb der indischen Gesellschaft und zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften sensibilisierten und die Redaktionsfrauen des unabhängigen feministischen Magazins Manushi (gegründet 1979), die im Stockwerk unterhalb meiner Dachwohnung in Delhi einquartiert waren. Durch Manushi wurde ich mit der sozialen Stellung und Benachteiligung der Frauen vertraut gemacht; erstmals hörte ich das Stichwort Femizid und welch grausame Praxis sich dahinter verbarg, las über die Ausbeutung der Frauenkörper durch die westliche Pharmaindustrie für die Erprobung noch nicht zugelassener Medikamente im Westen.

Zurück in Fribourg lernte ich in den Vorlesungen und Seminaren von Johannes Brantschen all jene feministischen Theologinnen kennen, die seit den 1970er Jahren publizierten: Catharina Halkes, Elisabeth Moltmann Wendel, Dorothee Sölle, Rosmary Radford Ruether, Mary Daly, Elga Sorge und andere. Sie haben mich auf dem Weg der feministischen Theologie geprägt. Was ich damals noch nicht wusste: Ich sollte später in meinem Beruf die Gelegenheit haben, die meisten von ihnen persönlich kennen zu lernen.

Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Im Wintersemester 1983/84, unmittelbar nach meinem Studienabschluss, konnte ich zusammen mit Brigitte Vielhaus das Seminar zu feministischer Theologie am Dogmatiklehrstuhl durchführen, ein Jahr später ein einwöchiges Blockseminar zu feministischer Theologie an der theologischen Fakultät der Universität Bern.

Mein beruflicher Weg war damals noch nicht vorgezeichnet, als alleinerziehende Frau war ich dringend auf eine Erwerbsarbeit angewiesen und arbeitete fünf Jahre bei der Caritas als Projektleiterin für die Fremdbetreuung gefährdeter Jugendlicher und junger Erwachsener in Familien. Feministische Theologie betrieb ich nebenbei: in der Redaktion der Zeitschrift FAMA, in Kursen, Weiterbildungen, Artikeln und Vorträgen. Erst 1989 ging mein Wunsch in Erfüllung, das, wofür mein Herz brannte, zu meinem Beruf zu machen. Ich begann im RomeroHaus als Bildungsverantwortliche und gleichzeitig als Leiterin der Fachstelle Feministische Theologie der FrauenKirche Zentralschweiz, eine Stelle, die ich über Jahre mit Heidi Müller und mit Silvia Strahm Bernet teilte.

Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Mit der Gründung des Vereins Frauen und Kirche (später FrauenKirche Zentralschweiz) wollten wir konkrete Räume zur Verfügung stellen, die Frauen nutzen und gestalten konnten. Es bedeutete, einen geistig unabhängigen Raum zu schaffen und diesen kreativ, geistreich und inspirierend zu gestalten.

FrauenKirche war für uns nicht in erster Linie ein soziologischer Begriff, sondern bezeichnete die Option und die Perspektive, aus der heraus wir Christinnen sind, Theologie treiben und politisch handeln. Das Jahresprogramm von FrauenKirche Zentralschweiz lebte von den Interessen und dem Engagement der Vereinsfrauen zum einen und von den spezifischen Möglichkeiten der Fachstelle Feministische Theologie zum andern. Neue Formen des Feierns, Gedenkens und Besinnens wurden entwickelt; in Theologiekursen und Weiterbildungen kritische und neue Zugänge zu theologisch Bekanntem entwickelt und das ermutigende christliche Erbe für unser politisches Handeln fruchtbar gemacht. Diese Schwerpunkte – Liturgie, Reflexion und politisches Engagement – bildeten die drei Handlungsorte von FrauenKirche.

Feminismus und feministisch-theologische Befreiungstheologie gehörten seit der Gründung des RomeroHauses Luzern 1986 zum Profil und zu den Kernanliegen. Ich durfte in den Jahren 1989 bis 2017 die wichtigste Zeit und bedeutsamste gesellschaftliche Rolle der konfessionellen Bildungshäuser und Akademien im deutschsprachigen Europa mitprägen. Die zahlreichen feministischen Theologinnen aus dem globalen Norden und Süden, die im RomeroHaus zu Gast waren, haben nicht nur das Profil des Hauses, sondern auch die Arbeitsschwerpunkte innerhalb der FrauenKirche geprägt. Durch die Begegnung mit unseren theologischen Müttern und Schwestern haben wir gelernt, dass die heilschaffende Gegenwart Gottes sich in vielfältiger Weise offenbart. Ihre Arbeiten haben dazu ermutigt, unseren Glauben und unsere Theologie konkreter und kreativer werden zu lassen. Inspirierend für uns westliche Theologinnen war, dass vor allem für die Theologinnen aus dem globalen Süden wissenschaftliche Arbeit und praktisches kirchliches und gesellschaftliches Engagement zusammengehören.
Das RomeroHaus gibt es inzwischen nur noch als Name. Was bleibt, ist die Erinnerung – und Dankbarkeit, Teil dieses grossartigen Netzwerkes gewesen zu sein, das über die Schweiz hinaus Impulse geben konnte.

Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Wie bereits oben erwähnt, war mir die Verbindung von Politik und Spiritualität immer sehr wichtig. Wenn ich zurückblicke, dann zieht sich dies wie ein roter Faden durch meine Tätigkeiten sowohl im RomeroHaus als auch auf der Fachstelle Feministische Theologie und im persönlichen Leben. In einer Zeit, in der es zunehmend schwieriger wurde, beharrlich bei den beiden Kernthemen Feminismus und Christentum zu bleiben und die Klammer um diese beiden „Stichworte“ nicht aufzugeben, haben FrauenKirche und Fachstelle die Entwicklungen auch innerhalb der Kirchen entscheidend geprägt. Ohne die Möglichkeiten, in geschützten Räumen Formen des Feierns, Gedenkens und Besinnens zu entwickeln und sich theologisch weiter zu bilden, wäre es heute weniger selbstverständlich, dass Frauen Gottesdiensten vorstehen, predigen, taufen, beerdigen und Pfarreien leiten.

Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?

Luzern war ein katholisch geprägtes Milieu, das sehr offen war für feministische und feministisch-theologische Impulse und ein speziell gutes Pflaster für aufmüpfige Frauen. Es gab einmal, es war 1989, sehr harsche Kritik auf eine fünfteilige Pfarreiblattserie über Maria, nicht von offizieller kirchlicher Seite, sondern von rechtsgläubigen KatholikInnen. Ich erhielt über Wochen und Monate Drohbriefe und Anrufe. Auch während meiner ersten Jahre im RomeroHaus gab es kritische Briefe von Veranstaltungsbesuchern und die Forderung, mich zu entlassen, die jedoch allesamt vom damaligen Direktor Justin Rechsteiner beantwortet wurden.

Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Das ist eine grosse Frage. An der kirchlichen Basis hat sich viel getan. Feministische Theologien haben das Selbstverständnis von vielen Theologinnen und Theologen verändert. Für die Gemeindemitglieder sind Frauen in Ämtern vielerorts selbstverständlich geworden. Dass es eine grundsätzliche Auseinandersetzung zum Umgang mit Macht, zu den Themen Körperlichkeit und Sexualität in Kirche und Theologie immer noch schwer hat, hat unlängst der Synodale Weg in Deutschland gezeigt.

Auch gesellschaftlich eröffnen sich heute viel mehr Möglichkeiten der Lebensgestaltung für Frauen und Männer. Gleichwohl ist der Weg zur tatsächlichen Gleichberechtigung im Alltag, vor allem für Familien mit Kindern, zum Zugang zu Bildung, Gesundheit und demokratischer Mitgestaltung der Gesellschaft immer noch weit.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Unsere Überzeugungen bekommen Hand und Fuss, indem wir in unnachgiebiger Geduld an den kleinen Dingen arbeiten. Ich lege die Bibel so aus, dass sie Menschen nicht beleidigt. Ich gestalte Gottesdienste, Abschiedsfeiern und Taufrituale so, dass die Schönheit der Formen und Gesten auftauchen. Und ich bleibe die Feministin, die ich in meinem Berufsleben viele Jahre war.

Vielen Dank für das spannende Interview!
Ester Gisler Fischer.

Frau des Monats September/Oktober 2022

Interview mit Angela Wäffler-Boveland

1957 in Hamburg (D) geboren, dort auch Abitur und Studium der Theologie bis zum Propädeutikum
1979 für 2 Semester nach Zürich und wegen der Liebe geblieben; 2 Töchter (1983 und 1985), 2 Enkelkinder; seit 2014 verwitwet
1987 Ordination und ehelich geteiltes Pfarramt – zunächst nur mit Vertrag, ohne eigene Anstellung
1994 offizielle Stellen-Teilung (mit finanziellen Einbussen); Schwerpunkt Bildung: Krabbel-gottesdienste, Schule, Konf, AGEB, Frauen, Eltern, Schicksalsgruppen (verwaiste Eltern)
SVEB Fachausweis und DAS Ausbildungsleitung
2001 ‚Deutschschweizer Projekte Erwachsenenbildung‘: jetzt ‚Fokus Theologie‘ und
Evangelischer Theologiekurs zu Bibel & Theologie

 

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Ich hatte das grosse Privileg, in eine Familie geboren zu werden, in der gebildete, gleichberechtigte, selbstbewusste Frauen bereits eine längere Tradition hatten, auch wenn sie in der Regel nicht berufstätig, sondern ehrenamtlich engagiert waren. Ein aufgeklärtes und zugleich frommes Christsein, sowie eine Erziehung auf Augenhöhe mit Ansätzen der antiautoritären Didaktik liessen mich zu einer eigenständigen Frau werden, die sich nicht scheute, sich eine eigene Meinung zu bilden – und auch dazu zu stehen.

Ich muss ungefähr vierjährig gewesen sein, als ich nach dem Abendgebet: «Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm’» die Frage stellte: «Was soll ich denn im Himmel? Da kenne ich doch keinen.» Woraufhin meine Eltern das Gebet kurzerhand durch das UnserVater ersetzten, in das ich seither mit meinen Geschwistern zusammen hineinwachsen konnte. In diesem Klima drängten sich feministische Fragen nicht auf – auch nicht, als mein Jahrgang erst im zweiten Schuljahr koedukativ in einem Jungengymnasium auch Mädchen willkommen hiess: das entsprach unserem Lebensgeist.

Voller Begeisterung fing ich an, Theologie zu studieren. Besonders die exegetischen Fächer inspirierten mich (das ist bis heute so geblieben): die akribisch genauen Beobachtungen am Text und die historische und literarische Kontextualisierung eröffneten mir Horizonte. Schon  damals wuchs in mir der Verdacht, dass die damals übliche Quellenscheidung jeweils zu sehr interessengeleiteten Ergebnissen führte. Meine Skepsis gegenüber den wissenschaftlichen Erkenntnissen wuchs. Ich hörte Vorlesungen von Dorothee Sölle und obwohl sie mir zu aggressiv-kämpferisch war, habe ich bei ihr begriffen, wie privilegiert meine Erfahrungen waren und wie wichtig die Solidarität mit Frauen aus anderen Hintergründen ist.

In der ersten Kirchgemeinde Anfang der 80ger Jahre war ich noch Pfarrfrau, engagierte mich jedoch bereits in der Frauen- und Familienbildung. Gemeinsam entdeckten wir die biblischen Frauengestalten als Identifikationsfiguren, fragten uns, wie europatauglich die Theologie der Befreiung sein könne und ich fand erste weibliche Seiten Gottes bei Jesaja. Trotzdem war ich im ersten Moment empört, als 1983 das Buch: «Zu ihrem Gedächtnis» von Elisabeth Schüssler Fiorenza erschien: bevor ich zu lesen anfing, erinnerte mich der Titel (sicher beabsichtigter Weise!) an die Mahl-Liturgie und das fand ich doch irritierend stossend. Welche Erleuchtung, den Titel als Zitat aus Mt 26,13 zu entdecken! Das war wohl der Moment, an dem ich zur feministischen Theologie kam. Mehr und mehr entdeckte ich, dass vielmehr als die Bibel die Auslegungstraditionen hierarchisch, patriarchal und Frauen unsichtbar machend war und wie stark wirkungsgeschichtlich unser Blick geprägt ist. Weil die Bibel eine Geschichte der Befreiung enthält, wollte ich den Bibeltext gegen die Auslegungsirrtümer stark machen: selbst Psalmen sind Befreiungstexte, wenn frau genauer hinschaut.

Dann begegnete ich Eva Renate Schmidt; Ina Praetorius wurde meine Mentorin während des Staatsexamens, die feministische Sicht wurde mir aus hermeneutischer Perspektive immer wichtiger und ich begann, für Predigten und Frauen-Bibelkurse die biblischen Texte neu zu übersetzen und nach einer gender-adäquaten Sprache zu suchen. An der Disputation ’84 traf ich viele Frauen, die zum Teil schon viel länger ähnlich oder ganz anders unterwegs waren. Damals entwickelte sich die Überzeugung, die Zürcher Bibel sei revisionsbedürftig.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Als 1996 der Vorabdruck zur neuen Zürcher Bibel mit Psalmen und Evangelien erschien, ging ein Aufschrei der Enttäuschung nicht nur durch die Reihen der theologisch interessierten Frauen, weil kaum ein Anliegen der Frauen berücksichtigt worden war. 1998 wurde eine Lesegruppe eingesetzt «zur Vermeidung übersetzungsbedingter Diskriminierungen». Das war mein Thema; ich bewarb mich und konnte mit Katharina Schmocker, Ursula Sigg und Esther Straub an die Arbeit gehen. Wir überprüften nur die Entwürfe zum Neuen Testament. Von unseren Vorschlägen, die weit über die «Herrenfrage» hinausgingen, wurde kaum etwas übernommen, doch konnten wir unsere Anliegen im tvz-Büchlein ‘«…und ihr werdet mir Söhne und Töchter sein.» Die neue Zürcher Bibel feministisch gelesen’ publizieren. Für mich persönlich war das ein Glücksfall, denn Vieles sahen wir ähnlich wie die zeitnah erschienene Bibel in gerechter Sprache und wir konnten nun die wesentlichen Alternativ-Vorschläge erklären und so für Verständnis werben.

Ab 2001 war ich bei den wtb-Projekten (heute «Fokus Theologie») für das Konzept «Evangelischer Theologiekurs ETK» verantwortlich und entschied mich rasch dafür, feministische Theologie nicht als Sonderfall zu behandeln, sondern unausgesprochen möglichst überall einfliessen zu lassen – manches Mal offensichtlicher, meistens jedoch über hermeneutische und exegetische Beobachtungen. «Feministisch» sollte im ETK nicht zum Reizwort werden, sondern den Blick öffnen für weibliche Perspektiven.

Dabei habe ich viel von Klara Butting und ihrer biblischen Spiritualität gelernt; ebenso wichtig wurde mir allerdings, dass theologische Forschung nicht nur auf Expert:innen-Wissen beruht, sondern die Beobachtungen aller Lesenden würdigt, wertschätzt und weiterdenkt.

So entstand um 2011 der Lehrgang «Theologie kompakt», der sich als Kompetenz-Erweiterung und weniger als Wissensvermittlung verstand: die Teilnehmenden sollten sich einfache Methoden des Textverstehens aneignen – und ich habe in jedem Durchgang gestaunt, wieviel die Teilnehmenden entdeckten, wo sie sich auf einen Text einliessen!

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Dass die Rede von der «Barmherzigkeit Gottes» die weibliche Seite Gottes betont, war eine kleine Offenbarung für mich: Barmherzigkeit beschreibt ein Gefühl, das das Leben Anderer über die eigenen Interessen, über Gerechtigkeitssinn oder Zorn stellt. Der Sitz dieser Barmherzigkeit (hebr. rachamim) ist die Gebärmutter (rächäm; dieselbe Wortwurzel). Wie präsent diese Rede von Gott ist, und wie sehr das Bewusstsein für die Weiblichkeit dieses Bildes den Blick auf das Göttliche ändern kann, braucht in dem Sinne keine feministische Begründung, sondern kann (unverdächtig) als philologische, exegetische oder hermeneutische Beobachtung präsentiert werden.

Ich habe in allen Kursen um der Sache willen eher vermieden, als «Feministin» aufzutreten: es ist doch viel wirkungsvoller, wenn die Erkenntnisse jenseits von ideologischen Gräben gewonnen werden können. Doch die feministische Perspektive schwingt immer mit.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Ich verstehe mich als Grenzgängerin zwischen frommer Spiritualität (geprägt von Herrnhuter Gemeinde und russisch-orthodoxer Liturgie) und rationaler Exegese und Hermeneutik. Beides miteinander zu verbinden, ist für mich lebenslange Arbeit – und dies auch den Teilnehmenden zu ermöglichen, ist mir ein wichtiges Anliegen. Deshalb betone ich immer wieder, dass in meinen Veranstaltungen niemandem die bisherigen Glaubensüberzeugungen genommen werden sollen – vielmehr werden sie angereichert, geprüft und weiterentwickelt. Ich könnte das auch «eine Hermeneutik des Vertrauens» nennen, eine vertrauensvolle Erwartung, dass Gott auf der Seite der Armen parteilich ist, dass Bibel in unsere Zeit etwas zu sagen hat, dass Auferstehung meinem Alltag Hoffnung gibt und die Beziehung zu Gott dauerhaft und zuverlässig ist …

Kreative didaktische Methoden können helfen, die Sinne abseits der eingefahrenen Denkgewohnheiten zu öffnen und zusätzlichen Sinn zu entdecken – doch wohin sich solch ein Prozess für die einzelne Person entwickelt, ist ergebnisoffen.

Meine Aufgabe sehe ich dabei einerseits als Moderatorin, die öffnende, inspirierende Fragen stellt und andererseits als Fachfrau, die kontextuelle Hintergrundinformationen vermitteln kann.

Der Bezug zur weltweiten Kirche, wie ich sie in Bossey kennengelernt habe, und hoffentlich in Karlsruhe wieder finde, ist eine wichtige Inspirationsquelle für mich, gerade auch in den feministischen Herausforderungen.

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?

Es überrascht nach dem oben Beschriebenen vielleicht nicht so sehr, dass meine stille, eher subversive feministische Art selten zu heftigen Reaktionen geführt hat. Am meisten Gegenwind habe ich in den 80ger Jahren aus den Frauenreihen gespürt, die mir vorwarfen, keine richtige Feministin zu sein und viel zu männlich zu denken. Andererseits konnte ich in früheren Jahren auch erstaunt gefragt werden: «ich habe dich mit einem Mann gesehen – bist du gar nicht lesbisch, wenn du doch eine Feministin bist?» Heute ist solch eine Frage Gottseidank kaum mehr vorstellbar…

Am meisten gefreut hat mich, als eine Person aus dem Übersetzungskreis zur Zürcher Bibel mir Jahre später sagte: «Unterdessen habe ich begriffen, was ihr damals gemeint und gewollt habt!» Und trotzdem habe ich den  Eindruck, dass sich seither gar nicht so viel geändert hat: die Wirkungsgeschichte sitzt in unseren Köpfen sehr fest!

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Ich tue mich mit der Antwort auf diese schwierigste Frage schwer. Einerseits: wo soll ich anfangen? Es gibt so viele lose Fäden, dass sie hier unmöglich alle genannt werden können! Andererseits: es ist in den vergangenen Jahren viel in Bewegung gekommen und mit manchem tue auch ich mich – bei aller Offenheit – auch ziemlich schwer.

– Teilzeitstellen zwingen zu einer sorgfältigen Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben; für mich war «Pfarrhaus» zu Beginn noch ein Lebensentwurf und Pfarramt – trotz Teilzeitpensum – eine Identitätsfrage. Manchmal frage ich mich, ob das nicht auch Vorteile hatte? Ich fühlte mich als Pfarrerin, Pfarrfrau und Freiwillige auf verschiedenen Lebensebenen als ganze Person angesprochen; das Pfarrhaus war ein offener Ort im physischen wie sozialen Sinn, da trafen sich Gruppen in unserem Wohnzimmer zur «geistlichen Teilete», während oben die Töchter schliefen, da gab es «Pfarrgeheimnisse», in die schon die Kinder eingebunden wurden, da wurde zum Mahl im Namen Jesu das Brot früh am Sonntagmorgen gebacken – und natürlich gab es aus dem selben Teig auch noch Sonntagsbrötchen. Diese Einheit des Lebens hätte ich nicht missen wollen, obwohl ich nur ein 50%-Pensum hatte.

– Kirchliche Schlüsselpositionen werden vermehrt wieder in Männerhand gegeben; fast immer mit der Begründung der besseren Qualifikation. Wie kann das sein? Ich frage mich, ob wir Frauen weniger selbstbewusst Herausforderungen annehmen und bei verwaltungsaufwändigen Kaderpositionen eher zurückhaltend sind. Wir investieren vielleicht auch weniger Weiterbildungszeit in entsprechende Kompetenzen und halten uns eher an inhaltliche, seelsorgerliche Kompetenzen – und noch immer scheinen Familienaufgaben Frauensache und Gelderwerb Männersache zu sein: «Er muss auch eine Familie ernähren». Doch dahinter steckt auch die Einschätzung, hartnäckige Frauen seien aufsässig und nicht teamfähig, undiplomatisch und deshalb ungeeignet. Ich selbst hätte solch eine Kaderposition übrigens auch nie gewollt: zuviel Admi, Politik und Kalkül…

– So kommt es, dass Frauen noch immer zu wenig Vorbilder dafür haben, wie sie anders führen könnten. Wagen sie es doch, Kaderfunktionen zu übernehmen, müssen sie sich den Gepflogenheiten anpassen.

– Zur Zeit entsteht ein neues Bewusstsein für die eigene Individualität, jenseits von Genderzuschreibungen und Eindeutigkeiten. Das ermöglicht hoffentlich immer mehr Menschen, in ihrer Haut und ihrem Leben zuhause zu sein. Doch wo die Diversität gesellschaftlich eingefordert wird, entstehen aus meiner Sicht wieder Normverhalten und Klischees. Mir kommt ein Erlebnis in den Sinn: ich war etwa 15 und besuchte meine viel ältere Cousine in Stockholm. Ihre älteste Tochter hatte gerade die erste Klasse beendet und ich durfte mit an das Schuljahrs-Ende-Fest. Aufgeregt zeigt das Kind mir alles und jubelte plötzlich: «und da hinten, das Kind mit der hellblauen Schleife im Haar: das ist meine beste Freundin!» Und fort war sie. Ich stand geradezu andächtig: das Kind mit der hellblauen Schleife war weit und breit das einzig «colored girl». Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der dieser Umgang miteinander für alle Diversitäten üblich ist. Das braucht auch das entsprechende Selbstgefühl jeder einzelnen Person.

7. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Ich lasse mich noch immer und immer wieder neu von Texten überraschen: wenn ich genau hinschaue, entdecke ich jedes Mal etwas, das bisher unbemerkt geblieben ist – im Moment etwa, wie häufig in neutestamentlichen Perikopen unvermittelt die Zeit ins Präsens wechseln kann… oder wie die Erzählung vom Vater mit den zwei Söhnen eigentlich ein Midrasch zu Psalm 8 ist – oder die für mich noch sehr irritierende Beobachtungen, dass Gottes weibliche Seiten sich fast ausschliesslich auf Säuglinge und Kleinkinder beziehen, während die väterlichen Seiten Gottes es fast immer mit erwachsenen, mündigen Erb:innen zu tun haben: was bedeutet das für menschliches Selbstbewusstsein und unsere Gottesbeziehungen?

Je länger je mehr bin ich überzeugt, dass die Bibel kein Buch für das stille Kämmerchen ist. Sie will gemeinsam gelesen, bedacht und besprochen werden, um ihr Befreiungspotential entfalten zu können. Wo Menschen sich gemeinsam mit anderen Menschen intensiv mit ihr beschäftigt haben, mag diese Beschäftigung später allenfalls nachklingen, wenn die Zeit dafür da ist. Doch Bildung – auch theologische Bildung! – ist grundsätzlich ein kollegialer Prozess, indem wir gegenseitig voneinander lernen, gemeinsam bestehende, interessegeleitete Deutungsmuster entlarven, hinterfragen und durch neue, reflektierte Interpretationen erweitern – die ebenfalls kontextuell geprägt und interessegeleitet sind und gerade dadurch die vertrauten Auslegungen ergänzen. Dabei wird eine Vielfalt erlebbar, die keine unité de doctrine verlangt und gerade deshalb die Bibel lebendig hält.

Ich habe mir abgewöhnt, mir erst eine Meinung zu bilden und dann den passenden Bibeltext dazu zu suchen – inzwischen finde ich diese Vergehensweise übergriffig und instrumentalisierend. Stattdessen begegnet mir ein Text aus Bibel und Theologie von dem ich mich inspirieren lassen. Was er mir zu sagen hat, wird mich wohl verblüffen, bewegen und herausfordern, ihn «zu behalten und im Herzen zu bewegen.» (Lk 2,19)

Danke für deine Antworten!
Das Interview wurde schriftlich von Esther Gisler Fischer geführt.

Und hier noch ein Hörbeitrag mit Angela Wäffler-Boveland:
https://fokustheologieref.ch/fileadmin/extern/Fluessige_Zeiten_zwischen_Aufhoeren_und_Anfangen.mp3

 

Frau des Monats Juli/August 2022

Interview mit Rita Pürro

Rita Pürro Spengler, 1962, hat Theologie in Freiburg i.Ue. und Nijmegen/NL studiert. Sie war als Mentorin an der Uni Freiburg tätig, dann als regionale Jugendseelsorgerin und Erwachsenenbildnerin. Jetzt ist sie in der Pfarrei Murten für die Altersseelsorge, Diakonie und Erwachsenenbildung zuständig.
In der Freizeit engagiert sie sich als Vernetzerin in der Gemeinde Schmitten und in der Gruppe «Flüchtlinge Willkommen im Sensebezirk» beim Bundesasylzentrum (BAZ) Guglera. Oft finden wir sie im eigenen Garten, im Gemeinschaftsgarten, am Fotografieren und unterwegs in Sachen «Imkerei Spengler».

 

Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Im Herbst 1982 fing ich als Zwanzigjährige in Freiburg mit dem Theologiestudium an. Hinter mir lag ein Jahr voller Fragen, ob dieses Studium, dieser Beruf, was für mich seien. In meiner Region gab es keine Frau, die diesen Weg bisher gegangen war. Was ich im Zusammenhang mit dem Priesterberuf gehört hatte, dass das was mit «Berufung» zu tun habe und eine solche wohl irgendwie gehört, gespürt, erfahren wird, das war mir völlig fremd. Ich stand einfach da mit meinem Interesse für die Fragen nach dem Leben und dem Sterben, meinem Engagement gegen Ungerechtigkeiten und dem Wunsch, zukünftig Menschen so stärkend und begeisternd begleiten zu können, wie ich es selber im kirchlichen Rahmen, vor allem in der Jugendorganisationen Blauring und Jungwacht und der Jugendseelsorge erlebt hatte.

An der Uni, bzw. in Freiburg als Stadt, kam ich zuerst mit dem Feminismus in Kontakt. Das  Frauenzentrum öffnete mir eine neue Welt und in der OFRA (Organisation für die Sache der Frau), in der ich bis 1997 engagiert war, lernte ich, wie politisch das Private ist. Erste feministische Lektüre- und Selbsterfahrungsgruppen. Ich erinnere mich, wie das Buch «Häutungen» von Verena Stefan mich durchrüttelte und weckte.

An der theologischen Fakultät gab es zu meinem Studienbeginn bereits ein feministisch-theologisches Seminar am Dogmatiklehrstuhl. Als Erstsemestrige mit meinem vorgegebenen Stundenplan hatte ich das noch nicht mitbekommen. Erst im Jahr drauf, als Li Hangartner und Brigitte Vielhaus das Seminar übernahmen, kam ich zum ersten Mal mit feministischer Theologie in Berührung und wieder tat sich eine Welt auf. In der Wohngemeinschaft war es Lisianne Enderli, die selber ein Jahr in Nijmegen/NL studiert hatte, die mich in meinem Entschluss bestärkte, dort mein Auslandjahr zu verbringen. Ja, dort…Holland war seit je ein Sehnsuchtsort von mir und in Nijmegen belegte Tine Halkes den ersten feministisch-theologischen Lehrstuhl in Europa! So besuchte ich 1984/85 ihre Vorlesung. Das Seminar mit ihr war nicht nur inhaltlich sehr intensiv, sondern Tine’s wohlwollende, unterstützende Art und die Offenheit und Gemeinschaft im Seminarraum und darüber hinaus war Frauensolidarität pur. Wir lasen und diskutierten, tanzten, lachten und weinten – Theologie als gemeinsamer Weg. Tine hatte Elisabeth Schüssler Fiorenza nach Nijmegen eingeladen. Der Studientag mit ihr war der erste Kontakt mit ihrer Bibelhermeneutik und ihrem Kyriarchats-Begriff. «In memory of her» (1983) und «Bread not stones» (1984) waren erst 1988 auf Deutsch zugänglich, in der Folge dann auch ihre weiteren grossen Publikationen, auch dank dem Schweizer Exodus-Verlag.

Es waren die kleinen und die grossen Gemeinschaften – vom selbstverwalteten Seminar in Küche und Garten unserer WG, über die Frauenkirchenfeste bis zum Verbundensein mit vielen tollen Frauen, die sich an vielen verschiedenen Orten für und mit Frauen engagieren – die mich bei der Theologie und auch bei der Kirche gehalten haben. Trotz allem.

Ich bin erst spät der IG beigetreten, weil ich mich als – theologisch – zu wenig aktiv und öffentlich wirksam einschätzte. Bei der Verabschiedungsfeier von Lisianne Enderli wurde mir klar: Da soll was weitergehen, was in der Stube in Freiburg begonnen hatte. Jetzt ist es Zeit, Mitfrau zu werden, auf meine Art, mit meinem Weg, meinem Ort!

Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Ich war – ausser bei meiner Lizentiatsarbeit zur Christologie Rosmary Radford Ruethers – immer mit anderen zusammen feministisch-theologisch unterwegs, immer Anregende und Angeregte: im Theologinnenforum an der Fakultät, über Jahre in den Vorbereitungsgruppen und als Teilnehmende der fem.-theol La-Roche-Studienwochen und dem Nachfolgeprojekt, den Studienwochenenden in Escholzmatt.

Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

In meinen beruflichen Zusammenhängen hatte ich immer die Möglichkeit in Liturgien und in der Bildungsarbeit feministische Theologie einzubringen und mal explizit, mal implizit zu vermitteln. Als langjährige Kursleiterin von «theologiekurse.ch» musste ich ab und zu mal hören: Ach Frau Pürro, Sie immer mit den Frauen…!» Ja, biblische Frauengestalten in Bild und Wort vorzustellen, die Verbindung zu machen zwischen den Erfahrungen damals und heute, das liebe ich….und dabei sowohl die Aktualität und Relevanz dieser alten Texte als auch das breite Spektrum an Frauengestalten, -realitäten – selbstbestimmt, wort- und wirkmächtig – aufzuzeigen. Das ist etwas, was ich auch heute bei meiner Arbeit in der Altersseelsorge in Gesprächen und Gottesdiensten immer wieder einbringen kann. Während meiner Zeit als regionale Erwachsenenbildnerin gestaltete ich einmal pro Monat ein «Frauen z’Morge», eine Andacht mit frauenspezifischen Themen und danach einem freundschaftlichen gemeinsamen  Frühstück. Frauen immer wieder zusprechen, dass sie gross und schön und kräftig sein dürfen, sich nicht verkrümmen, klein und unsichtbar machen….das war und ist immer noch nötig. Sicher bei den älteren Generationen, die traditionell katholisch sozialisiert wurden. Die Befreiung von all dem Krampf eines Frauen- und Mutterideals, das durch die Überfrau «Muttergottes/Gottesmutter» Generationen von Frauen klein, unwürdig und stumm gehalten hat, das bleibt den jungen Frauen hier heute doch weitgehend erspart, weil sie zum Glück nicht mehr davon geprägt werden.

Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig

Feministische Bibellektüre, -interpretation vermag mich immer wieder zu begeistern. Und die kreativen Umsetzungen, wie ich sie in den FrauenBibelArbeiten des Katholischen Bibelwerkes oder der FrauenGottesDienste-Reihe gefunden habe, sind mir Nahrung und für meine Arbeit ein inspirierender Fundus. Manchmal fehlt mir die Energie, alleine oder auch in einer Gruppe, mir neue Ansätze zu erarbeiten, zu erschliessen…so stagniere ich sicher auf theoretischer Ebene…. und schätze drum umso mehr die Lektüre der FAMA, um ein klein bisschen à jour zu bleiben.

Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?

Nur dort, wie oben beschrieben, wo ich einigen zu penetrant war –  natürlich nur aus ihrer Sicht!

Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Weil wir in so vielen Bereichen und Hinsichten immer noch diskriminiert werden, machen Frauen hier in der Schweiz und auch weltweit, auch in den katholischen Frauenorganisationen, immer wieder und immer noch auf diese Diskriminierung von uns Frauen aufmerksam. Und setzen dem in vielen Initiativen und Aktionen ihre Kompetenz, ihre Ermächtigung, ihre Entwürfe entgegen, tun, was mann ihnen verwehrt, manchmal mit grosser öffentlicher Wirksamkeit, manchmal einfach im kleinen Kreis. Ich bin immer wieder erschüttert, dass Selbstverständlichstes einfach noch nicht selbstverständlich ist. Dass die Erkenntnisse aus der Exegese, und nicht nur der feministischen, einfach ignoriert werden und von gewissen Herrschaften ungebrochen ein Ämterverständnis tradiert wird, das als gottgewollt oder von Jesus genau so gestiftet immer noch verkauft wird.

Ich kann nicht verstehen, wenn Frauen heute immer noch sprachlich unsichtbar gemacht werden – wie auch alle Geschlechter eingestampft werden auf eines oder dann bestenfalls zwei. Ich verstehe nicht, dass ein junger Kollege immer problemlos von den «Katecheten» sprechen kann, obwohl alle, die er damit meint, Katechetinnen sind. Das sind die kleinen Empörungen, die es auch gilt auszusprechen. Und das ist ernüchternd, denn zumindest diese Basics dürften doch endlich mal klar sein!

Ich wünsche mir, dass Frauen in Kirche und Gesellschaft sich nicht mehr mit Selbstverständlichkeiten aufhalten müssen, sondern sich frei, leichtfüssig und aufrecht bewegen und ihr Leben leben können – selbstverständlich!

Vielen Dank für das spannende Interview!
Esther Gisler Fischer

Frau des Monats Mai/Juni 2022

Interview mit der Frau des Monats: Clara Moser

1955 geboren in Bern, Mutter zweier erwachsener Kinder.

Ich war Gemeindepfarrerin in Pratteln, nach meiner Pensionierung übernahm ich eine längere Vertretung als Spitalseelsorgerin im Unispital Basel. Die Frauenbewegung begleitet mich, wie auch die Suche nach Gott. Ich entdecke für mich Singen und Malen, Meditieren, Trommeln und inneres Reisen. Für Hände auflegen oder Gruppengespräche in der Elisabethenkirche, im Kosmosspace oder Forum für Zeitfragen habe ich jetzt Zeit. Ich koche gerne, zusammen jassen, diskutieren, spazieren, lesen oder Velofahren freuen mich. Heute  wohne ich im Gundeli in Basel und bin oft in Bern bei meinem Partner.

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Meine Mutter hat mich mit 15 Jahren zu einem Vortrag von Dorothea Sölle mitgenommen. An den Inhalt erinnere ich mich kaum, nur noch: es war sehr stimmig, sie hat mich tief beeindruckt: Alltagserfahrungen und Glaube, Gerechtigkeit, Politik und Bibel waren in einer verständlichen Sprache vereint. Diese kleine Frau im braunen Deuxpièces hat Kraft, benennt direkt. Sie betet, bittet, ist wütend, glaubt wahrhaftig an Gott, aus dem Herzen engagiert. Ja, das interessiert mich. „Das politische Nachtgebet von Köln“ und später „Stellvertretung“  waren für mich prägende Momente zum Einstieg in die feministische Befreiungstheologie. Und es folgten Bücher von Elisabeth Moltmann und Tine Halkes.  Aber vor allem die gemeinsam suchenden Gespräche mit anderen Frauen, neugierig weiterzudenken. Wie die Bauern von Solentiname.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Zuerst im Gymi (Bubenklasse mit 2 Mädchen) mit entsprechenden Vorträgen (zu Laure Wyss, das rosarote Mädchenbuch) oder Voten, war ich immer auf der Suche nach Frauen-Wurzeln.
Verschiedene Frauen waren mir wichtig: die Schwester meiner Oma Frieda Geissmann, die als erste Frau eine kaufmännische Lehre machen durfte. Amélie Moser, eine mir verwandte Pionierin aus Herzogenbuchsee, die die erste alkoholfreie Gemeindestube gründete. Die cfd Mitbegründerin Gertrud Kurz mit ihrem sozialen, christlichen Engagement als Flüchtlingsmutter.
Später an der Uni Basel hatte ich die Unifrauengruppe Basel mitbegründet. Ebenso die Gruppe Frauentheologie (Ursa Krattiger, Ursula Howald, Rosmarie Wydler…). Unvorstellbar heute, aber 1977 sprachen die Professoren uns Studentinnen mit Fräulein an und hier die Anrede Frau zu fordern, war wohl mutig von mir und ich eckte auch bei Mitstudierenden an. Ein exklusiver Sprachgebrauch hatte mich auch am Anfang des Pfarramtes begleitet: Im Pfarrkonvent waren wir alle mit „Liebe Brüder in Christo“ angeredet. In der Situation zu intervenieren war, zusammen mit einigen Schwestern, ein harter Brocken. Als dann später die „Bibel in gerechter Sprache“ herausgegeben wurde, war ich begeistert, dass dieser „Herr“ sich in viele Gottesbezeichnungen geöffnet hat. Alle Lektorinnen in meiner Gemeinde bekamen diese neue gendergerechte Bibel geschenkt.

In der Erwachsenenbildung war feministische Theologie immer wieder Thema: in Predigten über Frauengestalten, aber auch in Bibelarbeiten zum Frauenweltgebetstag bis hin zum Bibliodrama, immer mit dem Fokus: du als Abbild Gottes bist wertvoll und einmalig.

In monatlichen Frauenmorgen erläuterten viele engagierte Referentinnen gesellschaftliche, psychologische und religiöse Zusammenhänge. In  Kindererziehungskursen der Kirchgemeinde konnte Vieles ausgetauscht werden. Im Lesekreis lernte frau eine eigene Meinung zu vertreten, was Viele stärkte und ermächtigte. Aus diesem Kreis wurden später auch Religionslehrerinnen oder engagierte faitrade Frauen im Claroladen.

Über Fehl- oder Totgeburten zu reden, war in den 80 Jahren Tabu. Als ich nach meinem ersten Kind ein zweites verloren hatte – und ich als Pfarrerin immer wieder gefragt wurde, wann dann das zweite käme, habe ich ehrlich geantwortet. Und dann hörte ich in der Gemeinde von so vielen Schicksalen von Frauen, die Kinder oder Geschwister verloren haben. Ich begann einen Gesprächskreis mit betroffenen Eltern zu organisieren.  Eine Kerze am Ewigkeitssonntag für diese verlorenen Kinder anzuzünden. Eine von mir mitgestaltete schweizerische Frauen-Liturgie zum Thema „Abschied“ thematisierte diesen Abschied von Fehlgeburt und Totgeburt mit der Bibelstelle (Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, Math. 2, 18 ) und löste grosse Betroffenheit aus. Der SEK und die Bischofkonferenz baten mich dazu eine Tagung zu organisieren, zusammen mit der Beratungsstelle „Kindsverlust“, die bei Seelsorgenden und Hebammen grossen Anklang fand. Später waren Pfarrweiterbildungskurse gefragt und daraus wuchs die ökumenische Arbeitshilfe mit dem Titel:  „Wenn Geburt und Tod zusammenfallen“ (Clara Moser und Detlef Hecking). Vor allem habe ich gelernt, dass eine Fehl- oder Totgeburt eigentlich zwei Kasualien vereint: eine wertschätzende Begrüssung (Segnung) wie die Taufe und ein Loslassen in der Beerdigung. Im Bewusstsein, dass Frauen öfters mit der ersten Schwangerschaft kein Kind gebären können, drängt sich bei jedem Taufgespräch die Frage auf: ist das ihre erste Schwangerschaft?  Das kann Schleusen öffnen, darüber zu reden ist heilend.  Berührt und „gefreut“ hat mich kürzlich, als ich nach einer Geburts/Todesanzeige eine öffentliche Feier von einem Kollegen miterleben konnte. Das hat sich zum Guten verändert. Wunderbar.

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und
wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Seit Anbeginn der IG war ich mit dabei – pausiert nur durch die Kleinkinderzeit. Ich habe einige Studentinnen/Vikarinnen begleitet, als Vikariatsleiterin oder Mentorin und mir war wichtig, dass sie zu ihrer eigenen Blüte finden. Meinen Talar habe ich an eine junge Pfarrerin weitergegeben – wie ich ihn von der pensionierten Rosmarie Bruppacher damals auch bekommen habe, auf dass sie weiter verkünde das Evangelium und heile, ganz in der feministischen Tradition.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Sicher am Anfang des Pfarramtes die TZI und CPT Ausbildung. Vertieft hat sich meine Arbeit/Glaube durch die Bibliodrama-Ausbildung bei Nico Derksen und Claudia Mennen. Es war ein Raum, um biblisch langsam zu ergründen und ernsthaft spielerisch meine Beziehung zu Gott, meinem Herzanliegen zu erfahren. Ein Raum, der wertschätzt, ermutigt und spirituell tiefgründig ist. In allem, Mann oder Frau, Tier oder Natur, ist Gott gegenwärtig.

Schon über viele Jahre bin ich im Stiftungsrat der Marga Bührig Stiftung, freue mich da mit Schwestern verschiedenster Generationen zusammen, Neues oder bewährte feministische Arbeiten zu wertschätzen.

5. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

In der Coronazeit wurde ich pensioniert, was mich sehr auf mich selbst geworfen hat, denn alle Pläne von Reisen oder gemütlichem Essen und Diskussionen oder Singen, Konzerte wurden gebremst. Ich war mit mir, alleine, verunsichert und lernte neu der Spiritualität zu vertrauen. Ein bewusster mystischen Weg –  wie Robert Roth sagt – der Christusliebe dienen. Als Feministin „dienen“ – als Studentin hätte ich bei dieser Formulierung die Hände verworfen –  heute versuche ich in dieser Beziehung der göttlichen Liebe zu leben.

Handauflegen – das stille und sanfte Da-sein für Menschen ist in den letzten Jahren immer gewichtiger geworden. In der Elisabethenkirche Basel darf ich als Heilerin mit dabei sein. Handauflegen und segnende Worte sprechen, beten ins Tohuwabohu einzelner Menschen oder der (kriegerischen) Welt. Hoffen und Verbinden, was trennt und ängstigt, immer wieder.

Heute versuche ich aktiv zu sein in der Klimabewegung, auch mit Klimagesprächen von HEKS und Fastenaktion. Oder am neuen Wohnort in Basel öffnen sich wieder Möglichkeiten, dass Menschen zusammenkommen – Singen im Chor,  Mittagstisch, Gesprächsrunden, Filmabende, Suppenessen – ich bin dabei. Mut macht mir immer wieder, wenn ich heute jungen Frauen, Pfarrerinnen begegne, die in einer  – mir damals noch unbekannten – Selbstverständlichkeit und im Selbstvertrauen, die feministische Befreiungstheologie leben, verkünden und aufstehen für feministisches Blühen.

Danke für deine Antworten!
Das Interview mit Clara Moser führte Esther Gisler Fischer.

 

Frau des Monats März/April 2022

Interview mit der Frau des Monats Regula Strobel

*1956, Theologin, katholisch sozialisiert, schon länger kirchenfern und seit 2018 auch ausgetreten, nachdem das Berufsverbot schon seit 2003 existierte.
Theologische Praxis und Reflexion/Theorie zusammenzuhalten, war mir immer ein Anliegen: deshalb das berufliche Hin- und Herpendeln von Pfarreiarbeit, Assistentin an der Uni, Pfarreiarbeit, Erwachsenenbildung/Frauenarbeit.
2003 Wechsel in die staatliche Verwaltungshierarchie: Aufbau der Fachstelle gegen Gewalt beim Eidg. Gleichstellungsbüro und danach Leitung der Fachstelle Familie und Gleichstellung im Kanton AG.
2010 Übernahme, Leitung und Betrieb eines kleinen bis mittleren Gastrobetrieb (Hotel und Restaurant) im Kanton Graubünden.
Seit 2019 wieder in Freiburg lebend, zusammen mit meinem langjährigen Partner

  1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Kritische Fragen zu theologischen Lehren soll ich meiner Mutter schon im Kindergartenalter gestellt haben – aber vor allem hat mich die Grundhaltung im Elternhaus geprägt, dass Mädchen und Jungen dieselben Rechte und Pflichten hatten.
Kaum begann ich 1976 das Theologiestudium, veröffentlichte der Vatikan sein Schreiben gegen das Frauenpriestertum. Wir waren sechs Frauen in unserem Jahrgang (25%), haben dieses Schreiben mit unseren Kollegen und den Professoren eingehend diskutiert und uns – ohne es zu wissen – schon in feministisch-theologischer Argumentation geübt. Obwohl ich damals kein Interesse hatte, Priesterfunktionen zu leben (die waren mir zu sehr auf die Liturgie beschränkt), hat das päpstliche Schreiben und vor allem seine hanebücherne Argumentation meinen Widerspruch und den meiner Studienkolleginnen angestachelt.
Im ganzen Theologiestudium erhielten wir, soweit ich mich erinnere, keinen Hinweis auf feministisch-theologische Literatur. Zwar hatte Mary Daly ihre ersten zwei Bücher (Kirche und das andere Geschlecht 1968; Jenseits von Gott Vater, Sohn & Co 1973) schon in Englisch veröffentlicht, aber gelesen habe ich sie erst später. Geprägt hat mich neben Carter Heyward, Luise Schottroff und verschiedenen Afro-Amerikanische Theologinnen, vor allem Elisabeth Schüssler Fiorenza mit ihrer Hermeneutik. Diese Hermeneutik gab mir das wissenschaftliche Instrument in die Hand, nicht nur biblische Texte und kirchliche Verlautbarungen gegen den Strich zu bürsten und das Verborgene aufzudecken, sondern ebenso politische Darstellungen, Positionen und die gemachte Normalität, in der wir leben.

  1. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Der Anfang war die FrauenWeb- und DenkWerkstatt – eine lose Diskussionsgruppe von Theologinnen aus Luzern und Freiburg, die dann auch ein Bulletin veröffentlichte, als Anregung für weitere Diskussionen. Das Interesse daran wurde grösser und 1984 entschieden wir uns, die FAMA gedruckt zu veröffentlichen. Die Redaktionssitzungen mit ihren intensiven Diskussionen waren für uns alle auch Weiterbildungen! Viele der Mitgründerinnen der FAMA wurden dann wie ich von Frauengruppen an verschiedenen Orten zu Vorträgen eingeladen. Mit Doris Strahm ab Herbst 1987 und ich ab Frühling 1988 haben wir zusammen Seminare zu feministisch-theologischen Themen an der Uni Freiburg gestaltet, Seminar- und Lizentiatsarbeiten begleitet, ein Buchprojekt konzipiert, verschiedene Artikel geschrieben. Mit den Seminaren erreichten wir viele Studierende, nicht nur der Theologie. Ebenso mit meinem feministisch-theologischen Lehrauftrag in Bern. Wichtig in dieser Zeit waren auch die Weiterbildungsveranstaltungen für Theologinnen und Theologen in der Schweiz, Deutschland und Österreich, die Referate an grossen Veranstaltungen, Kirchentagen usw. Die Vernetzungsarbeit in der ESWTR (Europäische Gesellschaft von Frauen in der theologischen Forschung), die jahrelange Mitarbeit in deren Vorstand und die Vorbereitung der Europäischen Konferenz auf Kreta waren immer spannend und intensiv.
In der Pfarreiarbeit, als Leiterin der Frauenstelle der katholischen Gesamtkirchgemeinde in Biel, als Vorstandsfrau der Frauenkirche Bern und im Wort zum Sonntag im Schweizer Fernsehen war die feministische Theologie natürlich immer präsent, explizit und implizit!

  1. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Einmal den feministisch-theologischen Blick entwickelt, geht er nicht mehr weg. Je nach Kontext, kam dieser Blickwinkel explizit oder implizit zum Zuge. Explizit, dort wo ich für feministisch-theologische Vorträge, Weiterbildungen, Artikel usw. angefragt wurde. Eher implizit überall dort, wo Feministische Theologie nicht als Thema gefragt war, also z.B. in Predigten oder verschiedenen anderen Bereichen der Pfarreiarbeit. Da gings ums Wahrnehmen von Frauen, hinhören auf sie und sie stärken und stützen, damit sie sich äussern und eintreten für das, was ihnen wichtig war. Beim Predigen habe ich bewusst abgewechselt zwischen «männlicher» und «weiblicher» Sprache, habe für Beispiele aus dem Leben Frauen in «Männerbereichen» situiert und umgekehrt. Im Aufnehmen von biblischen Texten habe ich immer die Lebensrealitäten von Frauen, die sie abbilden oder verstecken, thematisiert und beim Namen genannt, auch wenn es sich um übergriffige oder gewalttätige handelte. Ebenso habe ich eine Vielfalt von Gottesbildern verwendet.

  1. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

An meiner ersten Arbeitsstelle in der Pfarrei Birsfelden bin ich mit Lebensrealitäten von Frauen in Kontakt gekommen, die mein theologisches Denken herausgefordert und geprägt haben: Gewalt, auch sexuelle, gegen Frauen und Mädchen innerhalb der Familie. Damals gab es noch keine Frauenhäuser und Opferhilfestellen. Anlaufstellen für Gespräche waren häufig die Seelsorger vor Ort, Frauen gab es in den Pfarreien noch sehr wenige.
In Gesprächen mit Frauen habe ich sie in der Überzeugung gestützt, dass psychische und physische Gewalt in Partnerschaften und gegen Kinder nichts zu suchen haben. Gemeinsam haben wir kleine Veränderungsmöglichkeiten ausgelotet, wie Frauen sich und/oder ihre Kinder schützen können, dass sie Stopp sagen dürfen (Liebe hat nicht alles zu ertragen), wem sie telefonieren können, wenn die Situation eskaliert usw. Am Schluss des Gesprächs wurden die Hoffnungsfunken wieder zum Erlöschen gebracht mit dem Seufzer der Frauen: «Ja jeder hat halt sein Kreuz zutragen!»
Dies hat mich dazu gebracht, die theologischen Interpretationen der Kreuzigung Jesu genauer anzuschauen und grundsätzlich zu hinterfragen. Nicht nur die traditionelle Opfertheologie, auch was in befreiungstheologischen Ansätzen mit Hingabe und konsequentem Engagement Jesu interpretiert wird. Überall wird die bewusste Gewaltausübung der Herrschenden theologisch vertuscht, das Handeln der Herrschenden als ‘normal’ dargestellt: es ist halt so! Die Entscheidung der Herrschenden wird nicht hinterfragt, sie werden nicht zur Rechenschaft gezogen.
Das ist nichts anderes als Victimblaming! Du bist selbst schuld: wenn du gegen Ungerechtigkeit aufstehst, musst du die Gewalt der Herrschenden in Kauf nehmen. NEIN! Ebensowenig wie junge Frauen im Minirock selbst schuld sind, wenn Männer sich an ihnen vergreifen! Oder Frauen in Partnerschaften eigene und andere Meinungen als ihre Männer haben dürfen, ohne deswegen von den Männern abgekanzelt oder mit physischer Gewalt bestraft zu werden. Frauen haben auch das Recht, sich von ihren Männern trennen, ohne deswegen von ihnen getötet zu werden!
Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang der Ansatz bei einem Menschenbild, das Menschen, Frauen und Männer, wirklich als ‘Bild Gottes’ in dieser Welt versteht. Nicht als Kontrahent Gottes, der oder die nur unter Überwindung des inneren Schweinehundes menschenfreundlich handeln kann. Menschen müssen keine kleineren oder grösseren Opfer bringen, um das, was die biblischen Gleichnisse «Reich Gottes» nennen, zu unterstützen. «Reich Gottes» hier in unserer Welt zu realisieren, ist ein zutiefst menschliches und menschen-mögliches Projekt, dem menschlichen Handeln, Wünschen inhärent.
Indem auch fortschrittliche und kritische TheologInnen ein Menschenbild portieren, das Ausbeutung und Gewalt als ‘normales’ menschliches Handeln akzeptiert, bleiben die Herrschaftsverhältnisse unangetastet

Die für mich wichtigste und hilfreichste Methode, diese faktische Normalität als von Herrschenden gemachte Normalität zu hinterfragen, ist die Hermeneutik von Elisabeth Schüssler Fiorenza. Diese hat mir systematisch ermöglicht, Texte und Realitäten in Kirche, Theologie und Gesellschaft konsequent zu entlarven, die herrschenden Interessen aufzudecken und als ab-normal zu erkennen. Und auch jene Lebensgeschichten wahrzunehmen, die unter den Rädern dieser gemachten ‘Normalitäten’ zerstört werden.

  1. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?

Es gab viele und sehr verschiedene Reaktionen auf meine feministisch-theologische Arbeit.
Frauen (und Männer) an der Basis reagierten allermeist sehr positiv und befreit auf meine Kritik der theologischen Interpretationen der Kreuzigung Jesu. Frauen aus den Pfarreien stuften mein implizites feministisch-theologisches Reden und Handeln häufig nicht als feministisch ein (wobei sie feministisch mit männerfeindlich gleichsetzten!).
Auch an den Universitäten waren die Reaktionen der Studierenden positiv, einigen tat sich (nach eigener Aussage) eine neue Welt auf. Brot statt Steine (Elisabeth Schüssler Fiorenza) zu Tage zu fördern, in biblischen Texten, kirchlichen Überlieferungen und Traditionen zu unterscheiden, hat manche ermutigt.
Anders waren die Reaktionen seitens der Hierarchien: Die Kritik an den theologischen Interpretationen der Kreuzigung war zu grundsätzlich/radikal, um als Dissertationsprojekt akzeptiert zu werden, weder vom Professor für Dogmatik in Freiburg noch jenem in Nijmegen.
Und ein Artikel zum Thema Opfertheologie, der von der NZZ für die Kulturseite der Karfreitagsnummer 1999 angefragt wurde, hat dazu geführt, dass der damalige Bischof des Bistums Basel, Kurt Koch, mir keine Missio mehr erteilt hat, was gleichbedeutend mit einem Berufsausübungsverbot ist.
Der gleiche Artikel hat auch die reformierte Fakultät Zürich auf den Plan gerufen: Sie hat ein Beilagenheft mit Artikeln von verschiedenen Professoren gestaltet und dies flächendeckend der schweizerischen reformierten Kirchenzeitung beigelegt (2001). Dieses Beilagenheft wiederum blieb nicht unwidersprochen und führte zu einer etwas differenzierteren Auseinandersetzung mit meiner Kritik in einem Sammelband, der von Hans Jürgen Luibl und Sabine Scheuter (HG) «Opfer: verschenktes Leben» (DenkMal 3) Zürich 2001 herausgegeben wurde.

  1. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

In der Gesellschaft hat sich einiges getan. Allerdings hat dies auch dazu geführt, dass jungen Frauen und Männern die fehlende Gleichberechtigung in der Realität nicht mehr in die Augen springt. Gesetzlich ist vieles aufgegleist, aber der konkrete Alltag lässt weiterhin vieles zu wünschen übrig! Berufliche Entwicklungswege sind nach wie vor eng an traditionelle Familienmuster geknüpft: während ein Mann zwischen 26 und 40 die grossen Karriereschritte macht oder einleitet (mit einer Frau an seiner Seite, die ihn unterstützt, allenfalls auch die nötigen Ortswechsel vornimmt), ohne zwischen Kinder/Familie und Beruf entscheiden zu müssen, ist die Situation für Frauen eine andere. Auch die Ausgestaltung von Führungsjobs in der Wirtschaft oder politischen Ämtern führt dazu, dass entweder kinderlose Frauen oder Frauen nach der Familienphase sie wahrnehmen können. Teilzeitarbeit ist auch für Frauen meist ein Karrierekiller.
Die katholische Kirche gibt für mich noch ein düstereres Bild ab, schweiz- und weltweit. In der Schweiz eröffnen die sogenannten Pastoralkreise auch TheologInnen Zugang zu (Teil-)Leitungsfunktionen. Aber diese Pastoralkreise haben für mich weniger mit Pastoral zu tun als mit dem Versuch, die noch vorhandenen Priester möglichst flächendeckend zu verteilen: Das heisst, es ist ein hierarchisches Modell, von oben über die Realität gestülpt, im Interesse, die Machtstruktur der wenigen Priester zu stabilisieren.
Auch weltweit kann ich keine Zeichen erkennen, die eine grundsätzliche Gleichberechtigung und der Einbezug von Frauen, verheirateten oder aus sonstigen Gründen ungeweihten Männern anzeigen würden. Noch wenn der jetzige Papst wollte (aber er will gar nicht!), hätte er die grosse Mehrheit der kirchlichen Entscheidungsträger im Vatikan gegen sich, denn diese wurden allermeist noch von den Päpsten Woityla und Ratzinger zu Kardinälen ernannt. Auch schwule Männer unter den Priestern, Bischöfen und Kardinälen leben letztlich ein menschenunwürdiges Leben und sind in der kirchlichen Hierarchie leicht erpressbar. Angesagt wäre eine grundsätzliche Reflexion zum Umgang mit Macht, Körperlichkeit, Sexualität, Frauen – dem Menschenbild in Kirche und Theologie.

  1. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Zur Zeit spielen sich die feministischen und feministisch-theologischen Auseinandersetzungen vor allem in persönlichen Gesprächen ab. Wenn ich für Rituale an Lebens-Wende-Punkten angefragt werde, ist meine feministisch-theologische Grundhaltung natürlich immer spürbar. Die persönlichen Engagements mit und für Frauen verschiedenen Alters, die bleiben.
Ansonsten haben sich die Schwerpunkte meiner Lebensrealität seit 2019 verschoben, als mein Partner mehrere Hirnschläge erlitt und in der Folge davon in seinem sozialen und musikalischen Leben drastisch eingeschränkt wurde.

Vielen Dank Regula für das spannende Interview!
Esther Gisler Fischer.

Frau des Monats Januar/Februar 2022

Interview mit der Frau des Monats: Roswitha Golder

Geboren 1938 in Bern; Lizenziat in Theologie an der Uni Genf;
Diplom in Gefängnisseelsorge der Uni Bern; Doctor of Ministry des Wesley Theological Seminary in Washington, D.C; Studium in Lima mit Diplom für Englischunterricht als Fremdsprache;  Uebersetzerin und Sprachlehrerin für Deutsch und Englisch; Lebte mit ihrem Mann und drei Söhnen 20 Jahre in Lateinamerika; Seelsorgerin für die Genfer protestantische Kirche in einem Krankenhaus für Chronischkranke,
arbeitet seit Jahrzehnten ehrenamtlich als Teil des Pfarrteams der lateinamerikanischen Gemeinde für die evangelisch-methodistische Kirche in Onex/Genf; Pfarrerin der «Eglise protestante de Genève» im Unruhestand; geschieden, 7 Enkelinnen und 3 Urenkel.

Fotografin: Katharina van Rhoon:
Foto wurde am 9.9.2010 aufgenommen nach dem Gottesdienst zur Feier des “Jeûne genevois” (Genfer Fasttag).

Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Ich habe nach meiner Rückkehr aus Lateinamerika in Genf ein Theologiestudium angefangen, weil ich in Peru und Mexiko in Frauengefängnissen mit einer charismatischen Gruppe Besuche bei sogenannten «Maultieren» (Drogenkurierinnen, «mulas» auf Spanisch) machte und dabei merkte, dass mir Rüstzeug fehlte, um mit den Besucherinnen, dem Gefängnispersonal und den Gefangenen auf Augenhöhe über die Bibel und meinen Glauben zu sprechen. Ich suchte Antworten auf Fragen, die mich umtrieben und fand sie teilweise im offiziellen Programm der Fakultät in Genf.
De
r Zugang zu feministischer Theologie wurde mir jedoch damals eher durch Kolleginnen eröffnet, insbesondere durch Frauen, die beim ökumenischen Rat, beim lutherischen Weltbund oder im ökumenischen Forum christlicher Frauen in Europa aktiv waren. Wir hatten damals noch kaum Frauen als Professorinnen. Ruth Epting, eine der ersten Frauen, die in der Schweiz als Pfarrerin ordiniert wurde, war mir liebe Freundin, Mentorin, und Vorbild. Elisabeth Schüssler-Fiorenzas Gedankengut hat mich wohl am meisten geprägt.

Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Ich arbeitete sechs Jahre als Seelsorgerin für die Genfer protestantische Kirche in einem Krankenhaus für Chronischkranke. Zu meinem Leidwesen wurde ich gegen meinen Willen mit 55 frühpensioniert. Diese Massnahme betraf uns als Frauen härter, hatten doch manche von uns weniger Jahre im Pfarrdienst gearbeitet als unsere Kollegen, ihr Studium erst nach dem Aufziehen der Kinder begonnen wie ich, oder ihre berufliche Tätigkeit wegen der Doppelbelastung durch die Familie als Teilzeit ausgeübt, beziehungsweise für einige Jahre unterbrochen. Finanziell waren viele von uns deswegen weniger gut abgesichert als unsere Kollegen. Für mich war es vor allem eine grosse Enttäuschung und ein Schock.
Zum Glück ergab sich die Möglichkeit, mein Engagement in der lateinamerikanischen Gemeinde der Methodistenkirche, wo ich schon seit meiner Rückkehr in die Schweiz ehrenamtlich tätig war, auszuweiten. Seither bin ich dort Teil eines immer wieder neu zusammengesetzten Pfarrteams.
Die Gemeinde ist ein Bezirk der EMK, besteht vor allem aus Frauen, die als Hausangestellte in Genf arbeiten, oft sogenannte «Sans Papiers». Mit ihnen lerne ich, feministische Theologie in die Praxis umzusetzen, die Bibel in ihrem Kontext zu lesen und auf ihre Nöte und Bedürfnisse einzugehen.
Ein wichtiger Begriff ist mir dabei das «Empoderamiento» (Empowerment, «Ermächtigung» wäre wohl der entsprechende Begriff im Deutschen): Sie übernehmen in der Gemeinde wichtige Rollen, leiten zum Beispiel den Gottesdienst; lernen aber auch, in ihrem Alltag ihre Rechte einzufordern.
Wir arbeiten dabei mit dem HEKS zusammen, das mit seinen «Permanences volantes» wichtige Informationen zum Leben in der Schweiz, über HIV-Aids, Familienplanung usw. im Rahmen unserer Gottesdienste und während des gemeinsamen Mittagessens anbietet.

Zudem kümmere ich mich seit Jahrzehnten um das Wohlergehen der vielen in Genf existierenden Migrationskirchen: Diese kamen in den letzten Jahren mehr und mehr in den Fokus kirchlichen und universitären Interessens: Einige von ihnen sind seit Jahrhunderten in Genf aktiv, so z.B. die Lutheraner*innen, die schon während der Reformation mit einer Spezialbewilligung im calvinistischen Genf ihre Gottesdienste feiern durften. Auch die Anglikaner*innen und andere englischsprachige «Mainline Churches» haben sich schöne Gebäude gebaut und bieten vielen Expats aus allen Erdteilen eine geistliche Heimat. In den letzten Jahrzehnten haben sich jedoch viele kleinere Gruppierungen gebildet, so z.B. ganz verschiedene orthodoxe Kirchen, aber vor allem afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Gruppierungen, die sich zur Plattform «Témoigner ensemble à Genève» zusammenschlossen.
In Zusammenarbeit mit dem Internationalen Reformierten «Zentrum John Knox», dem Weltkirchenrat, und der Genfer Protestantischen Kirche wurde mir deren Koordination anvertraut. Das beiliegende Bild zeigt mich am Tag meiner Einführung in dieses Ehrenamt, das ich sechs Jahre innehatte. Bis heute liegt mir diese Arbeit sehr am Herzen.
Ich sehe in dieser interkulturellen Oeffnung unserer lokalen Kirchen eine Chance, die es nicht zu verpassen gilt: Während die drei offiziellen Schweizer Konfessionen an Mitgliederschwund leiden, wächst eine Vielzahl von internationalen oder durch Sprache und Kultur von Einwanderer*innen geprägten Kirchen. Ihnen gastfreundlich zu begegnen kann uns gegenseitig bereichern. Das CIC, ein interkantonales Informationszentrum zu Glaubensfragen in Genf,
https://cic-info.ch, bietet dazu ausgezeichnete Grundlagen und Sensibilisierung..

Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Gleichberechtigung ist mir sehr wichtig. Die Einführung der Frauenordination ist für meine Generation ein Meilenstein. Sie ist aber bis heute in vielen Kirchen weltweit noch nicht verwirklicht. Ich bin seit Jahrzehnten Mitglied der «International Association of Women Ministers», die sich an allen Vollversammlungen des ökumenischen Rats für die Frauenordination einsetzt und dazu Workshops anbietet. In Karlsruhe werden wir in Zusammenarbeit mit Mission 21 wieder einen solchen durchführen. Diesmal wird es um Hindernisse gehen, die Frauen nach der Ordination in den Weg gelegt werden. Denn auch dort, wo Frauen theoretisch gleichberechtigt als Pfarrpersonen tätig sind, empfinden sie sich als «In but still out». IBSO, das Kürzel dieses Missstands war jahrelang die Bezeichnung eines Zusammenschlusses der Genfer Pfarrerinnen, die sich gegenseitig gegen Diskrimination verschiedener Prägung auflehnten. Ich habe viel von diesen Pionierinnen gelernt und bin ihnen dafür sehr zu Dank verpflichtet.

Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Ich verdanke der Befreiungstheologie viel und arbeite gerne mit Methoden der kontextuellen Bibelauslegung. Im Gottesdienst lesen wir oft den Bibeltext mit verteilten Rollen, das ermöglich
t einen neuen, sehr persönlich geprägten Zugang zum Text. Viele Frauen in meiner Gemeinde hatten früher nie eine Bibel in der Hand, diese ist für einige Katholikinnen immer noch «verbotene Literatur», dem Priester vorbehalten. Andere, aus evangelikalen Gemeinden verstehen sie ausschliesslich wortwörtlich, fundamentalistisch und haben damit ihre Mühe. Wichtig waren und sind für mich die Arbeiten zu Frauengestalten in der Bibel. Insbesondere Hagar ist für viele Lateinamerikanerinnen eine Neuentdeckung und eine potentielle Identifikationsfigur.

Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?

Für einige meiner – insbesondere männliche Kollegen – bin ich zu feministisch, für andere – meist weibliche – nicht genug. In dieser mittleren Position fühle ich mich wohl. Es geht mir nicht darum, nur Frauenanliegen zu vertreten, aber wo ich dies für nötig finde, setze ich mich mit allen meinen Kräften und mit grosser Hartnäckigkeit dafür ein.

Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Die Situation der Frauen in Kirche und Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten viel aber noch nicht genug verbessert. Ich bin froh, dass sich die jüngere Generation weiterhin für die Gleichberechtigung engagiert. Vieles ist für sie jedoch selbstverständlich geworden. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in der Schweiz für Frauen immer noch schwierig; Betreuungsplätze für Kinder sind teuer und vielerorts Mangelware. Die Doppelbelastung durch Haushalt, Sorgearbeit und Beruf ist in vielen Familien immer noch nicht gerecht unter den Partner*innen verteilt. Eine meiner Enkelinnen beklagt sich allerdings, dass sie viel Kritik hört, weil sie ihren Beruf freiwillig zugunsten ihrer beiden Kleinkinder nur mehr auf Sparflamme, einen Tag pro Woche ausübt. Die Option einer solchen «Auszeit» ist offenbar für den Arbeitgeber möglich, wird aber von Kolleg*innen nicht goutiert!

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Ich versuche sie, tagtäglich, im Umgang mit meinen Mitmenschen in der Familie, in der Gemeinde, im Alltag und in der Freizeit umzusetzen.

Vielen Dank für das spannende Interview!

Das Interview mit Roswitha Golder führte Esther Gisler Fischer.

Frau des Monats September/Oktober 2021

Frauen im Portrait: Esther Gisler Fischer

Esther Gisler Fischer

Geb. 3. Mai 1968 in Zürich.
Seit ihrem Studium der Theologie, Ethnologie und Religionswissenschaften mit Schwerpunkt Islam beschäftigt sie sich mit kontextuellen Theologien aus Frauensicht, der Rolle von Frauen in religiösen und kulturellen Traditionen und Konzepten vom „guten Leben“, die ein nachhaltiges, friedlicheres und gerechteres Zusammenleben von Menschen untereinander und der Mitwelt ermöglichen.
Aktuell arbeitet sie als ref. Pfarrerin im Zürcher Stadtquartier Seebach.
www.contextus.ch

 

Esther Gisler Fischer befragt von Doris Strahm

  1. Du bist seit Jahren eine unserer aktivsten IG Mitfrauen, bist vernetzt in viele feministische Kreise hinein und trägst uns, dem IG-Vorstand, immer wieder neue Ideen zu. Zudem mischt du dich mit Leser:innenbriefen und Blogbeiträgen couragiert und unermüdlich in aktuelle feministische und kirchliche Debatten ein. Woher kommt diese tiefe Leidenschaft für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit? Was treibt dich an in deinem unermüdlichen Engagement?

„Gott ist mit den Furchtlosen.“ Dieses Zitat der iranischen Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi und der Rabi Hillel zugeschriebene Spruch „Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht ich?“ sind sozusagen Leitmotive für mein Engagement: In der Religions-gemeinschaft, in die hineingeboren wurde, erlebte ich am eigene Leibe viel an Repression und struktueller Gewalt auch während meiner Ausbildung an der Universität und meiner Suche eines Platzes innerhalb der röm.-kath. Kirche. Die ‚weibliche Freiheit‘ (nach den italienischen Differenzfeministinnen) habe ich dort nicht gefunden.;-wie auch! Kirchen haben leider nicht viel zu tun mit der egalitären Bewegung eines ‚Jeschua-ben-Mirjam, Jesus von Nazaret, der sich Frauen auf Augenhöhe genähert hat. Laut neuesten Forschungen hat die Jesusbewegung in mindestens der Hälfte aus Frauen bestanden. Und seine Jünger und Jüngerinnen lebten auch nicht von Luft und Liebe auf ihren Wanderungen, sondern konnten auf zahlungskräftige Personen; -vielfach Frauen zählen-, welche sie finanziell unterstützten. Es wird angenommen, dass diese in Begegnungen mit Jesus geheilt wurden und ihm dies dankten, indem sie ihn und seine Gemeinschaft unterstützten.

Wegen meines Engagements gegen Bischof Haas als Studentin verweigerte mir dieser die ‚Missio‘, die Beauftragung zum kirchlichen Dienst. Dem damaligen Dekan war es zu verdanken, dass ich dennoch den Pastoralkurs machen konnte.

Nach meiner Konversion ging ich nochmals an die Uni nach einem von der Evang.-ref. Kirche festgelegten Curriculum. Als ich beim damaligen Kirchenratspräsidenten um Aufnahme in den Kirchendienst der Zürcher Landeskirche bat, fragte der mich in aller Selbstverständlichkeit, ob er beim Generalvikar Referenzen über mich einholen könne. Die Haare standen mir zu Berge ob dieses Ansinnens, war ich doch aus meiner Sicht dem sprichwörtlichen Teufel erst vom Karren gesprungen. Männerbündelei also auch da!

Diesen Erfahrungen ist es geschuldet, dass ich beschlossen habe, meine Stimme zu erheben, überall dort, wo ich es mir wichtig scheint: Als Frau, Feministin, Jesuanerin, Expertin für Religionsfragen. Denn: ‚Das Netz ist zerrissen, und ich bin frei.‘ (Ps 124, 7b)

  1. Wie bist du zur Feministischen Theologie gestossen? Welche Protagonistinnen haben dich da besonders geprägt?

Ich hatte das Glück, in den späten 80er und frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (CH) in einer Zeit zu studieren, als feministische Theologie in verschiedenen Disziplinen durch engagierte Assistentinnen zum Thema gemacht wurde: Da waren die Alttestamentlerin Silvia Schroer, welche uns mit den Weisheitstraditionen der Bibel und alternativen Gottesbildern und spannenden Frauenfiguren aus der hebräischen Bibel vertraut machte. Béatrice Acklin Zimmermann, machte uns als Kirchenhistorikerin über Nonnenviten mystische Zugänge zum Göttlichen zugänglich. Am Lehrstuhl für Missionswissen-schaft ermöglichte Irene Neubauer-Gubler interreligiöse Begegnungen. Und last but not least Doris Strahm und Regula Strobel, welche sich mit dogmatischen Fragen ans «Pièce de Resistance» der patriarchalen Theologie gemacht hatten, indem sie am Ort, wo einst Mary Daly studierte und mit ihrem Spruch «Wenn Gott männlich ist, muss das Männliche Gott sein» berühmt wurde, so einiges Althergebrachte wie die Kreuzestheologie in der Theologie hinterfragten und uns Student:innen neue Horizonte öffneten für die Konzepte von Theologinnen aus dem Weltsüden und -osten. Ich lernte so, feministische Theologien als Befreiungstheologien zu verstehen mit Frauen als Subjekten. Dies alles ermöglichte es mir, Verflechtungen von Gesellschaftsformen, Gottesvorstellungen und Geschlechterrollen zu analysieren und kritisch zu hinterfragen und weiter an einer befreienden Rede von Gott zu arbeiten und mich mit Mitstreiterinnen wirksam in öffentlichen Debatten einzumischen. Kurse an der Paulus-Akademie in Zürich und in Männedorf auf Boldern boten mir weiterhin Orte des Nachdenkens und des Austausches.

  1. Was waren die Schwerpunkte in deiner feministisch-theologischen Tätigkeit? Wie hast du Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Ich bin keine Theoretikerin; so habe ich auch keine theoretischen Würfe vollbracht auf dem Feld der Feministischen Theologie. Wie bei der IG bin ich ‚Mitfrau‘; -lebe in Beziehungen und versuche da, etwas zu bewegen: Dies in verschiedenen Netzwerken der innerchristlichen Ökumene von Frauen.  In der Gemeinde habe ich mal eine Tagung zu ‚Maria als Prophetin‘ gemeinsam mit anderen Frauen vorbereitet und durchgeführt. Dazu engagiere ich mich im Interreligiösen Dialog unter Frauen verschiedener Religionen, sowie denke mit bei Fragen, wie ‚gutes Leben‘ für alle Menschen, wie unsere Mitwelt aussehen könnte. Ich war beteiligt an einer Zeitung im Vorfeld der Abstimmung für ein bedingungsvolles Grundeinkommen: http://antidotincl.ch/images/Ausgabe_12/Antidot_24.pdf und habe mich explizit als feministische Theologin in die Diskussion eingeschaltet: https://www.youtube.com/watch?v=vh1pc1mVcXM Themen wie die unbezahlte Care-Arbeit treiben mich schon länger um. Mein Engagement für die Frauensynode 2021 ist dazu zu rechnen. Diese findet coronabedingt unter dem Titel «Wirtschaft ist Care» dezentral statt: https://www.frauensynode2021.ch/
Als Redaktorin der Zeitschrift ‚Neue Wege‘ versuche ich zusammen mit meinen Kolleginnen, feministisch-theologische Fragestellungen in die Themenauswahl einfliessen zu lassen. Als religöse Sozialistin, die ich auch noch bin, versuche ich, den Zusammenhang zwischen dem religiösen und pseudoreligiösen Überbau (der Markt als Religion) und den Gegebenheiten unserer Gesellschaft auszuzeigen. «Wie im Himmel, so auf Erden» halt.

  1. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie fliesst feministische Theologie in deine verschiedenen Tätigkeiten ein?

Ich predige durchwegs feministisch; die Geschlechterfrage ist immer ein Thema bei mir. Dabei stelle ich biblische Frauenfiguren regelmässig ins Zentrum meiner Verkündigung. Jesus als Christus gebe ich nur insofern Raum, als dass ich die von ihm verkündete Hoffnung auf das ‚Reich Gottes‘ beziehungsweise ein ‚Leben in Fülle‘ als innerweltliches Geschehen, welches insbesondere auch Frauen einschliesst, ins Gedächtnis rufe als widerständige Praxis gegen die ‚Waffen des Todes‘.

In meiner seelsorgerischen Tätigeit versuche ich Frauen zu stärken in ihren Beziehungen und ihnen Unterstützung angedeihen zu lassen, wo sie sich aus unseligen Verstrickungen zu befreien versuchen.

  1. Du hast schon sehr früh deinen Blick auch auf feministische Theologien des globalen Südens gerichtet. Wie kam es dazu? Welche Ansätze und Methoden sind dir bis heute besonders wichtig?

Zum einen war an der Universität Fribourg der Blick immer schon weit geöffnet auf die Welt und wletweite Kirche: Befreiungstheologische Ansätze wie das Prinzip des ‚Sehen – Urteilen – Handeln‘ waren mir geläufig und die Kontroverse zwischen Rom und Vertreter_innen kontextueller Theologie in vollem Gang. Zum andern brachten uns die bereits erwähnten Assistentinnen; -wie du Doris!-, die Arbeiten feministischer Theologinnen aus dem Weltsüden und -osten nahe und leisteten damit für mich wichtige Vermittlungsarbeit. Ökofeministische Ansätze wie die von Yvone Gebara und Judie Ress sind mir gerade in den letzten Jahren sehr wichtig geworden.

  1. Gab und gibt es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche? Und wie gehst du damit um?

In meiner Kirchgemeinde wurde ich am Anfang angefeindet und das von Frauen, welche Angst hatten, ich würde mit meiner Theologie Kinder und Jugendliche ‚verderben‘. Das hat mich zuerst gekränkt; doch anschliessend kam der Trotz: „Jetzt erst Recht!“ sagte ich mir: Wenn schon die feministische Theologie so ein Reizthema ist, gehe ich da aufs Ganze. Wer, wenn nicht ich kann da die Erkenntnisse feministischer Bibelwissenschaft und Dogmatik an die Frau und an die Frau bringen, wenn nicht ich? Es ist ja sonst Keine/r da!

  1. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Welche „Erfolge“ kann deines Erachtens feministische Theologie im Hinblick auf die Veränderung der patriarchalen Theologie und Kirche verzeichnen? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Ich stelle leider allgemein einen Backlash fest. Und dennoch haben wie Einiges erreicht: Es gibt Theologinnen und Pfarrerinnen, welche selbstbewusst die Bibel auslegen und Jesus als den schildern, der er wahr, jeseits des kerygmatischen Christus. Doch bleibt sowohl in der Vermittlung, wie bei den Strukturen der Universitäten wie Kirchen noch viel zu tun im Bereich Geschlechtergerechtigkeit und der Anerkennung anderer Weisheitstraditionen und Lebensentwürfe.

Ich danke dir für dieses spannende Interview!
Doris Strahm

Frau des Monats Juli/August 2021

Feministische Theologinnen im Porträt: Brigit Keller

Brigit Keller, geb. 1942 in Zug, wohnhaft in Zürich.
Studium der Germanistik, Kunst- und Religionsgeschichte.
Dissertation über die Lyrik von Nelly Sachs.
Freie Mitarbeiterin/Studienleiterin für Frauenfragen/Frauenkultur, Literatur & Ausstellungen an der Paulus-Akademie Zürich1971-2006.
Marga Bührig-Anerkennungspreis 1999
Publikation von Lyrikbänden im eFeF-Verlag:
Vogelflug im Augenwinkel (1998)
Wasserzeichen in meiner Haut (2006)
Sehnarben (2011/2015)
www.brigitkeller.ch

Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Ich bin in einem katholischen Kontext aufgewachsen. Viel war mir an der Kirche wichtig, doch früh hat es mich irritiert, dass nur Männer Priester werden konnten, dass der Papst ein Mann war, ein Mann mit viel Macht, dass mein Bruder ministrieren konnte, ich nicht. Auch was über Eva als Verführerin erzählt wurde, die Witze darüber, haben mich verletzt.  Warum war das Geschlecht so wichtig? Warum war ich als Frau weniger wert als ein Mann? Ich blieb in der Kirche, aber fühlte mich entfremdet. Dies hat sich verschärft, als mir die Frauenbewegung wichtig wurde. Ich lernte verstehen, was mich an der Teilnahme von Gottesdiensten schon länger gelähmt hatte.

Als ich das erste Mal etwas von Feministischer Theologie hörte, war ich gleichsam elektrisiert.
Ja, das ist möglich, neu möglich, eine neue Zugehörigkeit tat sich auf. Ich muss nicht alles, was mir lieb ist aufgeben, ich kann einiges anders gestalten, an einer Veränderung von Frauen und Männern auf mehr Gerechtigkeit, auch in der Kirche, hinarbeiten. Ursula (Ursa) Krattiger hat sich in der Paulus-Akademie die Ausstellung „Wir Frauen Mai 78 – Rollen und Aufbruch“, die ich mit viele Frauen gestaltet hatte, angesehen. Dabei hat sie mir von der niederländischen Theologin Catharina J.M.Halkes erzählt, von ihrem  Lehrauftrag für „Feminismus und Christentum“. Ich wollte Halkes kennenlernen und habe sie in die Paulus-Akademie eingeladen. Das war die erste Veranstaltung zu Feministischer Theologie in der Paulus-Akademie: „Feministinnen hinterfragen unser männliches Gottesbild“, Sonntag, 17. September 1978. Zwar konnte Catharina eines Unfalls wegen nicht selber kommen, Ursa hat ihre Gedanken vorgetragen. Der Abend war der Beginn meiner feministisch-theologischen Arbeit.

Viele Protagonistinnen haben mich geprägt, aber ganz tief gingen mir die Bücher und Begegnungen mit Catharina J.M. Halkes. Gern zähle ich einige weitere Theologinnen auf, die ich in die Paulus-Akademie einladen konnte und die mir wichtig sind: Elisabeth Schüssler Fiorenza, Dorothee Sölle, Mary John Mananzan, Mercy Amba Oduyoye, Doris Strahm,  Ivone Gebara u.a. Weitere Theologinnen, Philosophinnen, Ethikerinnen wurden durch ihre Bücher wichtig, mit denen ich mich in Frauengruppen auseinandergesetzt habe: nennen möchte ich vor allem Mary Daly und Carter Heyward. Auch Matriarchale Spiritualtität hat mich fasziniert. Dazu will ich Heide Göttner-Abendroth und Rosmarie Schmid erwähnen.

Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Ich war in der Paulus-Akademie Zürich über lange Jahre freie Mitarbeiterin, später Studienleiterin. Meinen Arbeitsbereich habe ich selber entwickelt, es gab ihn vorher nicht. Darauf bin ich stolz. Mit Mut habe ich meine Ideen umgesetzt, lotete die durch den Ort gesetzten Grenzen aus.

Mit feministisch-theologischen Themen begann ich 1978. Ich habe in den folgenden Jahren bis zu meiner Pensionierung von 2006 viele Angebote gestaltet: Gruppen für Frauen, Tagungen, Sommerwochen, Abendveranstaltungen. Viele Theologinnen konnte ich einladen und Diskussionen mit ihnen ermöglichen. Dafür war mir die Zusammenarbeit mit Boldern, dem RomeroHaus, Silvia und Doris Strahm, Carmen Jud grundlegend. Sehr wichtig wurde auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Bildungshäusern und Einzelpersonen für mehrere Ökumenische Ausbildungskurse (1998-2001). Ab 2002 gestalteten wir Interreligiöse Theologiekurse für Jüdinnen, Christinnen, Musliminnen, eine bereichernde und herausfordernde Arbeit.

Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Feministische Theologie war Teil meines Arbeitsbereiches „Frauenfragen/Frauenkultur und Literatur“. Sie hat selbstverständlich, weil immer ich es war, die diese Veranstaltungen organisierte, auch die andern Themenbereiche beeinflusst, wie die Arbeit mit Schriftstellerinnen, die Tagungen zu Frauen und Macht, zu Frauenfreundschaften, Auseinandersetzungen mit Körper und Sprache, Projekt Labyrinth, Themen für und mit Frauen verschiedener Herkunft, Arbeit gegen Gewalt an Frauen …

Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

„Erfahrungstheologie“, „von sich ausgehen“ im Austausch mit verschiedenen Frauen. Respekt vor einander, zuhören können / reden lernen….“vom Schweigen zur Sprache zur Aktion“.

Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?

Neben Neugier, Zustimmung, auch viel Kritik und Unverständnis – es lohnt sich nicht, das genauer zu beschreiben. Wichtiger war das grosse Interesse von Frauen, das mich angestossen, begeistert, unterstützt hat. Dies war in den 70er, 80er, auch noch 90er Jahren sehr stark, schwächte sich später ab.

Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein?
Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Ich wünsche mir, dass viele Frauen auf ihre Ziele hin weiter zusammenarbeiten, den Mut nicht verlieren, gegen Resignation ankämpfen, kreativ und beharrlich sind.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Ich werde nächstes Jahr 80. Erfahrungen mit Krankheiten und Abschied beschäftigen mich zurzeit mehr als die feministische Theologie.
Doch für mein tägliches Leben und Überleben sind theologische Bezüge nach wie vor wichtig. Besonders wichtig ist mir die Schöpfungstheologie, der Ökofeminismus, wie ihn Ivone Gebara beschrieben hat. „In jeder Sekunde beginnt die Schöpfung wieder neu und lebt gleichzeitig weiter fort. Es ist ein fortlaufender Beginn, jederzeit neu.“ (Gebara) Das Werden, das Neu-Werden, ist in jedem Moment möglich, und ich stehe nicht ausserhalb dieses Prozesses, ich bin einbezogen, mitverantwortlich. Dies hilft gegen Resignation und Trauer. Auch die Erinnerung ans gemeinsame Arbeiten, die Hoffung auf eine bessere Welt für alle, kann mich stärken. Als „glückliche Alte“ kann ich mich jedoch nicht bezeichnen, zu viel in der Welt liegt im Argen. Ich versuche aber gegen Ohnmachts-Kultivierung anzukämpfen.

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Juni 2021

Frau des Monats Mai/Juni 2021

Feministische Theologinnen im Porträt: Vreni Schneider, Basel


Ich wurde 1938 in Bern geboren und bin dort aufgewachsen.
Ich bin Witwe, habe zwei Zwillingstöchter, Jg. 1962.
Ich habe eine Lebensgefährtin, die in Zürich wohnt und im Herbst 2021 pensioniert wird.
Ich bin seit Ende Februar 2000 pensioniert und lebe weiterhin in meiner Wohnung in Basel.

Beruflich gab es für mich zwei Phasen: Ich war 1 Jahr stellvertretende und 12 Jahre gewählte Pfarrerin in Moutier.

Anschliessend war ich in der KEM (Kooperation Evangelischer Kirchen und Missionen, Basel) verantwortlich für die Beziehungen zum südlichen Afrika und jene mit der CEVAA (Communauté Evangélique d’Action Apostolique).

Ich habe neben der Pflege von Beziehungen mit den Partnerkirchen, Weitergabe von Informationen, Interventionen in Kirchgemeinden, die Bildungsarbeit ausgebaut und einen Jugendaustausch aufgebaut.

Ich war Sekretärin der gemeinsamen Arbeitsgruppe von Département Missionaire, KEM und HEKS für das südliche Afrika und habe Material und Informationen beschafft für Engagierte und Kirchgemeinden. Im Auftrag des Kirchenbundes habe ich die Informationsschrift «Blickpunkt» samt Fürbittematerial auf Deutsch und Französisch für Kirchgemeindegruppen verfasst und versandt.

Während einiger Jahre habe ich bei Radio DRS für einige Wochen das Wort zum Tag gemacht. Ich war auch für drei bis vier Jahre im Team der RadiopredigerInnen.

Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Ich habe im Herbst 1956 in Bern Matur gemacht. Seit meiner Progymnasiumszeit wusste ich, dass ich Theologie studieren wollte. Meine Eltern waren dagegen und haben deshalb, um mich daran zu hindern, von mir verlangt, im Gymnasium als vierte Sprache nicht Griechisch sondern Italienisch zu lernen. Ich habe dann als Freifach Hebräisch gewählt und Griechisch nebenher an der Universität Bern belegt.

Ich habe mit Frau Dr. Dora Scheuner Kontakt bekommen und festgestellt, was es bedeutete, als Frau eine ausgezeichnete Theologin zu sein. An der Universität lehrte sie Hebräisch und hauptberuflich war sie als Religionslehrerin an der Mädchensekundarschule in der Stadt Bern angestellt. Als der Professor für Altes Testament ein Freisemester hatte, gab sie an seiner Stelle die Vorlesungen. Ich habe dabei festgestellt, dass sie es hervorragend und auch auf andere Art machte. Sie selber hätte dies noch nicht feministische Theologie genannt. Ich habe sie ein Quartal lang in der Mädchensekundarschule vertreten, als sie im Spital war. Zwanzig Wochenstunden Religionsunterricht für Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren ist eine harte Aufgabe.

Meine Begegnung mit der feministischen Theologie begann mit einem Vortrag einer holländischen Theologin in Bern. Schon während meiner Zeit am Gymnasium habe ich mich intensiv mit der Nazigeschichte beschäftigt. Ich habe politische Bücher gelesen und alles, was damals von Bonhöffer publiziert war. Zudem haben mich alle Bücher von Dorothee Sölle geprägt.

Ich habe während der Semesterferien in einem Hotel gearbeitet und dort die sagenhafte Theologin Marie Speiser aus Basel getroffen, deren Zimmer ich putzte. Von ihr hatte ich schon vieles gehört, vor allem, dass sie den Kollegen sagte, «wie und wo der Wind bläst». Frühere Kolleginnen haben noch nicht von feministischer Theologie geredet, aber sie als Frauen haben uns geprägt.

An der Universität erwarteten die Professoren mehr von der Studentin als von ihren Kollegen. Ein Professor lud jeweils in der praktischen Theologie einen Gastredner ein. Einer von ihnen vermied es, mich, die einzige Frau, zu bemerken. Er sagte jedes Mal bei der Anrede «Meine Herren». Die Reaktion unseres Professors war jedes Mal «…und Dame». Das bewirkte nichts. Ich wurde zum ersten Mal echt wütend.

Ich habe mich schon im Studium für Theologie aus Afrika und Asien interessiert und entsprechende Literatur gekauft und dabei kontextuelle und feministische Theologie entdeckt.

Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Ich habe einen Pfarrer im Jura geheiratet. Da ich vorerst kein eigenes Pfarramt hatte, habe ich ökumenische Bibelarbeit angeboten. Sie wurde von KatholikInnen fleissig besucht. Die ProtestantInnen kamen nicht. Ihnen genügte die Bibel im Büchergestell. Die KatholikInnen waren begeistert. Sie entdeckten etwas völlig Neues, da sie sich noch nie mit der ganzen Bibel auseinandergesetzt hatten. Sie kannten nur die sonntäglichen Lesungen, ohne Zusammenhang. Das war auch für mich echt spannend.

Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein? Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Ich las viel und dies ging direkt in meine Arbeit, mein Denken und Studieren ein. Simone de Beauvoir war dabei, genauso wie die Amerikanerin Kate Millet oder die Mailänderinnen. Feministische Theologie entstand für mich, je mehr mein Denken feministisch wurde, je mehr ich als Person feministisch wurde. Dazu brauchte es das ganze Spektrum des Denkens und des Lebens.

Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?

Ich wurde von der theologischen Fakultät Bern eingeladen, während eines Semesters eine Vorlesung zu halten. Da konnte ich Ansätze, die ich in der feministischen theologischen Literatur gefunden hatte, brauchen. Aber ich konnte auch meine eigenen Erkenntnisse einbringen. Das machte viel Arbeit aber auch viel Vergnügen.

Besonders als ich mich getraute, zu sagen, ich möchte von der dritten Vorlesung an nur mit den Frauen weiterarbeiten. Ich bin heute noch mit zwei Theologinnen, die an der Universität Fribourg studierten, verbunden. Sie waren nach Bern gereist. Von ihnen habe ich später viel gelernt über die Kirche, die die Frauen nicht will; über die Priesterinnen, die an ihre Berufung glauben und nicht gewollt sind.

Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Bei uns Protestantinnen sind es die «Ewiggestrigen», die noch immer der Männerherrschaft nachtrauern. Die katholischen Kolleginnen aber leiden an der Ablehnung ihrer Berufung. Sie können nicht leben, was sie sind. Solange in Kirche und Gesellschaft Frauen nicht all ihre Begabungen einbringen können, fehlen sie an entscheidenden Orten und mit entscheidenden Beiträgen zur Gesamtgesellschaft. Man merkt es am besten dort, wo eine Frau doch eine Aufgabe, ein Amt, eine Stelle einnimmt, die «ausserordentlich» ist.

Ich staune immer wieder, wie eine Frau Merkel sich politisch einbringt. Ich bin nicht politisch «rechts», ich vertrete andere Ansätze und Inhalte. Aber ich staune, wie sie das Regieren versteht, wie sie die Stiere an den Hörnern packt, Konsequenzen aufzeigt, unmöglichen Kollegen ihr Missfallen durchgibt und ihre Person einsetzt, um etwas zu ändern.

So meine ich, müsste der Anteil der Frauen in Politik, Wirtschaft und Kirche sein: anders als gewöhnlich, aufmerksamer in Bezug auf die Wirkung für die Menschen, wacher für Schieflagen,  mutiger in schwierigen Situationen, mit offenen Augen für jene, denen es schlecht geht.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Ich lese Zeitung. Ich verfolge das politische Geschehen. Ich habe eine gewisse Distanz zu meiner Kirche. Ich stimme und wähle grundsätzlich immer. Ich diskutiere mit Frauen, die ich schätze. Das heisst: ich lebe in der Gegenwart und vermeide Nostalgie.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Mai 2021

Frau der Monate Maerz/April 2021

Feministische Theologinnen im Porträt: Susanne Andrea Birke


Susanne Andrea Birke, *1968 in Ulm (D), seit 1991 in der Schweiz, arbeitet als Theologin* mit dem Bereich Frauen* und Gender, sowie Regenbogenpastoral für Bildung und Propstei (Römisch-Katholische Kirche im Aargau) und in der Steuergruppe der Allianz Gleichwürdig Katholisch, unbezahlt u.a.: Coleitung des Embracing Womyn’s committee und Mitglied im theological committe des Global Network of Rainbow Catholics. Ausserdem mit Leib und Seele QiGong/Shibashi-Lehrerin und Atemtherapeutin.

 

  1. Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie fliesst feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Vor über 30 Jahren war es die feministische Theologie, die mich nach Fribourg in die Schweiz brachte, und sie war es, die mich dort hielt. Wenn auch mein Verhältnis zu ihr kein ungetrübtes ist. Ich rieb und reibe mich bis heute an ihr, was den Umgang mit sexueller Ausbeutung durch Frauen angeht. Gleichzeitig habe ich ihr so viel zu verdanken. So arbeite ich jetzt schon länger an einer Stelle, die geschaffen wurde, weil die FrauenKirchenBewegung sich dafür einsetzte. Feministische Theologie war und ist die wichtigste Grundlage und Inspirationsquelle hier, ob Barfusstheologie oder universitär. So manches hat sich seither bewegt: interreligiöser Austausch und queerfeministische Ansätze gewannen an Gewicht und innerhalb der römisch-katholischen Kirche wurde die globale Vernetzung von Frauen*/LGBTIQ+ stärker. Feministische Theologie gemeinsam weiter zu entwickeln macht die Arbeit auch 2021 nach wie vor spannend.

2. Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?

Für mich ist das kein Gegensatz. Ich erlebe in meiner Arbeit bei der Landeskirche, ebenso wie in meinen verschiedenen (kirchen)politischen Engagements, dass es dringend nötig ist, dem Antigenderismus und damit verbundenen Vorurteilen etwas entgegen zu setzen. Im Namen dieses Feindbilds, das v.a. im kurialen Thinktank des Vatikans geschaffen wurde, werden Frauen* und/oder sexuelle und geschlechtliche Minderheiten angegriffen, gar verfolgt wie z.B. der Blick nach Polen zeigt.

3. Gibt es Reaktionen aus der Gemeinde, aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?

Es gibt eine grosse Bandbreite von Reaktionen: von anonymen Briefen und Mails und der x.ten Googlebombe, die ich diese Woche fand, bis hin zu grosser Wertschätzung und tollen Kooperationen. Wie bei anderen kirchlichen Frauenstellen gab es auch im Aargau immer wieder Diskussionen, ob es diese Arbeit noch braucht. Demgegenüber stehen kirchenferne und kirchennahe Menschen, die genau das innerhalb der römisch-katholischen Kirche wichtig und nötig finden. Die Zusammenarbeit von kirchlichen und säkularen Feministinnen* ist bereichernd. Auch der Hunger nach feministisch-theologischen Perspektiven begegnet mir bis heute, obwohl diese glücklicherweise nun viel breiter Fuss gefasst haben.

4. Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘‘ oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?

Als Römisch-Katholikin* bringt mich die Frage nach der erreichten Gleichstellung doch eher zum Schmunzeln. Von Menschen, mit Distanz zur RKK werde ich oft gefragt, wie ich bei einer Kirche arbeiten könnte, deren Leitung in weiten Teilen Frauen* bis heute nicht als gleichwürdiges und gleichberechtigtes Gegenüber akzeptieren kann. Ganz zu schweigen von lehramtlichen Positionen zum Wesen der Frau, zu LGBTIQ+, den endlosen Skandalen um sexuelle Übergriffe… Es braucht dezidiert feministische Arbeit. Aber es braucht auch mehr als das, denn dieser Ausschluss trifft nicht nur Frauen*. Gleichstellung sollte alle einbeziehen.

5. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?

Ich hoffe sehr, dass wir dieses Jahr das 25. ökumenische FrauenKirchenFest im Aargau feiern können. Letzten Oktober begingen die ökumenischen Frauengottesdienste in Aarau ihr 30jähriges und auch frauenaargau ist 30 geworden. Die Feiern vor der Kirchentür mit Maria von Magdala – Gleichberechtigung. Punkt. Amen. sind ein Nachfolgeprojekt des Frauen*streikes. Es wird von der ganzen Fachstelle Bildung und Propstei getragen und viele Menschen aus Aargauer Pfarreien wirk(t)en dabei mit. Über den Aargau hinaus gehen die #JuniaInitiative, das universelle Gebet zur nächsten Pride in Zürich oder die Allianz Gleichwürdig Katholisch. Noch weiter hinaus geht es mit dem Europäischen Forum christlicher LGBT-Gruppen, dessen Jahrestreffen 2022 in der Paulusakademie stattfinden wird. Noch einmal weiter ausgespannt ist das Global Network of Rainbow Catholics, wo u.a. die Statuen überarbeitet wurden, damit die Minderheiten innerhalb des Netzwerkes gestärkt werden. Neben der Basisarbeit sind da ausserdem die AG Geschlechterfragen im Bistum Basel oder der AK Regenbogenpastoral. Bei all dem bin ich froh mit Shibashi/QiGong, Atemarbeit und Jin Shin Jyutsu die Erdung halten und die leib-seelische Verbundenheit pflegen zu können, auch wenn das gemeinsam im Moment nur online geht.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, März 2021

 

 

 

 

 

 

 

 

Frau der Monate Januar/Februar 2021

Feministische Theologinnen im Porträt: Elisabeth Miescher, Dr. theol. seit 2004

Elisabeth Miescher

Das feministische Denken hat in meiner Kindheit begonnen. Ich war vier, als mein Bruder nach drei Mädchen geboren wurde. Die ganze Verwandtschaft jubelte: endlich ein Bub. Ich dachte, ich bin nur ein Mädchen. Ich höre diese Botschaft bis heute – sie hat mich tief geprägt. Meine ältere Schwester kann sich nicht daran erinnern. Als sieben jährige habe ich meinen Vater ins Wahllokal begleitet. Ich fragte ihn, warum geht Mama nicht mitkommt. Sie darf nicht stimmen. Sie bezahlt auch keine Steuern. Mama war auch nicht interessiert. Einige Tage später war ich bei meiner Patin, Mamas beste Freundin. sie war Fürsorgerin in der PUK. Ich fragt sie: bezahlst du Steuern? Ja, wer verdient, muss Steuern bezahlen. Dann darfst du auch stimmen? Nein, das dürfen nur Männer. Ich war empört und sagte, wenn ich gross bin, kämpfe ich dafür, dass du stimmen kannst und ich auch. Sie hat das Stimmrecht nicht mehr erlebt. Sie starb 1963. Vier Jahre zuvor, 1959, haben wir uns noch geärgert. Immerhin bekamen wir bald das kantonale Stimm- und Wahlrecht.

Die feministische Theologie kam etwas später in mein Leben: zuerst durch den Münsterpfarrer Werner Reiser, mit dem ich von 1970 theologische Kurse für Laien leitete. Er lehrte mich viele Bibelstellen, in denen Gott weder Mann noch Frau ist oder sogenannte weibliche Eigenschaften hat. In meiner Arbeit als Studienleiterin auf dem Leuenberg hat mir dieser Zugang geholfen, unsern Präsidenten Fred Kunz zu überzeugen, an einem Jubiläum einen feministischen Abendmahlsgottesdienst zu feiern, zu dem ich die Liturgie verfasste.

Reinhild Traitler von Boldern lud mich ein, mit ihr Ausbildungskurse in feministischer Theologie durchzuführen. Später arbeitete ich mit Pfrn. Ruth Best zusammen. Wir freuten uns, wenn wir eine noch kaum bekannte Frau in der Bibel entdeckten.

Als Ruth Epting den Ehrendoktor der theologischen Fakultät erhielt, gründete sie 1988 den Verein Projekt Frauentheologie. Es gelang uns bald, Veranstaltungen zur feministischen Theologie im Theologischen Seminar zu organisieren, auf die viele gewartet hatten. Ich war viele Jahre Präsidentin dieses Vereins. Besonders beeindruckt haben mich die Veranstaltungen mit Dorothee Sölle. Und die langen Abende mit ihr während ihrer Gastprofessur in Basel.

Der Leuenberg bot mir zweimal die Möglichkeit zu ein einem Studienurlaub in den USA. Ich arbeitete mit drei feministischen Theologinnen zusammen: Phyllis Bird (Frauen im AT), Ruth Duck (Feministische Gottesdienste, Weibliche Spiritualität), Rosemary Radford Ruether (Dogmatik). Nach meiner Pensionierung 1997 verbrachte ich ein Jahr im Garett Seminary in Evanston bei Chicago und schloss mit einem Master in Theologie ab.

Aufgrund dieses Abschlusses erhielt ich von der Basler Kirche die Erlaubnis alle Gottesdienste durchzuführen, um die ich gebeten wurde. Fast 20 Jahre konnte ich in Riehen und im Zwinglihaus diesen Dienst tun. Eine schöne Aufgabe.

Das Interview führt Esther Fischer Gisler, Januar 2021

Frau der Monate November/Dezember 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Miriam Schneider, Doktorandin, Beauftragte für interreligiöse Fragestellungen der Fachstelle Bildung der Christkatholischen Kirche der Schweiz*

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie fliesst feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?
Ich arbeite als Beauftragte für interreligiöse Fragestellungen bei der Fachstelle Bildung der Christkatholischen Kirche der Schweiz und doktoriere an der Vrije Universiteit Amsterdam im Bereich Dynamiken interreligiöser Begegnungen aus christlich-theologischer Perspektive. Mein Fokus liegt also in mehrfacher Hinsicht im Bereich des interreligiösen Dialogs. Zwar ist feministische Theologie nicht mein Kernthema, trotzdem liegt mir viel am feministischen Gedankengut. Feministische Fragen spielen auch im interreligiösen Dialog eine wichtige Rolle. Mir ist wichtig, dass alle Stimmen – auch die von Frauen – gehört werden. Ausserdem achte ich darauf, dass verschiedenen Gruppierungen oder Interessen – auch die von Frauen – vertreten sind.

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Ich finde es gar nicht so einfach, die beiden Zugänge klar voneinander zu trennen. Ich bin sicherlich gendersensibel; manchmal eher beobachtend und beschreibend und manchmal ergibt sich die Möglichkeit eine konkrete Ungleichbehandlung von Frauen anzusprechen.

Gibt es Reaktionen aus der Gemeinde, aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?
Mit meinem interreligiösen Schwerpunkt bewege ich mich strukturell gesehen sowohl kirchlich, wie auch akademisch am Rand und erhalte wenig Aufmerksamkeit. Zwar wird öfters betont, wie wichtig diese Arbeit sei, was aber bspw. bei Budgetplanungen oder der Verbesserung von Arbeitsbedingungen kaum zum Ausdruck kommt. Es sind Einzelpersonen, die meine Arbeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen und darin auch eine Relevanz erkennen.
Ich nehme aber wahr, dass die feministisch-theologischen Frauen, die im Bereich interreligiöser Dialog in der Schweiz relativ gut vernetzt sind. So freut es mich bspw. immer wieder mit Dr. theol. Doris Strahm in Kontakt zu sein und das mich offenbar die IG feministischer-theologinnen im Blick behalten hat.

Braucht es in den Kirchen noch «Frauenförderung» oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
In der Christkatholischen Kirche der Schweiz sind Frauen seit gut 20 Jahren zu den geweihten Ämtern – Diakonin, Priesterin, Bischöfin – zugelassen. Mit diesem Entscheid hat die Kirche einen grossen und wichtigen Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter unternommen.
Die Förderung der Gleichstellung ist dennoch notwendig, ich denke da an die Gleichbehandlung von Geistlichen und Laien unter den Mitarbeitenden. Z.B. werden bei Traktandenlisten und Protokollen die kirchlichen Titel meiner Kolleg*innen immer erwähnt. Mein akademischer Titel hingegen wird regelmässig vergessen, obwohl ich immer wieder darauf hinweise. Damit wird meine Expertise unsichtbar gemacht. Hier würde ich mir mehr Sensibilität wünschen.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Derzeit beschäftigt mich mit dem Sichtbarmachen interreligiöser Aktivitäten innerhalb der Christkatholischen Kirchen und der Frage, wie interreligiöse Aktivisten*innen in ihrem Engagement unterstütz werden können. Dazu bereite ich einen interreligiösen Netzwerktag für Christkatholik*innen vor, der im Frühling stattfinden soll. Sichtbarkeit und Empowerment sind hier die Stichworte.

* Zur Person: Nach meinem Abschluss im Fach Interreligiöse Studien mit Nebenfach Theologie an der Universität Bern, war ich ein Jahr lang Geschäftsführerin der IG feministischer Theologinnen der Schweiz und Liechtenstein und anschliessend für einige Jahre als Assistentin am Institut für Christkatholische Theologie, an der Theologischen Fakultät der Universität Bern tätig. Heute bin ich Doktorandin an der Freien Universität Amsterdam und forsche im Bereich von Interreligiösen Fragestellungen aus altkatholisch-theologischer Perspektive. Ausserdem arbeite ich als Beauftragte für interreligiöse Fragestellungen der Fachstelle Bildung der Christkatholischen Kirche der Schweiz, wo ich die Kirche nach innen bei interreligiösen Themen berate und nach aussen bei bestimmten Projekten oder in Arbeitsgruppen repräsentiere, so z.B. bei der Broschüre «Gegenüber ist immer ein Mensch. Interreligiöse Erklärung zu Flüchtlingsfragen», die der Schweizerische Rat der Religionen 2018 veröffentlicht hat. Daneben publiziere ich regelmässig meine Forschung Fachzeitschriften, wie auch für ein breiteres Publikum. Ich bin 37 Jahre alt und Laientheologin.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Oktober 2020

Frau der Monate September/Oktober 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Gabriela Allemann, Präsidentin Evangelische Frauen Schweiz EFS*


Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie fliesst feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?
Mein Denken und Handeln im beruflichen wie auch privaten Leben sind von feministischen Grundannahmen getragen.
Feministische Theologie ist der Boden meiner beruflichen Tätigkeit, im Pfarramt manchmal nicht ganz so explizit, aber in allen Bereichen – Unterricht, Seelsorge und liturgisches Handeln – präsent für mich und spürbar für die Adressatinnen.
In meiner jetzigen Tätigkeit als Präsidentin der Evangelischen Frauen ist sie der Bezugsrahmen für die Anliegen der Frauen in Kirche und Gesellschaft.

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Sowohl als auch! Das eine darf nicht gegen das andere ausgespielt werden, denn es braucht beides: die gründliche Analyse und Bestandesaufnahme der Zustände sowie darauf aufbauend die Aktion – und dann erneut die Reflexion und Analyse!

Gibt es Reaktionen aus der Gemeinde, aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?
Von verschiedenen Seiten gab und gibt es immer wieder Reaktionen.
Sie reichen in der Pfarramtszeit von Unverständnis («das braucht es nun doch nicht mehr, die Frauen sind jetzt genug gleichgestellt…») über Erstaunen («Gott als Mutter ansprechen – das habe ich noch gar nie überlegt…») zu Anerkennung («ich bin froh, dass wir endlich anders und neu über die Bibel und Glaube sprechen können…»).
Seit ich für die EFS im Amt bin, erhalte ich viele ermutigende Rückmeldungen und auch die Bestätigung, wie wichtig es ist, sich nach wie vor mit dem Fokus Geschlechtergerechtigkeit zu engagieren, in Kirche und Gesellschaft.
Mein privates Umfeld hat mit mir zusammen gelernt, wie ernüchternd, dann aber befreiend und ermutigend der feministische Blick auf Bibel, Kirche und Gesellschaft sein kann.

Braucht es in den Kirchen noch «Frauenförderung» oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Solange es noch immer heisst «sie wurde als erste Frau in dieses oder jenes Amt gewählt», braucht es Frauenförderung! Es ist noch nicht lange Normalität, dass Frauen rechtlich gleichgestellt sind, bis zur faktischen, tatsächlichen Gleichstellung im Alltag braucht es noch langen Atem und tatkräftiges Engagement.
Frauenförderung ist vielfältig, sie beinhaltet auch Diskussionen über Strukturen, welche Frauen benachteiligen. Sie bedeutet eine grundsätzliche Veränderung der Systeme, hin zu mehr Vielfalt.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Im täglichen Wirken für die Evangelischen Frauen Schweiz und im Zusammensein mit meinen Töchtern.

* Zur Person: Gabriela Allemann, Jg 78, ist Pfarrerin, Mutter und seit Juni 2019 Präsidentin Evangelische Frauen Schweiz EFS.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, August 2020

Frau der Monate Juli/August 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Regula Grünenfelder, Dr. theol., Feministische Theologin, Leiterin Fachstelle Feministische Theologie der FrauenKirche Zentralschweiz*

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie fliesst feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?
Feminismus ist der radikale Begriff für gleiche Rechte und gleiche Würde aller Menschen («Feminism ist he radical notion that women are people», Marie Shear Meiselman, 1986). Oder schon ein wenig älter, Gal 3,28 (in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache): «Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig Messias Jesus.» Und noch weiter zurück in jüdisch-christlicher Genealogie: Alle sind gemeinsam Ebenbilder Gottes.
Das ist alles: Grundhaltung, Begehren, alltäglich und beruflich. Seit einigen Jahren bin ich zwischen den Institutionen unterwegs und forsche mit an den Herausforderungen einer nachkirchlichen Kirche und christlichen Theologie. Hubertus Halbfas bringt diese Notwendigkeit auf den Punkt. Es braucht auch in nachkirchlicher Zeit «Orte, die dazu herausfordern, den Alltag zu übersteigen, die Gemeinschaft zu suchen, die Feier zu achten und die Geschichte wie das eigene Leben zu bedenken.» (Die Zukunft unserer Kirchengebäude. Problemlage und Lösungswege, Patmos 2019). Mich interessiert, wie das geht. Und zwar nicht theoretisch und am grünen Tisch, sondern im gemeinsamen Tun dort, wo es nötig ist. Wir kreieren Labors, machen Erfahrungen und reflektieren sie, lernen daraus, gehen nächste Schritte, feiern und denken nach – als Schülerin von Elisabeth Schüssler Fiorenza bin ich leidenschaftlich unterwegs im «Tanz der Interpretation».

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder beschreibend (gender) unterwegs?
Anwaltschaftlich und forschend.

Gibt es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?
Ich erlebe viel positives Feedback und Dankbarkeit. Ich bedaure, dass manchmal schwer zu vermitteln ist, wozu wir unterwegs sind. Nachkirchlich christliche Tradition offen halten für Sinnfindung und Orientierung im Engagement – wie ich es im Dialog beispielsweise mit Frauen*streikenden und Klimastreikenden erlebe – ist in innerkirchlichen Kategorien schwer zu vermitteln. Mein feministisches Arbeiten ist Nachdenken und Experimentieren auf vielen Ebenen, interdisziplinär oder integral. Elisabeth Schüssler Fiorenza hat mit ihrer politischen Rhetorik Möglichkeiten geschaffen, in der globalisierten Überkomplexität prägend zu wirken, Notwendiges zu denken und entsprechende Handlungsfelder zu öffnen, diese wiederum zu reflektieren. Das ist für mich heute notwendige Theologie und das finden Frauen* interessant, auch junge.

Braucht es in den Kirchen noch «Frauenförderung» oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Was für eine Frage! «Frauenförderung» im Sinne der Antwort 1 bedeutet, dass Frauen* das tun, was sie als notwendig erachten, ins Handeln bringen und miteinander reflektieren (können). Die #JuniaInitiative und das Catholic Women’s Council sind zwei Felder in der katholischen Kirche, wo dies passiert, in der Schweiz und global vernetzt. So gibt es eine inhaltliche und anwaltschaftliche Verbindung zwischen der Schweizer #JuniaInitiative zu Anne Soupa, die ebenso wie #Junia (www.juniainitiative.com) den Bischöfen und Priestern nichts wegnehmen will, aber von den Menschen mit ihren Nöten, Hoffnungen und Freude der Menschen ausgeht und für sie einsteht. Wir sind verbunden mit Sr. Mary John Mananzan, die seit Jahrzehnten für Mädchenbildung und sexuelle Integrität von Frauen auf den Philippinen einsteht und nun öffentlich als Terroristin gebrandmarkt wird. Ich bin aktuell sehr in/mit der katholischen Kirche beschäftigt, so dass ich zur ökumenischen Situation nur kurz sagen möchte: Christliche Feministinnen haben alle Hände voll zu tun, arbeiten am Gleichen in unseren verschiedenen Kontexten, oft leidenschaftlich gemeinsam in zukunftsorientierten Projekten wie der Frauen*synode «Wirtschaft ist Care» (www.frauensynode2020.ch). Es ist schön, wenn wir uns einmal einfach begegnen können. Dafür war das Motto des Frauen*streiks 2020 ein Segen: Fraulenzen und querstellen. Also, Pause machen und unser Engagement wirken lassen.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Für mich ist eher die Herausforderung, wie sie Gehirn bekommen. Jetzt ist Laborzeit, es gibt so viel zu fragen, zu experimentieren, zu besprechen, zu forschen. Ich sehne mich danach, mehr zu schreiben. Schreiben erlebe ich als Schöpfungsprozess. Aus Intuitionen und Erfahrungen entstehen Denkwege, die gemeinsam weiter gegangen werden können.
Zum Beispiel möchte ich über das spontane Zurückzucken schreiben, das Kirchenmenschen erleben, wenn jemand bemerkt, dass sie einen Kirchenmenschen vor sich haben. Dies ist eine Erfahrung, die viele kennen, ein ganz spezifisches Zurückzucken, ein Moment voller Irritation, gesättigt von allem, was Kirche mit Frauenfeindlichkeit, Kälte, Gewalt, Missbrauch, Ablehnung, Ausgrenzung zahllosen Menschen über Jahrhunderte kalkuliert und gedankenlos angetan hat. Das ist nicht die ganze Wahrheit, aber es ist ein wichtiger Teil der Wahrheit in der Kirche. Auf der Römer Anlaufstelle für Gewalt betroffene Frauen* habe ich die potenzierte Form dieses Zurückzuckens erlebt: Offener Ekel, bei aller Freundlichkeit im Kontakt. Daran gibt es keinen Weg vorbei. Es ist so etwas wie ein Anti-Sakrament, das Kirchen mit herumschleppen: Die Gewaltgeschichte wirkt. Wenn wir heute über Sakramente sprechen, dann müssen wir darüber sprechen. Sonst bleibt alles beim Alten und ist schnell vorbei.
Doch da gibt es Hoffnung: Heute haben wir beim feministischen Bibelteilen über Zoom eine wunderbare Erfahrung gemacht mit dem berühmten Bibeltext über die gegenseitige Erforschung der inneren und äusserlich erfahrenen Qualitäten: Jesus fragt, für wen halten mich die Leute und für wen haltet ihr mich, ihr Jüngerinnen und Jünger? Sie zählen Namen auf. Jesus nimmt die Bezeichnung «Messias» und verbindet dies mit einer besonderen Kompetenz: «Ich gebe dir die Schlüssel zur Welt Gottes. Was du auf der Erde bindest, soll im Himmel gebunden sein, was du auf der Erde löst, soll im Himmel gelöst sein.» (Mt 16,19). Simon bekommt den Namen Fels. Aus neuen Forschungen wissen wir übrigens, dass Maria mit «Magdala» wohl auch so einen neuen Namen bekommen hat – die Maria mit den Qualitäten von Weitblick und Sichtbarkeit wie ein Turm. Nicht nur Petrus bekommt die Schlüssel, sehen wir im Text, es ist diese messianische Qualität, Schlüssel zur Welt Gottes zu verteilen. Als feministische Theologin bin ich eine Schlüsselverteilerin zur Welt Gottes, die den Alltag übersteigt, aus Zwängen den Blick öffnet für Gottes Gegenwart in und mit uns. Wir sind die Schlüsselverschenker*innen und geben einander die Möglichkeit, gute Verbindungen zu sichern und Schädliches zu lösen. Wir sind in messianischer Autorität mit vielen Schlüsseln unterwegs, damit Frauen* einander Gottes Welt aufschliessen und unsere gemeinsame verletzliche Existenz auf dem blauen Planeten schöner, gerechter, menschlicher wird. Was für ein Glück.


* Zur Person: Regula Grünenfelder, Dr. theol., Feministische Theologin, Leiterin Fachstelle Feministische Theologie der FrauenKirche Zentralschweiz, Projektleiterin Frauen*synode 2021 «Wirtschaft ist Care», Mitautorin der «Gender»-, sowie der «Wirtschaft ist Care»-Broschüre. Engagiert in Projekten zwischen den Institutionen wie der Plattform Zivilgesellschaft in Asylbundeszentren (www.plattform-ziab.ch), der #JuniaInitiative, des Netzwerks für eine beseelte Landwirtschaft, Bio-Nahrung für alle und gutes Zusammenleben (www.luegjetzt.ch) u.a.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Juni 2020

 

 

Frau der Monate Mai/Juni 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Katharina Merian, Jg. 1990, VDM, Assistentin und Doktorandin an der Theologischen Fakultät der Universität Basel

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie fliesst feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?
Persönlich habe ich mich immer als Feministin verstanden und damit auch häufig mein Umfeld genervt: So wurde z.B. in meiner Gymnasialklasse irgendwann nicht mehr von Feminismus, sondern nur noch vom «F-Wort» gesprochen. Aufgrund dieser feministischen Selbstverständlichkeit habe ich aber über lange Zeit eine explizite Auseinandersetzung mit feministisch-theologischem Denken vernachlässigt. Wenn feministische Theologie, dann nur Dorothee Sölle. Dies änderte sich aber spätestens mit meiner Masterarbeit zum Thema Bibelhermeneutik: In diesem Zusammenhang bin ich auf die ghanaische Theologin Mercy Amba Oduyoye und den Circle of Concerned African Women Theologians gestossen. Das lebensnahe Denken dieser Frauen in und aus ihren kulturellen Kontexten heraus hat mich sehr beeindruckt. Mir ist dadurch bewusst geworden, wie unterschiedlich die Lebenswelten von Frauen sein können und wie wichtig es ist, auch bei vermeintlich neutralen Positionen das Nord-Süd-Gefälle, die kulturellen Hintergründe, die unterschiedlichen Geschlechterverhältnisse und Vorstellungen mit zu bedenken, was es bedeutet eine Frau zu sein und ein gutes Leben zu führen (z.B. in Bezug auf das Thema Mutterschaft). Seither bin ich sehr viel kontextsensibler geworden – gerade auch in Bezug auf Geschlechterfragen. Diese Kontextsensibilität ist mir sowohl in meiner Doktorarbeit als auch in der Lehre an der Uni wichtig geworden.

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder beschreibend (gender) unterwegs?
Wenn ich an mein Doktoratsprojekt denke, an dem ich seit 2018 arbeite und in dem ich versuche das Leben von Marielle Franco befreiungstheologisch fruchtbar zu machen, dann bin ich im Moment sicher stärker anwaltschaftlich unterwegs. Marielle Franco war eine schwarze, lesbische Frau und Mutter aus einer Favela von Rio de Janeiro, die sich viele Jahre sichtbar und politisch für Menschen- und Frauenrechte einsetzte. Sie wurde 2016 mit einem sensationellen Resultat in den Stadtrat von Rio de Janeiro gewählt und am 14. März 2018 – nach nur 15 Monaten im Amt und im Alter von gerade einmal 38 Jahren – ermordet. Dieser Versuch, diese Frau mit ihrer subversiven Biographie zum Schweigen zu bringen ist aber nur halb gelungen, weil Marielle seit ihrer Ermordung zu einem weltweiten Symbol für Widerstand gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und soziale Ungerechtigkeit geworden ist. Indem ich nun ihre Geschichte auch theologisch verarbeite, möchte ich dazu beitragen, dass man (und frau) sich auch in der westeuropäischen Theologie und in unseren Kirchen an Marielle und die Hoffnung, die sie verkörpert hat, erinnert.

Gibt es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?
Dass ich feministisch unterwegs bin, überrascht niemanden. Die stark anwaltschaftliche Dimension in meiner Doktorarbeit hat aber für einige Verwunderung und (zurecht) auch kritische Nachfragen gesorgt, weil damit ein bestimmtes (oft unhinterfragtes) Verständnis von wissenschaftlicher Objektivität zur Debatte steht.

Braucht es in den Kirchen noch «Frauenförderung» oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Es braucht sie noch. Mir ist es aber wichtig, dass «Frauenförderung» und Gleichstellung nicht auf die Frage von Frauen in Führungspositionen und Lohngleichheit reduziert werden. Ich finde es wichtig, dass wir uns immer wieder selbstkritisch fragen und auch darüber austauschen: Von welchen Frauen sprechen wir eigentlich? Von welcher (institutionellen) Ebene reden wir? Um welche Positionen geht es? Welche Frauen bringen wir mit unseren Stimmen, unseren Forderungen zum Schweigen? Wo und wie kommen wir an diese ungehörten Frauen heran? Gibt es Bereiche der Frauenförderung und der Gleichstellung, die wir bisher vielleicht übersehen oder die sich neu eröffnet haben? Usw.
Diese Debatten müssen aus meiner Sicht nicht nur generationen- und kulturübergreifend, sondern unbedingt auch geschlechterübergreifend geführt werden. Aus meiner Sicht ist es nicht Ziel eine einheitliche Meinung zu bilden, aber einen respektvollen und produktiven Umgang mit Differenzen zu finden.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Das kann ganz unterschiedlich aussehen – ich habe da keine feststehenden Prinzipien. Wichtig ist mir aber, mich immer wieder bittend um ein «hörendes Herz» (1 Kön 3,9) zu bemühen. Das ist für mich der beste, wenn auch nicht immer der bequemste Wegweiser, um zu wissen, was ich tun muss.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, April 2020

Frau der Monate März/April 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Noemi Honegger-Willauer, Spitalseelsorgerin in Meyriez-Murten und Doktorandin am Institut für Sozialethik an der Universität Luzern

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Für mich ist feministisches Denken eine Selbstverständlichkeit, weil die Gleichberechtigung von Frau und Mann eine Selbstverständlichkeit ist. Meine Eltern haben mir seit klein auf vermittelt, dass mir keine Grenzen gesetzt sind – nicht als Mädchen, nicht als Frau. Im Laufe des Erwachsenwerdens musste ich hin und wieder feststellen, dass es diese Grenzen doch gibt – nicht zuletzt innerhalb meiner Glaubensgemeinschaft. Das hat mich gelehrt, dass ich gemeinsam mit anderen Verbündeten einen für mich gangbaren Weg finden muss. Dasselbe gilt für die Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Tätigkeit, was gesellschaftlich keine Selbstverständlichkeit darstellt: Mein Mann und ich sind als Paar herausgefordert, für unsere Vision einzustehen und gemeinsam stimmige Lösungen zu suchen. Gerade weil ich gesellschaftlich und kirchlich immer wieder an Grenzen stosse, wünsche ich mir, dass feministisches Gedankengut mich wachsam sein lässt für Strukturen und Denkmuster – auch meine eigenen –, die die Entfaltung von Menschen verhindern.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Ich erlebe oft, dass nur die Tatsache, dass ich als junge Frau ein Krankenzimmer betrete und mich als Seelsorgerin vorstelle, einen Hauch von Feminismus ins Zimmer wehen lässt. Menschen zeigen Irritation und Faszination, weil ich ihre Vorstellungen von Kirchenvertretung kontrastiere. Dies bietet den Boden für gute Gespräche über Gott, das Leben, über Wünsche, Träume und Sehnsucht. In meinen Gesprächen mit Frauen und Männern, die nicht selten mehr als sechzig Jahre älter sind als ich, würdige ich ihre persönliche Lebensgeschichte. Gerade die Geschichten der betagten Frauen, die unermüdlich für Familie, Haus und Hof arbeiteten, gilt es wertzuschätzen! Sie dürfen stolz sein! Immer wieder begegnen auch ungewöhnliche Geschichten. Frauen, die weit gereist sind, die ein unabhängiges Leben geführt habe oder die die Hauptverdienerinnen in der Familie waren. Besonders wertvoll finde ich es, auf den reichen Schatz an biblischen Personen zurückzugreifen, die meist Genderstereotypen gerade nicht erfüllen. Ihre Geschichten geben Mut und Kraft! In meiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Wirtschaftsethikerin versuche ich herrschende ökonomische Deutungsmuster und Narrative zu durchbrechen und auf vernachlässigte Themen hinzuweisen. Dazu gehört zum Beispiel Care-Arbeit.

Wie beurteilst du das Verhältnis von ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ und wie haben diese beiden Konzepte einen Einfluss auf dein Theologietreiben?
Gender ist ein Analyseinstrument, um Gesellschaft, Politik und noch viel mehr zu analysieren. Es erlaubt, Muster, die über lange Zeit gewachsen sind und oft eine gewaltvolle Wirkung entfalten, zu erkennen und in einem weiteren Schritt zu durchbrechen. Feminismus geht ein lange tradiertes Muster aktiv an – nämlich feste Rollenbilder aufzuarbeiten und das Verhältnis zwischen Frau und Mann gleichberechtigt zu gestalten.

Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘ oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Das ist eine rein rhetorische Frage, oder?

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Indem ich mich selber mitbringe, in jedes Krankenzimmer, in jeden Hörsaal und damit immer wieder neu zeige, dass genau dort mein Platz als junge Frau und Theologin ist.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Februar 2020

Frau vom Januar-Februar 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Tina Bernhard-Bergmaier, Pfarrerin Gossau-Andwil, Vorstand IG Feministische Theologinnen


Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Feministisches Gedankengut prägt meinen Glauben und meine Haltung zum Leben. Deshalb fliesst es generell in meinen Alltag und damit auch in meine Arbeit ein. Es hilft mir, meine eigenen Vorstellungen und Verhaltensweisen sowie gesellschaftliche Themen zu reflektieren. Ich will die Herausforderung annehmen, mich (meinen) patriarchal geprägten Verhaltensmustern und Glaubensvorstellungen zu stellen und feministisches Gedankengut zu leben.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Die feministisch-theologische Grundhaltung fliesst einerseits indirekt in meine Arbeit ein, indem ich bewusst auf meine Sprache achte. Ich versuche nicht nur inklusiv zu formulieren, sondern auch – beispielsweise bei einem Taufgespräch oder im Konfunterricht – Fragen so zu stellen, dass sie nicht unhinterfragt geschlechterspezifische Stereotypen und entsprechende gesellschaftliche Erwartungen stützen. Wenn ich selbst mit Stereotypisierungen konfrontiert werde, versuche ich direkt darauf zu reagieren, oft mit Humor. Häufig entstehen daraus wertvolle Gespräche, die das gegenseitige Vertrauen stärken. In meiner Gottesdienstsprache schaue ich darauf, dass ich (von Gott) auch in weiblich konnotierten Bildern spreche und Frauen zitiere.
Direkte Auswirkungen hat meine feministisch-theologische Haltung auf meine Bibelhermeneutik. Ab und zu predige ich auch bewusst zu Bibeltexten oder biblischen Figuren, die wenig bekannt sind. Die Reaktionen auf die feministische Herangehensweise sind unterschiedlich. Manche sind irritiert über die – wie sie sagen – „moderne“ Auslegung, andere reagieren überrascht und manche sagen, ich hätte ihnen aus dem Herz geredet. Viele kommentieren sie nicht.

Wie beurteilst du das Verhältnis von ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ und wie haben diese beiden Konzepte einen Einfluss auf dein Theologietreiben?
Sie gehören zusammen. Der gendertheoretische Ansatz ist für mich ein Instrument, gesellschaftliche Themen, theologische Gedankengänge und Texte zu analysieren, um danach einen (neuen) Umgang damit zu finden, der meinen feministischen Überzeugungen entspricht.

Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘ oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Wie in der Gesellschaft gibt es auch in den Kirchen noch immer viele geschlechterabhängige Rollenverständnisse und Verhaltensmuster, die zu Ungleichheit führen. Wir sind alle aufgefordert, diese zu sehen, anzusprechen und Alternativen zu suchen.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Dadurch, dass ich sie versuche im Alltag, zuhause, im Beruf und bei ehrenamtlichem Engagement, zu leben.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Dezember 2019

Frau vom November-Dezember 2019

Feministische Theologinnen im Porträt: Elke Kreiselmeyer, Gemeindeleiterin Pfarrei St. Stephan/Therwil

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Die Frage scheint mir falsch gestellt. Ich beanspruche als Frau Freiheit und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Mir erscheint das völlig selbstverständlich, insofern bräuchte ich für mich alleine den Begriff «Feminismus» gar nicht. Aber wir brauchen ihn in einer patriarchalen und Frauen diskriminierenden römisch-katholischen Kirche und in einer Gesellschaft, in der zu viele Frauen und Männer noch immer definieren wollen, was Frausein und was Mannsein, was weiblich und was männlich sein soll. Weil ich für mich in dieser Freiheit denke und arbeite, fliesst da nichts ein, sondern alles ist so für mich.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Wenn ich bete, bete ich auch zur EWIGEN und nicht nur, aber auch mal zum HERRN. Mein schönstes feministisches Projekt ist das Kunstprojekt in der Stephanskirche in Therwil. Am Samstag, den 16. November 2019 um 16 Uhr geben wir in einer Vernissage acht Amtsträgerinnen der frühen Kirche der Öffentlichkeit zurück, nachdem sie jahrhundertelang von einer Männerkirche ignoriert bzw. bewusst verdrängt und in den Bibelübersetzungen auch verfälscht und unterdrückt worden waren. Die Apostelin Junia, die Diakonin Phoebe, die Missionarin Priska, die Gemeindeleiterin Lydia, die Christusbekennerin Martha, die Apostelin der Apostel Maria von Magdala, die namenlose Prophetin, die Jesus salbte und die Täuferin und Apostelin Thekla werden endlich wieder sichtbar sein. Corinne Güdemann hat dieses Kunstwerk für unsere Kirche geschaffen. Helen Schüngel-Straumann hat in unserer Kunstkommission mitgearbeitet, ihr Buch «Eva und die Folgen» war für mich als junge Studentin ein echtes Erweckungserlebnis. Selber denken, alles hinterfragen, nichts kritiklos hinnehmen, das habe ich auch durch sie gelernt und für mich ganz neue Wege gefunden, die ich anderen heute – gerade in meiner Bildungsarbeit – noch so gerne weiterschenke.

Wie beurteilst du das Verhältnis von ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ und wie haben diese beiden Konzepte einen Einfluss auf dein Theologietreiben?
Ich weiss zu wenig über die Genderthematik. Aber wer weiss, vielleicht steht mir ja die Entdeckung noch bevor.

Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘ oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Darf ich mal ganz laut lachen? In der römisch-katholischen Kirche ist noch ist nichts so weit weg von der Realität wie die Gleichstellung der Frauen …

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Jeden Tag durch mich. Ich atme und ich lebe und ich bin.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Oktober 2019

Frau vom September-Oktober 2019

Feministische Theologinnen im Porträt: Evelyne Zinsstag

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Feministische Theologie ist Teil meiner Hermeneutik der Frohen Botschaft, wie sie mir in der Bibel begegnet und ich sie als Pfarrerin für die Gemeinde auslege. Sie hat meinen Blick geschärft für die Verstrickungen der Einzelnen in menschlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Strukturen. Diese versuche ich im (Berufs)Alltag im Blick zu haben, und die innere Logik und Sinnhaftigkeit in scheinbaren Widersprüchen wahrzunehmen und anzuerkennen. Das gelingt natürlich nicht immer, doch hält mich diese Perspektive offen für überraschende Einsichten und Zugänge zur Vielfalt menschlichen Lebens – und Gottes Wirken darin.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Sie fliesst implizit ein in meine Haltung gegenüber den Menschen in der Gemeinde und expliziter in meine Auslegung der Bibel in der Predigt und an Bibelabenden. Ich mache etwa mein persönliches Erleben mit biblischen Texten sichtbar, um die ZuhörerInnen zum eigenen Umgang mit dem Bibeltext zu ermutigen. Auf solche Predigten erhalte ich häufig Reaktionen, die mich in dieser Herangehensweise bestätigen. Wenn mir zum Beispiel nach dem Gottesdienst eine widerspricht und mir ihre eigene Sicht des ausgelegten Textes erzählt. Oder mir einer sagt, ich hätte ihm aus dem Herzen gesprochen.

Wie beurteilst du das Verhältnis von ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ und wie haben diese beiden Konzepte einen Einfluss auf dein Theologietreiben?
Mithilfe von Gender-Analysen von Texten, Situationen, Gedanken, komme ich zu feministischen und feministisch-theologischen Überlegungen. Mit feministischen Haltungen und Interventionen komme ich mal zu guten (Streit)Gesprächen, mal zu neuen Einsichten, mal zu tatsächlichen Aufbrüchen.

Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘ oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Es braucht in den Kirchen weiterhin ein Engagement für die Aufhebung von festgefahrenen Geschlechterordnungen und Machtstrukturen. Diese Arbeit sieht in jeder Kirche anders aus, doch bleibt sie in jeder Kirche notwendig. Die Gleichstellung der Geschlechter ist noch lange nicht erreicht.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Durch Engagement und Teilnahme in diversen Netzwerken und Vereinen, und durch tägliches Üben, Scheitern und Leben.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, August 2019

Frau vom Juli-August 2019

Feministische Theologinnen im Porträt: Monika Hungerbühler, kath. Theologin/Offene Kirche Elisabethen Basel

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Seit meinem Studium bin ich verbunden mit der feministischen Theologie und lerne jeden Tag Neues dazu. Es begann mit meiner Freundin Doris Strahm, die mich wachgerüttelt und meinen Blick geschärft hat und dann mit meinem allerersten feministisch-theologischen Buch von Elisabeth Moltmann-Wendel „Ein eigener Mensch werden“, das ich 1981 gekauft habe. Unterdessen sind zu diesem einen Buch ein ganzes Büchergestell dazu gekommen.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Feministische Theologie durchdringt mein ganzes Leben – privat und beruflich. Als Leiterin der Offenen Kirche Elisabethen fliesst sie in die Leitung der Flüchtlingsprojekte, in Seelsorgegespräche, in explizit feministisch-theologische und auch andere Feiern ein. Mein reformierter Kollege in der Leitung der Kirche hat mich als Feministin kennen- und schätzen gelernt. Inzwischen weiss man und frau, dass Feministisch-Theologisches bei uns zu hören ist. Wir haben zum Beispiel seit dem Jahr 2000 die ökumenischen Frauenfeiern, d.h. acht Feiern pro Jahr: die KerzenLichtfeier an Maria Lichtmess, die Walpurgisnacht, die Kräuterfeier an Maria Himmelfahrt und die Ahninnenfeier an Allerheiligen sowie vier Agapefeiern „FeierAbendMahl“ jeweils am Freitag Abend (siehe www.offenekirche.ch)

Wie beurteilst du das Verhältnis von ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ und wie haben diese beiden Konzepte einen Einfluss auf dein Theologietreiben?
Ich bezeichne mich als feministische Theologin, bin aber froh um die immer tiefer greifende Genderdebatte und um den Lehrstuhl in Basel für Genderstudies, wo Frauen und Männer studieren. Ein Lehrstuhl für Feminismus würde wohl die Männer abschrecken, vielleicht auch manche Frauen. Der Genderbegriff macht deutlich, dass es um alle Geschlechter geht, um die ganze Welt. Er ist ein wichtiges Arbeitsinstrument, auch in meinem theologischen Alltag, wo mir z.B. immer wieder bewusst wird, wer wann im Gender-doing verhaftet ist – ich auch.

Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘ oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Die überwältigende Teilnahme am Frauenstreik sowie der Frauen*KirchenStreik haben gezeigt, dass Vieles erreicht und noch sehr viel zu tun ist. In den christkatholischen und evangelisch-reformierten Kirchen ist sehr viel umgesetzt an Frauengleichstellung und Frauenförderung, in meiner Kirche gibt es wichtige Ansätze und im Bistum Basel hat es viele Frauen in Leitungspositionen. Jedoch die strukturelle Frage der Unsichtbarkeit der Frau und den Ausschluss der Frau von sämtlichen Ämtern nur auf Grund des Geschlechts ist nach wie vor ungelöst und ein Skandal.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Ich versuche mich zu verbünden, wo es geht: in der IG fem. Theologinnen, in der Gruppe „Wir haben es satt!“ / „Für eine Kirche umfassender Gleichwertigkeit“, bei ökumenischen und interreligiösen Projekten. Ich bleibe dran.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Juni 2019

Frau vom Mai-Juni 2019

Feministische Theologinnen im Porträt: Heidi Zingg Knöpfli, Studienleiterin bei Mission 21

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Ich arbeite als Studienleiterin bei Mission 21 und das feministische Gedankengut begleitet mich tagtäglich bei meiner Arbeit, sei es in den Kursen mit Jugendlichen, mit Seniorinnen und Senioren oder Frauen- und Männergruppen, aber auch im Büroalltag. Gut ist, dass Mission 21, das evangelische Missionswerk in Basel, in ihren Grundlagen sich die spezielle Förderung von Frauen und Mädchen zum Ziel gesetzt hat und versucht, diese in ihren Programmen – zusammen mit ihren über 70 Partnerinnen-Organisationen in 20 Ländern umzusetzen. Die Basis – u.a. mit einer expliziten Gender-Policy – ist also gelegt – und das hilft mir bei meiner Arbeit.
Zudem arbeite ich als Prädikantin der Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Prädikantinnen und Prädikanten leiten im Auftrag der Landeskirche Gottesdienste, wenn die Ortspfarrerin/der Ortspfarrer abwesend ist. In diese Arbeit fliesst mein feministisches Gedankengut sehr stark ein: Anrede des DU, Auswahl der Bibeltexte, Predigten, Gebete, Lieder, Ansprechen der Anwesenden. Es gibt noch viele unbekannte Frauen in der Bibel, Persönlichkeiten, die für uns alle ein Vorbild sein können, so wir sie denn aus ihrem Schattendasein holen.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Feministische Theologie ist eine Haltung, ein Ernstnehmen des Gegenübers, auch ein Ernstnehmen von mir selber. Es geht nicht anders, als dass ich als Frau spreche, auch als Frau gemeint sein will (nicht mitgemeint). Ich frage auch Frauen an, ob es ihnen ernst sei, wenn sie von sich als Coiffeur, als Kunde, als Partner sprechen und ebenso Männer, die ausschliesslich eine männliche Sprache benützen.
Es geht mir aber nicht nur um die Sprache, sondern auch um die Wertvorstellung, um das gesellschaftliche Gefüge und die Seilschaften, um politische Haltungen und Forderungen. Hat ein Mann seine Familie als Hobby, dann sehe ich rot. Sagt eine Frau, ihr Mann helfe ihr bei den Familienpflichten, dann ebenfalls. Dass ich versuche, das Ganze oft mit Humor zu nehmen, hilft, aber bewahrt nicht davor, zäh und ausdauernd das Thema Feminismus und Theologie immer wieder zur Sprache zu bringen, zusammen mit gleichgesinnten Arbeitskolleginnen und -kollegen.
Spannend dabei sind diese Fragen oft auch im Zusammenarbeiten mit Angehörigen aus andern Kulturkreisen. Da können wir in der Schweiz noch einiges lernen, beispielsweise den aufrechten Gang, um nur etwas zu erwähnen.

Wie beurteilst du das Verhältnis von ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ und wie haben diese beiden Konzepte einen Einfluss auf dein Theologietreiben?
Feminismus und Gender, speziell Genderstudien, überschneiden sich oft. Ohne den Feminismus und ihre Protagonistinnen hätte es keine Genderstudien gegeben. Wir lernen von den Analysen, die zu Gender erstellt werden. Konkrete Beispiele aus den Analysen helfen bei den Gesprächen und Forderungen zur Förderung der Frauen und Mädchen.

Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘ oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Vieles ist schon geschehen, aber … Wie lange ist der Vaterschaftsurlaub in den Kirchen und Kirchgemeinden? Wer arbeitet mehr Teilzeit, Frauen oder Männer? Wer leitet die Kantonalkirchen? Männer oder Frauen? Wann finden die Sitzungen statt, damit auch dreifach belastete Frauen daran teilnehmen können? Wer leistet mehrheitlich Freiwilligenarbeit, Frauen oder Männer? Wer setzt sich dafür ein, dass die Arbeit von Frauen gleich bezahlt ist wie die von Männern, beispielsweise das Hüten der Kinder während des Gottesdienstes und das Auswechseln der Birnen in der Kirche?
Es gibt noch viel zu tun.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Ich versuche zu leben, was ich fordere und lerne täglich dazu.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, April 2019

Frau vom März-April 2019

Feministische Theologinnen im Porträt: Eveline Gutzwiller Perren, Klinikseelsorgerin

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Mein Blick auf das menschliche Zusammenleben ist immer auch ein feministischer: Gleich­be­rech­tigung und Selbstbestimmung, Wertschätzung und Ernstnahme von Frauen und ihren Anliegen sind für mich Grundlage meiner Seelsorgearbeit. Insbesondere meldet sich in mir fast „reflexartig“ eine „Hermeneutik des Verdachts“ (Schüssler Fiorenza), wenn es darum geht, Machtverhältnisse zu analysieren – sei dies unter Mitarbeitenden, in der Klinikhierar­chie, sei es in der Begegnung mit Patientinnen und Patienten beim Erzählen aus ihren Beziehungsgeschichten.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein, und wie kommt sie bei deinen Adressatinnen an?
Auch hier ist mir das Instrument einer „Hermeneutik des Verdachts“ natürlich ganz wichtig: in meiner liturgischen Tätigkeit ziehe ich bei neutestamentlichen Texten immer den grie­chi­schen Urtext bei und erarbeite unter Beizug der Bibel in gerechter Sprache und Kommen­taren feministischer Exegetinnen eine eigene Übersetzung. Es ist mir wichtig, Frauen in verschiedenen Funk­tionen in der Bibel sichtbar zu machen und Gottesdienstbesuchende zu sensibilisieren für dama­lige Machtverhältnisse und Partikularinteres­sen und eine ent­sprechende Übertragung in unser heutiges Umfeld.
Feministisch-theologisches Denken liegt meinen Annäherungen an das Transzendentale und an Bilder von Gott zugrunde und findet seinen Niederschlag in Deutungsversuchen des Kreuzestodes von Jesus von Nazareth, sei dies in der Liturgie oder natürlich in Seelsorge­gesprächen, in denen es um Erfahrungen von Gewalt, Leiden, Schuld u.ä. geht.
Frauen reagieren oft überrascht ob der anderen Sichtweise. Neugieriges Rückfragen erlebe ich, nicht selten Erleichterung oder gar Freude.

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Ich bin mehrheitlich anwaltschaftlich unterwegs.

Braucht es in den Kirchen noch Frauenförderung, oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Als Theologin, die Mitglied der römisch-katholischen Kirche ist, kann ich nur nüchtern fest­halten: bevor ernsthaft von Frauen­förderung gesprochen werden kann, geht es um eine fundamentale Gleich­stel­lung. Die Kirchenleitung spricht zwar immer wieder von der Würde und Gottebenbildlichkeit von Mann und Frau, lässt jedoch weiter Theologinnen aufgrund ihres Geschlechts nicht teilhaben an der sakra­mentalen Ausgestaltung der Institu­tion Kirche, es sei denn zudienend, assistierend, als Lücken­büs­serinnen und Notlösungen. Mittlerweile haben diese Formen allerdings eine Vielzahl an soliden, neuen Realitäten geschaffen, die zumindest an der Basis Trampelpfade hinter­lassen.
Bei Frauenförderung wäre es sicher wichtig, Frauenrealitäten (Vereinbarkeit von Beruf und Familie) noch stärker zu berücksichtigen u.a. bei der Ausgestaltung der berufspraktischen Aus- und Weiter­bildung: i.e. Teilpensen, modulare Ausbildungsgänge etc.
Frauenförderung als einer Form von Antwort auf Diskriminierung muss von Kirchenhierar­chien jeglicher konfessioneller Couleur weiter betrieben werden, wollen christliche Kirchen – über den kirchlichen Tellerrand hinaus – glaubwürdig für die biblisch-christliche Botschaft einstehen, dass alle Menschen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, „Krankheitsstatus“, sexueller Ausrichtung, Alter etc. – gleichberechtigt sind und gleichberechtigt tätig sein können.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Ich ermutige tagtäglich Patientinnen, ihren eigenen Erfahrungen Vertrauen zu schenken, sie ernst zu nehmen und persönliche Anliegen und Überzeugungen im Rahmen einer Therapie einzubringen. Mir ist es wichtig, Patientinnen und Patienten in ihren Ressourcen zu unter­stützen, im Sinne einer Selbst­ermächtigung und einer Sensibilisierung für Abhängigkeiten (Machtfrage). Ich äussere null Toleranz gegen­über jeglicher Form von Gewalt. Ich versuche, selber wach zu bleiben für den Wert „Gerechtig­keit“, d.h. nachfragen, abklären, vernetzen, nicht locker lassen, wenn Menschen – in der Mehr­heit Frauen – es selber nicht schaffen oder nicht gehört werden. Ich versuche die christ­liche Botschaft und meine feministische Grund­haltung in Gesprächen immer wieder dingfest zu machen in der Über­zeugung, dass Verän­derung möglich ist – auch eine noch so kleine. Ich brauche in einem Klinikalltag, wo die männliche Sprachform absolut dominiert – konsequent immer auch oder nur die weibliche Form, um Frauen und ihre Lebenswelten sichtbarer zu machen.

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Februar 2019

Frau vom Januar-Februar 2019

Feministische Theologinnen im Porträt: Jacqueline Sonego Mettner

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Ich bin Feministin und gehe von daher alles mit einer feministischen Perspektive an, was nicht heisst, dass ich das ständig explizit vor mir hertrage.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Am deutlichsten bei der inklusiven Sprache im Gottesdienst und bei allen Texten, die veröffentlicht werden. Sie spielt eine Rolle in der Seelsorge, beispielsweise mit alten Frauen, die ich stärken will in einem selbstbewussten Rückblick auf ihr Leben und auf das, worauf sie stolz sein können. Sie zeigt sich auch in der Arbeit mit Konfirmandinnen und Konfirmanden, zum Beispiel in den Gesprächen zum Gottesbild oder in Traugesprächen, wo ich die Bedeutung vom «guten Streiten» ohne ideologisch zu werden für eine fröhliche Partnerschaft anspreche.

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Eher anwaltschaftlich, wobei für mich das Ziel das gute Leben für alle ist. Ich bin ebenso Anwältin der Kinder, die eine Zukunft brauchen, die nicht völlig verbaut ist von den Problemen, die wir gerade schaffen bzw. nicht lösen.

Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘‘ oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Einerseits kann die reformierte Kirche zu Recht stolz sein auf die de jure völlige Gleichberechtigung in allen Fragen. Dazu sollte sie auch in der Ökumene mit Überzeugung stehen und zwar auch theologisch als Realisierung der biblischen Grundbotschaft, dass Gott sich klar offenbart im Willen, dass jeder Mensch seine Gaben und Talente segensvoll entfalten und einbringen kann und das geht nur, wenn für alle die gleichen Möglichkeiten offen stehen.
Andrerseits stelle ich fest, dass patriarchale Denkweisen auch in der reformierten Kirche nicht überwunden sind und dass Frauen im Pfarramt oft nicht mit dem gleichen Respekt behandelt werden wie Männer. Überhaupt verbleiben in den jetzigen Kirchgemeinden tendenziell die das Konservative suchenden Menschen, was dem Feminismus nicht sehr zuträglich ist.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Kleine Erfolgserlebnisse

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Dezember 2018

Frau vom November-Dezember 2018

Feministische Theologinnen im Porträt: Simone Rudiger

1. Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Ich arbeite in einer Pfarrei und einer Klinik als Seelsorgerin. Immer sind mir Gerechtigkeit und die Ermächtigung von Menschen wichtig. Dass alle möglichst in Freiheit so leben können, wie es einem guten Leben für sie entspricht. Das damit ein gutes Leben für alle möglich(er) wird, bleibt meine ganz grosse Hoffnung.

2. Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Ich lasse Erkenntnisse und Errungenschaften der feministischen Theologie möglichst oft zur Geltung kommen. Ich entdecke immer wieder Neues im Gespräch mit Kolleg_innen, beim Nachforschen und Lesen. So wird mein Wissen in feministischer Theologie ständig erweitert. Es ist äusserst spannend!
Grundsätzlich mache ich gute Erfahrungen mit Gesprächspartner_innen in der Seelsorge, Mitfeiernden im Gottesdienst und meinen Kolleg_innen im Pfarreiteam. Aber natürlich weiss ich nicht immer, wie etwas ankommt.

3. Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs
Mit dieser Unterscheidung kann ich grad nicht soviel anfangen… Ich würde sagen, ich tue das Eine, ohne das Andere zu lassen und umgekehrt. Die beiden Aspekte ergänzen und bedingen sich meines Erachtens gegenseitig. Beschreibung alleine reicht mir nicht, es muss ins Handeln kommen. Andererseits ist analytisches Denken vor dem Handeln unerlässlich.

4. Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘‘ oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Leider ist diese Frage in der römisch-katholischen Kirche, der Konfession, in der ich beheimatet bin, noch immer eine rhetorische. Das Fehlen eines Penisses verunmöglicht die Weihe von berufenen Menschen: Das ist ein Skandal!
Gleichstellung der Geschlechter ist in unserer Gesellschaft noch nicht praktische (und oft nicht mal theoretische) Realität. Die Kirche(n) nehmen da leider keine Vorreiterinnenrolle ein.
Der Begriff „Frauenförderung“ klingt in meinen Ohren recht veraltet: Wir müssen uns alle fördern nicht mehr nur in binären (zwei gegensätzlichen) und vermeintlich eindeutigen Kategorien zu denken, gerade wenn’s um „Geschlecht“ geht.

5. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
In Gesprächen, in Entscheidungsprozessen, bei der Wahl von Themen für eine Veranstaltung, sei dies Senior_innennachmittag oder Bildungsanlass zur ökumenischen Kampagne. Und selbstverständlich in Ritualen und Gottesdiensten von der Liedwahl, über die Formulierung von Gebeten, bis hin zur Auseinandersetzung mit Bibeltext und Predigtgedanken. Immer geht es mir um Gerechtigkeit und befreiendes Denken und Handeln. Ich versuche Gedanken, Wort und Tat möglichst in Übereinstimmung zu bringen, also konsequent zu leben. Das ist einfacher gesagt, als getan und bleibt eine Herausforderung!

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Oktober 2018

Frau vom September-Oktober 2018

Feministische Theologinnen im Porträt: Nadja Troi-Boeck

1. Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Ich arbeite in der reformierten Kirchegemeinde Furttal und feministisches Nachdenken begleitet mit in der alltäglichen Arbeit, bei der Formulierung von Texten, Gottesdienst, in konkreten Unterrichtslektionen zu Gottesbildern, die ich mit meinen Konfirmand*innen mache oder in dem Themen zu Vereinbarkeit, zu Geschlechtergerechtigkeit und Feminismus in der Kirchgemeinde einbringe. Im Februar habe ich zum Beispiel zu #metoo gepredigt.

2. Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Ich nehme in Predigten aktuelle Themen aus der feministischen und der Genderdebatte auf, aber meistens sind es ganz konkrete Momente, wo ich darauf hinweise, dass Flyer nicht gendergerecht formuliert sind usw. Dann bin ich manchmal erstaunt, wieviel Basisarbeit da noch nötig ist und wie wenig Bewusstsein für diese Themen. Sehr erstaunt hat mich zum Bespiel, das Konfirmandinnen völlig überrascht waren, dass es Jüngerinnen gab. Es war für sie eine ganz wichtige Entdeckung. Und ich hab gedacht, das wäre inzwischen Allgemeinwissen, dass Jesus nun nur Jünger hatte, die ihn begleiteten. Also es bleibt dabei, dass das Sichtbarmachen von Frauen in der Bibel, in der Geschichte und Gegenwart ein ganz wichtiger feministischer Auftrag ist.

3. Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Ich unterscheide da ganz ehrlich nicht, für mich ist sowohl meine feministische als auch meine gendergerechte Ausrichtung anwaltschaftlich. Denn es geht bei Genderbetrachtungen ja nicht um reine Beschreibung. Mit Genderanalysen stelle ich doch immer Machtverhältnisse infrage und dekonstruiere sie. Die Analyse ist einfach ausdehnt auf alle Geschlechter und nicht auf eine binäre Betrachtung von Mann und Frau.

4. Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘‘ oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Auf jeden Fall, solange noch von Feminisierung der Kirchen gesprochen wird, gibt es latente Vorurteile gegen Frau im Amt. Förderung heisst für mich, dass z.B. Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie selbst verständlich werden. Sehr gut finde ich Frauenförderung im Sinn von Mentoring-Programmen, wie sich auch in der Wissenschaft üblich sind, damit Frauen durch Mentoring ihre Potenziale zum Beispiel für Kirchenleitung entdecken können.

5. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Ich versuche meine Überzeugungen täglich in die Arbeit einzubringen und wenn dann ein Kollege zu mir sagt: „Seit Du da bist, dürfen wie nie mehr nur die männliche Form schreiben.“ Dann ist das nicht einfach witzig gemeint, sondern ich merke auch, dass da Bewusstseinsbildung passiert, wenn ich die Themen immer wieder einbringe.

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, August 2018

Frau vom Juli-August 2018

Feministische Theologinnen im Porträt: Tonja Jünger

1. Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Ich arbeite nun seit mehr als 20 Jahren in der katholischen Kirche. Angestellt bin ich als sog. Pastoralassistentin – welch schreckliches Wort! Da ich Theologie studiert habe wie die Priester mit denen ich zusammen arbeite(te) und ihnen doch nicht gleich gestellt bin, ist mein Beruf ein ständiges, manchmal unausgesprochenes, Aufbegehren gegen die offenkundige Ungerechtigkeit.

2. Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Meine feministische Einstellung und Überzeugung kommt zum Ausdruck vor allem in meinem achtsamen Umgang mit allen bei uns ein- und ausgehenden Frauen: Besucherinnen, Gäste, „Kundinnen“, freiwillig Engagierte, Mitglieder unserer Gremien und Behörden, Kolleginnen im Team – ich versuche, sie in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken und dort aufzuklären, wo unhinterfragte Rollenbilder oder unfaire Machtverhältnisse wirken. Und natürlich predige ich politisch-feministisch.
Überwiegend freuen sich „meine“ AdressatInnen über meine moderne Theologie welche sich noch immer orientiert an den Zielen „Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“. „Leben in Fülle“ soll jede und jeder anstreben dürfen, das bedeutet für uns in der Schweiz aber auch Forderungen nach Bescheidenheit und Genügsamkeit. Nicht alle Katholiken teilen diese Art der Theologie – das ist für mich in Ordnung.

3. Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Beides. Dem Thema respektive der entsprechenden Situation angepasst.

4. Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘‘ oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Leider ist Gleichstellung in der römisch-katholischen Kirche noch immer nur ein frommer Wunsch. Manche Exponenten der Kirchenleitung in Rom wiederholen Leier-artig, es gehöre zum unveränderlichen Glaubensgut unserer Kirche, dass Frauen niemals zu Priesterinnen geweiht werden könnten.
Die Basis aber denkt und glaubt eigenständig. Starkes Zeichen dafür ist die Bewegung „Kirche mit*“ (www.kirche-mit.ch) welche 2016 nach Rom pilgerte. Auch ich war mit einer Reisegruppe in Rom bei der Übergabe der Anliegen im Petersdom dabei und habe dort einmal mehr den Spagat gespürt: Einerseits eine grosse Trauer darüber, dass Frauen noch immer nicht für voll genommen werden. Anderseits eine trotzige Liebe zur Botschaft Jesu, die es mir und vielen anderen noch immer verunmöglicht, dieser Kirche den Rücken zu kehren.

5. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Feministisches Gedankengut ist nicht wegzudenken aus meiner Arbeit. Denn dieses Gedankengut hat mich als Frau durch und durch geprägt. Mein Frau-Sein und meine Tätigkeit als Seelsorgerin sind untrennbar verbunden: ich gehe davon aus, dass mein ganzes Auftreten, als frohe, selbstbewusste, eigenständige, und selbst denkende Frau bereits eine Art feministische Botschaft darstellt gerade innerhalb der katholischen Kirche.
Es ist mein grösstes Anliegen, allen Menschen, denen ich beruflich begegne, auf Augenhöhe gegenüber zu treten. Ob hochaltrige Heimbewohnerin, ob Arzt, der bei uns freiwillig als Fotograf mitwirkt, ob Sängerin im Eltern-Chor, der die Familiengottesdienste begleitet, oder ob Suchende in Sachen „tragende Spiritualität“: jeder Person will ich vermitteln, dass sie in ihrer Eigenartigkeit wertvoll ist und sich einbringen darf mit all ihren Fähigkeiten und Zweifeln.

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Juni 2018

Frau vom Mai-Juni 2018

Feministische Theologinnen im Porträt: Stéph Zwicky Vicente

1. Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Feministisches Gedankengut ist unverzichtbarer Teil meines beweglichen und lebendigen Fundaments. Wo beginnt dieses Gedankengut und wo hört es auf?

2. Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Da ich als Gemeindepfarrerin Menschen jeglichen Alters begegne und begleite, ist das sehr unterschiedlich. Explizit erwähnt und benannt als Feministische Theologie ist sie in erster Linie im Sonntagsgottesdienst präsent. Es sind ganz grundlegende Sachen, die ich benenne, z.B. sage ich jedes Mal, aus welcher Bibelübersetzung ich lese. Das hat am Anfang immer wieder Fragen nach sich gezogen. Entweder, warum ich das jeweils sage, oder warum ich grad aus dieser oder jener Übersetzung gelesen habe. Es gibt auch diejenigen, welche z.B. auf die Bibel in gerechter Sprache nicht gut zu sprechen sind.
Das schönste Kompliment war für mich, als ein Mann mir nach einem Gottesdienst sagte, dass wenn dies, was ich gepredigt hatte, Feministische Theologie sei, dann sei er auch Feminist. Feminismus hat für mich gar nichts zu tun mit einem Kampf von Frauen gegen Männer. Von vielen bekomme ich die Rückmeldung, dass die feministisch-theologischen Gedanken sie befreit von Zwängen verschiedener Art.
Im Traugespräch sind die Klassiker die Frage nach dem (neuen) Nachnamen, der Einzug (der Braut am Arm des Vaters) und neuerdings auch (wieder) der Bedeutung des Schleiers. Auch da verstehe ich meine Arbeit als Impuls, der eine eigene Auseinandersetzung in Gang bringen soll. Sobald die Hochzeitspaare merken, dass es Alternativen gibt, die ihre Grundanliegen aufnehmen (beim Einzug z.B. Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber den Eltern), sind sie offen für andere Formen.
Im Unterricht (Religion auf der Oberstufe und Konfirmation) fliesst es vor allem beim Thema Gottesbilder ein. Dort ist es mir wichtig, dass die Jugendlichen selber denken und Fragen stellen an ihre und fremde Gottesbilder. Sie sollen nicht glauben, was ich glaube, sondern sich mit ihrem eigenen Weg auseinandersetzen.

3. Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Lässt sich das überhaupt trennen?

4. Braucht es in den Kirchen noch „Frauenförderung‘‘ oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Ich bin mir nicht sicher, was „Förderung“ bedeutet. Frauen und Männer darin zu stärken, so gross zu sein, wie Gott sie gemacht hat, scheint mir prinzipiell überall wichtig. Aufgaben und Stellen in der Kirche (und der Gesellschaft) für verschiedene Lebensentwürfe attraktiv zu machen, ebenso.

5. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Im alltäglichen Leben versuche ich das zu leben, was ich predige. In aller Vorläufigkeit und Bruchstückhaftigkeit, mit all meinen blinden Flecken und meiner Angewiesenheit auf den liebevollen Blick der/des Anderen.

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Mai 2018

Frau vom März-April 2018

Regula Gwalther, Tochter von Anna Reinhart Zwingli. Porträt von Hans Asper, 1549

Anna Zwingli – eine Pfarrfrau der ersten Stunde
Anna wurde 1484 als Tochter des Gastwirts Oswald Reinhart und Elssbetha Wynzurn in Zürich geboren. Als Zwanzigjährige heiratete sie 1504 den Junker Hans Meyer von Knonau. Seinerseits hatte er unter seinem Stand geheiratet, gegen den Willen seiner Familie, die eine standesgemässe Ehe für ihn geplant hatte. Als er ohne Geld von der Familie verstossen wurde, musste er Anna und die drei gemeinsamen Kinder durch Militärdienst als Söldner ernähren. Die Schweizer verdienten damals viel Geld als Söldner in ganz Europa. Hans Meyer von Knonau ruinierte seine Gesundheit in den italienischen Kriegen und starb schon 1517.
Zum Glück wurde sein Sohn, der kleine Gerold, von seinem Grossvater auf dem Marktplatz erkannt. Die Grosseltern waren so entzückt ob des netten Jungen, dass sie ihn zu sich holten. Damit war Anna Reinhart mit ihren Kindern in der Familie akzeptiert und ihre existentiellen und materiellen Sorgen seit dem Tod ihres Ehemannes verschwanden.
Es war wieder Gerold, der Bekanntschaft mit Ulrich Zwingli machte. Zwingli war seit 1519 Leutpriester am Grossmünster. Er war dabei, die Reformation in Zürich einzuführen mit Fastenbrechen, Entfernung der Bilder aus den Kirchen und Kritik von Wallfahrten. 1522 schrieb er mit anderen Geistlichen zusammen an den Bischof in Konstanz und forderte eine Aufhebung des Zölibats.
Durch Gerold traf Zwingli Anna Reinhart und, obwohl er als Priester das nicht durfte, ging er eine eheliche Verbindung mit ihr ein. Im Mittelalter reichte es aus, wenn das Paar sich gegenseitig das Sakrament der Ehe spendete. Weder Kirche noch Amtshandlung, weder Zeugen noch Erlaubnis der Familie war notwendig, wenn das Paar sich einig war. Dennoch konnte ein Priester wie Zwingli nach kanonischem Recht natürlich keine Ehegelübde ablegen. Ab 1522 war es dennoch für die Freunde offensichtlich, dass er ein Verhältnis zu Anna eingegangen war, und sie machten sich Sorgen.
Es dauerte bis 1524, bevor Zwingli die Ehe durch eine öffentliche Hochzeit im Zürcher Grossmünster kundtat. Viele Priester waren damals schon in den Ehestand getreten. Der Chronist Bernard Wys berichtete ausdrücklich, dass Zwingli unter den letzten dieser Priester war. Dieser Schritt in die Öffentlichkeit mit seiner Ehefrau Anna geschah im April. Im Juli wurde Zwinglis Tochter Regula geboren.
In den nächsten Jahren gebar Anna Zwingli vier Kinder, obwohl sie schon ein fortgeschrittenes Alter für das Kinderkriegen in der damaligen Zeit erreicht hatte. Schon zum Zeitpunkt des Beginns ihrer Ehe im Jahr 1522 waren beide Eheleute 38 Jahre alt, und Anna Zwingli war 46 Jahre alt, als ihr jüngstes Kind geboren wurde.
Anna Zwingli kümmerte sich wohl vorrangig um die Familie, ihren Mann und die Kinder. Wir wissen wenig über ihr Leben als Pfarrfrau. Zwingli schrieb wenig über sie und nur ein einziger Brief von ihm an seine Frau ist erhalten geblieben und überliefert.
1531 starb Zwingli in der Schlacht bei Kappeln. Er war als Bürger Zürichs mit Waffen in der Hand ausgezogen und fiel im Kampf. An einem Tag verlor Anna Zwingli nicht nur ihren Mann, sondern auch ihren Sohn Gerold, ihren Bruder und einen Schwiegersohn.
In der Folgezeit kamen ihr als Witwe die Beziehungen, die die Pastoren untereinander pflegten, zu Gute. Heinrich Bullinger, der Nachfolger Zwinglis, nahm sie in seinem Haus auf. Bullinger hatte das Haus voll: seine eigenen elf Kinder, seine Eltern, ein Pflegekind, Rudolph Gwalther, der später Regula Zwingli heiratete und der Nachfolger Bullingers wurde, und jetzt Anna Zwingli mit zwei ihrer Kinder. Die jüngste Tochter Anna war früh gestorben und der älteste Sohn Wilhelm wurde in Bern beim Schwager Zwinglis untergebracht.
Die jungen Leute aus den Familien Bullinger, Zwingli und Gwalther heirateten untereinander. So entstanden eine neue Familie und ein neuer Freundeskreis für Anna Zwingli.
Der Wirkungsbereich Anna Zwinglis war ihre Familie in Zürich. Die Amtsbrüder Zwinglis aus der Schweiz und Süddeutschland grüssten höflich in ihren Briefen, und Zwingli schickte Grüsse an ihre Familien.
Es ist nicht überliefert, inwiefern Anna Zwingli in der Gemeinde mitarbeitete. Es ist anzunehmen, dass sie Gäste und Glaubensflüchtlinge umsorgte, wie z.B. ihre Kolleginnen in Strassburg es taten.
Zwingli erzählte ihr wenig von der aktuellen Kirchenpolitik. Der einzige Brief an Anna Zwingli, der überliefert ist, wurde am 11. Januar 1528 geschrieben. Er beglückwünscht sie zur Geburt ihres Sohnes und bittet um die Übersendung seines Rockes. Kein Wort von der wichtigen Disputation in Bern, die doch dazu führte, dass Bern evangelisch wurde. Als er 1529 zum Religionsgespräch nach Marburg reisen sollte – immerhin ein ernsthafter Versuch von Philipp von Hessen, Einigkeit unter den Protestanten herbeizuführen –, wusste sie nur von einer Dienstreise nach Basel. Zwingli schrieb dem Zürcher Rat, dass es seine Aufgabe sei, seine Frau zu unterrichten: „so viel einer Frau zu sagen ist“. Damit erreichte er, dass alle Nachrichten über seine Reise vom Rat vermittelt wurden, und machte klar, dass weder er noch seine Frau Gerüchte im Umlauf gebracht hatten.
Anna Zwingli tat sich nicht durch selbstständige Tätigkeit in der Öffentlichkeit hervor.
Sie machte es jedoch Zwingli möglich, zu heiraten, und ertrug die Periode, in welcher ihre Ehe heimlich war. Erst 1524, nach dem öffentlichen Kirchgang, regelte sie die Erbansprüche ihres ersten Mannes mit den Kindern aus dieser Ehe und bat den Rat um Erlaubnis, mit Zwingli zusammenzuziehen. Die rechtlichen Begleitumstände dieser Heirat wurden so erst spät geregelt. Nicht jede Frau der damaligen Zeit, die in den Adelsstand heiratete, hätte eine gesellschaftlich so verachtete Position auf sich genommen, als die heimliche Geliebte eines Priesters angesehen zu werden.
Tatsächlich schien Zwingli Schwierigkeiten mit der Angemessenheit der Priesterehe zu haben. In Strassburg hatten mehrere Priester mit grosser Öffentlichkeit geheiratet und damit ihren Religionswechsel zelebriert. Ihre Frauen schienen genau so überzeugt wie die Männer gewesen, dass diese Ehen in göttlichem Auftrag stattfanden. Martin Bucer schrieb 1524, als Zwingli seine Ehe bekanntmachte, ihm einen Glückwunschbrief und erzählte ihm, er könne als verheirateter Pastor Gott sehr wohl dienen, vielleicht sogar besser als zuvor. Eine Antwort Zwinglis ist nicht bekannt. Bucer war so eingeschüchtert, dass es Jahre dauerte, bevor er die Frau Zwinglis grüssen liess.
Später schrieb Zwingli, dass die Priesterehen oft zu skandalumwittert waren. Er fand solche Eheschliessungen ungeeignet, um das Evangelium zu verkünden.
Hierin liegt wohl dann der Beitrag Anna Zwinglis zur Reformation: sie zeigte, wie die Familie eines Pfarrers gelingen konnte.
Es fehlen aussagekräftige Quellen zu Anna Zwingli. Beide Ehen von ihr waren in der damaligen Zeit aussergewöhnlich, und sie scheint mit Würde und Liebenswürdigkeit ihr Leben gestaltet zu haben. Eine spannende und lebenskluge Frau, von der man gerne mehr gewusst hätte!

Dieser Artikel baut auf folgendem Aufsatz auf:
M. Nielsen: „Kinder, Küche und Kirche“ – Pfarrfrauen der Reformationszeit in Südwestdeutschland und der Schweiz, in: M. Treu (Hg.), Katharina von Bora, Die Lutherin, Aufsätze anlässlich ihres 500. Geburtstages, Wittenberg 1999, 128-158.
Zu empfehlen ausserdem:
R.H. Bainton: Frauen der Reformation. Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Zehn Porträts, GTB 1442, Gütersloh 1996.

Portrait verfasst von Merete Nielsen für: http://frauen-und-reformation.de

Frau vom Januar-Februar 2018

Idelette de Bure – Flämin, Täuferin, Flüchtling und Wegbegleiterin der Genfer Reformation

Achim Detmers, koloriertes Porträt einer s/w-Fotografie des anonymen Porträts aus dem Museum in Douai mit der Aufschrift „Femme de Jan Caluein“. ( Ob es sich aber tatsächlich um ein Porträt Idelettes handelt, ist unsicher. Da das Gemälde 1940 zerstört wurde, lässt sich diese Frage nicht weiter klären).

Achim Detmers, koloriertes Porträt einer s/w-Fotografie des anonymen Porträts aus dem Museum in Douai mit der Aufschrift „Femme de Jan Caluein“. ( Ob es sich aber tatsächlich um ein Porträt Idelettes handelt, ist unsicher. Da das Gemälde 1940 zerstört wurde, lässt sich diese Frage nicht weiter klären).

Obwohl Johannes Calvin zu den bedeutendsten Reformatoren des 16. Jahrhunderts zählt, ist von seiner einzigen Frau Idelette de Bure nur wenig bekannt. Sie war flämischer Herkunft und stammte vermutlich aus dem wohlhabenden Bürgertum. Sie war Tochter von Lambert de Bure dem Älteren, Kaufmann in Lüttich (Liège), und von Isabelle Jamaer, Tochter von Antoine Jamaer und dessen Frau Ydelecte. Die Familie de Bure hatte vermutlich schon in den 20er Jahre Kontakte zu reformatorischen Kreisen.

Während Idelettes Vater unter dem Druck der Verfolgung der reformatorischen Lehre abschwor, verlor ihr Bruder Lambert de Bure 1533 bei der Vertreibung der Protestanten aus Lüttich seine dortigen Besitzungen und floh nach Straßburg. Idelettes erster Mann Jean Stordeur musste damals mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls Liège verlassen, weil er zu den Täufern gehörte. Jean Stordeur und Idelette de Bure gelangten daraufhin nach Genf, wo sie vermutlich zum ersten Mal Calvin begegneten. Allerdings wurden die Anhänger der Täufer im März 1538 aus Genf verbannt, sodass beide zu Idelettes Bruder Lambert nach Straßburg flohen. Auch Calvin musste 1538 Genf verlassen. Er wurde Pfarrer der französischen Flüchtlingsgemeinde in Straßburg. Dort gelang es ihm, Idelette und Jean Stordeur 1539 vom Täufertum abzubringen. Beide schlossen sich Calvins Gemeinde der französischen Flüchtlinge an. Im Frühjahr 1540 starb Stordeur an der Pest. Durch die Vermittlung des Straßburger Reformators Martin Bucer heirateten Idelette de Bure und Johannes Calvin im August 1540. Calvin beherbergte damals in seinem Haus eine Anzahl französischer Gäste und Flüchtlinge. Eine ältere Dame, Madame du Verger, führte das Haus, bis schließlich Idelette mit ihren beiden Kindern ins Haus einzog und die Geschäfte übernahm.

Als Calvin im September 1541 nach Genf zurückkehrte, folgte seine Frau ihm wenig später zusammen mit ihrer Tochter Judith aus erster Ehe. Ihr älterer Sohn, dessen Name nicht bekannt ist, blieb zunächst in Deutschland. Durch die Bemühungen Calvins gelang es jedoch, ihn nach Genf zu holen. Allerdings bestand Calvin darauf, dass er von seiner täuferischen Gesinnung Abstand nahm. Idelette dagegen hätte es lieber gesehen, wenn ihr Sohn der Konfession seines leiblichen Vaters hätte treu bleiben können.

Gemeinsame Kinder hatten Calvin und Idelette nicht; der einzige Sohn Jacques lebte nur wenige Tage. Idelette war seit der Geburt und dem Tod des gemeinsamen Sohnes im August 1542 gesundheitlich in Mitleidenschaft gezogen und erholte sich davon nie mehr richtig. Am 29. März 1549 starb Idelette in Genf an „Schlafkrankheit“. Ihre letzten (und einzigen überlieferten) Worte waren: „O glorreichʾ Auferstehn! O Gott Abrahams und aller unserer Väter, schon seit Jahrhunderten haben alle Gläubigen auf dich gehofft; und keiner ist getäuscht worden; so harre denn auch ich deiner!“ sowie „Beten, beten, betet alle für mich!“ (Calvin, Briefe II, 464). Calvin versprach Idelette auf dem Sterbebett, sich um ihre beiden Kinder zu kümmern. Idelettes Tochter Judith heiratete 5 Jahre nach dem Tod ihrer Mutter. Calvin selbst hat sie getraut und ihren Sohn getauft. Doch zum großen Kummer Calvins wurde sie 1562 des Ehebruchs angeklagt; die Ehe wurde geschieden.

Ein Jahr nach Idelettes Tod widmete Calvin dem Genfer Arzt Benoȋt Textor seinen Kommentar zum 2. Thessalonicherbrief mit der Begründung, dass er seine Frau Idelette einmal nach schwerer, gefährlicher Krankheit geheilt hatte und an ihrem Sterbebett keinen Versuch unterlassen hatte, ihr zu helfen (Calvin, Briefe II, 522).

Von Idelettes Tätigkeit an der Seite Calvins ist nur wenig bekannt. Sie dürfte sich um den umfangreichen Haushalt und die zahlreichen Gäste Calvins gekümmert haben. Außerdem ist bekannt, dass sie des Lateinischen mächtig war und mit anderen Reformatorenfrauen in Korrespondenz stand. Außerdem machte sie gelegentlich Krankenbesuche. Calvin selbst richtete in zahlreichen Briefen Grüße seiner Frau aus. Kurz nach ihrem Tod schrieb Calvin an seinen Freund Pierre Viret in Lausanne: „Genommen ist mir die beste Lebensgefährtin. Wäre mir etwas Schlimmes widerfahren, sie hätte nicht nur willig Verbannung und Armut mit mir geteilt, sondern auch den Tod. Solange sie lebte, war sie mir eine treue Helferin in meinem Amt. Von ihr ist mir nie auch nur das geringste Hindernis in den Weg gelegt worden“ (Calvin, Briefe II, 465).

Idelette war wie Calvin Opfer der Protestantenverfolgung. Beide lebten im Straßburger und Genfer Exil und waren sich darüber im Klaren, dass ihnen auch dort erneute Vertreibung drohte. Idelette war offenbar bereit, mögliche Konsequenzen mitzutragen. Als ehemalige Täuferin hatte Idelette Sympathien und Verständnis für täuferische Ansichten und dürfte Calvins Auseinandersetzung mit diesen Gruppen beeinflusst haben. Bemerkenswert ist, dass Idelette in ihren letzten Worten bei Abraham und den Vätern des Alten Bundes Zuflucht suchte (und nur indirekt bei Christus). Offenbar hat sie Calvins Anschauung von der Einheit des Bundes, die er in Auseinandersetzung mit den Täufern entwickelt hatte, voll geteilt.

Leider hat Idelette ihr intellektuelles Potenzial und ihre Möglichkeiten in Genf aufgrund ihrer Krankheit und ihres frühen Todes nicht voll ausschöpfen können. Aus dem Wenigen, was wir durch Calvin wissen, lässt sich aber erahnen, dass Idelette eine wichtige Wegbegleiterin der Genfer Reformation war. Da es von Idelette selbst keine Zeugnisse gibt (z.B. einen ihrer Briefe), ist ihr Lebensbild ganz aus den Mitteilungen und Erinnerungen Calvins geschöpft. Diese Informationen sind aber überaus dürftig und natürlich auch subjektiv bzw. interessegeleitet – so z.B., wenn Calvin Idelette posthum als „Frau von einzigartigem Beispiel“ („singularis exempli femina“ [in: CO 8, 73 =  Calvini Opera quae supersunt omnia, ed. W. Baum u.a., 8. Bd.]) bezeichnet. Was Calvin mit dieser „Einzigartigkeit“ meint, bleibt verborgen. Ist es der verklärte Rückblick eines Witwers? Hatte Idelette besondere Fähigkeiten außerhalb der Rolle als Pfarrfrau? Meint Calvin eine spezielle Frömmigkeit Idelettes oder Eigeninitiativen, die sie ergriffen hat? Meint er schlicht den Umstand, dass sie ihm den „Rücken frei gehalten hat“? Oder hat sie ihn beraten, seine Texte Korrektur gelesen? Hat sie mit ihm über theologische und kirchenpolitische Fragen diskutiert oder gestritten?

Backus, Frauen um Calvin. Idelette de Bure und Marie Dentière, in: http://www.jalb.de/3699-0-159-16.html (aufgerufen am 29.05.2013).

verfasst von Achim Detmers für: http://frauen-und-reformation.de

Frau vom November-Dezember 2017

katharina_zellDie Leuenberger Konkordie wäre nicht nötig gewesen, wenn Martin Luther auf Katharina Zell gehört hätte. In Strassburg, wo die Ehefrau eines Reformators – oder wohl besser gesagt Reformatorin – lebte, trafen die beiden reformatorischen Strömungen, die lutherische und die zwinglianische auf einander. Die Strassburger Reformatoren Zell, Bucer, Cato gehörten dem lutherischen Lager an, standen aber in engem Kontakt mit Oekolompad, Zwingli, Calvin und anderen. Die lutherisch geprägte Strassburger Kirche war offen für Kontakte mit den „andern“, so stiegen Zwingli und Oekolompad auf dem Weg nach Marburg bei den Zell ab, bot Strassburg dem verfolgten Calvin Schutz, aber auch Täufern wie der Familie von Idelette de Bure und weiteren anders Denkenden.
Katharina und Matthäus Zell setzten sich engagiert für die Verständigung der beiden Hauptströmungen der Reformation ein. Nach dem Scheitern der Gespräche zwischen Zwingli und Luther schrieb Katharina dem von ihr hoch verehrten Martin Luther einen Brief, in dem sie diesen zur Rechenschaft zog, wegen seiner mangelnden Gnade Huldrych Zwingli gegenüber. Die Zells versuchten «die dem Evangelium folgen» zu versöhnen oder sie zumindest zu Toleranz und Akzeptanz zu bewegen, auch wenn sie sich nicht in Allem einig waren.

Nun aber zurück zu Katharina. In die Geschichte eingegangen ist die um 1497 in Strassburg als Tochter einer angesehenen Handwerkerfamilie geborene Katharina Schütz als sozialfürsorgerisch und seelsorgerlich engagierte Pfarrfrau und Laientheologin und theologische Schriftstellerin. Das gut gebildete Mädchen zeigte grosses Interesse an geistlichen Fragen und besuchte regelmässig die Gottesdienste beim Münsterpredigers Mattäus Zell, nahm auch darüber hinaus aktiv am kirchlichen Leben teil. Matthäus Zell war ein früher Anhänger der reformatorischen Idee und musste deshalb das heimatliche Freiburg i.Br., wo er als Professor amtierte, verlassen und kam als Münsterpriester ins offene Strassburg. Am 3. Dezember 1523 traute Martin Bucer den 46-jährigen Matthäus Zell mit der 26-jährigen Katharina Schütz im voll besetzten Münster. Die Priesterehe war zu jenem Zeitpunkt ein Skandal und so wurden sechs Priester des Bistums Strassburg exkommuniziert, unter ihnen Zell, Bucer und Capito, die drei führenden Reformatoren Strassburgs. Katharina ergriff selbst die Initiative und veröffentlichte 1524 eine 38-seitige Schrift «Entschuldigung Katharina Schützinn» in der sie ihren Ehemann und die Eheschliessung von Priestern verteidigt. Darin setzt sie sich mit der bestehenden Doppelmoral auseinander (dass die zölibatären Priester mit Konkubinen zusammen lebten, war damals üblich), begründet die Priesterehe biblisch und verwirft das Zölibat auch, weil es die Prostitution fördere.
Soweit die streitbare Laientheologin. Eine andere Seite, die hilfreiche Partnerin im Amt, die Pfarrfrau, die sich um Arme, Kranke, Leidtragende und Gefangene kümmert, zeigt sich in einer weiteren Schrift aus dem Jahr 1524 «Den leydenden Christglaubigen weybern der gemein zu Kentzigen minen mitschwestern in Christo Jesuszu handen», einem seelsorgerlichen Brief an die Frauen von Kenzingen, deren Männer aus der Stadt ausgeschlossen waren und fliehen mussten. Sie schreibt über die Verborgenheit Gottes und seine oft nicht leicht zu ergründenden Wege, nicht ohne ihre Aussagen fundiert biblisch zu begründen.

Das Münsterpfarrhaus glich einer Herberge. Die Zells nahmen nicht nur die durchreisenden Kollegen wie Zwingli und Oekolampad bei sich auf, während den Bauernkriegen betreute Katharina bis zu 100 Flüchtlinge in ihrem Haus, auch Schüler und Studenten gehörten zu den Bewohner. Die beiden eigenen Kinder waren beide im frühen Kindesalter verstorben.

Ein besonderes Anliegen war ihr die geistliche Begleitung der Laien. Für sie veröffentlichte sie eine Sammlung von geistlichen Liedern der Böhmischen Brüder, da ihre Kirche, wie sie fand, zu wenige Lieder für den Gebrauch des Kirchenvolkes bot. Damit auch einfache Leute in den Genuss der Sammlung kommen konnten, teilte sie die Sammlung auf in vier kleine und damit billige Büchlein. Bemerkenswert an dieser Sammlung ist das von Katharina verfasste Vorwort. Unter anderem begründet sie die Publikation, welche nicht nur zum Singen anleiten soll, sondern auch als Gebets-, Besinnungs- und Lehrschrift verstanden werden soll, damit, dass die Abschaffung des Kirchenjahres die Laien verunsichert hatte. Es gab keine Neuauflage der Liedersammlung, aber sie zeigte Wirkung, das Kirchenjahr wurde in protestantischer Form wieder aufgenommen und die späteren Strassburger Liederbücher waren eindeutig von dieser Sammlung beeinflusst.
Katharina Zell begleitete ihren Ehemann auf Reisen zu Luther nach Wittenberg, zu den Blarers nach Konstanz und mehr. Sie war in Kontakt mit vielen Reformatoren, aber auch mit den andern «Pfarrfrauen».

Ganz wichtig ist die Tatsache, dass Katharina Zell Schütz nachgewiesenermassen öffentlich gepredigt hat. Sie wurde nicht ohne Grund von ihrem Mann seine «Helfer» genannt, was im damaligen Sprachgebrauch so viel wie Hilfsprediger hiess. Sie sprach am Grab ihres Mannes. Auch nach seinem Tod wirkte sie weiter sowohl fürsorgerisch wie auch schriftstellerisch. Besonders war ihr Kontakt mit den verfolgten Täufern und Caspar von Schwenckfeld, was ihr nicht nur Freunde einbrachte. So hielt sie die Trauerrede für eine verstorbene Täuferin, nachdem sich die Theologen, die zweite Generation war bedeutend weniger tolerant, geweigert hatten. Auch eine weitere Grabrede ist nachgewiesen.

Zu Recht kann Katharina Zell Schütz als Reformatorin bezeichnet werden, auch wenn sie zusammen mit allen Pfarrfrauen der ersten Generation auch das Bild der protestantischen Pfarrfrau geprägt hat. Sie selbst bezeichnete sich als Kirchenmutter.

 

Quellen:
Domröse Sonja: Frauen der Reformationszeit
Giselbrecht Rebecca A., Scheuter Sabine Hrsg.: „Hör nicht auf zu singen“
McKee Elsie Anne: Reforming Popular Piety in Sixteenth-century Strasbourg – Katharina Schütz Zell and Her Hymnbook
Webpages: Wikipedia, Biographische-Bibliographisches Kirchenlexikon, Glaubenszeugen Ökumenischer Namenkalender, Frauen und Reformation.de

Bild: moderne Wandmalerei am „Reformationsgarten” – Das Künstlerhaus in der Schillerstraße 32–42 in Wittenberg.

Text verfasst von Eva-Maria Fontana

Frau vom September-Oktober 2017

2017-08-18-olympia-morata-001Olympia Fulvia Morata 1526-1555

Olympia Morata war eine ausserordentliche Persönlichkeit, die durch ihre engagierten Briefe und ihre Hingabe an die humanistischen Wissenschaften und an das Wort Gottes grossen Eindruck auf ihre Zeitgenoss/innen gemacht hat.

Sie wurde 1526 als Tochter des Humanisten Fulvio Pellegrino Morato ( ca 1483-1548) in Ferrara geboren. Ihr Vater musste bald einmal Ferrara aus politischen Gründen verlassen, er lehrte dann an den Universitäten von Venedig und Vicenza, bevor er nach Ferrara zurückgerufen wurde. Er war nun der Hauslehrer der Söhne Hyppolit und Alphons des Hauses Este.

Der Herzog von Ferrara, Modena und Reggio, Alphons d’Este (1476-1534), versucht sein Fürstentum vom Papst und von Venedig unabhängig zu halten. Er fördert Künstler und Gelehrte wie Tizian und Ariosto und Ferrara wird eine Hochburg der humanistischen Wissenschaften.

Seine 2. Frau ist Lucrezia Borgia. Ihr Sohn Ercole d’Este II. wird 1534 Herzog. Er ist verheiratet mit Renée de France, der Tochter von Louis XII. Sie ist gebildet und interessiert, als 1535 Calvin in Ferrara weilt, führt sie viele Gespräche mit ihm.

Olympia wird schon früh von ihrem Vater in der lateinischen Sprache und Literatur unterwiesen. 1540 wird sie zur Studiengefährtin der fünf Jahre jüngeren Prinzessin Anna d’Este bestimmt und zieht an den Hof. Sie beherrscht mit 12 Jahren die Artes liberales (Grammatik, Rhetorik, Logik, Astronomie, Musik, Arithmetik, Geometrie), während in Europa nur ein Viertel aller Frauen überhaupt schreiben kann. Sie geniesst den Unterricht der beiden Humanisten aus Schweinfurt: dem Mediziner Johannes Sinapius und dem Rechtsgelehrten Kilian Sinapius. Bald ist sie im Griechischen zuhause wie im Lateinischen. Sie verfasst eine Verteidigungsschrift für Cicero, die bewundert wird, sie übersetzt aus dem Toskanischen ins Lateinische, sie schreibt Sonette. Sie lernt Coelio Secundo Curione kennen und verbringt eine glückliche Zeit am Hof, wo sie auch ihre lebenslange Freundin Lavinia della Rovere Orsini kennen lernt. Mit ihrem Vater liest sie Schriften der Reformatoren.

1543 eröffnet eine päpstliche Bulle die Inquisition in Italien und die Gegenreformation erhält Aufwind. 1545 besucht Papst Paul III. Ferrara und in der Folge werden die Zeiten hart für Reformwillige, für die Häretiker. Die Gegenreformation treibt sie nach Norden: Occhino und Peter Martyr verlassen Ferrara. Die früher so grosszügige Herzogin darf keine Geächteten mehr aufnehmen. Zeitweise lässt sie der Herzog einsperren, um ihre Handlungen zu überwachen. Sie wird beeinflusst durch den fragwürdigen Hieronymus Bolsec aus Paris, der sich an ihrer Seite ein Amt verschafft und die Reformvertreter verleumdet. Der Herzog verhaftet Fannio della Faenza, der dann als erster reformierter Ketzer in Italien verbrannt wird.

Für Olympia ist die Sorglosigkeit vorbei, als ihr Vater 1548 stirbt. Schon während seiner Krankheit geht sie nach Hause, um ihn zu pflegen. Nach seinem Tod ist sie am Hof unerwünscht. Sie bleibt bei ihrer Mutter, den drei jüngeren Schwestern und dem jüngeren Bruder.

Durch die Brüder Sinape lernt sie Andreas Grundler aus Schweinfurt kennen. Er ist nach Ferrara gekommen, um zum Doktor der Medizin zu promovieren. Im Winter 1549/ 50 heiraten sie in aller Stille. Die Brüder Sinape verlassen Ferrara. Andreas verreist nach Deutschland, um eine Perspektive zu finden. Im Frühling kommt er zurück und sie beschliessen wegzugehen und den achtjährigen Bruder Emilio mitzunehmen.

Sie reisen vorerst nach der Humanisten-Stadt Augsburg. Olympias Ruf geht ihnen voraus, sie werden gut aufgenommen.

Olympia schreibt Curione, der mittlerweile in Basel ist und einen Lehrstuhl innehat. Sie schreibt an Lavinia, setzt sich wie diese für Fannio ein. Sie, ihr Mann und ihr Bruder reisen weiter über Kaufbeuren nach Würzburg. Dort treffen sie Johannes Sinapius. Der Bruder Emilio überlebt einen schweren Sturz, Olympia ist sehr dankbar. Andreas erhält einen Ruf, als Arzt für eine Garnison spanischer Truppen nach Schweinfurt zu gehen. Er hoffte auf einen Lehrstuhl. Da bietet ihm der Kaiser bietet einen Lehrstuhl in Linz an, das Ehepaar lehnt ab: „es ist unser fester Entschluss, dem erwählten Glauben treu zu bleiben“.

Olympia schickt Lavinia lutherische Schriften. Sie muntert sie auf: “Das Glück nicht im Oberflächlichen suchen, sondern bei Gott, suche Jesus Christus durch das Lesen der Heiligen Schrift, durch das Gebet und du wirst ihn finden. Bitte um den Heiligen Geist und du wirst Frieden, Freude empfangen“. Und man solle sich nicht mit den Reichen vergleichen sondern mit den Armen.

Sie unterrichtet Emilio und die Tochter von Sinapius in griechischer und römischer Literatur (Deutsch lernt sie nie). Aber als die Gattin des Sinapius stirbt, muss seine Tochter zurück um den Haushalt zu führen. Olympia übersetzt Psalmen ins Griechische und Andreas vertont sie.

1553 überfällt der katholische Markgraf von Brandenburg die Stadt Schweinfurt. Sie wird 14 Monate belagert. Die Pest bricht aus. Die Hälfte der Bevölkerung stirbt, auch Andreas wird krank. Olympia schreibt: “Unter der Last dieser Leiden haben wir nur einen Trost: das Gebet und die Meditation des göttlichen Wortes“. Andreas wird gesund und Olympia schreibt: „ Gott allein weiss den Tag und die Stunde der Barmherzigkeit, wir legen unser Schicksal in seine Hände.“ Zeitweise muss sich die Familie in einem Weinkeller verstecken.

Da wird die Belagerung aufgehoben, die Feinde ziehen ab und die Verteidiger der Stadt hinten nach, so dass die Stadt wehrlos ist. Die Bischöfe von Würzburg und Bamberg benützen dies und lassen die Stadt anzünden. Olympia will sich mit ihrer Familie in eine Kirche retten, aber ein unbekannter Soldat anerbietet sich, sie aus der Stadt zu führen. Ihr Glück, denn die Kirche verbrennt. Sie flüchten von der Stadt weg, unterwegs wird Andreas gefangen genommen und auf inständige Bitten von Olympia freigelassen, sie flüchten weiter zu Fuss, Olympia ist barfuss und krank. Dann kommen sie nach Hamelburg, wo die Bürger den Zorn der Bischöfe fürchten und sie nach drei Tagen weiterschicken. Sie geraten kurz in Gefangenschaft, nachher schenkt ihnen ein Unbekannter 15 Goldgulden. Schliesslich erreichen sie die Grafen von Reineck und von Erlach, die Olympia durch ihre Schriften kennen. Olympia ist erschöpft, sie haben alles verloren. Ihre Bibliothek ist verbrannt und jene des Vaters, die sie aus Ferrara nach Schweinfurt schicken liess. Auf Schloss Erbach kann sie sich etwas erholen. Andreas wird in Heidelberg ein Lehrstuhl für Medizin angeboten, sie selber könnte Ehrendame bei der Kurfürstin werden, aber sie lehnt es ab, will an keinen Hof mehr. Die Töchter des Grafen von Erlach werden ihre Freundinnen.

Sie leben mit wenig Ressourcen in Heidelberg. Olympia schickt bedürftigen Frauen in Schweinfurt Geld. Sie bittet einen Italiener, Luthers Katechismus ins Italienische zu übersetzen. Sie bittet Anna d’Este für Verfolgte, sie schreibt weiterhin an Curione, Occhino und Amerbach. Die Basler Buchdrucker schicken Bücher, Curione schickt ihr den Homer und ihre eigenen Schriften. Aber Olympia bleibt nur Kraft für Briefe und die häuslichen Arbeiten. Als im Juni 1555 in Heidelberg die Pest ausbricht, wird sie krank. Sie schreibt Curione: „Werden sie nicht traurig, wenn sie die Nachricht von meinem Tode erreicht. Ich weiss, dass die Krone der Gerechtigkeit für mich bereit steht und ich möchte gehen und bei Jesus Christus sein“.

Sie stirbt am 26. Oktober 1555. Ihr letzten Worte sind: „ ich bin glücklich, so glücklich“.

Curione muss die Nachricht ihrer Mutter in Ferrara mitteilen. Kurz darauf erliegen auch Andreas und Emilio der Pest. Sie werden in der Peterskirche in Heidelberg beerdigt, eine Grabtafel bezeugt es. Curione kümmert sich um die Herausgabe ihrer Werke, die 1558 erstmals erscheinen.

verfasst von Ines Rivera

Frau vom Juli-August 2017

altartafeln_von_hans_l-eu_d_a-__haus_zum_rech_-_linkes_limmatufer_2011-08-17_15-26-36Unsere gnädige Frau Katharina von Zimmern

Katharina von Zimmern war nur gerade 18 Jahre alt, als sie im Jahr 1496 vom Fraumünster-Konvent zur Äbtissin gewählt wurde. Als Fürstäbtissin war sie nominell noch immer Zürcher Stadtherrin und damit eine wichtige gesellschaftliche und politische Figur. Ihre Konkurrentin wurde vom Bischof von Chur unterstützt, hinter Katharina stellten sich der Rat von Zürich, der Abt von Stein am Rhein und die Stadt Rottweil. (Das Bild zeigt die Altartafel von Hans Leu dem Älteren – Panoramansicht des linksseitigen Limmatufers mit dem Fraumünster.)

Bereits 1491war Katharina 13jährig zusammen mit ihrer älteren Schwester in die Abtei aufgenommen worden. Aufgewachsen war sie im Schloss Messkirch südlich von Sigmaringen. Zweimal musste die Familie vor der Pest auf die Burg Wildenstein ausweichen. Ihr Vater, Graf Johann Werner, ein begabter Diplomat, Gelehrter und Musiker, wurde 1488 nach Intrigen eines Erzfeindes vom Kaiser in Bann gesetzt und musste fliehen. Die Mutter, die vorerst mit ihren acht Kindern allein im Schloss zurück blieb, wurde gezwungen ihre ganze Habe dem Feind zu übergeben und Messkirch ebenfalls zu verlassen. Einen Teil der Kinder konnte sie, zum Teil auf abenteuerliche Weise, an sicheren Orten unterbringen, der Rest der Familie fand Unterschlupf in Weesen am Walensee. Dies in einer bewegten Zeit: Der Waldmannhandel war in vollem Gange, anlässlich eines dramatischen Volksaufruhrs wurde der Zürcher Bürgermeister hingerichtet. Katharina als damals elfjähriges, aufgewecktes Mädchen hat dies mit Sicherheit mitbekommen. Das Ereignis hat Zürich für Jahrzehnte geprägt. In Weesen lebte übrigens gleichzeitig auch der sechs Jahre jüngere Ulrich Zwingli bei seinem Onkel, der dort Pfarrer war. Sie werden wohl miteinander gespielt haben.

Die Aufgabe, die die Achtzehnjährige antrat, war gross. Sie stand dem Konvent von vier Stiftsdamen und sieben Chorherren vor. Der Verwalter der Klostergüter wurde vom Rat der Stadt gewählt, die letzte Verantwortung jedoch lag bei ihr, Beschlüsse und Verträge wurden von ihr gesiegelt. Katharinas Klosterführung war ausgezeichnet. Sie konnte vier neue Stiftsdamen aufnehmen. Nach vier Jahren waren die Schulden ihrer Vorgängerinnen abbezahlt. Sie entfaltete eine reiche Bautätigkeit und engagierte renommierte Künstler zur Ausstattung von Abtei und Kirche. Das grosse Abteigebäude, das sie bauen liess, wurde erst 1896 abgebrochen, das reich geschmückte Empfangs- und das Gastzimmer sind heute im Landesmuseum zu besichtigen. Wichtige offizielle Besucher der Stadt wurden zuerst von der Äbtissin empfangen. Sie verfügte über das Prägerecht für die kleinste Münze, ernannte den Schultheissen (Polizeichef), den Gerichtsweibel und den Gerichtsschreiber. Ebenso lag bei ihr noch das alte Begnadigungsrecht, das sie auch ausübte. Der jungen Katharina wurden diese Fähigkeiten zugetraut, ebenso die Verwaltung der riesigen Güter der Abtei, die bis ins Urnerland hinein reichten, vergleichbar wohl mit einem heutigen Grosskonzern. Sie hatte das Recht, Güter zu kaufen und zu verkaufen (Leute, Höfe und ganze Dörfer) und allein zu handeln. Sie hatte jedoch längst nicht mehr so viel Einfluss wie ihre Vorgängerinnen.

Dann aber trat Katharina von Zimmern am 8. Dezember 1524 nach 28 Jahren als Äbtissin von ihrem Amt zurück und übergab die Abtei mit allem Besitz und mit allen Rechten der Stadt Zürich.

Fünf Jahre waren vergangen, seit Ulrich Zwingli 1519 in Zürich seine Stelle als Leutpriester (Stadtpfarrer) angetreten hatte und damit begann, in seinen Predigten das Evangelium auszulegen und die Bibel zu übersetzen. Er forderte die Menschen auf, die Bibel selber zu lesen und wollte zurück zu den einfachen Glaubensaussagen des Neuen Testamentes unter Einbezug des damaligen Wissens.

Davon, wie Katharina darüber dachte, haben wir keine schriftlichen Zeugnisse. Wir haben eine einzige Bemerkung Zwinglis über die Äbtissin: „Sie gehört zur Partei Christi und brächte es nicht fertig, mir etwas abzuschlagen.“ Sie liess ihn am Markttag, an dem viele Bauern auf dem Münsterhof ihre Produkte verkauften, im Fraumünster predigen. Damit bekamen auch Menschen von ausserhalb der Stadt Gelegenheit, ihn zu hören.

In den leidenschaftlich ausgetragenen Auseinandersetzung um den Glauben widmeten verschiedene Autoren von beiden Seiten Katharina von Zimmern ihre Schriften und versuchten, sie von ihrer Sicht zu überzeugen. Erst vor 20 Jahren ist ein Buch aufgetaucht, in dem zwölf reformatorische Schriften aus den Jahren 1522-1524 zusammengestellt sind, schön gebunden, zwei Schriften sind handschriftlich Katharina gewidmet. Sie muss die Schriften gesammelt haben. Der Einband stammt aus der Zeit. Im Protokoll der Ratssitzung, in welcher sie ihre Entscheidung bekanntgab steht, dass es etliche Aufwiegler gebe, die es gerne gesehen hätten, wenn sie bei den Eidgenossen oder beim Bischof von Konstanz Hilfe geholt hätte. Das aber hätte der Stadt Zürich grosses „Ungemach und Unfrieden“ und wohl eine kriegerische Auseinandersetzung mit Blutvergiessen gebracht. Das wollte sie nicht. In der Übergabeurkunde schreibt sie, sie habe nach Erforschung ihres Gewissens, „gut und willig und nicht gezwungen“, nachdem sie sich mit ehrbaren Leuten besprochen habe, auf die Hoheits- und Besitzrechte der Abtei verzichtet, weil die Zeit und wie sich die Dinge gestalteten es erfordere. Sie hat die Zeichen der Zeit erkannt. Sie gab damit alles auf, Amt, Position, Wohnort und die Verbindung zur altgläubig gebliebenen Familie, die ihren Entscheid verurteilte.

Katharina von Zimmern hat sich mit 47 Jahren nochmals auf ein ganz neues Leben eingelassen. Kurz nach der Übergabe heiratete sie und brachte noch zwei Kinder zur Welt. Ihr Ehemann Eberhard von Reischach war vor der Heirat vom Zürcher Rat zum Tode verurteilt worden, weil er als Söldnerführer verbotenerweise junge Männer angeheuert und nach Württemberg in den Krieg geführt hatte. Katharina zog zu ihm nach Schaffhausen, dann nach Diessenhofen. Reischach wurde später begnadigt, kehrte zurück und kämpfte für Zürich, er fiel 1531 in der Schlacht bei Kappel. Katharina von Zimmern lebte noch 16 Jahre als Witwe, davon die letzten sieben im Haus zum Mohrenkopf am Zürcher Neumarkt, zusammen mit ihrer Tochter Anna. Fünfmal ist sie in den Taufbüchern des Grossmünsters als Patin eingetragen, zuerst unter dem Namen Catrin von Ryschach, den die Historiker zunächst allerdings nicht mit ihr verbanden. Sie hat damit wie viele Frauen vor und nach ihr mit der Heirat und dem neuen Namen ein Stück Identität verloren. Und anscheinend wieder gewonnen: 1545, zwei Jahre vor ihrem Tod, wird sie nochmals Patin, zusammen mit dem berühmten Stadtarzt Jacob Ruoff, und hier wieder unter „Fr. Cathrina Äbtissin“. Nur für das Fraumünsteramt, das die Klostergüter nach der Übergabe verwaltete und ihr pünktlich die vereinbarte jährliche Rente und 1537 eine einmalige Vergütung für das Wohnrecht auszahlte, und dies in den Rechnungsbüchern sorgfältig aufführte, blieb sie durch alle Jahre hindurch bis zum Schluss „unsere gnädige Frau“.

verfasst von Irene Gysel

Frau vom Mai-Juni 2017

margarete_blarerDie Frau vom Monat Mai-Juni ist eine der Frauen, die frau kennen sollte rund um die Ereignisse, welche zur Reformation geführt haben. Der Spruch „Mutwillig und lustig dem Herrn dienen“ könnte als ihr Lebens- und Glaubensmotto verstanden werden und zur Überschrift des folgendes Portraits. Es wurde von Dr. Urte Bejick verfasst und erscheint auch auf: www.frauen-und-reformation.de
An der Delegiertenversammlung der Evangelischen Frauen Schweiz wird am 29. April der Fokus auf den Beitrag der Frauen zur Reformation gelegt. Weitere Infos unter: www.efs-fps.ch

Lebensdaten
Margarete Blarer (unter weiteren Namen bekannt als Margarete Blaurer, Margarete Blorer) wurde 1493 in Konstanz geboren. Die Familie Blarer stammte aus ursprünglich aus Thurgau, gehörte zu den wohlhabenderen und war im Rat der Stadt vertreten. Margaretes Brüder Thomas (1501-1567) als Bürgermeister und Ambrosius (1492-1564) als Prediger waren massgeblich an der Reformation der Stadt Konstanz beteiligt.

Margarete Blarer führte eine reiche Korrespondenz, sie las und kommentierte theologische Schriften, ermöglichte ihrem Bruder durch Geschäfte im Leinenhandel eine ungestörte, unbesoldete Tätigkeit im Dienst der Kirche und wirkte über Kindererziehung und Armenfürsorge auf die soziale Ausgestaltung der Reformation in Konstanz ein. Sie starb 1541 an den Folgen der Pest.

Nach Margarete Blarer sind zahlreiche diakonische Einrichtungen der Jugend- und Altenhilfe im süddeutschen Raum benannt.

Beziehungen
„Doch Ihr sagt: wo Christus Meister, sei man nicht meisterlos, und dabei bleibe es.“ Dieses Bekenntnis zur Ehelosigkeit ( „Meisterlosigkeit“) ist einer der wenigen Sätze von Margarete Blarer, die überliefert sind. Quelle für Leben und Wirken dieser schreibfreudigen und politisch engagierten Frau sind die Briefe, die ihre Brüder und vor allem der Strassburger Reformator Martin Bucer (1491-1551) an sie geschrieben haben; ihre eigenen Briefe liegen nicht mehr vor.

Dank ihrer Herkunft als Tochter eines Konstanzer Kaufmanns und Ratsherren genoss Margarete Blarer eine humanistische Bildung. Die humanistische Theorie ging davon aus, dass Menschen nicht als solche geboren, sondern dazu „gebildet“ würden; dies galt auch (zumindest theoretisch) für Frauen.

Diese „Menschwerdung“ setzte aber den Zugang zur klassischen Literatur, die Möglichkeit zu gelehrter Kommunikation, Mobilität und eine materiell abgesicherte Musse voraus. Diese Verfügung über die eigene Zeit, den eigenen Raum, war den meisten Frauen in der Regel verwehrt. Auch ausgedehnte Bildungsreisen, wie sie männliche Humanisten sich leisten konnten, waren Frauen kaum möglich. Dennoch hatte die junge Margarete Blarer die Möglichkeit, mit ihren Brüdern zusammen Latein zu lernen und in ihrer Gesellschaft Kontakt zu führenden Gelehrten aufzunehmen.

Nach dem Tod ihres Vaters pflegte Margarete Blarer ihre Mutter und führte den elterlichen Leinenhandel weiter. Dies schränkte ihre Musse zu weiteren Studien ein, sicherte ihr aber auch Unabhängigkeit und Freiheit. Margarete verspürte weder die Neigung zu heiraten, noch in ein Kloster zu gehen. Ihre Brüder Thomas und Ambrosius wandten sich nach 1519 der Reformation zu; Ambrosius floh aus dem Kloster Alpirsbach und wurde von Margarete versteckt. Die Stadt Konstanz bekannte sich früh zur Reformation, auch, um von dem in Meersburg residierenden Bischof unabhängig zu werden. Über ihre Brüder Ambrosius und Thomas, der eine seit 1525 Reformator, der andere Bürgermeister von Konstanz, und ihre Neffen, die Ratsherren Konrad und Johannes Zwick hatte Margarete Blarer Anteil an der Reformation der Stadt. Sie stand in Briefwechsel mit süddeutschen Reformatoren, insbesondere mit Martin Bucer. Eine Zeit lang stand sie in brieflichem Austausch mit Katharina Schütz (Zell); dieser war allerdings von Martin Bucer initiiert worden, damit Blarer mässigend auf die nach seinem Dafürhalten allzu selbstbewusste Strassburgerin einwirken sollte. Bucer war Diskussionspartner in theologischen und politischen Fragen, regte Margarete zur Wiederaufnahme ihrer Studien an, paktierte aber auch mit den Gebrüdern Blarer, sobald der Studieneifer ihrer Schwester zur Vernachlässigung der Haushaltung, sprich: deren Versorgung, führte.

Wirkungsbereich
Bereits vor ihrer Zuwendung zur Reformation galt Margarete als „erudita“, als eine gebildete, des Lateins kundige Frau, wie sie in Norditalien und Deutschland in den grossen städtischen Kaufmannsfamilien ihr Leben gestalten konnten. Über ihre Brüder und Vettern hatte Margarete Blarer Einfluss auf die Reformation der Stadt Konstanz.

Aufgrund ihrer Freundschaft und des regen Briefwechsels mit Martin Bucer wurde sie von diesem um Vermittlung im Abendmahlsstreit gebeten – Bucer vertrat eine gemässigte Auffassung der „Wandlung“, die von reformatorischer Seite als Zugeständnis an die katholische Kirche gewertet wurde. Margarete Blarer kam dem Wunsch ihres Freundes nicht nach, vertrat den reformatorischen Standpunkt: „Ihr sagt: ‚Wir wissen, dass wir uns nicht einigen werden, und wollen nicht umsonst Ärgernis geben’. […] Ich fürchte, Ihr vertraut zuviel auf Euere Klugheit […] was die ‚conspirationes’ und ‚concepta verba’ der Schrift nach Ewigkeit […] das Wort von den Ärgernissen habt wahrlich Ihr zu fürchten, die Ihr hartnäckig das einzige Mittel zu ihrer Beseitigung zurückweist. […] Doch wir lieben Euch wahrhaft und sind darum betrübt,“ klagt Martin Bucer und bezeugt durch die Zitate das theologische Denken Blarers. Bei der Ablehnung von Bucers Abendmahlsverständnis ging es auch politisch darum, keine Zugeständnisse an den Bischof in Meersburg zu machen, was  letztlich mit dazu beitrug, dass die Konstanzer die „Wittenberger Konkordie“ nicht unterschrieben und sich an den reformatorischen Gemeinden der Schweiz orientierten.

Vor allem aber ist Margarete Blarer für ihr karitatives Wirken bekannt. „Privat“ versorgte sie in ihrem Haus Kranke, Vertriebene und Waisenkinder, wobei ihr besonders die Unterrichtung der Kinder am Herzen lag. Auch ihr Neffe Johannes Zwick sorgte sich um die Bildung von Kindern, und 1531 wurde in Konstanz eine „Deutsche Schulordnung“ erlassen. Die religiöse Unterweisung der Kinder in Margarete Blarers Haus entsprach der Praxis des Konstanzer Waisenspitals, wo die Kinder Predigten und vor jedem Essen Bibellesungen hörten.

Mit und für Frauen gründete Margarete Blarer einen Armenverein. 1537 selbst von schwerer Krankheit genesen, wandte sie sich der öffentlichen Krankenpflege zu, während der grossen Pestepidemie 1541 besuchte sie zusammen mit Johannes Zwick die Kranken im Pestspital, was  beide im selben Jahr das Leben kostete.  Schon zu Lebzeiten galt Margarete Blarer als diaconissa ecclesiae Constantiensis.

Reformatorische Impulse
Margarete Blarer verkörperte das humanistische, „vor-reformatorische“ Ideal der gebildeten Frau. Ihre umfassende Bildung wie ihre finanzielle Unabhängigkeit ermöglichten ihr ein eheloses Leben, das sie ihren Geschäften, ihren Studien und ihrer Korrespondenz sowie der Fürsorge für Waisen, Arme und Kranke widmete. Eines wollte sie ganz sicher nicht: einen „Eheherrn“, der „eine recht Niedrige begehrt, die sich mehr als Dienerin denn als Herrin fühlte“ (so Martin Bucer in einem Brief). Für die Entfaltung solch einer weiblichen Lebensform war die Reformation eher ein Rückschritt: Durch die Auflösung von Klöstern, die Ausweisung der Beginen 1527  und später der Tertiarinnengemeinschaften wurden nicht-eheliche Lebensmöglichkeiten und Wohnformen von Frauen stark beschnitten. Ausserdem ging der Konstanzer Rat, nicht zuletzt durch massiven Druck der Blarer-Brüder, gegen jede Form der „Unsittlichkeit“ vor: 1524 wurde ein Ehegericht geplant, 1527 ein Gesetz gegen Ehebruch und Konkubinat erlassen. 1531 erliess die Stadt Konstanz eine „Zuchtordnung“. „Ledig frowen“, denen ein unordentlicher Lebenswandel nachgesagt wurde, konnten der Stadt verwiesen oder mit Turmhaft bestraft werden.

Mit den Beginengemeinschaften wurden auch die traditionellen Instanzen für Krankenpflege und Totenversorgung aufgelöst. Margarete Blarer versuchte als „Diakonin“ Kindererziehung und Bildung, Armenversorgung und Krankenpflege nicht nur im eigenen Haus durchzuführen, sondern als öffentliche Aufgabe zu installieren. Sie war – aufgrund ihrer Herkunft und familiären Verbindungen – eine „Ausnahmefrau“. Ihre Lebensweise konnte sich in der Reformation als Rollenmodell nicht durchsetzen, ebenso wenig wie ihr „Diakonat“.

Nach Margarete Blarer sind in Baden-Württemberg diakonische Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe benannt. Dies erinnert an ihr diakonisches Wirken. Ihre humanistischen Wurzeln, ihr Versuch das auch von Luther noch anerkannte „Charisma“ des selbstständigen weiblichen Lebens zu leben, sollte darüber nicht vergessen werden.

Kommentar
Margarete Blarer versuchte ein neues Lebensmodell für Frauen, das sich der Alternative „Ehe“ oder „Ordensgemeinschaft“ entzog. Sie lebte „mitten in der Welt“ als Kauffrau, widmete sich der eigenen Bildung und Lektüre, war aber gleichzeitig anderen Menschen zugewandt. Hilfe leistete sie nicht allein im privaten Rahmen, sondern immer auch im öffentlichen Raum. Sie rettete eine ursprünglich monastische Lebensform, die Frauen Bildung ermöglichte und die der Wohltätigkeit gewidmet war, in das Alltagsleben. Konnte sich ihr Lebensmodell in der Reformation nicht durchsetzen, bietet es doch heute ein attraktives Vorbild: ein finanziell unabhängiges Frauenleben, mit oder ohne Partner, kulturell interessiert, politisch engagiert, einem gewissen Wohlstand nicht abgeneigt, aber auch nicht daran festklammernd, grosszügig und sozial engagiert.

 

Sekundärliteratur
Bejick: Margarete Blarer, in: A. M. von Hauff (Hg.), Frauen gestalten Diakonie. Bd.1: Von der biblischen Zeit bis zum Pietismus; Stuttgart 2007, 295-304.
Bejick, Deutsche Humanistinnen, in: E. Kleinau/C. Opitz (Hgg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 1, Frankfurt u.a. 1996, 152-171.
Heinsius, Frauen der Kirche am Oberrhein, Lahr 1978.

Quellenschriften
Von Margarete Blarer sind keine schriftlichen Zeugnisse überliefert, nur die Briefe Martin Bucers an sie sind erhalten. Die Korrespondenz Bucers wird gegenwärtig neu ediert, Briefe an Margarete Blarer in: Martin Bucer, Briefwechsel/Correspondance Bd. 6, hrsg. v. R. Friedrich u.a., Leiden/Boston 2006.

Frau vom März-April 2017

wibrandisWibrandis Rosenblatt (*1504 in Säckingen † 1. November 1564 in Basel) war vier Mal verheiratet und nacheinander die Frau von drei bedeutenden Reformatoren, Johannes Oekolampad, Wolfgang Capito und Martin Bucer.

Typisch für ein Frauenleben im Zeitalter der Pest war ihr Leben gezeichnet von Heirat und verwitwet werden, von zahlreichen Geburten und Sterbefällen. Speziell ist ihr aktives Engagement für die Sache der Reformation. Insbesondere beeinflusste sie – wie andere „Priester Ehefrauen“ der ersten Generation – wesentlich den neuen Rollentyp der „reformierten Pfarrfrau“ und prägte das Bild des im Entstehen begriffenen „reformierten Pfarrhauses“.

1504 Geburt von Wibrandis Rosenblatt als Tochter von Hans Rosenblatt, später Schultheiss von Säckingen (bei Waldshut) sowie kaiserlicher Feldhauptmann und Magdalena Strub, Tochter einer angesehenen Basler Gerber- und Ratsherrenfamilie. Da der Vater mehr auf den Schlachtfeldern als bei seiner Familie weilt, zieht die Mutter mit ihren Kindern später wieder zurück nach Basel.

1524 – 1526 Ehe mit Ludwig Keller
Aus ihrer Kindheit ist wenig bekannt. Ihre Familie gilt als fortschrittlich. Mit zwanzig heiratet sie den humanistisch gebildeten Magister Ludwig Keller. Gemeinsam haben sie eine Tochter. Nach nur zwei Ehejahren ist Wibrandis bereits zum ersten Mal Witwe. Wibrandis wendet sich der reformatorischen Lehre zu.

1528 – 1531 Ehe mit dem Basler Reformator Johannes Oekolampad
Der Prediger und Universitätsprofessor ist schon weit über vierzig als seine Mutter stirbt, die bis dahin seinen Haushalt führt. Nach reiflicher Überlegung entschliesst sich der Basler Reformator sich zu verehelichen und heiratet die um 22 Jahre jüngere Wibrandis Rosenblatt. Diese bringt ihre eigene Mutter und ihre kleine Tochter mit in den Haushalt.

Die Heirat eines Priesters ist gleichsam ein reformatorischer Akt, ein Bekenntnis zum «neuen» Glauben. Priesterehen erregen Anstoss und provozieren öffentliche Kritik.

In Basel äussert sich u.a. Erasmus von Rotterdam spöttisch zur Ehe Oekolampad-Rosenblatt.

Wibrandis führt die Hauswirtschaft, empfängt Gäste, beherbergt Glaubensflüchtlinge, betreut Arme und Kranke und wird Mutter von weiteren drei Kindern. Zudem werden im Haus von Oekolampad Beziehungen mit anderen Reformatoren gepflegt. So macht Zwingli Station auf dem Weg zu den Religionsgesprächen in Marburg. Auch steht Wilibrandis in brieflichen Kontakt mit andern Ehefrauen ehemaliger Priester wie mit Agnes, der Frau von Capito, Elisabeth, der Frau von Bucer und Anna Zwingli. Durch all die Besuche, Briefwechsel und Tischgespräche nimmt Wibrandis Rosenblatt regen Anteil an den Auseinandersetzungen und Debatten ihrer Zeit.

1531 stirbt Oekolampad und Wibrandis wird nach nur drei Ehejahren bereits zum zweiten Mal Witwe.

1532 – 1541 Ehe mit dem Reformator Wolfgang Capito in Strassburg
Unterdessen verliert der Reformator Strassburgs, Wolfang Capito, seine Frau Agnes durch die Pest. Dem über fünfzigjährigen Witwer mit mehreren Kindern raten seine Freunde, die um zwanzig Jahre jüngere Wibrandis zu heiraten. Dieser Ehemann ist nicht einfach, er leidet an Depressionen, ist sehr unpraktisch veranlagt und durch Bürgschaften, die er naiv übernommen hatte, in finanzielle Bedrängnis geraten. Die Pfarrfrau Wibrandis muss sehr sparsam sein, um die auch in diesem Haus üblichen Flüchtlinge und Hilfesuchenden versorgen zu können. Daneben schenkt sie ihrem Mann in neunjähriger Ehe fünf weitere Kinder. Im Pestjahr 1541 sterben Capito sowie drei ihrer Kinder an der Pest.

1542 – 1551 Ehe mit dem Reformator Martin Bucer in Strassburg
Die Pest rafft auch Bucers Frau Elisabeth hinweg. Auf dem Sterbebett lässt sie ihren Mann geloben, nach ihrem Tod Wibrandis zu heiraten. Zu den eigenen und angeheirateten Kindern nimmt Wibrandis noch eine Tochter ihres verstorbenen Bruders zu sich auf und bekommt aus dieser Ehe zwei weitere Kinder. Zusätzlich wohnen – nebst der Mutter von Wibrandis – auch Bucers Vater und dessen zweite Frau im Pfarrhaus.

1548 muss Bucer Straßburg verlassen – seine Verbannung war eine Bedingung von Karl V. für einen Friedensschluss nach der Niederlage der protestantischen Fürsten im Schmalkaldischen Krieg. Bucer geht als Theologieprofessor nach Cambridge, fühlt sich jedoch dort nicht wohl und bekommt gesundheitliche Probleme. Anlässlich eines Besuches entscheidet Wibrandis, die ganze Familie müsse nach England umziehen. Ein paar Monate später erkrankt Bucer schwer und stirbt. Er wird in Cambridge beerdigt.

1551 Nach dem Tod ihres vierten Ehemannes reist Wibrandis zusammen mit ihrer Mutter und den Kindern zurück nach Straßburg und danach weiter in ihre Heimatstadt Basel. 1564 erliegt Wibrandis im Alter von 60 Jahren selber der Pest.

 

Wibrandis Rosenblatt wurde von ihren Zeitgenossen überaus geschätzt und als schöne Frau bezeichnet. Gleichzeitig verkörperte sie gewissermassen das Idealbild christlicher Lebenspraxis bezüglich Partnerschaft, Hauswirtschaft Kindererziehung und sozialem Engagement. Sie repräsentierte die beiden Aspekte der biblischen Schwestern Martha und Maria, nämlich „Arbeitsseligkeit“ und „Gottseligkeit“ wie Bucer dies formulierte. Als Ausdruck ihrer öffentlichen Wertschätzung wird sie im Grab ihres zweiten Gatten Johannes Oekolampad im Kreuzgang des Basler Münsters beigesetzt.

Siehe auch http://frauen-und-reformation.de/?s=bio&id=45

verfasst von Catina Hieber

Frau des Monats Januar 2017

Marie Dentière wurde um 1490 oder 1495 in Tournai (im heutigen Belgien) geboren; sie stammte aus einer Adelsfamilie und war Priorin in einem Augustinerinnenkloster. Bereits frühzeitig schloss sie sich lutherischem Gedankengut an und verließ Anfang der 1520er Jahre ihr Kloster, um nach Straßburg zu gehen. Dort heiratete sie Simon Robert, einen Prediger, dem sie 1528 in die Schweiz folgte. Nach dem Tod ihres Mannes ging sie mit Antoine Froment eine zweite Ehe ein, auch er war ein Prediger und einer der Hauptakteure der Genfer Reformation. Marie Dentière, die aus ihren beiden Ehen mindestens drei Töchter hatte, ließ sich 1535 mit ihrer Familie in Genf nieder und unterstützte dort die Einführung der Reformation mit Wort und Tat.

Sie gab sich dabei nicht mit dem im Zuge der Reformation neu geschaffenen „Beruf“ der Pfarrfrau zufrieden, sondern forderte ein aktives und öffentliches Mitwirken der Frauen im kirchlichen Leben. Sie verfasste verschiedene Schriften, die uns erhalten geblieben sind. Zuerst 1536 anonym eine Geschichte der Genfer Reformation, in der sie ihre intellektuellen Fähigkeiten aber auch ihre theologischen und kirchenrechtlichen Kenntnisse unter Beweis stellt.

Bekannt geworden ist sie aber vor allem mit einer anderen Schrift, der Epistre très utile (1539), in der sie sich für eine aktive Teilnahme der Frau am Leben der Kirche und Gesellschaft ausspricht. Sie betont darin die Gleichheit aller Menschen vor Gott. „Ich frage“, so schreibt sie, „ist Jesus nicht genauso für die armen Unwissenden und Einfältigen wie für die Herren, die rasierten, tonsurierten und infulierten gestorben? […] Haben wir zwei Evangelien? Eines für die Männer, und ein anderes für die Frauen?“, und sie konstatiert mit den Worten aus Galater 3,28: „[…] alle sind wir eins in Jesu Christo, hier ist weder Mann noch Weib, weder Knecht noch Freier.“

Daneben enthält die Schrift eine Art „Katalog“ berühmter Frauengestalten aus der Bibel, wie z. B. Deborah und Ruth sowie insbesondere die Samariterin und Maria Magdalena, die mutig ihrem Auftrag, vor aller Welt das Wort zu verkünden, nachgekommen seien.

Und was sie schreibend forderte, lebte sie auch. Sie hat öffentlich geredet und gepredigt, und sich dabei nicht gescheut, auch Kritik an der kirchlichen Obrigkeit zu äussern. Calvin, der zuerst mit den Froments befreundet war, wandte sich ab von ihr. 1546 schrieb er missbilligend in einem Brief an Farel: „Neulich kam Froments Frau [Marie Dentière] hierher. In allen Kramläden, auf allen Straßen predigte sie gegen unsere langen Talare.“

Ihr Reden und viel mehr noch ihr Schreiben provozierten auch den Widerstand der Obrigkeit. Ihr Buch wurde kurz nach seinem Erscheinen eingezogen und verbrannt, der Verleger wurde vorübergehend in Haft genommen. Der Vorfall läutete den Beginn der Zensur im reformierten Genf ein. Nicht nur wurde Marie Dentière das Wort entzogen; im gesamten 16. Jahrhundert verließ kein einziges aus weiblicher Feder stammendes Werk mehr die Genfer Druckerpressen.

Danach gab es für Marie Dentière kaum mehr Möglichkeiten, öffentlich zu wirken. So hat sie später andere Wege gesucht, sich für ihre Ideen einzusetzen. Sie richtete in der Genfer Gegend ein Pensionat für junge Mädchen ein und konnte so ihren drei Töchtern den Zugang zu den biblischen Sprachen eröffnen.

Nach ihrem Tod geriet Marie Dentière lange in Vergessenheit. Doch ihre Schriften wurden wieder entdeckt, und heute steht ihr Gedenkstein immerhin in der Nähe des Reformationsdenkmals in Genf.

verfasst von Sabine Scheuter

Frau des Monats Dezember 2016

csm_schottroff__luise«Wenn ihr euch für die Armen einsetzen wollt, dann sollt ihr bitte genau wissen, was die Bibel dazu sagt. Sonst verduftet dieses Engagement irgendwann wie der Flieder im Mai.» (Luise Schottroff)

Luise Schottroff lehrte an den Universitäten Mainz, Kassel, Berkeley und New York, 2007 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Universität Marburg verliehen. Sie unterrichtete in vielen Studienzentren, auf dem Kirchentag, in Gemeinden und überall dort, wo sie Menschen begegnete, die Fragen an die Bibel und ans Leben hatten. Sie gehört zu den Gründerinnen des Netzwerkes ESWTR (European Society of Women in Theological Research). Politisches Engagement und eine tiefe, von biblischer Tradition getragene Frömmigkeit kamen bei ihr zusammen. Sitzblockaden im Hunsrück vor den dort stationierten amerikanischen Raketen in den 1980er Jahren gehören ebenso zu ihrer Biographie wie Bibelarbeiten mit Dorothee Sölle auf den Kirchentagen und eine Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen.

Anfangs der 1970er Jahre setzte sie sich mit dem Antirassismusprogramm des Ökumenischen Rates der Kirchen auseinander und begann, sich für die Entwicklung einer Befreiungstheologie im europäischen Kontext zu engagieren. Dass viele ihrer Kollegen eine Beteiligung am Antirassismusprogramm mit der Begründung ablehnten, sie seien Theologen und an Politik nicht interessiert, hat sie richtiggehend entsetzt. Wie kann man Theologie betreiben und den gesellschaftlichen Kontext nicht reflektieren?

Die theologische Frauenbewegung wahr- und ernstzunehmen, war für Schottroff selbstverständlich. Schottroffs „Feministische Sozialgeschichte des frühen Christentums“ (Gütersloh 1994) ist als Meilenstein zu verstehen. Sie hat zahlreiche Doktorandinnen begleitet und gelehrt, feministische Sommerunis in Kassel abgehalten und grosse feministisch-theologische Projekte initiiert wie das Wörterbuch der Feministischen Theologie (Gütersloh 19912), das Kompendium Feministische Bibelauslegung (Gütersloh 1998). Dadurch gelang es der Feministischen Bibelwissenschaft, sich zu konsolidieren. Viele Kooperationen der Forscherinnen wurden durch die Arbeitstreffen dieser Werke möglich, Wissen wurde zusammengeführt. Als eine der HerausgeberInnnen der „Bibel in gerechter Sprache“ (Gütersloh 2006) war es ihr ein Anliegen, die drei theologischen Bewegungen – die Befreiungstheologien der weltweiten Ökumene, den christlich-jüdischen Dialog und die Feministische Theologie – zusammenzubringen.

Ihr unermüdlicher Forschungsgeist brachte immer wieder Neues zu Tage. So z.B. ihre Arbeit zu den Gleichnissen Jesu (2005) oder „Essen, um zu leben“ (mit Andrea Bieler zusammen, 2007). Mit ihrem Kommentar zum 1. Korinther (Gütersloh 2013), ihrer sozialgeschichtlich in der politischen Welt des römischen Imperiums verorteten Pauluslektüre, hinterliess sie ein reiches Vermächtnis.

verfasst von Luzia Sutter Rehmann

Frau des Monats September 2016

goessmannElisabeth Gössmann, geb. 1928 in Osnabrück, ist eine der ältesten Pionierinnen der Feministischen Theologie – und unsere Frau des Monats September. Trotz schulischer und anderer Probleme durch den Zweiten Weltkrieg, konnte sie ihren Wunsch, Theologie zu studieren, verwirklichen. Sie gehörte dann zu den ersten Frauen, Weiterlesen

Frau des Monats Juli 2016

Moltmann-WendelElisabeth Moltmann-Wendel gehört zu den Pionierinnen, die den feministischen Aufbruch der 1970er Jahre in Theologie und Kirche im deutschsprachigen Raum in Gang gebracht haben. Aus persönlicher Betroffenheit beginnt die promovierte Theologin das traditionelle christliche Frauenbild und die patriarchal geprägte dogmatische Theologie zu hinterfragen, womit sie zusammen mit andern eine ganze Bewegung ins Rollen bringt. Frauen aus den unterschiedlichsten Kontexten entdecken neue Räume und befreien sich aus dem Korsett einengender traditioneller christlicher Denkmuster und Rollenerwartungen.

Vor kurzem, am 7. Juni 2016, ist Elisabeth Moltmann-Wendel in Tübingen im 89. Lebensjahr gestorben. Geboren ist sie 1926 in Herne, aufgewachsen in Potsdam, geprägt durch die preussische Kultur und die Bekennende Kirche, der ihre Familie angehörte. Nach dem Krieg studiert Elisabeth Moltmann-Wendel Evangelische Theologie in Berlin und Göttingen. Ihr besonderes Interesse gilt der gesellschaftskritischen reformatorischen Theologie. 1951 promoviert sie und heiratet ein Jahr danach den späteren Tübinger Professor für Systematische Theologie Jürgen Moltmann und zwar auf dem Zivilstandsamt in Basel. Durch den Ehestand verliert sie gemäss damaligem Kirchengesetz alle kirchlichen Ausbildungsrechte inklusiv das Recht auf Vikariat und Ordination!

Nachdem das erste Kind aus unerklärlichen Gründen bei der Geburt gestorben ist, bringt sie zwischen 1955 und 1963 vier Töchter zur Welt. Dazu schreibt sie in ihrer Autobiografie: „Ich genoss die Schwangerschaften… Ich war nicht mehr ein „Nobody“, wie es sich mir in meiner Nur-Ehefrau-Existenz zuweilen aufdrängte…

Aber langsam schleichend geriet ich doch in eine Rolle, die ich mir nie gedacht hatte.“ Zur Illustration schildert sie einen gemeinsamen Besuch mit ihrem Ehemann aus dem Jahr 1963.

„An einem Augustmorgen 1972 drehte sich die Welt für mich um hundertachzig Grad“. So beschreibt Elisabeth Moltmann-Wendel ihr Schlüsselerlebnis zu ihrem feministisch theologischen Aufbruch. Ausgelöst wird dieser durch verschiedene Artikel, die Freunde ihr aus den USA mitgebracht haben zur neueren Frauenbewegung, unter denen auch theologische Artikel waren. Die Verfasserinnen stellten alles bisher Gültige auf den Kopf. Anstatt von theologischen Prämissen auszugehen, stellten sie die Frauen, ihre gesellschaftliche Situation, ihre Erfahrungen und ihre Lebenswelten ins Zentrum ihrer Reflexionen. Plötzlich fühlt Elisabeth Moltmann-Wendel sich miteinbezogen. Von nun sind für sie stets konkrete Erfahrungen, insbesondere der Alltag von Frauen, Ausgangspunkt ihres theologischen Nachdenkens.

Zusammen mit andern organisiert sie die ersten und später als Marksteine des Frauenaufbruchs berühmt gewordenen Studientagungen Feministischer Theologie in Bad Boll. Ebenso trägt sie wesentlich dazu bei, dass Frauen an der zentralen Institution des Deutschen Evangelischen Kirchentags ein Sprachrohr bekommen in Form eines dreitägigen Frauenforums inklusiv Workshops (erstmals ab 1981).

Ein wichtiger Beitrag zur Begründung eines neuen Selbstbewusstsein von Frauen gelingt Elisabeth Moltmann-Wendel mit ihrem 1980 erschienenen Buch „Ein eigener Mensch werden. Frauen um Jesus“. Darin wirft sie einen neuen Blick auf bekannte Frauengestalten des Neuen Testamentes. Frauen wie Martha, Maria von Bethanien oder Maria Magdalena, Johanna und andere werden aus dem Filz langer Auslegungstraditionen herausgehoben und entpuppen sich als eigenständige und starke Frauen.

Anders als die klassische Theologie bezieht Elisabeth Moltmann-Wendel in revolutionärer Weise den Körper und Körpererfahrungen in ihr theologisches Nachdenken ein. Wir müssen mit dem Körper denken, mit unserer Erdhaftigkeit und mit all unseren Sinnen verstehen, damit wir fantasievolle Schritte tun und uns neue Lebensquellen erschließen. Ein Leben lang wehrt sie sich gegen die „blutleere“ universitäre Theologie. Sie ist überzeugt, wer an seinem Körper vorbeisieht, sieht auch an Gott vorbei. „Nur wer die Erde berührt, kann den Himmel berühren“ so der Titel ihrer Autobiografie aus dem Jahr 1997. Doch bereits mit ihrem Buch „Wenn Gott und Körper sich begegnen – Feministische Perspektiven zur Leiblichkeit“ (1988) stellt sie sich gegen die abendländische Tradition, die Gott lange Zeit nur als Geist verehrt hat. Neue Perspektiven bringt sie auch hinsichtlich der Kreuzestheologie. Nicht um unsere Sünden zu sühnen, ist Jesus am Kreuz gestorben, sondern für seine Freunde, für alle Ausgegrenzten und dazu zählten damals auch die Frauen, die Jesus begleiteten, gab er sein Leben.

Ich bin gut – ich bin ganz – ich bin schön!“ Mit diesem berühmt gewordenen Zuspruch bringt sie damals die lutherische Rechtfertigungslehre für Frauen auf den Punkt, ganzheitlich und körperlich. Aus Erfahrungen, dass Frauen aufgrund vielfältiger gesellschaftlicher Diskriminierungen und traditionellen Rollenzuweisungen oft Mühe haben, sich selber und ihren Körper anzunehmen, kreiert sie diese „Lebens-wendende“ Kurzformel. Eine Ermutigung auch für Frauen von heute?

Catina Hieber

 

Preise
1992 Johanna-Löwenherz-Preis.
1997 Herbert-Haag-Preis für Freiheit in der Kirche (Luzern), zusammen mit Elisabeth Gössmann.

 

Veröffentlichungen (Auswahl):

  • Frauenbefreiung – Biblische und theologische Argumente, München 1976.
  • Ein eigener Mensch werden. Frauen um Jesus, Gütersloh 1980.
  • Das Land, wo Milch und Honig fliesst, Gütersloh 1985.
  • Wenn Gott und Körper sich begegnen, Gütersloh 1989.
  • Als Frau und Mann von Gott reden (zusammen mit Jürgen Moltmann), München 1991.
  • Mein Körper bin Ich, Gütersloh 1994.
  • Wer die Erde nicht berührt, kann den Himmel nicht erreichen. Autobiografie, Zürich 1997, aktualisierte Neuauflage Hannover 2002.
  • Wach auf, meine Freundin. Die Wiederkehr der Gottesfreundschaft, Stuttgart 2000.
  • Mitherausgeberin des Wörterbuchs der Feministischen Theologie, Gütersloh 1991, 2. Auflage 2002.

Frau des Monats Mai 2016

Foto_Helen_Schüngel-StraumannAm 30. Mai feiert die «Helen Straumann-Stiftung für Feministische Theologie» ihr 20-jähriges Bestehen: Anlass, eine der Pionierinnen der Feministischen Theologie als Frau des Monats Mai zu würdigen! Helen Schüngel-Straumann, geb. 1940 in St. Gallen, studierte Theologie in Tübingen, Paris und Bonn. Nach Lehrtätigkeit an verschiedenen Schulen und Hochschulen im Rheinland war sie von 1987-2001 bis zu ihrer Pensionierung Professorin für Biblische Theologie an der Universität Kassel.

Helen Schüngel-Straumann gehört zu jener Generation von Theologinnen, die noch ein „Exotikum“ unter ihren männlichen Kollegen waren und sich ihre akademische Position als Doktorin und Professorin der Theologie – ganz ohne Mentoring und Frauenförderungsprogramme – hart erkämpfen mussten. In ihrer Autobiografie „Meine Wege und Umwege. Eine feministische Theologin unterwegs“ zeigt sie eindrücklich auf, welche Hindernisse und Umwege eine Frau in den 1960er Jahren auf sich nehmen musste, um als eine der ersten Frauen in katholischer Theologie zu promovieren. Und welchen Spagat es bedeutete, Schwangerschaft und Wissenschaft, Mutterschaft und Dissertation zu verbinden – zu einer Zeit als galt: eine Frau, die schwanger wird, ist für die Wissenschaft verloren! Trotz aller universitären Intrigen und Widerstände schaffte es Helen Schüngel-Straumann 1987 dann doch, als promovierte Alttestamentlerin eine Professur für Biblische Theologie an der Universität Kassel zu bekommen und endlich, mit 47 Jahren, als Professorin zu lehren.

Ihre Erfahrungen als Frau in einer von Männern dominierten Theologie und Kirche waren der Motor, sich daneben unermüdlich für die Rechte von Frauen in der römisch-katholischen Kirche und der theologischen Wissenschaft einzusetzen. Denn wie sie anhand ihrer eigenen Geschichte erkannt hatte, war es nicht ihre persönliche „Schuld“, dass ihr als Frau eine ihren Fähigkeiten entsprechende Karriere verwehrt oder zumindest erschwert wurde, sondern gesellschaftliche und kulturelle Gründe, ein struktureller Sexismus und ein negatives Frauenbild in Gesellschaft und Kirche. Gegen den Mythos von der „Schuld der Frau“, den viele Frauen ihrer Generation verinnerlicht hatten, richtete sich denn auch eine ihrer feministisch-theologischen Studien, die bis heute ein „Bestseller“ geblieben ist: „Die Frau am Anfang. Eva und die Folgen“ (1989). Nachdem sie viel über ein nicht-männliches Gottesbild und Frauen in der Bibel gearbeitet hatte, untersuchte sie im „Eva-Buch“ die frauenfeindlichen Auslegungen, die aus Eva, der ersten Frau, die Ursache allen Übels, die Verkörperung der Sünde gemacht haben. Schicht um Schicht trägt sie die negative Auslegungsgeschichte ab, bis sie zu den Bibeltexten selbst vorgedrungen ist, und zeigt: Diese sind keineswegs so frauenfeindlich, wie wir sie durch eine patriarchale Brille zu lesen gelernt haben! 2014 ist das Buch in einer neuen Version erschienen, mit dem Fokus auf die Rezeption des Eva-Mythos in Kunst, Literatur und Geschichte. Unzählige Frauen haben durch Helen Schüngel-Straumanns neue, feministische Lesart biblischer Texte den Ballast eines über Jahrhunderte tradierten negativen Frauenbildes abwerfen und ein neues Selbstbewusstsein als Töchter Gottes entwickeln können. Überhaupt zeichnet sich Helen Schüngel-Straumann bis heute dadurch aus, dass sie Forschungsergebnisse der (feministischen) Theologie in verständlicher und anschaulicher Weise an ein breites Publikum vermitteln und befreiende Prozesse in Gang setzen kann. Mit unzähligen Vorträgen und Tagungen an Akademien und Bildungshäusern, an Kirchentagen und an Katholikentagen hat sie so über viele Jahre zur Verbreitung Feministischer Theologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz beigetragen.

Daneben hat sich Helen Schüngel-Straumann in Netzwerken und Projekten feministischer Theologinnen engagiert: So war sie Gründungsmitglied der 1986 gegründeten ESWTR (Europäische Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen) und von 1995-1997 deren Präsidentin. 1991 gab sie mit anderen Pionierinnen der Feministischen Theologie im deutschen Sprachraum das „Wörterbuch der Feministischen Theologie“ heraus, ein Standardwerk, das 2002 in aktualisierter und grundlegend erweiterter Form neu aufgelegt wurde. Und 1996 gründete sie dann jenes Projekt, das sie seit ihrer Pensionierung mit viel Herzblut betreibt: die Helen Straumann-Stiftung für Feministische Theologie (www.feministische-theologie.de), die in Basel unter dem Dach des „Zentrums Gender Studies“ eine gemeinsame Bibliothek für Feministische Theologie und Gender Studies aufbaut, die im deutschsprachigen Raum einmalig ist. In dieser werden die Nachlässe von Pionierinnen der Feministischen Theologie bewahrt und das Wissen von Frauen in den Bereichen Philo­sophie, Theologie, Geschichte, Soziologie, Geschlechterforschung gesammelt und jungen ForscherInnen sowie interessierten Frauen und Männern zugänglich gemacht. Damit der kritische feministisch-theologische Blick auf die Wirklichkeit auch in der gegenwärtigen Zeit erhalten bleibt oder neu geschärft werden kann!

verfasst von Doris Strahm

Frau des Monats März 2016

Vivie

Unsere Frau des Monats März 2016 ist Vasiliki Mavroska, Theologin, Philosophin, Kunsthistorikerin, Ökumenikerin, Professorin, Mutter und eine lebenslustige junge Frau.

Vivie, wie Vasiliki Mavroska im Freundeskreis genannt wird, entspricht wohl kaum dem Bild, das wir uns spontan von griechisch-orthodoxen Theologen machen. Und doch ist Vasiliki Mavroska Assistenzprofessorin für Dogmatik an der Ecclesiastical Academy von Athen (staatlich anerkannte theologische Universität). Wie so oft bei den Pionierinnen weist sie einen eindrücklichen akademischen Palmarès auf. Nach dem Bachelor in Theologie an der Aristoteles Universität in Thessaloniki (Department of Pastoral and Social Theology) schloss sie den Master in Christian Archeology and Art an derselben Fakultät ab. Am selben Ort doktorierte sie in Theologie mit einer Dissertation zur Theologie der Ikonen in der orthodoxen Tradition und der kanonischen und liturgischen Literatur. Darauf folgte noch ein Doktor in Philosophie am kunsthistorischen Institut der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt a.M. mit einer Dissertation zu «Adam und Eva in der byzantinischen und in der abendländischen Kunst des Mittelalters».

Das alles tönt nach einem klassischen Blaustrumpf. Dem ist aber nicht so. Schon als Studentin engagierte sich Vivie in der internationalen Jugendarbeit. Als Theologiestudentin arbeitete sie im EYCE (Ecumenical Youth Council in Europe) mit, zum Beispiel als Mitorganisatorin eines internationalen interreligiösen Trainingskurses von EYECE zusammen mit Syndesmos (The Orthodox Student Fellowship) und FEMYSO (The Muslim Students European Organisation) in Griechenland oder der Teilnahme an einer interreligiösen, interkulturellen Konferenz von Active European Citizen in Brüssel. Früh kam sie auch in Kontakt mit dem Ökumenischen Forum Christlicher Frauen in Europa EFECW, wo sie anlässlich der Generalversammlung 2006 in Murten ein Training für junge Frauen leitete (Young Women Leadership). Vier Jahre später in Loccum war sie wiederum verantwortlich für die Angehörigen der jungen Generation, rief die Gruppe junger Frauen ins Leben (u.a. zusammen mit der Schweizerin Carla Maurer) und wurde als orthodoxe Vertreterin ins Co-Präsidium gewählt. Als Co-Präsidentin engagierte sie sich unter anderem in der Organisationsentwicklung, welche nach 30 Vereinsjahren nötig war und zeichnet als eine der Hauptverantwortlichen für die Generalversammlung von 2014 auf Tinos GR – und das unmittelbar vor und nach der Geburt ihrer Tochter. Auch die Genderfrage ist ihr nicht fremd, so ist sie Mitglied der europäischen Theologengruppe Ministries of Women and Men in the Church, Oxford. Die Liste der Veröffentlichungen ist eindrücklich, leider sind die meisten Texte in Neugriechisch, Vivie hat uns einen englischen Text (zum Herunterladen: Original beauty) zur Verfügung gestellt, der uns ein bisschen eintauchen lässt in die orthodoxe Gedankenwelt und die Wichtigkeit, die diese den bildlichen Darstellungen zuweist. Die zweite Dissertation findet sich auch auf Deutsch im Fachhandel.

Persönlich kenne ich Vivie als unkomplizierte liebenswerte Frau voller Ideen, die auch gut zuhören und auf andere eingehen kann, kurz eine kompetente Akademikerin mit Bodenhaftung. Eine Schwäche hat sie: Sie liebt Schweizer Schokolade über alles!

Eva-Maria Fontana

Frau des Monats Januar 2016

Maria Chavez Quispe

Maria Chavez Quispe. © WCC/Nikos Kosmidis

Unlängst ist in Paris die Weltklimakonferenz zu Ende gegangen. Das dort in allerletzter Minute ausgehandelte Abkommen stellt ein Hoffnungszeichen dar für die Bewältigung der ökologischen Katastrophe, in der sich unsere Welt befindet. Es wurden jedoch auch Stimmen, v.a. von Seiten von NGOs und aus der Zivilgesellschaft laut, welche bemängelten, dass umfassender Themen wie weltweiter Gerechtigkeit dabei zuwenig Rechnung getragen worden sei. Gerade von den Ländern des Südens erreichen uns neue Konzepte des Zusammenlebens der Menschen untereinander und zwischen Mensch und Mitwelt; gespeist nicht zuletzt aus deren Spiritualitäten. Theologie aus Frauensicht als kontextuelle Theologie hatte schon immer die blinden Flecken in Kultur im Blick. So erstaunt es nicht, dass es feministische Theologinnen aus dem Weltsüden sind, welche solche Entwicklungen kritisch und kreativ begleiten.

Eine gute Gelegenheit, euch als Frau des Monats eine Exponentin einer Theologie von den Rändern her vorzustellen; von den Rändern her denkend, die vielleicht deshalb genau ins Schwarze trifft. Im „Frauenbrief 2008“ von Mission 21 – Evangelisches Missionswerk Basel (http://www.mission-21.org/publikationen/frauenbrief/) schreibt die bolivianische Aymara-Theologin María C. Chávez Quispe: «Das Ökosystem unserer Erde ist in der heutigen Zeit schwer beeinträchtigt. … , die viele miteinander verknüpfte Krisen beinhaltet zum Beispiel die Verschmutzung der Luft, des Wassers und der Erde, die Verknappung der natürlichen Ressourcen, die Überbevölkerung in einigen Regionen der Erde, die Armut, der Hunger, die skandalöse Bereicherung einiger Teile etc. Dies wären Zeichen einer tiefgehenden Krise des modernen Entwicklungsmodells, das die Welt zur Zeit beherrscht; ein Entwicklungsmodell, das der Gerechtigkeit keine Aufmerksamkeit schenkt, die das Verhältnis zwischen der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen durch den Menschen und der Wiederherstellung der natürlichen Grundlagen ausgleichen müsste und die andererseits die Basis der zwischenmenschlichen Beziehungen sein sollte.» (S. 10)

Geboren wurde unsere „Frau des Monats“ am 9. April 1975 in der Stadt La Paz, was soviel wie Frieden bedeutet. Ihre schon früh ausgeprägte Suche nach Gerechtigkeit liess sie nach der obligatorischen Schulzeit das Studium der Rechte aufnehmen, was jedoch nicht ihren Erwartungen entsprach. Ermutigt durch ihre Grossmutter Lucía Mujica nahm sie an Jugendversammlungen der Methodistenkirche teil. Danach schrieb sie sich als reguläre Studentin der Theologie am ISEAT (Instituto Superior Ecuménico Andino de Teología) ein. Dessen Abschluss erlangte sie im Jahre 1999 mit der Arbeit „Hiob: Der gerechte Gläubige (Analyse des Erzählrahmens des Buches Hiob). In der Zeit ihrer Ausbildung lernte sie die befreienden Traditionen der Bibel kennen und verband diese mit der Religion ihrer ethnischen Herkunft, der Kultur der Aymara. In diese Zeit fällt auch die Aneignung ihre Pseudonyms „Phaxsi“, welches „Mond“ bedeutet. Dem kulturellen und spirituellen Erbe von „Abya Yala“ (Eigenbezeichnung des amerikanischen Kontinents durch die Indigenen) widmete sie in Zukunft ihr Wirken und ihren Einsatz. Ihr Studien setzte sie am ISEDET (Instituto Superior Evangélico de Estudios Teológicos) in Buenos Aires, Argentinen fort. Der neue Erfahrungs- und Reflexionshorizont liess in ihr den Wunsch wachsen, das Evangelium noch näher mit Befreiungskämpfen marginalisierter Menschen zu verbinden. Daraus entstand ihre Lizentiatsarbeit „Auf dass Shadday antworte. Exegetische Analyse von Hiob 29-31 und Relektüre der Auslassungen im Text“. Diese ausgezeichnete Arbeit trugen ihr die Anerkennung als hervorragende Exponentin einer neuen Generation lateinamerikanischer Bibelwissenschafterinnen ein. Im Jahre 2002 kehrte sie ans ISEAT zurück; diesmal als Dozentin und Leiterin des Programms für offene Weiterbildung (Biblisch-pastorales und Sozioreligiöses Programm). Diese Zeit war geprägt von fruchtbaren Kontakten mit VertreterInnen verschiedenster Denominationen. Während zwei Jahren hatte sie zudem einen Lehrauftrag an der Katholischen Universität „San Pablo“ inne.

2001 lernte sie den Schweizer Theologen Hansueli Meier kennen und lieben. Die Beiden heirateten 2004 und 2006 wurde ihnen die gemeinsame Tochter Zoe Wara geschenkt. Phaxsi war ein aktives Mitglied des Theologinnen-Netzwerkes in La Paz. Die Teilnahme an einer theologischen Konsultation des Weltkirchenrates 2007 in La Paz zu Thema „Gerechte und Inklusive Gemeinschaften“ motivierte sie, sich 2008 für die Stelle als Beraterin des Programms für Indigene Völker beim Weltkirchenrat mit Sitz in Genf zu bewerben. Diese Tätigkeit übte sie mit viel Herzblut und Engagement aus. Sie organisierte zahlreiche Versammlungen, so die Begegnungen I-VI indigener TheologInnen. Daraus entstand die „Gemeinschaft der indigenen Theologinnen von Abya Yala (COTIAY). 2010 war sie Mitglied der Gruppe, welche als „Lebende Briefe“ im Rahmen der Kampagne „Gewalt überwinden. Kirchen suchen Versöhnung und Frieden“ im Auftrag des Weltkirchenrates Australien besuchte. Darüber hinaus war sie tätig als Herausgeberin der Nummer 62.4 der Zeitschrift „The Ecumenical Review“, in der Ergebnisse indigener TheologInnen präsentiert wurden.

Ihrem aktiven Leben, welches sie den befreienden Traditionen der Bibel, dem kulturellen und spirituellen Erbe ihrer Heimat Bolivien und dem Kampf der Frauen und Ausgeschlossenen gewidmet hatte, wurde durch eine Krebserkrankung, gegen die sie tapfer gekämpft hatte, am 24. Juli 2012 ein Ende gesetzt. Ihrer Familie, ihren MitstreiterInnen und FreundInnen hinterliess sie die folgenden Worte: « … es ist nicht Zeit für Abschiede sondern der Segnungen… dass die Pachamama euch begleiten und mit Leben nähren möge.»

Allzu früh ist sie verstummt, die Stimme dieser visionären Frau aus den bolivianischen Anden. Ihre Gedanken und ihr Engagement leben in ihren Texten weiter: «Die ökofeministische Theologie verbindet feministische Theologie mit der Kritik an den kulturellen Wurzeln der ökologischen Krise … Der Ökofeminismus ist Theorie und soziale und politische Bewegung zugleich. Er bezieht sich auf die im patriarchalen System bestehende Verbindung zwischen der Ausbeutung der Natur und der Ausbeutung der Frauen. … Aus der ökofeministischen Perspektive kann uns unser Glaube an einen befreienden und erlösenden Gott dazu bringen, die zehn Gebote mit einem elften zu bereichern, das lautet „Du sollst die Natur ehren von der du Teil bist» (a.a.O. S. 11) … Lasst uns beten, damit Gott/Göttin uns führt und begleitet auf unserem Weg und in unserem Engagement.»

verfasst von Esther Gisler Fischer

Quellen:
– Juan C. Chávez Quispe (Bruder) in Zeitschrift Fe y Pueblo, Doppel-Nr. 24/25
– Auskünfte Hansueli Meier (Ehemann)

Frau des Monats November 2015

Myrto TheocharousMyrto Theocharous hat ein MA vom Wheaton College und ein PhD der Universität Cambridge, sie ist Professorin für Hebräisch und Altes Testament am Greek Bible College in Athen. Sie ist unsere Frau des Monats für den November 2015.

«Jahrhunderte patriarchaler Lektüre haben jene Textelemente  vernebelt, welche Schlüssel sind zu einem korrekten Verständnis von Frauen und ihrer bestimmenden Rolle in der Heilsgeschichte.» Dieser Satz, der für nordeuropäische Theologinnen fast banal wirkt, ist eine erstaunliche Aussage einer Theologin aus einem eher evangelikal anmutenden Umfeld und im stark orthodox geprägten Griechenland eigentlich revolutionär. Mit diesen Worten hat Myrto Theocharou einen Vortrag eingeleitet mit dem Titel: «Re-centralizeing the Woman – From Eve to Mary to Us» (siehe Anhang), gehalten an der Generalversammlung des Ökumenischen Forums Christlicher Frauen in Europa auf der Insel Tinos, Griechenland im August 2014. Weiterlesen

Frau des Monats September 2015

Astrid Lobo GajiwalaAstrid Lobo Gajiwala ist Naturwissenschafterin, Medizinerin und Ökonomin, und engagiert sich für Frauenfragen in der katholischen Kirche – und unsere Frau des Monats September 2015. Sie hat sich ausserhalb der Universitäten theologisch weiter gebildet, ist oft mit Frauengruppen in Indien unterwegs, gehört zu internationalen kirchlichen Frauennetzwerken und unterrichtet an theologischen Fakultäten in Indien. Sie gehört in Indien und weltweit zu den jenen Kirchenfrauen, die sich unermüdlich in die Männergespräche einmischen. Sie gehörte zur Frauengruppe, die 2010 zu Handen der indischen Bischofskonferenz eine Strategie in Frauenfragen (gender policy) formuliert hat. Und sie hat aktuell erreicht, dass die indische Bischofskonferenz auch indische Besonderheiten an die Familiensynode mitbringen wird, wie etwa die verheerende Sitte der Mitgift, die krasse Ungleichheiten in den Familien kreiert und unermessliches Leid verursacht. Weiterlesen

Frau des Monats Juli 2015

Suzan Mark ZiraDie nigerianische Theologin Suzan Mark Zira gehört zur «Kirche der Geschwister» (Church of the Brethren, Ekklesiyar Yan‘uwa a Nigeria) EYN und ist dort Leiterin der Frauenarbeit. Angehörige ihrer Kirche werden immer wieder zur Zielscheibe des Terrors der islamistischen Gruppe Boko Haram. An der Internationalen Frauenkonferenz zum 200-jährigen Jubiläum der Basler Mission 21 am 8. Juni in Basel hielt sie ein eindrückliches Referat mit dem Titel «Führung im Kontext von politischer Gewalt». Darin schilderte sie ihre anspruchsvolle Arbeit mit Vertriebenen, welche sich von Grund auf eine neue Existenz aufbauen müssen. Leitung in diesem Kontext versteht sie als Engagement, Menschen mit Hilfe zur Selbsthilfe wieder Boden unter den Füssen zu verschaffen. Dazu gehören nebst Nothilfe, Anleitung zur Einkommensgewinnung auch Angebote zur Bearbeitung der erlittenen Traumata. Dafür besuchte sie gemeinsam mit Mitstreiterinnen Workshops u.a. in Rwanda, um dann in ihrer Heimat mit diesem Instrumentarium arbeiten zu können. Nebst Christ_innen werden auch Muslim_innen Opfer der Terrormiliz, der alles Westliche; gerade auch Bildung zutiefst suspekt ist. In einem Videostatement, in welchen sie zu Ihren Assoziationen zum Motto des Jubiläums «200 Jahre unverschämt viel Hoffnung» befragt wurde, sagte sie, Hoffnung gäben ihr auch die vielen Initiativen in ihrer Heimat, welche an der Basis arbeiteten um den Frieden zwischen Christ_innen und Muslim_innen zu befördern. Weiterlesen

Frau des Monats Mai 2015

Das Portrait, das an dieser Stelle geplant war, muss entfallen, da wir die betreffende Frau nicht gefährden wollen.
Vor einigen Jahren beendete sie einen Vortrag mit folgenden Worten: «Ich habe Angst vor dem, was mich zu Hause erwartet. Bitte betet für mich.»

Eva-Maria Fontana

Frau des Monats März 2015

Ammicht QuinnAus aktuellem Anlass ist Regina Ammicht Quinn unsere Frau des Monats März! Warum? Weil sie am Sonntag, 8. März den Preis der Herbert-Haag-Stiftung „Für Freiheit in der Kirche“ erhält.
Wir veröffentlichen dazu den (gekürzten) Text, der im Pfarrblatt Bern (10/28.02.2015) über sie erschienen ist. Geschrieben hat ihn Angela Büchel Sladkovic:

Ein Preis für die Freiheit
Am 8. März zeichnet die Herbert-Haag-Stiftung «Für Freiheit in der Kirche» in Luzern eine Theologin aus, die sich mehrfach zur Sexualmoral äusserte, die Fragen rund um Körper, Religion und Sexualität zu ihrem Forschungsschwer­punkt machte – und teuer dafür bezahlen musste. Regina Ammicht Quinn war zweimal für eine theologische Professur nominiert, beide Male verweigerte die Amtskirche die Lehrerlaubnis, das «Nihil obstat» («es steht nichts dagegen»). Was ihrer Berufung an eine theologische Fakultät entgegenstand, hat sie nie erfahren. Die Tagung «Let’s think about sex», an der sie 2011 mitbeteiligt war, wurde von ihrem Bischof abgesagt. Eine Absage, die sie als ausgesprochen bitter empfand: «Der Grund dafür, eine solche Tagung zu planen, waren ja die Fälle sexueller Gewalt, die in der Kirche passiert sind, und die lange ein verborgenes Wissen waren, das jetzt im Lauf des letzten Jahres an die Öffentlichkeit gelangt ist, ein verborgenes und verschwiegenes Wissen von sexueller Gewalt im kirchlichen Kontext, und mit dem Verbot dieser Tagung setzt sich für mich auf einer anderen Ebene dieses Verschweigen fort». Weiterlesen

Frau des Monats Februar 2015

Musa Wenkosi DubeMusa Wenkosi Dube, geboren 1964 in Botswana, studierte an der Universität von Botswana in Gabarone Geistes- und Religionswissenschaften. 1997 promovierte sie an der Vanderbilt-University in den USA im Neuen Testament. Ihre Dissertation Postcolonial Feminist Interpretation of the Bible (2000) gilt als eines der Standardwerke der postkolonialen Bibelwissenschaft. Musa W. Dube ist heute Professorin für Neues Testament an der «University of Botswana», Gabarone, im Bereich Theologie und Religionswissenschaft.

Musa W. Dubes theologisches und bibelwissenschaftliches Arbeiten ist noch um Vieles reicher als ich es hier darstellen kann. Sie ist Teil einer afrikanisch-theologischen Bewegung, die in unserem europäischen Kontext noch wenig bekannt ist. Es lohnt sich,  sich mit ihren Büchern zu befassen. Musa W. Dube gehört zu den wichtigen, innovativen BibelwissenschaftlerInnen unserer Zeit. Weiterlesen

Frau des Monats Dezember 2014

Dr. Rini (Lalrinawmi) RalteDr. Rini (Lalrinawmi) Ralte stammt aus Mizoram, einem der sogenannten «Seven Sister States» im Nordosten Indiens. Sie gehört dem Stamm der Mizo an und ist Mitglied der Presbyterianischen Kirche von Indien, Mizoram Synode. Dr. Ralte ist eine aktivistische Theologin, welche sich stark der Sache der Frauen verpflichtet weiss. Sie ist engagiert in sozialen, politischen und religiösen Fragen; insbesondere Arme und Frauen betreffend. Sie stellt fest, dass «mein Engagement für meine Arbeit über 24 Stunden hinausgeht», und sie immer bereit ist für Hilfe und lebensrettende Aktivitäten vor allem für Kinder und Frauen. Ihr besonderer akademischer Beitrag ist im Bereich von «Stammes-ökofeministischer Theologie». Dabei befasst sie sich insbesondere mit dem Lebensunterhalt, dem Überleben und Empowerment von Stammesfrauen, welche Opfer von verschiedenen Formen von struktureller Gewalt sind. Dieses Interesse und Engagement kommt auch in den Titeln ihrer beiden Doktorarbeiten zum Ausdruck: «Krabben-Theologie: Eine feministische Kritik der kulturellen Abwertung und Ermächtigung von Mizo-Frauen» (Doctor of Ministry der Episcopal Divinity School; Cambridge, Boston USA 1993) und «Beiträge zur ökofeministischen Debatte in der Theologie aus der Perspektive einer Stammesfrau» (Doctor of Theology des Senate of Serampore College; Westbengalen, Indien 2004).
Nicht nur in ihrem Land Indien, sondern auch darüber hinaus hat sie sich bei EATWOT, der «Ecumenical Association of Third World Theologians» engagiert. So hat sie einige Artikel in Sammelbänden verfasst. Weiterlesen

Frau des Monats Oktober 2014

Miriam SchneiderDie Geschäftsleiterin der IG Feministische Theologinnen heisst Miriam Schneider. Sie ist unsere Frau des Monats Oktober.
2013 hat Miriam Schneider ihr Studium der Interreligiösen Studien und Theologie an der Universität in Bern abgeschlossen. Während des Masterstudiums war sie bei Prof. Dr. Angela Berlis am Departement für Christkatholische Theologie als Hilfsassistentin tätig. Nach dem Studium hat sie als Assistentin zusammen mit Prof. Dr. Silvia Schroer die Zeitschrift der Theologischen Fakultät Bern «Konstruktiv» redigiert, die mit dem diesjährigen Thema «Theologie und Gender» soeben erschienen ist.

Im Zentrum der feministischen Theologie von Miriam Schneider stehen die gendergerechte und -sensible Perspektive und Herangehensweise an die verschiedenen Felder: Sei es im Bereich der eigenen Forschungsfelder Interreligiöser Dialog und Gastfreundschaft, aber auch im Hinblick auf kirchliche Themen oder an den Alltag. Miriam Schneider ist christkatholisch und lebt in Bern.

Wir heissen Miriam Schneider herzlich willkommen!

Frau des Monats September 2014

Judith BorterIn Zeiten von Spardruck auch in den Kirchen ist es eine erfreuliche Nachricht, wenn eine Genderstelle nach dem Abgang der Stelleninhaberin weiter besteht und durch eine junge Fachfrau neu besetzt werden kann. So auf der Fachstelle für Genderfragen und Erwachsenenbildung der Evangelisch-reformierten Kirche Baselland.
So freuen wir uns, euch als Frau des Monats September Judith Borter vorstellen zu können. Die Theologin und Genderfachfrau nimmt in einem 50%-Pensum vielfältige Aufgaben wahr:

Einerseits in Projekten für junge Frauen, wie dem «Nimms an die Hand» – mit der Gruppe 14. Juni. Da ist sie in der Projektleitung: www.entscheidezumglueck.ch. Neu gestartet mit ihr ist ein Mentoringprojekt mit den entsprechenden Fachstellen der Zürcher und Aargauer Reformierten Kirchen, welches den Namen «Frauen in Kirchenleitungen» trägt (dazu kann frau sich noch anmelden: Flyer). Daneben begleitet sie eine Gruppe alleinerziehender Mütter. Weiterlesen

Frau des Monats Juni 2014

Ruth EptingRuth Epting feiert am 9. Juni 2014 ihren 95. Geburtstag – sie ist unsere Frau des Monats Juni! Das Foto zeigt sie anlässlich des 30-Jahrjubiläums des ÖFCFE 2012 in Malvern GB.

«Für die Freiheit hat uns Christus frei gemacht, darum stehet fest und lasset euch nicht wieder unter ein Joch der Knechtschaft bringen.» (Gal. 5,1)
Dieses Bibelzitat setzte Ruth Epting über das Vorwort  ihres Buches «Für die Freiheit frei – Der Weg der Frau in Kirche und Gesellschaft». Um die Studien für dieses Buch durchzuführen bekam die Pfarrerin der Oekolampadgemeinde 1966 vom Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt einen Urlaub, einen zweiten für die Niederschrift 1969. Das Buch ist im für die Schweizer Frauen so bedeutsamen Jahr 1971 erschienen. Weiterlesen

Frau des Monats Mai 2014

Josefina_HurtadoIn diesem Monat stellen wir euch die neue Leiterin der Stabsstelle Frauen und Gender von mission 21 – evangelisches missionswerk basel vor: Am 1. Juli 2013 hat die 1957 geborene Chilenin Josefina Hurtado Neira die Nachfolge von Meehyun Chung angetreten, welche der Berufung zur Theologieprofessorin in Südkorea gefolgt ist.

Die studierte Sozialanthropologin engagiert sich seit Jahren im Bereich der Gender-Arbeit – auf nationaler und internationaler Ebene; in der angewandten Theologie sowie in der Bildungsarbeit und Forschung. So wirkte sie zum Beispiel in ökumenischen Frauennetzwerken mit und hat die theologisch-feministische Zeitschrift «Con-spirando» mitbegründet. Weiter hat sie soziale und religiöse Organisationen in Lateinamerika, Asien und Afrika bei der Einführung des Gendermainstreaming (durchgehende Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen) beraten. Zudem hat sie sich in Gruppen- und Sozialpsychologie weitergebildet.

Zeitgleich war sie Teil der Frauenbewegung Lateinamerikas, die sich im Kontext der UNO-Konferenzen in Chile für Menschenrechte einsetzte; für die Änderung von frauendiskriminierenden Gesetzen. Ihre Beziehung zum akademischen Leben war verbunden mit der Stärkung und Unterstützung von Frauen, mit Schwerpunkten in den Bereichen Menschenrechte, Gender, Multikulturalität und Religion.

Als Leiterin der Stabstelle setzt sie sich in Wort und Tat in den folgenden Bereichen ein: Weiterentwicklung und Kooperationen zu geschlechtergerechter Theologie aus einer südlichen Perspektive; Vernetzung von Frauen in Gesellschaft und Kirche; Begleitung und Beratung von Projekten zur Frauenförderung in den Partnerländern von mission 21 in Afrika, Asien und Lateinamerika; die Koordinierung des «Frauenförderungsfonds» und die Umsetzung der Gender Policy von mission 21. Unterstützt wird sie dabei von einer Fachkommission bestehend aus momentan acht Frauen.

Ihr Ziel ist die Zusammenarbeit mit Frauen weltweit für eine bessere Welt. Deshalb ist für sie die Jahreslosung 2014 wichtig für das Verständnis ihrer Arbeit: «Unterdrückt nicht die Witwen und Waisen, die Fremden und Armen und plant in eurem Herzen nichts Böses gegeneinander.»

Weitere Informationen über ihre Arbeit finden sich unter:
http://www.mission-21.org/ueber-uns/portraet-der-organisation/frauen-und-gender/

verfasst von Esther Gisler Fischer

Frau des Monats April 2014

jacqueline-keuneAls Frau des Monats April stellen wir euch die katholische Theologin Jacqueline Keune vor. Die Trägerin 2011 des «Preis des religiösen Buches» der Vereinigung katholischer Buchhändler (VKB) ist die Autorin der Meditationen zum Hungertuch der diesjährigen ökumenischen Kampagne von Fastenopfer und Brot für alle: www.sehen-und-handeln.ch/Media/01_texte/de/materialien/meditation/2014_meditationsheft.pdf

1961 in Holland geboren und aufgewachsen im Kanton Freiburg studierte sie zunächst Religionspädagogik am Katechetischen Institut Luzern und anschliessend Theologie auf dem Dritten Bildungsweg. Dabei ist sie einen weiten religiösen Weg gegangen von einer einengenden Religiosität hin zu einer befreiten und befreienden. «Das Theologie-Studium hat mich befreit», meint sie dazu in einem Bericht der Zeitschrift «Schweizer Buchhandel». Dort habe sie gelernt, in eigenen theologischen Bahnen zu denken und sei in ihrer Vorstellung bestärkt worden, nicht einfach die Tradition zu verlängern, sondern die Theologie in eigenen Worten weiterzuschreiben. Im Studium entdeckte sie auch die biblischen Frauengestalten neu und die vielfältigen Strömungen der feministischen Theologie. Dazu weiter: «Mir ist ein biblisches, ein befreiendes, dem Alltag der Menschen nahes Gottesbild ein Anliegen. Und: Gross vom Menschen zu denken.»

Ihre Erkenntnisse und Anliegen hat sie in einer langjährigen Tätigkeit in allen Bereichen der konkreten Pfarreiarbeit in die Praxis umzusetzen versucht, hat da jedoch immer wieder die Diskrepanz zwischen ihrem Tun und Denken und den kirchenrechtlichen Vorgaben erleben müssen. Seit dem Jahr 2000 ist sie freiberuflich als freischaffende Theologin, in der Erwachsenenbildung und als Autorin tätig. Daneben ist Jacqueline Keune auch kirchenpolitisch engagiert. So zeichnete sie als Mitinitiantin des «Appell an die Verantwortlichen der katholischen Kirche Schweiz und alle Katholikinnen und Katholiken», der sich gegen die neue Praxis im Bistum Chur wendet, Homosexuellen und geschiedenen Wiederverheirateten in der Eucharistiefeier einen Segen statt das geweihte Brot zu geben. Und an der «Kundgebung für eine glaubwürdige und befreiende katholische Kirche Schweiz» am 9. März 2014 in St. Gallen hielt sie eine Ansprache in dichten, starken und ermutigenden Worten: Weil sie als Theologin und Autorin die Worte liebt «um ihrer Möglichkeit willen, genau zu sein».

Link zur Ansprache an der Kundgebung in St. Gallen vom 9. März 2014.

Verfasst von Esther Gisler Fischer

Frau des Monats März 2014

Septemmy_LakawaAls Frau des Monats März stellen wir die indonesische Theologin Septemmy Eucharistia Lakawa vor. Die 1970 Geborene ist ordinierte Pfarrerin der „Protestant Church in Southeast Sulawesi“ (Gereja Protestan di Sulawesi Tenggara) und unterrichtet momentan Missionstheologie und -geschichte, kontextuelle und feministische Theologie am Jakarta Theological Seminary. Seit 1998 an dieser ältesten (ökumenischen) theologischen Ausbildungsstätte Indonesiens tätig, ist sie seit 2011 Direktorin des dortigen Weiterbildungsprogramms.
Nach ihrer theologischen Grundausbildung in Jakarta und Austin/ USA machte sie im Jahre 2007 eine interessante Feldforschung über die Auswirkungen der religiös geprägten Auseinandersetzungen der Jahre 1999 bis 2000 auf Nord-Halmahera, einer Insel der zu Indonesien gehörenden Molukken. Diese Region war Schauplatz von gewaltsamen Konflikten zwischen christlichen und muslimischen Gemeinden. Die Folgen dieser tragischen Ereignisse waren verheerend: Mindestens 3000 Menschen verloren ihr Leben, 200 von 600 Dörfern wurden zerstört. Die Nord-Molukken wurden faktisch entlang religiöser Zugehörigkeit geteilt. Vor den gewaltsamen Ereignissen besass diese Region den Ruf einer toleranten multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft; ChristInnen und MuslimInnen lebten über lange Zeit hinweg in friedlicher Koexistenz. Mittels narrativer Interviews erhob Septemmy Lakawa die Auswirkungen dieser traumatischen Auseinandersetzungen auf individueller und kollektiver Ebene. Daraus entstand ihre Dissertation mit dem Titel „The callenges of beeing hospitable in the aftermath of religious violence in Indonsesia“, welche 2011 an der School of Theology der Boston University angenommen wurde. Die Ergebnisse ihrer Forschung präsentierte sie auf Einladung des Lehrstuhls für aussereuropäisches Christentum der Universität Basel Ende Mai 2013 anlässlich eines Gastvortrags. Mehr Informationen zu ihren Untersuchungen finden sich im „Frauenbrief“ 2008 von mission21-evangelisches Missionswerk Basel: http://www.mission-21.org/publikationen/frauenbrief
Septemmy Eucharistia Lakawa ist stark im interreligiösen Dialog in Südostasien engagiert und lokal wie global in einigen Frauen-Netzwerken aktiv. Zudem wirkte sie als Generalsekretärin der „Association of Theologically Educated Women in Indonesia“ und zur Zeit als Chefredakteurin der theologischen Zeitschrift von Frauen Sophia. Sie arbeitet mit verschiedenen NGOs, die gegen Gewalt an Frauen arbeiten. Von 1998 bis 2005 war sie Mitglied des Exekutivkomitees des Ökumenischen Rates der Kirchen.

Dieses Portrait wurde verfasst von Esther Gisler Fischer.

Frau des Monats Januar 2014

Fula«For us to be both African and Christian at the same time without suffering any identity crisis, we now have to go through processes of inculturation (mutual dialogue) of  the Christian gospel and African culture for a more meaningful and holistic spirituality.» Diese Aussage ist charakteristisch für die Theologin Fulata L. Mbano-Moyo. Wir haben die Programmreferentin „Frauen in Kirche und Gesellschaft“ beim Ökumenischer Rat der Kirchen zur Frau des Monats Januar gewählt.

Vom 30. Oktober bis zum 8. November 2013 fand in Busan, Süd-Korea die 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen statt, mit dem Titel: „Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden“.  In der offiziellen Berichterstattung kaum beachtet war die Tatsache, dass am 28. Und 29. Oktober 2013 auch eine Frauenvorkonferenz stattfand, wie schon 1948 bei der ersten Vollversammlung  in den Niederlanden. Anlässlich von 60 Jahren „Frauen in Kirche und Gesellschaft“ als besonderes ÖRK-Programm fand im Zeichen von Gender auch eine Männervorkonferenz statt. Deren Thema war die Frage, was Männer zu einer gerechten Gesellschaft von Frauen und Männern beitragen können. Verantwortlich für das Programm „Frauen in Kirche und Gesellschaft“ ist seit 2007 die malawische Theologin Fulata L. Mbano-Moyo.

Fulata L. Mbano-Moyo ist systematische Theologin, Kirchenhistorikerin und akademische Aktivistin für Gender, HIV und AIDS. Sie doktorierte an der Schule für Religion und Theologie der Universität Kwa Zulu Natal, Südafrika im Fachgebiet Gender und ökologische Gerechtigkeit sowie Sexualität im Zusammenhang mit HIV und AIDS. Bevor sie als Nachfolgerin von Aruna Gnanadason Programmleiterin des Programms „Frauen in Kirche und Gesellschaft“ beim ÖRK wurde, war sie Fakultätsmitglied im Departement für Theologie und Religion am Chancelor College, Universität von Malawi und Assistenzprofessorin für Gender, Religion und afrikanische Kirchen an der Schule für Religion und Theologie der Universität Kwa Zulu Natal, Südafrika.

Ihr spezielles Interesse gilt  einer weiblichen Sexualität als verkörperte und in sich zusammenhängende Spiritualität,  wie das Verständnis dieser Verstrickungen unser Lebens als Gemeinschaft von Frauen und Männern, welche sich einsetzen für Gerechtigkeit in den Bereichen Gender, Ökonomie und Ökologie begrenzen. Sie ist auch ausgebildet und aktiv in  der Tamar-Kampagne, welche sich mit Hilfe von kontextueller Bibelarbeit gegen Gewalt an Kindern und Frauen wendet. Diese Initiative geht vom Ujamaa Center der Universität Kwa Zulu Natal aus.

Fulata L. Mbano-Moyo ist zurzeit Koordinatorin des Circle of Concerned African Women Theologians, der seit 1989 beauftragt ist, afrikanische Fragen in den Bereichen Theologie, Religion und Kultur aus Frauensicht zu erforschen und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Zurzeit umfasst der Circle über 650 Frauen ganz verschiedener Herkunft  (Background, Nationalität, Sprache, Religion, etc.). Fulata leitet ein Team von sieben Regionalverantwortlichen.

Anlässlich der Frauenvorkonferenz zur grossen Missionskonferenz in Edinburgh 2010 rief Fulata die Frauen auf, neue Wege zu finden um sich selbst mit ihrer Geschichte zu versöhnen, dann aber weiter zu schreiten zum Nachdenken als Antwort auf die neuen Herausforderungen der Zeit.

Neben all diesen intellektuellen Kompetenzen ist Fulata auch eine einfühlsame und lebenslustige Frau. Anlässlich einer Konsultation des Reformierten Weltbundes in Kenia organisierte die kenianische Gastgeberin einen Ausflug mit einem Schulbus, dessen Sicherheitsstandard fern von europäischen Standards war. Fulata spürte die angespannte Stimmung und stimmte in Lieder ein, plötzlich sah alles ganz anders aus – es wurde ein wunderbarer Ausflug ins Rift-Valley.

Frau des Monats Dezember 2013

Für den Monat Dezember haben wir die Exekutivsekretärin für Frauen in Kirche und Gesellschaft beim Lutherischen Weltbund gewählt: Pfarrerin Dr. Elaine Neunfeldt. Im Oktober 2013 genehmigte der Rat des Lutherischen Weltbundes eine Genderjustice Policy.* Diese Policy wurde von Pfarrerin Dr. Elaine Neunfeldt mitverfasst, sie setzt sich seit Jahren für die Geschlechtergerechtigkeit ein. So erreichte sie schon 2011, dass der Lutherische Weltbund eine offizielle Verpflichtung unterschrieb, Frauen und Männer, welche beim LWB arbeiten gleich zu bezahlen (equal salaries).

Die Brasilianerin mit deutschen Wurzeln – als Pfarrerin Ruth Epting bei einem Essen in kleinem Kreis das Tischgebet sprach, meinte Elaine: „Das war das Tischgebet meiner Grossmutter.“ – wurde 1994 zur Pfarrerin ordiniert. 2004 doktorierte sie am Instituto Ecumenico de Pós-Graduação San Leopoldo. Von 1992 – 1995 amtete sie als Pfarrerin in Lucas do Rio Verde im Mato Grosso. Während ihren Doktorats Studien arbeite sie als ehrenamtliche Pfarrerin in der Region Novo Hamburgo, wo sie sich vor allem um die Frauengruppen kümmerte und Bibelstudien anbot.  2005 – 2008 lehrte Elaine Neuenfeldt Altes Testament und Feministische Theologie (wo sind diese Lehrstühle in der Schweiz?) an der Escola Superior Teologica in São Leopoldo.

Am 1. August 2008 übernahm Pfarrerin Dr. Elaine Neuenfeldt den Posten als Referentin für Frauen in Kirche und Gesellschaft innerhalb der Abteilung „Theologie und öffentliches Zeugnis“ des Lutherischen Weltbundes. Sie führt dort die Arbeit ihrer Vorgängerin Priscilla Singh, deren Schwerpunkt die Gewalt an Frauen war, weiter und setzt mit der Gendergerechtigkeit einen neuen Schwerpunkt.

In der Schweiz ist Pfarrerin Elaine Neuenfeldt bekannt geworden mit ihrem eindrücklichen theologischen Impulstext zur Ökumenischen Kampagne 2012 zum Thema „Gendergerechtigkeit und das Recht auf Nahrung“. Der beginnt mit dem folgenden appetrizer: “Hunger ist nicht eine Folge von Nahrungsmittelmangel; er ist vor allem die Folge eines mangelnden Zugangs zu Nahrung und einer ungerechten Verteilung. Darum braucht es mehr Zutaten auf dem Tisch, um das Recht auf Nahrung für alle zu gewährleisten: Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen Frauen und Männern (Geschlechtergerechtigkeit), eine gerechte Verteilung von Landwirtschaftsland, Wissen und Macht (soziale Gerechtigkeit). Es herrscht Hunger nicht nur nach Nahrung, sondern auch nach Gleichheit und Gerechtigkeit an einem runden Tisch, der Platz für Vielfalt und Brot für alle bietet!“
http://www.lutheranworld.org/content/resource-lwf-gender-justice-policy
(verfasst von Eva-Maria Fontana)

Frau des Monats November 2013

Die Frau des Monats November ist die Indierin Madurai Vasantha. Den nachfolgenden Text hat Katharina Kindler verfasst.

Nach meiner Pensionierung begleitete ich nun schon drei Mal Itala Ricaldone, die seit mehr als 30 Jahre Verantwortliche für ASSEFA Italien ist, auf ihrer Besuchsreise zu ASSEFA Indien. So lernte ich in Madurai Vasantha kennen und schätzen. Bei den vielen Schulbesuchen, die wir dort gemacht haben, konnte ich beobachten, dass all das, was sie denkt und sagt, in ihren Schulen umgesetzt ist. Das freundschaftliche Zusammenarbeiten zwischen den Religionen, die Praxis der Gewaltlosigkeit im Schulalltag und das Übernehmen von Mitverantwortung auch für die Nächsten.

Vasantha hat angefangen Schulen aufzubauen (inzwischen sind es weit mehr als 1000). Sie stammt aus einer Familie die dem Gedankengut von Mahatma Gandhi nahe steht. Sie hat sich schon früh entschlossen, nicht zu heiraten, sondern sich ganz in den Dienst der Bewegung zu stellen, die seit 1968 die Philosophie von Mahatma Gandhi in die Praxis umsetzt (Loganathan), für die ärmsten Bauern in Südindien Land besorgt (Vinoba) und Hilfe zur Selbsthilfe aufbaut und finanziert (G. Ermiglia. Italien) Sie wurde als Frau die 4. im Bunde, von denen nun noch Loganathan und sie am Leben und Wirken sind bei ASSEFA Indien.

Wenn ich an diese sanfte, geduldige und freundlich lächelnde Person denke, kann ich nur staunen. Sie geniesst den vollen Respekt von allen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Was sie plant und organisiert in ihrem Wirkungsfeld, funktioniert perfekt. Wenn Menschen, die sie nicht kennen ihr diesen Respekt nicht entgegenbringen, erträgt sie auch das mit Freundlichkeit und Entgegenkommen.

Die erste Schule hat sie gegründet indem sie die interessierten Eltern versammelte und von Ihnen fragte, ob sie bereit seien, jeden Tag für die Lehrkraft ihrer Kinder eine Tasse Reis oder Trockennahrung beiseite zu stellen. (Die Menschen in Tamil Nadu sind sehr arm.) Als mehr als dreissig Familien vom Dorf bereit waren, sich auf diese Forderung einzulassen, hat sie eingewilligt, die Schule zu gründen. Dann fand sich aber keine Lehrkraft, die dort unter diesen Bedingungen unterrichten wollte. Also unterrichtete Vasantha in dieser ersten Schule von ASSEFA zunächst unter einem Baum die lernbegierigen Kinder selbst.

Eigentlich ist für die Lehrerin und Heilpädagogin Vasantha die Arbeit im Aufbau des Schulwesens nur eine von vielen Beschäftigungen. Sie hat mit Frauenarbeit angefangen. Die Organisation für das Patenschaftswesen wird von vielen Mitarbeitern gemacht, aber von ihr überwacht. Medizinische Versorgung und auch Unterricht in Präventivmedizin geschieht auch über die Schulen sowie Gewaltlosigkeit als Unterrichtspraxis und Unterrichtsfach. Ihr wurde am Anfang das Überwachen von korrekter Anwendung von Mikrokrediten übertragen.
Für Frauen ist auch heute die Kuh eine wichtige Lebensgrundlage. ASSEFA hat die korrekte Verwertung der Milch organisiert. Der Kredit, um die Kuh zu kaufen, wird dann an eine andere Person weitergegeben, wenn er erwirtschaftet ist. In einer Gegend wird an heranwachsende Mädchen von ASSEFA-Mitgliedern eine Kuh geschenkt, damit sie dann etwas haben für die Mitgift. Hier habe ich gelernt, dass die Bergpredigt voll lebbar ist.

2012 haben wir ein Interview gemacht mit Vasantha während unserer Besuchsreise zu ASSEFA Indien, das auf Youtube zu sehen ist: Pädagogik der Gewaltlosigkeit; paedagogia della non violenza. (rivapianan54) http://www.youtube.com/watch?v=Nf-VQ4Puq2M
Ich drucke hier ihren englischen Text, der im Film auf Youtube auf Deutsch und Italienisch übersetzt ist, er enthält die Begründung, warum ich Vasantha bei uns auf der Seite der Theologinnen porträtiere. Ihre Art sich auf einen Gott zu beziehen, ohne dabei die eine Religion gegen die andere auszuspielen, ist so schlicht und grossartig, wie es dem Gedanken von Gandhi entspricht:

Q.: Can you say a bit more about the meaning of prayer, and the offer at school, the lighting of candles…?
V.: Prayer makes them come together first of all: we sit together without any difference of religion or cast or anything. That creates uniqueness and cooperation among the children. Prayer is important because there is a power above all, whatever we do, whatever we have, whatever capacity we have, there is a supreme power over us. So that should be realized by the children, and also we use the intelligence that, weather Hindu or a Christian or a Muslim, nobody is supreme, every one is equal. All the religions say God is one and all the religion say love and sharing is the major part of God. So that kind of thinking should come from the children. So this part we create through the prayer and Yoga and meditation. Yoga and meditation can tend to have that concentration: that will help them to do good in their studies and also they can develop spiritual qualities, through Yoga, meditation and prayer. So that is why prayer is compulsory in our school.

Literatur:
Quaderni Satyagraha la forza della verità, Giovanna Providenti, LA NONVIOLENZA DELLE DONNE, Libreria editrice fiorntina, Centro Gandhi Edizione Pisa 2006, S. 165 Vasantha, le scuole, le donne: un percorso in espansione con l’ASSEFA, Di Itala Ricaldone
Dieter Conrad, GANDHI und der Begriff des Politischen Staat, Religion und Gewalt, Wilhelm Fink Verlag München 2006

Frau des Monats September 2013

„Ich habe als junge Frau in der damals durch vorwiegend ältere Herren bestückten Kirchenpflege und von einem väterlich bestimmenden Pfarrer viel gelernt. Wer das Sagen hatte und wie die Entscheidungsfindung wirklich funktioniert, musste ich schmerzlich mit ein paar Abfuhren erfahren.“[1] Dies die Erfahrung einer Frau, die mit 21 in die Kirchenpflege eines Dorfes gewählt wurde. Eine Erfahrung, die sie mit vielen Frauen teilt – die einen kapitulieren, die andern beissen sich durch – nicht alle so erfolgreich wie Maya Graf aus Sissach. Wir finden, es ist höchste Zeit, unsere Frau des Monats zu sein.

Als Kirchenpflegerin hat ihre Behördentätigkeit begonnen, in diesem Jahr ist Maya Graf höchste Schweizerin. Sie präsidiert als erstes Mitglied der Grünen Partei den Nationalrat.

Im Vorwort des Jahresberichtes 2012 des Kirchenrates der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Basel-Landschaft fährt die Sozialarbeiterin und Biobäuerin weiter: “Denn auf meine jugendlich-idealistischen Forderungen hatte niemand gewartet: ein offenes Jugendlokal, Bewahrung der Schöpfung durch aktive Umweltpolitik in der Kirche, mehr Frauenanliegen in den Gottesdiensten. So lernte ich: Wie stelle ich im fünfzehnköpfigen Rat Anträge und wie begründe ich sie, damit nicht schon alle beim ersten Wort den Kopf schütteln und weghören? Wie finde ich gleichgesinnte und baue ein Netzwerk auf? Der Frauengebetstag (heute Weltgebetstag) hat mir den Kontakt zu vielen engagierten Kirchenfrauen eröffnet, eine neue Kirchenpflegerin und ein neuer junger Pfarrer mit gleicher Wellenlänge wurden zu wertvollen Verbündeten. …“[2]

Auch wenn Maya Graf heute nicht mehr aktiv in der Kirche mitarbeitet, weiss sie immer noch, wo ihre politische Karriere begonnen hat und ist sich bewusst auf welchem Fundament ihr ökologisches Engagement steht – auf dem biblischen Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung. Auch den Kirchenfrauen hat sie in keiner Weise den Rücken gekehrt. Anlässlich der 3. Schweizer Frauensynode in Basel 2004 beteiligte sie sich am Podium im Anschluss an das Referat von Professorin Andrea Maihof, an der 5. Frauensynode in Zürich 2011 sprach sie ein eindrückliches Begrüssungswort.

Maya Graf moniert zwar (Reformierten Presse Nr. 26 vom 28. Juni 2013): „Die 68er-Themen, die Frauenbewegung und auch die vom Schöpfungsgedanken geprägte Kirche der 80er Jahre sind zusehends von einem neoliberalen Denken abgelöst worden.“[3] Das Vorwort im Jahresbericht der Reformierten Kirche Basel-Land schliesst sie mit folgendem Aufruf: „Daher soll mein Aufruf an die reformierte Kirche BL und ihre Mitglieder heute sein, bei aller institutioneller Arbeit, die wichtig ist, das tägliche mutige Handeln für eine bessere Welt von morgen aktiv anzugehen. Ich bin überzeugt, dass die Kirche, die sich dafür offensiv einsetzt, zwar mehr kritisiert wird, dafür aber auch mehr Achtung und Zuspruch erhält. Auch diese Erfahrung teile ich gerne mit Ihnen.“[4]


[1] Jahresberichtes 2012 des Kirchenrates der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Basel-Landschaft
[2]
dito
[3]
Reformierten Presse Nr. 26 vom 28. Juni 2013
[4]
Siehe 1

Frau des Monats Juli 2013

Als Frau des Monats Juli portraitieren wir die 1963 in Seoul, Südkorea, geborene Meehyun Chung. Sie ist Pastorin der Presbyterian Church in the Republic of Korea (PROK) und leitete seit Anfang 2005 bis März 2013 die Stabstelle „Frauen und Gender“ von „mission21-evangelisches missionswerk basel“. Zu ihren Schwerpunkten gehörten die Kooperation mit Frauen und Frauennetzwerken in den Partnerkirchen in Afrika, Asien und Lateinamerika und frauenspezifisches Networking in Europa und in der Schweiz, sowie die Weiterentwicklung kontextueller und feministischer Theologie aus südlicher Perspektive.

In dieser Funktion hat sie einmalige Vermittlungsarbeit geleistet für die Verständlichkeit der Arbeit mit Genderthemen. So hat sie die institutionsinterne „Gender Policy“ in schriftliche Form gebracht und mit Unterstützung der die Stabstelle unterstützenden Begleitkommission in allen Bereichen der Organisation implementiert.

Meehyun Chung studierte deutsche Literatur und Philosophie sowie Theologie in Seoul. Ihr Theologiestudium setzte sie an der Universität Basel fort. 1993 wurde sie da mit ihrer Dissertation „Karl Barth – Josef L. Hromádka – Korea“ promoviert und unterrichtete daraufhin systematische und feministische Theologie an der EWHA Universität in Seoul. Ehrenamtlich arbeitete sie in einer Gemeinde der koreanischen presbyterianischen Kirche mit Gruppen junger Erwachsener und war als Vizepräsidentin der „Ecumenical Association of Third World Theologians“(EATWOT) tätig.

Für ihre wissenschaftliche Arbeit erhielt Meehyun Chung 2006 als erste Frau den Karl-Barth-Preis der Union Evangelischer Kirchen (UEK). Der Preis würdigt die Vermittlung der Theologie Karl Barths in eine andere Kultur und deren Verknüpfung mit den gesellschaftspolitischen Fragen in Korea. Laut Jury hat sie durch ihre Art der Theologievermittlung den ökumenischen Austausch und Zusammenhalt der christlichen Gemeinde befördert.
Meehyun Chung wurde auf einen Lehrstuhl für systematische Theologie an der United Graduate School of Theology an der Yonsei University in Seoul berufen und amtet dort seit April 2013 ebenfalls als erste weibliche Chaplain in der Seelsorge für Studierende.

Für einen neuen wissenschaftlichen Beitrag erhält sie den diesjährigen Förderpreis der Marga Bührig-Stiftung. Die Preisverleihung findet am Freitag 18. Oktober um 18.30 Uhr im Literaturhaus Basel statt. Mehr Informationen dazu finden sich auf: www.foerderpreis.ch

(Dieses Portrait wurde verfasst von Esther Gisler Fischer.)

Frau des Monats Juni 2013

Mit Sr. Pat Farrell, einer Franziskaner-Schwester wird eine Vertreterin von 46‘000 US-amerikanischen Nonnen, organisiert in rund 1500 Mitgliedsorganisationen, Frau des Monats Juni. Sie gehört der Führungscrew ihres Dachverbandes LCWR (Leadership Conference of Women Religious) an. Deren Kampf für Menschen in Bedrängnis und am Rand der Gesellschaft, ihr Einsatz dort, wo sie die Welt ruft, und ihre sorgfältige Reflexion der Zeichen der Zeit im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils machen sdiese zu einer Säule der US-amerikanischen katholischen Kirche. Gleichwohl stehen die Ordensfrauen und insbesondere ihre Führung im Auge des Orkans, den die römische Glaubenskongregation im April 2012 ausgelöst hat. Deren Untersuchungsbericht wirft dem Dachverband gravierende lehrmässige Mängel in seinen Veranstaltungen vor und klagt ihn an, dass seine Positionen bezüglich Abtreibung, Priesterweihe für Frauen, Feminismus und Homosexualität von der katholischen Lehre abweichen.

Die Nonnen-Organisation hat nun gehofft, dass der neue Papst, der selber einem Orden angehört, mehr Verständnis für sie aufbringt und die Gängelung aufhebt. Vergeblich, denn kürzlich erst gab der Vatikan bekannt, dass Papst Franziskus am Entscheid seines Vorgängers festhält. Dies entgegen seines Namenspatrons Franz von Assisi, welcher Frauen als gleichwertige Partnerinnen anerkannt hatte. Klara von Assisi schrieb damals die erste Ordensregel von Frauen für Frauen. Diese war für ihre Zeit erstaunlich demokratisch ausgestaltet.

Ein dreiköpfiges bischöfliches Gremium unter der Leitung des Erbischofs von Seattle soll nun zum Rechten schauen. Es kann in den nächsten fünf Jahren in alle Vorgänge der Organisation eingreifen, neue Statuten erzwingen sowie Schriften, künftige Aktivitäten und Stellung-nahmen zensurieren.Die LCWR-Leitung weist die vom Vatikan erhobene Kritik als unbegründet zurück. Die Vorwürfe der Römischen Glaubenskongregation hätten keine substanzielle Basis und seien das Resultat eines mangelhaften und intransparenten Untersuchungsverfahrens.

Für ihr Engagement und ihren Widerstand erhielt Sr. Pat Farrell stellvertretend den Herbert-Haag-Preis 2013 für Freiheit in der Kirche. Ihre Rede anlässlich der Preisverleihung im April 2013 kann hier nachgelesen werden: http://www.herberthaag-stiftung.ch

(Dieses Portrait wurde verfasst von Esther Gisler Fischer.)

Frau des Monats April 2013

Eva-Maria Fontana

Eva-Maria Fontana tritt diesen April als Co-Präsidentin der Evangelischen Frauen Schweiz (EFS) zurück. Sie prägte die EFS seit 10 Jahren aktiv mit zuerst als Vizepräsidentin im Zentralvorstand EFS und anschliessend als Co-Präsidentin. Sie  wurde an der Delegiertenversammlung 2003 in Neuenburg nach einer längeren Schnupperzeit in den Zentralvorstand der EFS gewählt. Sogleich übernahm sie das Vizepräsidium mit dem Bereich Kirchenbeziehungen.

Dabei kamen ihr die vielfältigen Erfahrungen in Kirche und insbesondere Frauenkirchenbewegung zugute. Ihre Offenheit und Vielseitigkeit kam in den vielen Projekten, die sie begleitete und leitete zum Tragen. 2007 übernahm sie zuerst zusammen mit Heidi Zingg Knöpfli und ab 2010 mit Liselotte Fueter das Co-Präsidium. Sie hat die Arbeit der EFS stark mitgeprägt. Am Herzen lagen ihr das Ressort Theologie und die redaktionelle Mitarbeit beim efs.fpsinfo, um nur einige Aufgaben herauszugreifen. Die Pflege der Kirchenbeziehungen und der Kontakte zu Schwesterorganisationen auf nationaler und internationaler Ebene waren ihr ein weiteres wichtiges Anliegen.
Höhepunkte ihrer Tätigkeit waren die Herausgabe der EFS-Geschichte und das Erarbeiten der neuen EFS-Leitsätze.

Ihre Aufgaben im Ausschuss der Frauenkonferenz SEK, dem Vorstand der Schweizer Frauensynode sowie das Präsidium des Ökumenischen Forums Christlicher Frauen in Europa – Schweizer Zweig wird sie vorläufig weiter wahrnehmen.
Weiterhin wird sie auch die Amtspflege der Fachstelle für Genderfragen und Erwachsenenbildung Baselland präsidieren, in deren Amtspflege sie seit 1993 Einsitz hat, und die sie seit 1998 präsidiert.

Neu nimmt sie Einsitz in die Baselbieter Synode und wird dort sicher das Geschick der Reformierten Kirche Baselland aktiv mitprägen mit ihrem fundierten Hintergrund als Naturwissenschaftlerin, internationale und nationale, kirchliche und ausserkirchliche Netzwerkerin, als Vorreiterin für das Thema Freiwilligenarbeit, Fachperson für Genderfragen und feministische Theologie und als Mitfrau der IG feministischer Theologinnen.

Frau vom März 2013

Für den März haben wir Marie-Claire Barth-Frommel zur Frau des Monats gewählt.
Über Jahrzehnte hat sich Marie-Claire in und für die Ausbildung von Theologinnen und Theologen in Indonesien engagiert, sie lehrte dort an verschiedenen Hochschulen, verfasste zahlreiche wissenschaftliche Kommentare zu Büchern des Alten Testaments in indonesischer Sprache und hat damit wesentlich zu einer akademisch fundierten Grundlage für die theologische Lehre in diesem Fach beigetragen. Sie wurde 1927 geboren und studierte Theologie in Genf und Zürich. 1956 ging sie nach Jakarta und arbeitete dort bald zusammen mit ihrem Mann Christoph Barth in der Ausbildung von Religionslehrern. In Mainz, wohin ihr Mann 1967 an die Universität berufen wurde, zog Marie-Claire Barth-Frommel vier Kinder gross und war als Beraterin für die indonesische christliche Gemeinschaft in Südwestdeutschland sowie der indonesischen Krankenpflegevereinigung tätig. Daneben schrieb sie biblische Kommentare auf Indonesisch und übersetzte die Dissertationen von drei indonesischen Doktoranden. Nach dem Tod ihres Mannes verbrachte sie von 1987 bis 2007 jedes Jahr drei bis vier Monate in Indonesien als Dozentin an verschiedenen Theologischen Hochschulen in Kalimantan und Ostindonesien. Sie unterrichtete Altes Testament sowie feministische Theologie und arbeitete bei Frauentagungen mit.

Eine unermüdlich engagierte Frau ist sie, die auch heute noch ihre Beziehungen zu Indonesien pflegt. 2011 hat ihr die Universität Basel dafür die Ehrendoktorwürde verliehen. Dort ist besonders ihr Engagement als Brückenbauerin und Frauenrechtlerin betont worden, die sich im Rahmen ihrer Arbeit bei der Basler Mission „mit sanfter Beharrlichkeit für die Rechte von Frauen eingesetzt und zahlreiche Theologinnen in Indonesien und Malaysia gefördert hat, die nun auf verschiedenen Ebenen als «agents of change» in ihren Kirchen und in der Gesellschaft ihrer Länder wirken.“

Frau vom Februar 2013

Stellvertretend für die Französinnen, die am Weltgebetstag 2013 mitgearbeitet haben, sei hier Christiane Brinkert vorstellt. Sie leitete die Liturgiearbeit zum Thema «Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen».

Für unsere Rubrik «Frau des Monats» beschreibt sie ihre Erfahrungen zum Thema Fremdsein und zur Arbeit an der Liturgie folgendermaßen: «Das Fremd sein habe ich erleben dürfen mit meinem Mann, der Pfarrer ist, mit den drei Kindern von 1988 bis 1991 als wir in Neu Kaledoniern in einer Pfarrschule gearbeitet haben. Das war eine so reiche Zeit, wir lernten Geduld, Demut und Aufgenommen-Sein.
Seit vielen Jahren bin ich mit Freude im Weltgebetstag tätig und war verantwortlich für die Arbeitsgruppe «Liturgie 2013». Am Anfang schien uns dieses Abenteuer riesengross und unüberwindbar; aber die sieben Frauen der Arbeitsgruppe haben sich mit Herz und Seele an die Arbeit gemacht. Wir haben Vertrauen, Toleranz, Beständigkeit im Engagement und methodisches Arbeiten gelernt.
Ich wünsche euch allen eine schöne und gesegnetee Weltgebetstags-Feier, verbunden mit den Schwerstern und Brüdern der ganzen Welt.»

Frau vom Januar 2013

Hartnäckigkeit und Klarheit zeichnen die Theologin Klara Butting aus – die Frau des Monats, mit der wir das neue Jahr 2013 beginnen möchten. Sie möge uns weiterhin anregen, führen, unterstützen mit ihren Gedanken und Verbindungen, die sie herzustellen vermag. Klara arbeitet an zentralen Themen der biblischen Tradition, ihre Kontexte sind die Frauenbewegung, das jüdisch-christliche Gespräch, der Dialog mit dem Islam, die Spiritualität.

Sie erhielt im September 2011 den Marga Bührig-Förderpreis für ihr Buch «Hier bin ich. Unterwegs zu einer biblischen Spiritualität» (Erev-rav 2011), weil sie uns dieses Fremdwort, das heute ein Modewort ist, neu erklären kann. Ihre Alltagsspiritualität ist solidarisch und politisch orientiert, ohne verkopft oder ideologisch zu werden. Ihr gelingt es, Erfahrungsräume zu verbinden – aus den biblischen Glaubensüberlieferungen zu uns heute.

Klara Butting leitet das Zentrum für biblische Spiritualität an der Woltersburger Mühle in Uelzen (www.woltersburgermuehle.de), ein Projekt mit Arbeitslosen und mit Bibellektüre. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift «Junge Kirche» (www.jungekirche.de) – eine lohnende Lektüre für Theologinnen und Pfarrerinnen allzumal! Sie leitet mit Gerard Minnard den Verein «Erev-Rav», so heißt das «viele fremde Volk», das mit Israel aus der Sklaverei zog (Ex 12,38). Der Verein organisiert Studienwochen mit der Zielsetzung einer Befreiungstheologie im Kontext Europas zu entwickeln und publiziert Bücher wie z.B. «Die Bibel erzählt…» (erschienen sind bereits Bände zu Ester, Hiob, Markus, 1Samuel, 2Samuel, sowie «Der das Licht schuf und die Finsternis. Glauben heute – biblisch – politisch – spirituell.») Ihre Theologie ist in der feministischen Fragestellung verankert, ihre Dissertation zu Ester, Ruth, Hohelied und Kohelet, sowie ihre Habilitation zu den Prophetinnen darlegen.

Frau vom Dezember 2012

Im Dezember erinnern wir an die Künstlerin und Theologin Dr. Benita Joswig, die am 2.10.2012 im Alter von 47 Jahren gestorben ist. Sie rang zwei Jahre mit Krebs und im Sommer schien es so, dass sie ihn überwunden hatte. Anfang September kam sie wegen heftiger Lungenbeschwerden ins Krankenhaus, wo sie nach wenigen Wochen auf der Palliativstation starb. Ihr Mann und ihre Schwester waren bei ihr.

Benita ging bewusst in der Tod und hat die letzten Wochen auch damit zugebracht, ihren Nachlass, vor allem ihre Kunst, zu ordnen. Viele ihrer Werke sind ins Würzburger Dommuseum gekommen. Die zehn Bücher ihres Projekts „Books Writing“ sind schon seit Mai in der Handschriften-sammlung der Heidelberger Universität.
Am 15. Oktober wurde in Marburg eine Glastür in der Uni-Bibliothek eingeweiht, die Benita noch wenige Monate vorher gestaltet hat. In der Woltersburger Mühle bei Uelzen finden sich vier große Glasfenster, die sie zur Geschichte von Mose und dem brennenden Dornbusch (Ex 3) gemalt hat.

Ihr letztes Buch: Worte wachsen weise, eine handschriftliche Vernetzung, erschien im Frühjahr beim Erev Rav Verlag. Darin finden sich ausgewählte Texte  (deutsche, US-amerikanische und nicaraguanische) aus Books Writing.
In der nächsten Jungen Kirche (ab 15. November 2012) mit dem Fokusthema „Seele“ erscheint ein Interview von Benita, das sie im Juli mit einer erfahrenen Hospizmitarbeiterin in Heidelberg führte.
Außerdem ist in Heft 4/2011 der Jungen Kirche ein eindrücklicher Artikel von ihr unter der Überschrift: „Transitwege jenseits von Krankheit und Gesundheit“ zu lesen. Dazu referierte sie außerdem auf der feministisch-theologischen Sommerakademie in Berlin dieses Jahr.

Wir vermissen eine große Kollegin, Freundin und Schwester
Bärbel Fünfsinn

Weitere Informationen zu ihr und ihren Projekten finden sich auf ihrer homepage: www.benita-joswig.de

Frau vom November 2012

Hildegard von Bingen
Für den Monat November haben wir eine Frau gewählt, welche schon lange nicht mehr unter uns weilt: Hildegard von Bingen.

Hildegard von Bingen lebte von 1098 bis 1179 und war Benediktinerin. Sie gilt als erste Vertreterin der Deutschen Mystik des Mittelalters. Seit ihrer Kindheit hatte sie Visionen. Ihre Lehre beeinflusste nicht nur die Theologie, sondern auch die Biologie, Medizin und die Musik.
Einigen wird sie bekannt sein wegen ihrer ganzheitlichen Sicht auf den Menschen und ihrer Lebensregeln. Sie beschreibt die menschlichen Lebenskräfte in der Einheit der drei Säulen aus Seele, Leib und Sinne, welche in stetiger Wechselwirkung stehen und zueinander wirken. Das Heil der Seele ist allen voran der wichtigste Punkt in der theologischen Lehre Hildegards. Von ihr gehen im Fall von Erkrankungen ebenso Heilkräfte aus wie von den beschriebenen Pflanzen und Anwendungen.

Am 7. Oktober 2012 wurde sie von Papst Benedikt XVI. zur Kirchenlehrerin erhoben und wir finden: Das war aber an der Zeit!

Frau des Monats Oktober 2012

Ursula Angst-Vonwiller (22. Juni 1950- 24. Juli 2012)
1998-2003 Co-Präsidentin und 2003-2007 Präsidentin der Evangelischen Frauen Schweiz EFS

Ursula Angst-Vonwiller – Sekundarlehrerin und Erwachsenenbildnerin und hervorragende Rednerin und Geschichtenerzählerin – hat sich in ihren neun Jahren als Co-Präsidentin und Präsidentin der EFS mit viel Elan, voller Ideen und riesigem Engagement für die EFS eingesetzt und dem Verband ein eigenes Gesicht verliehen. Ein besonderes Anliegen war ihr, den EFS eine politische Stimme zu geben und die Stimme der EFS auch in einer breiten Öffentlichkeit hörbar zu machen.

Mit besonderer Freude brachte sie ihr grosses sozialpolitisches Wissen in der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen ein. Gleichzeitig war ihr die Zeitschrift Schritte ins Offene eine Herzensanliegen, genau wie die Deutschschweizer Pfarrfrauenvereinigung, welche sie im EFS-Zentralvorstand vertrat. Ein Höhepunkt in ihrer Präsidialzeit war das Sofa-Zimmer der EFS am Purple Day am 14. Juni 2002, dem Frauentag an der Expo 02 in Yverdon.

Sie ist im Juni 2012 viel zu früh gestorben.

Frau des Monats September 2012

In diesem Monat erinnern wir an Dr. Else Kähler, Pionierin der Bibelforschung, frauenbewegte Frau der ersten Generation. Sie hat am 16. September Geburtstag. Geboren wurde sie 1917 in Kiel. Als Stipendiatin der Universität Zürich kam sie nach dem Krieg 1947 in die Schweiz. Mit Marga Bührig zusammen leitete sie und prägte sie ab 1949 das reformierte Studentinnenhaus in Zürich. Als erste Frau promovierte sie 1957 im Neuen Testament und zwar über die Rolle der Frauen in den paulinischen Briefen. Ihre Einsicht, dass Paulus die Frauen nicht den Männern untergeordnet, sondern als gleichwertig aber mit verschiedenen Aufgaben verstanden hat, hat sie nicht nur wissenschaftlich begründet, sondern genauso gelebt und in ihrer Arbeit umgesetzt. 1959 wurde sie zusammen mit Marga Bührig als Studienleiterin an das Evangelische Tagungs- und Studienzentrum Boldern nach Männedorf berufen. Else Kähler starb am 10. Mai 2011.

Viele gesellschaftspolitisch heikle Themen wurden von ihr aufgegriffen, sie engagierte sich für Frauenrechte, für Lesben und Schwule und für den Frieden. Sie war vom Leben und seinen Möglichkeiten begeistert, liebte ein Glas Wein und die Blumen, Briefe und Gespräche. «Das Faszinierende an Else Kähler war ihre Aufgeschlossenheit, gesellschaftlich tabuisierte und vernachlässigte Themen aufzugreifen, benachteiligende Ungleichheiten öffentlich zu machen und zugleich im christlichen Glauben tief verwurzelt zu sein» (Marianne de Mestral).

Frau des Monats August

Weil sie seit dem 1. Februar 2012 ausserordentliche Professorin für Seelsorge, Religionspsychologie und Religionspädagogik an der theologischen Fakultät Bern ist und zugleich Co-Leiterin des Institus für Praktische Theologie, haben wir Isabelle Noth zur Frau des Monats August gewählt.

Isabelle Noth  wurde in Bethesda (USA) geboren und wuchs in den Vereinigten Staaten und in Zürich auf. Sie hat an den Universitäten Bern, Berlin und Tübingen Theologie studiert und war als Pfarrerin in der Kirchgemeinde Worb tätig. Sie absolvierte die beiden berufsspezifischen Studiengänge in Gefängnisseelsorge und in systemischer Seelsorge. Von 1999 bis 2005 arbeitete Noth als Assistentin am Lehrstuhl für Neuere Kirchengeschichte, Konfessionskunde und Neuere Theologiegeschichte an der Universität Bern und promovierte 2003 mit summa cum laude mit einer Arbeit zum Ekstatischen Pietismus. Sie untersuchte die Inspirationsgemeinden und ihre Prophetin Ursula Meyer (1682–1743).

Im Jahr 2004 nahm sie in Basel ein Psychologiestudium auf, das sie in Wien und Bern weiterführte. Von 2006 bis 2009 hielt sie sich als SNF-Forschungsstipendiatin je eineinhalb Jahre an den Universitäten Wien und Claremont (USA) auf und habilitierte sich 2010 in Praktischer Theologie an der Universität Zürich zu „Freuds bleibende Aktualität. Psychoanalyserezeption in der Pastoral- und Religionspsychologie im deutschen Sprachraum und in den USA“. Im gleichen Jahr wurde Isabelle Noth als neue Kontaktfrau der Schweizer Sektion der Europäische Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR) gewählt. Im Zentrum ihrer Forschungstätigkeit stehen die theologische Positionierung und religionspsychologische Fundierung und Professionalisierung von Seelsorge vor allem in den Bereichen psychische Gesundheit sowie Interkulturalität und -religiosität. Dabei betont sie die emanzipatorischen Möglichkeiten der Psychoanalyse für einen mündigen Glauben.

Frau des Monats Juli 2012

Wir haben eine neue und ganz spannende Professorin in der Schweiz! Am 24. Mai dieses Jahres hielt Prof. Dr. Magdalene Frettlöh ihre Antrittsvorlesung an der theologischen Fakultät der Universität Bern. Sie wurde letzten Herbst an die Fakultät zur ordentlichen Professorin für Systematische Theologie gewählt als Nachfolgerin von Christine Janowski. Die IG gratuliert Magdalene Frettlöh, freut sich auf weitere gendersensible, kritische, sorgfältige und relevante Gedanken von ihr und ernennt sie darum zur Frau des Monats Juli 2012!

Magdalene Frettlöh promovierte 1998 mit der preisgekrönten Arbeit «Theologie des Segens»: Diese ist inzwischen in fünfter Auflage erschienen und gilt als Standardwerk. 2004 habilitierte sie mit «Gott Gewicht geben», die 2007 mit dem wissenschaftlichen Förderpreis der Marga Bührig-Stiftung in Basel ausgezeichnet wurde. Ihre Forschungs- und Publikationsschwerpunkte sind Themen materialer Dogmatik in reformierter Tradition, die Theologie Karl Barths in der Postmoderne, der theologische Gender-Diskurs und der jüdisch-christliche Dialog. In interdisziplinären Diskursen mit Philosophie, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaften und Soziologie arbeitet sie an Theologien der Gabe, des Raumes und des Namens.
Folgende Bücher empfehlen wir:

  • Gott Gewicht geben. Bausteine einer geschlechtergerechten Gotteslehre. Neukirchen-Vluyn 2006 (ausgezeichnet mit dem Marga Bührig Förderpreis 2007)
  • Wenn Mann und Frau im Bilde Gottes sind…Über geschlechtsspezifische Gottesbilder, Gottesbildlichkeit des Menschen und das Bilderverbot. Wuppertal 2002
  • Theologie des Segens. Biblische und dogmatische Wahrnehmungen. Diss Bochum 1997. Neuauflagen Gütersloh 2005 (ausgezeichnet mit dem Wilhelm Hollenberg Preis)

Frau des Monats Juni 2012

Frau des Monats Juni ist Béatrice Bowald. «Ich kann von dem leidenschaftlichen Wunsch, es möge etwas besser werden, es möge friedlicher und gerechter zugehen, nicht ablassen.» (Marie Louise Kaschnitz) steht auf ihrer Website. Ihre Arbeit passt zu diesem Wort.

2011 wurde ihr der Marga-Bührig-Förderpreis verliehen für ihre Dissertation. Sie trägt den Titel: «Prostitution –Überlegungen aus ethischer Perspektive zu Praxis, Wertung und Politik» (Münster 2010) und geht beindruckend differenziert mit einem schwierigen Thema um. In ihrer Arbeit erweist sich Béatrice als eine, die ruhig abwägt und klug argumentiert, um zu einer sozialethisch zu verantworteten Prostitutionspolitik zu kommen. Ein kluger Beitrag, der Frauen (und Männern) aus der Schmuddelecke hilft. Danke, Béatrice!

Béatrice Bowald ist Theologin, IG-Frau und FAMA-Redaktorin. Sie arbeitet seit September 2007 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Nationalkommission Justitia et Pax, der Ethik-Expertenkommission der Schweizerischen Bischofskonferenz mit den Arbeitsschwerpunkten: Sozial- und wirtschaftsethische, umwelt- und bioethische Themen; dies unter der Perspektive der Option für die Benachteiligten, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Geschlechtergerechtigkeit.

Frau des Monats Mai 2012

Jeden Monat stellen wir hier eine Frau vor, die uns beeindruckt hat durch ihre Leistung, ihr Engagement oder einfach, weil sie eine Heldin des Alltags ist.

Die Frau des Monats Mai ist für uns Monika Hungerbühler. Warum? Das lest ihr hier.

Die Herbert Haag-Stiftung «Für Freiheit in der Kirche» zeichnet periodisch Menschen aus, die sich für Freiheit und Menschlichkeit innerhalb der Kirche einsetzen. Dieses Jahr wird Monika Hungerbühler dieser Preis zuteil, zusammen mit der Gemeindeleiterin Monika Schmid (Effretikon) und Charlie Wenk aus St. Gallen.
«Engagierte Theologinnen und Theologen in vielen Seelsorgeteams sind dafür besorgt, dass die Seelsorge nicht zusammenbricht, obwohl manche Bischöfe die missliche Situation nach wie vor schön reden. So kann die Herbert-Haag-Stiftung stellvertretend für viele andere drei Persönlichkeiten aus den Bistümern Basel, Chur und St. Gallen auszeichnen, die als GemeindeleiterInnen und in der City-Seelsorge tätig sind.»

Monika Hungerbühler ist römisch-katholische Theologin, hat in Luzern und Tübingen studiert und gehört zu den Gründungsfrauen der feministisch-theologischen Zeitschrift FAMA. Sie ist Leiterin der kirchlichen Frauenstelle BS und Seelsorgerin an der Offenen Kirche Elisabethen (ökumenische City-Kirche von Basel), Co-Dekanatsleiterin in Basel und Mitinitiantin der kirchlichen Gleichstellungsinitiative für die römisch-katholische Kirche. Sie ist langjähriges IG Mitglied und Co-Leiterin des Fernstudiums Feministische Theologie.
Die Preisverleihung der Herbert-Haag-Stiftung fand am 22. April 2012 um 16.30 Uhr im Hotel Schweizerhof in Luzern statt. (www.herberthaag-stiftung.ch)