Frau des Monats Juli/August 2021

Feministische Theologinnen im Porträt: Brigit Keller

Brigit Keller, geb. 1942 in Zug, wohnhaft in Zürich.
Studium der Germanistik, Kunst- und Religionsgeschichte.
Dissertation über die Lyrik von Nelly Sachs.
Freie Mitarbeiterin/Studienleiterin für Frauenfragen/Frauenkultur, Literatur & Ausstellungen an der Paulus-Akademie Zürich1971-2006.
Marga Bührig-Anerkennungspreis 1999
Publikation von Lyrikbänden im eFeF-Verlag:
Vogelflug im Augenwinkel (1998)
Wasserzeichen in meiner Haut (2006)
Sehnarben (2011/2015)
www.brigitkeller.ch

Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Ich bin in einem katholischen Kontext aufgewachsen. Viel war mir an der Kirche wichtig, doch früh hat es mich irritiert, dass nur Männer Priester werden konnten, dass der Papst ein Mann war, ein Mann mit viel Macht, dass mein Bruder ministrieren konnte, ich nicht. Auch was über Eva als Verführerin erzählt wurde, die Witze darüber, haben mich verletzt.  Warum war das Geschlecht so wichtig? Warum war ich als Frau weniger wert als ein Mann? Ich blieb in der Kirche, aber fühlte mich entfremdet. Dies hat sich verschärft, als mir die Frauenbewegung wichtig wurde. Ich lernte verstehen, was mich an der Teilnahme von Gottesdiensten schon länger gelähmt hatte.

Als ich das erste Mal etwas von Feministischer Theologie hörte, war ich gleichsam elektrisiert.
Ja, das ist möglich, neu möglich, eine neue Zugehörigkeit tat sich auf. Ich muss nicht alles, was mir lieb ist aufgeben, ich kann einiges anders gestalten, an einer Veränderung von Frauen und Männern auf mehr Gerechtigkeit, auch in der Kirche, hinarbeiten. Ursula (Ursa) Krattiger hat sich in der Paulus-Akademie die Ausstellung „Wir Frauen Mai 78 – Rollen und Aufbruch“, die ich mit viele Frauen gestaltet hatte, angesehen. Dabei hat sie mir von der niederländischen Theologin Catharina J.M.Halkes erzählt, von ihrem  Lehrauftrag für „Feminismus und Christentum“. Ich wollte Halkes kennenlernen und habe sie in die Paulus-Akademie eingeladen. Das war die erste Veranstaltung zu Feministischer Theologie in der Paulus-Akademie: „Feministinnen hinterfragen unser männliches Gottesbild“, Sonntag, 17. September 1978. Zwar konnte Catharina eines Unfalls wegen nicht selber kommen, Ursa hat ihre Gedanken vorgetragen. Der Abend war der Beginn meiner feministisch-theologischen Arbeit.

Viele Protagonistinnen haben mich geprägt, aber ganz tief gingen mir die Bücher und Begegnungen mit Catharina J.M. Halkes. Gern zähle ich einige weitere Theologinnen auf, die ich in die Paulus-Akademie einladen konnte und die mir wichtig sind: Elisabeth Schüssler Fiorenza, Dorothee Sölle, Mary John Mananzan, Mercy Amba Oduyoye, Doris Strahm,  Ivone Gebara u.a. Weitere Theologinnen, Philosophinnen, Ethikerinnen wurden durch ihre Bücher wichtig, mit denen ich mich in Frauengruppen auseinandergesetzt habe: nennen möchte ich vor allem Mary Daly und Carter Heyward. Auch Matriarchale Spiritualtität hat mich fasziniert. Dazu will ich Heide Göttner-Abendroth und Rosmarie Schmid erwähnen.

Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Ich war in der Paulus-Akademie Zürich über lange Jahre freie Mitarbeiterin, später Studienleiterin. Meinen Arbeitsbereich habe ich selber entwickelt, es gab ihn vorher nicht. Darauf bin ich stolz. Mit Mut habe ich meine Ideen umgesetzt, lotete die durch den Ort gesetzten Grenzen aus.

Mit feministisch-theologischen Themen begann ich 1978. Ich habe in den folgenden Jahren bis zu meiner Pensionierung von 2006 viele Angebote gestaltet: Gruppen für Frauen, Tagungen, Sommerwochen, Abendveranstaltungen. Viele Theologinnen konnte ich einladen und Diskussionen mit ihnen ermöglichen. Dafür war mir die Zusammenarbeit mit Boldern, dem RomeroHaus, Silvia und Doris Strahm, Carmen Jud grundlegend. Sehr wichtig wurde auch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Bildungshäusern und Einzelpersonen für mehrere Ökumenische Ausbildungskurse (1998-2001). Ab 2002 gestalteten wir Interreligiöse Theologiekurse für Jüdinnen, Christinnen, Musliminnen, eine bereichernde und herausfordernde Arbeit.

Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Feministische Theologie war Teil meines Arbeitsbereiches „Frauenfragen/Frauenkultur und Literatur“. Sie hat selbstverständlich, weil immer ich es war, die diese Veranstaltungen organisierte, auch die andern Themenbereiche beeinflusst, wie die Arbeit mit Schriftstellerinnen, die Tagungen zu Frauen und Macht, zu Frauenfreundschaften, Auseinandersetzungen mit Körper und Sprache, Projekt Labyrinth, Themen für und mit Frauen verschiedener Herkunft, Arbeit gegen Gewalt an Frauen …

Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

„Erfahrungstheologie“, „von sich ausgehen“ im Austausch mit verschiedenen Frauen. Respekt vor einander, zuhören können / reden lernen….“vom Schweigen zur Sprache zur Aktion“.

Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?

Neben Neugier, Zustimmung, auch viel Kritik und Unverständnis – es lohnt sich nicht, das genauer zu beschreiben. Wichtiger war das grosse Interesse von Frauen, das mich angestossen, begeistert, unterstützt hat. Dies war in den 70er, 80er, auch noch 90er Jahren sehr stark, schwächte sich später ab.

Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein?
Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Ich wünsche mir, dass viele Frauen auf ihre Ziele hin weiter zusammenarbeiten, den Mut nicht verlieren, gegen Resignation ankämpfen, kreativ und beharrlich sind.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Ich werde nächstes Jahr 80. Erfahrungen mit Krankheiten und Abschied beschäftigen mich zurzeit mehr als die feministische Theologie.
Doch für mein tägliches Leben und Überleben sind theologische Bezüge nach wie vor wichtig. Besonders wichtig ist mir die Schöpfungstheologie, der Ökofeminismus, wie ihn Ivone Gebara beschrieben hat. „In jeder Sekunde beginnt die Schöpfung wieder neu und lebt gleichzeitig weiter fort. Es ist ein fortlaufender Beginn, jederzeit neu.“ (Gebara) Das Werden, das Neu-Werden, ist in jedem Moment möglich, und ich stehe nicht ausserhalb dieses Prozesses, ich bin einbezogen, mitverantwortlich. Dies hilft gegen Resignation und Trauer. Auch die Erinnerung ans gemeinsame Arbeiten, die Hoffung auf eine bessere Welt für alle, kann mich stärken. Als „glückliche Alte“ kann ich mich jedoch nicht bezeichnen, zu viel in der Welt liegt im Argen. Ich versuche aber gegen Ohnmachts-Kultivierung anzukämpfen.

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Juni 2021