Frau des Monats September/Oktober 2023

Helmute Conzetti

Geb. 1945 in Bad Reichenhall, Studium der Theologie in Berlin, Heidelberg, Zürich, Tübingen und Abschluss in Berlin. Vikariat und Heirat mit dem Schweizer Theologen C. Conzetti und Geburt unserer beiden Kinder. Ab 1979 in Bern lebend. Arbeit als Pfarrersfrau mit eigenen Betätigungsfeldern in der Pfarrer*innen- & Vikariats-ausbildung, Supervisorin, Stadtrat. 1982 Pfarrerin in Bern-Bethlehem, 1991 Studienleiterin Gwatt-Zentrum, dann Fachstelle „Bildung & Beratung der ref. Kirche Bern-Stadt bis zur Pensionierung.

  1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Zu Beginn meines Studiums 1965 war feministische Theologie für mich noch kein Thema.  Allerdings befremdete mich sehr, dass es hiess, als verheirate Frau könnte ich dann nicht mehr  Pfarrerin sein. Das hielt mich aber nicht vom Studium ab.

Theologen wIe Gerhard von Rad, Ernst Käsemann, Eberhard Jüngel begeisterten mich für Bibel, Theologie und soziale Fragen. – Bei Dorothee Sölle stellten sich diese Fragen bei mir neu und brisant, begünstigt auch durch die sozial-kritische  68-er Bewegung. Luise Schottroff lehrte uns die  präzise Interpretation biblischer Texte, die die Lebenswirklichkeit von Frauen (und anderer Unterdrückter) verdeutlichte und auch Jürgen Ebach hatte einen offen Sinn für soziale und feministische Fragen.

Später in der Bildungsarbeit waren Heidemarie Langer mit  Bibliodrama oder Jutta Voss mit Texten und Tänzen wichtige Wegweiserinnen.

Förderlich für die feministische Bildungsarbeit waren dann besonders die Kolleginnen in Zürich und Biel, Marga Bührig, Reinhild Traitler, Tania Oldenhagen, Doris und Silvia Strahm, Regula Strobel und viele weitere Frauen in den Bildungshäusern und der Frauenkirche.

  1. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Im Gwatt-Zentrum, dem damaligen kirchlichen reformierten Bildungszentrum der Berner Kirche, war ich Studienleiterin für das Ressort „Frauen“. Neben Bildungs- und Ferienkursen für Frauen wurden mir die Vorbereitungstagungen für den Weltgebetstag (WGT) zunehmend wichtig. Ich erlebte, auch auf Reisen in die entsprechenden Länder, welche Bedeutung und welches Empowerment dieser christlich weltweit gefeierte Anlass für die Frauen des WGT-Landes bedeut. Und natürlich haben auch wir reisenden  Frauen viel über die Lebenswirklichkeit der Frauen weltweit gelernt.

Intensiv wurde die Zusammenarbeit mit den Bildungshäusern Boldern, der Paulus-Akademie, dem Verein „Frauen und Kirche Luzern“ mit den Angeboten „Erster Ausbildungskurs feministische Theologie“, 1986 -1993. Darin ging es um christliche feministische Ansätze weltweit. Da gingen uns allen, Teilnehmenden und Organisatorinnen neue Welten auf. – Der Wunsch nach Weiterarbeit war gross.

So wurde  ein weiteren Kurs „Zweiter ökummenischer Ausbildungskurs  Feministische Theologie“ 2000 – 2001 geplant und durchgeführt. Dieser Kurs war interreligiös: Frauen aus Judentum, Islam und Buddhismus kamen zur Sprache und auch der interreligiöse Dialog wurde thematisiert. Die hoch motivierten Frauen trafen sich zwischen den Modulen in Lerngruppen zum Austausch und um das Thema zu vertiefen.

Im März 1998 half ich in Bern die „IG FrauenKirchen Schweiz“ zu gründen und im Oktober die Frauenkirche Bern, die auch eigene Bildungsveranstaltungen durchführte. Marianne Kopp gestaltete und führte für das Programm und weitere Ereignisse den „Frauenkirchenkalender“.

Ab 1998,  an der Fachstelle Frauen der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn, unterstützen und bildeten wir Frauen für Führungsaufgaben (Kirchgemeinderat, Synode u.a.) in der Kirche aus. Damals war das durchaus noch pionierhaft.

  1. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Die feministische Perspektive wurde für mich zunehmend selbstverständlich. Ich habe mich in meiner Bildungs- aber auch in der  politischen Arbeit (Stadtrat der Stadt Bern) dafür eingesetzt und versucht, diese Perspektive nicht aus den Augen zu lassen.

  1. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Mir hat immer die präzise Bibelauslegung sehr gefallen, die gezeigt hat, mit welchem „männlichen“ und europäischen Blick die Bibel jahrhundertelang ausgelegt wurde. Das immer wieder kritisch zu betrachten und entsprechend zu vermitteln, war mir wichtig. Ausserdem war mir auch Kirchenpolitik wichtig, die zu „meiner Zeit“ noch sehr einseitig männlich geprägt war.

  1. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?

Als Pfarrerin in der Kirchgemeinde mit „vorsichtig feministischem Ansatz“ bekam ich Reaktionen wie: „Weisst du, wir verstehen deine Predigten einfach besser.“ Sie waren vielleicht nicht feministisch, aber sie waren aus meiner weiblichen Perspektive. Später in der Bildungsarbeit war die feministische Perspektive durchaus  erwünscht und teilweise auch von männlichen Kollegen mitgetragen.

  1. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Ich wünsche mir, dass die Kirche sowohl Frauen als auch Männer anspricht und für beide interessant und wichtig bleibt. Ich wünsche, dass Care- und Berufsarbeit für Mann und Frau möglich und wichtig ist und dass die Kirche gesellschaftlich und ökologisch relevant bleibt.

  1. Falls zutreffend: Was waren die Gründe, weshalb du dir eine Tätigkeit ausserhalb der Kirche gesucht hast?

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  1. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?
    Ich glaube, dass viele Erkenntnisse unserer Generation wichtig, wegweisend und in unserer Gesellschaft teilweise auch selbstverständlich geworden sind. Aber die Herausforderungen haben sich verändert. Die Kirche ist für viele nicht mehr relevant. Das Ungleichgewicht der Mächte weltweit ist bedrohlich. Die Umwelt-, Klima- und Friedensfragen sind brennend. Eine wichtige Aufgabe auch für die Kirchen, wo diese Themen immer wieder neu bedacht werden müssen. Feministische, interreligiöse, ökologische, soziale und Friedens-Perspektiven braucht es für eine lebenswerte Zukunft für alle.

Helmute Conzetti

Vielen Danke für das spannende Interview!
Esther Gisler Fischer.