Frau vom Mai-Juni 2018

Feministische Theologinnen im Porträt: Stéph Zwicky Vicente

1. Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Feministisches Gedankengut ist unverzichtbarer Teil meines beweglichen und lebendigen Fundaments. Wo beginnt dieses Gedankengut und wo hört es auf?

2. Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Da ich als Gemeindepfarrerin Menschen jeglichen Alters begegne und begleite, ist das sehr unterschiedlich. Explizit erwähnt und benannt als Feministische Theologie ist sie in erster Linie im Sonntagsgottesdienst präsent. Es sind ganz grundlegende Sachen, die ich benenne, z.B. sage ich jedes Mal, aus welcher Bibelübersetzung ich lese. Das hat am Anfang immer wieder Fragen nach sich gezogen. Entweder, warum ich das jeweils sage, oder warum ich grad aus dieser oder jener Übersetzung gelesen habe. Es gibt auch diejenigen, welche z.B. auf die Bibel in gerechter Sprache nicht gut zu sprechen sind.
Das schönste Kompliment war für mich, als ein Mann mir nach einem Gottesdienst sagte, dass wenn dies, was ich gepredigt hatte, Feministische Theologie sei, dann sei er auch Feminist. Feminismus hat für mich gar nichts zu tun mit einem Kampf von Frauen gegen Männer. Von vielen bekomme ich die Rückmeldung, dass die feministisch-theologischen Gedanken sie befreit von Zwängen verschiedener Art.
Im Traugespräch sind die Klassiker die Frage nach dem (neuen) Nachnamen, der Einzug (der Braut am Arm des Vaters) und neuerdings auch (wieder) der Bedeutung des Schleiers. Auch da verstehe ich meine Arbeit als Impuls, der eine eigene Auseinandersetzung in Gang bringen soll. Sobald die Hochzeitspaare merken, dass es Alternativen gibt, die ihre Grundanliegen aufnehmen (beim Einzug z.B. Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber den Eltern), sind sie offen für andere Formen.
Im Unterricht (Religion auf der Oberstufe und Konfirmation) fliesst es vor allem beim Thema Gottesbilder ein. Dort ist es mir wichtig, dass die Jugendlichen selber denken und Fragen stellen an ihre und fremde Gottesbilder. Sie sollen nicht glauben, was ich glaube, sondern sich mit ihrem eigenen Weg auseinandersetzen.

3. Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Lässt sich das überhaupt trennen?

4. Braucht es in den Kirchen noch „Frauenförderung‘‘ oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Ich bin mir nicht sicher, was „Förderung“ bedeutet. Frauen und Männer darin zu stärken, so gross zu sein, wie Gott sie gemacht hat, scheint mir prinzipiell überall wichtig. Aufgaben und Stellen in der Kirche (und der Gesellschaft) für verschiedene Lebensentwürfe attraktiv zu machen, ebenso.

5. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Im alltäglichen Leben versuche ich das zu leben, was ich predige. In aller Vorläufigkeit und Bruchstückhaftigkeit, mit all meinen blinden Flecken und meiner Angewiesenheit auf den liebevollen Blick der/des Anderen.

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Mai 2018