Frau der Monate Juli/August 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Regula Grünenfelder, Dr. theol., Feministische Theologin, Leiterin Fachstelle Feministische Theologie der FrauenKirche Zentralschweiz*

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie fliesst feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?
Feminismus ist der radikale Begriff für gleiche Rechte und gleiche Würde aller Menschen («Feminism ist he radical notion that women are people», Marie Shear Meiselman, 1986). Oder schon ein wenig älter, Gal 3,28 (in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache): «Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig Messias Jesus.» Und noch weiter zurück in jüdisch-christlicher Genealogie: Alle sind gemeinsam Ebenbilder Gottes.
Das ist alles: Grundhaltung, Begehren, alltäglich und beruflich. Seit einigen Jahren bin ich zwischen den Institutionen unterwegs und forsche mit an den Herausforderungen einer nachkirchlichen Kirche und christlichen Theologie. Hubertus Halbfas bringt diese Notwendigkeit auf den Punkt. Es braucht auch in nachkirchlicher Zeit «Orte, die dazu herausfordern, den Alltag zu übersteigen, die Gemeinschaft zu suchen, die Feier zu achten und die Geschichte wie das eigene Leben zu bedenken.» (Die Zukunft unserer Kirchengebäude. Problemlage und Lösungswege, Patmos 2019). Mich interessiert, wie das geht. Und zwar nicht theoretisch und am grünen Tisch, sondern im gemeinsamen Tun dort, wo es nötig ist. Wir kreieren Labors, machen Erfahrungen und reflektieren sie, lernen daraus, gehen nächste Schritte, feiern und denken nach – als Schülerin von Elisabeth Schüssler Fiorenza bin ich leidenschaftlich unterwegs im «Tanz der Interpretation».

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder beschreibend (gender) unterwegs?
Anwaltschaftlich und forschend.

Gibt es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?
Ich erlebe viel positives Feedback und Dankbarkeit. Ich bedaure, dass manchmal schwer zu vermitteln ist, wozu wir unterwegs sind. Nachkirchlich christliche Tradition offen halten für Sinnfindung und Orientierung im Engagement – wie ich es im Dialog beispielsweise mit Frauen*streikenden und Klimastreikenden erlebe – ist in innerkirchlichen Kategorien schwer zu vermitteln. Mein feministisches Arbeiten ist Nachdenken und Experimentieren auf vielen Ebenen, interdisziplinär oder integral. Elisabeth Schüssler Fiorenza hat mit ihrer politischen Rhetorik Möglichkeiten geschaffen, in der globalisierten Überkomplexität prägend zu wirken, Notwendiges zu denken und entsprechende Handlungsfelder zu öffnen, diese wiederum zu reflektieren. Das ist für mich heute notwendige Theologie und das finden Frauen* interessant, auch junge.

Braucht es in den Kirchen noch «Frauenförderung» oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Was für eine Frage! «Frauenförderung» im Sinne der Antwort 1 bedeutet, dass Frauen* das tun, was sie als notwendig erachten, ins Handeln bringen und miteinander reflektieren (können). Die #JuniaInitiative und das Catholic Women’s Council sind zwei Felder in der katholischen Kirche, wo dies passiert, in der Schweiz und global vernetzt. So gibt es eine inhaltliche und anwaltschaftliche Verbindung zwischen der Schweizer #JuniaInitiative zu Anne Soupa, die ebenso wie #Junia (www.juniainitiative.com) den Bischöfen und Priestern nichts wegnehmen will, aber von den Menschen mit ihren Nöten, Hoffnungen und Freude der Menschen ausgeht und für sie einsteht. Wir sind verbunden mit Sr. Mary John Mananzan, die seit Jahrzehnten für Mädchenbildung und sexuelle Integrität von Frauen auf den Philippinen einsteht und nun öffentlich als Terroristin gebrandmarkt wird. Ich bin aktuell sehr in/mit der katholischen Kirche beschäftigt, so dass ich zur ökumenischen Situation nur kurz sagen möchte: Christliche Feministinnen haben alle Hände voll zu tun, arbeiten am Gleichen in unseren verschiedenen Kontexten, oft leidenschaftlich gemeinsam in zukunftsorientierten Projekten wie der Frauen*synode «Wirtschaft ist Care» (www.frauensynode2020.ch). Es ist schön, wenn wir uns einmal einfach begegnen können. Dafür war das Motto des Frauen*streiks 2020 ein Segen: Fraulenzen und querstellen. Also, Pause machen und unser Engagement wirken lassen.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Für mich ist eher die Herausforderung, wie sie Gehirn bekommen. Jetzt ist Laborzeit, es gibt so viel zu fragen, zu experimentieren, zu besprechen, zu forschen. Ich sehne mich danach, mehr zu schreiben. Schreiben erlebe ich als Schöpfungsprozess. Aus Intuitionen und Erfahrungen entstehen Denkwege, die gemeinsam weiter gegangen werden können.
Zum Beispiel möchte ich über das spontane Zurückzucken schreiben, das Kirchenmenschen erleben, wenn jemand bemerkt, dass sie einen Kirchenmenschen vor sich haben. Dies ist eine Erfahrung, die viele kennen, ein ganz spezifisches Zurückzucken, ein Moment voller Irritation, gesättigt von allem, was Kirche mit Frauenfeindlichkeit, Kälte, Gewalt, Missbrauch, Ablehnung, Ausgrenzung zahllosen Menschen über Jahrhunderte kalkuliert und gedankenlos angetan hat. Das ist nicht die ganze Wahrheit, aber es ist ein wichtiger Teil der Wahrheit in der Kirche. Auf der Römer Anlaufstelle für Gewalt betroffene Frauen* habe ich die potenzierte Form dieses Zurückzuckens erlebt: Offener Ekel, bei aller Freundlichkeit im Kontakt. Daran gibt es keinen Weg vorbei. Es ist so etwas wie ein Anti-Sakrament, das Kirchen mit herumschleppen: Die Gewaltgeschichte wirkt. Wenn wir heute über Sakramente sprechen, dann müssen wir darüber sprechen. Sonst bleibt alles beim Alten und ist schnell vorbei.
Doch da gibt es Hoffnung: Heute haben wir beim feministischen Bibelteilen über Zoom eine wunderbare Erfahrung gemacht mit dem berühmten Bibeltext über die gegenseitige Erforschung der inneren und äusserlich erfahrenen Qualitäten: Jesus fragt, für wen halten mich die Leute und für wen haltet ihr mich, ihr Jüngerinnen und Jünger? Sie zählen Namen auf. Jesus nimmt die Bezeichnung «Messias» und verbindet dies mit einer besonderen Kompetenz: «Ich gebe dir die Schlüssel zur Welt Gottes. Was du auf der Erde bindest, soll im Himmel gebunden sein, was du auf der Erde löst, soll im Himmel gelöst sein.» (Mt 16,19). Simon bekommt den Namen Fels. Aus neuen Forschungen wissen wir übrigens, dass Maria mit «Magdala» wohl auch so einen neuen Namen bekommen hat – die Maria mit den Qualitäten von Weitblick und Sichtbarkeit wie ein Turm. Nicht nur Petrus bekommt die Schlüssel, sehen wir im Text, es ist diese messianische Qualität, Schlüssel zur Welt Gottes zu verteilen. Als feministische Theologin bin ich eine Schlüsselverteilerin zur Welt Gottes, die den Alltag übersteigt, aus Zwängen den Blick öffnet für Gottes Gegenwart in und mit uns. Wir sind die Schlüsselverschenker*innen und geben einander die Möglichkeit, gute Verbindungen zu sichern und Schädliches zu lösen. Wir sind in messianischer Autorität mit vielen Schlüsseln unterwegs, damit Frauen* einander Gottes Welt aufschliessen und unsere gemeinsame verletzliche Existenz auf dem blauen Planeten schöner, gerechter, menschlicher wird. Was für ein Glück.


* Zur Person: Regula Grünenfelder, Dr. theol., Feministische Theologin, Leiterin Fachstelle Feministische Theologie der FrauenKirche Zentralschweiz, Projektleiterin Frauen*synode 2021 «Wirtschaft ist Care», Mitautorin der «Gender»-, sowie der «Wirtschaft ist Care»-Broschüre. Engagiert in Projekten zwischen den Institutionen wie der Plattform Zivilgesellschaft in Asylbundeszentren (www.plattform-ziab.ch), der #JuniaInitiative, des Netzwerks für eine beseelte Landwirtschaft, Bio-Nahrung für alle und gutes Zusammenleben (www.luegjetzt.ch) u.a.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Juni 2020