Frau des Monats Mai/Juni 2022

Interview mit der Frau des Monats: Clara Moser

1955 geboren in Bern, Mutter zweier erwachsener Kinder.

Ich war Gemeindepfarrerin in Pratteln, nach meiner Pensionierung übernahm ich eine längere Vertretung als Spitalseelsorgerin im Unispital Basel. Die Frauenbewegung begleitet mich, wie auch die Suche nach Gott. Ich entdecke für mich Singen und Malen, Meditieren, Trommeln und inneres Reisen. Für Hände auflegen oder Gruppengespräche in der Elisabethenkirche, im Kosmosspace oder Forum für Zeitfragen habe ich jetzt Zeit. Ich koche gerne, zusammen jassen, diskutieren, spazieren, lesen oder Velofahren freuen mich. Heute  wohne ich im Gundeli in Basel und bin oft in Bern bei meinem Partner.

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Meine Mutter hat mich mit 15 Jahren zu einem Vortrag von Dorothea Sölle mitgenommen. An den Inhalt erinnere ich mich kaum, nur noch: es war sehr stimmig, sie hat mich tief beeindruckt: Alltagserfahrungen und Glaube, Gerechtigkeit, Politik und Bibel waren in einer verständlichen Sprache vereint. Diese kleine Frau im braunen Deuxpièces hat Kraft, benennt direkt. Sie betet, bittet, ist wütend, glaubt wahrhaftig an Gott, aus dem Herzen engagiert. Ja, das interessiert mich. „Das politische Nachtgebet von Köln“ und später „Stellvertretung“  waren für mich prägende Momente zum Einstieg in die feministische Befreiungstheologie. Und es folgten Bücher von Elisabeth Moltmann und Tine Halkes.  Aber vor allem die gemeinsam suchenden Gespräche mit anderen Frauen, neugierig weiterzudenken. Wie die Bauern von Solentiname.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Zuerst im Gymi (Bubenklasse mit 2 Mädchen) mit entsprechenden Vorträgen (zu Laure Wyss, das rosarote Mädchenbuch) oder Voten, war ich immer auf der Suche nach Frauen-Wurzeln.
Verschiedene Frauen waren mir wichtig: die Schwester meiner Oma Frieda Geissmann, die als erste Frau eine kaufmännische Lehre machen durfte. Amélie Moser, eine mir verwandte Pionierin aus Herzogenbuchsee, die die erste alkoholfreie Gemeindestube gründete. Die cfd Mitbegründerin Gertrud Kurz mit ihrem sozialen, christlichen Engagement als Flüchtlingsmutter.
Später an der Uni Basel hatte ich die Unifrauengruppe Basel mitbegründet. Ebenso die Gruppe Frauentheologie (Ursa Krattiger, Ursula Howald, Rosmarie Wydler…). Unvorstellbar heute, aber 1977 sprachen die Professoren uns Studentinnen mit Fräulein an und hier die Anrede Frau zu fordern, war wohl mutig von mir und ich eckte auch bei Mitstudierenden an. Ein exklusiver Sprachgebrauch hatte mich auch am Anfang des Pfarramtes begleitet: Im Pfarrkonvent waren wir alle mit „Liebe Brüder in Christo“ angeredet. In der Situation zu intervenieren war, zusammen mit einigen Schwestern, ein harter Brocken. Als dann später die „Bibel in gerechter Sprache“ herausgegeben wurde, war ich begeistert, dass dieser „Herr“ sich in viele Gottesbezeichnungen geöffnet hat. Alle Lektorinnen in meiner Gemeinde bekamen diese neue gendergerechte Bibel geschenkt.

In der Erwachsenenbildung war feministische Theologie immer wieder Thema: in Predigten über Frauengestalten, aber auch in Bibelarbeiten zum Frauenweltgebetstag bis hin zum Bibliodrama, immer mit dem Fokus: du als Abbild Gottes bist wertvoll und einmalig.

In monatlichen Frauenmorgen erläuterten viele engagierte Referentinnen gesellschaftliche, psychologische und religiöse Zusammenhänge. In  Kindererziehungskursen der Kirchgemeinde konnte Vieles ausgetauscht werden. Im Lesekreis lernte frau eine eigene Meinung zu vertreten, was Viele stärkte und ermächtigte. Aus diesem Kreis wurden später auch Religionslehrerinnen oder engagierte faitrade Frauen im Claroladen.

Über Fehl- oder Totgeburten zu reden, war in den 80 Jahren Tabu. Als ich nach meinem ersten Kind ein zweites verloren hatte – und ich als Pfarrerin immer wieder gefragt wurde, wann dann das zweite käme, habe ich ehrlich geantwortet. Und dann hörte ich in der Gemeinde von so vielen Schicksalen von Frauen, die Kinder oder Geschwister verloren haben. Ich begann einen Gesprächskreis mit betroffenen Eltern zu organisieren.  Eine Kerze am Ewigkeitssonntag für diese verlorenen Kinder anzuzünden. Eine von mir mitgestaltete schweizerische Frauen-Liturgie zum Thema „Abschied“ thematisierte diesen Abschied von Fehlgeburt und Totgeburt mit der Bibelstelle (Rahel weint um ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen, Math. 2, 18 ) und löste grosse Betroffenheit aus. Der SEK und die Bischofkonferenz baten mich dazu eine Tagung zu organisieren, zusammen mit der Beratungsstelle „Kindsverlust“, die bei Seelsorgenden und Hebammen grossen Anklang fand. Später waren Pfarrweiterbildungskurse gefragt und daraus wuchs die ökumenische Arbeitshilfe mit dem Titel:  „Wenn Geburt und Tod zusammenfallen“ (Clara Moser und Detlef Hecking). Vor allem habe ich gelernt, dass eine Fehl- oder Totgeburt eigentlich zwei Kasualien vereint: eine wertschätzende Begrüssung (Segnung) wie die Taufe und ein Loslassen in der Beerdigung. Im Bewusstsein, dass Frauen öfters mit der ersten Schwangerschaft kein Kind gebären können, drängt sich bei jedem Taufgespräch die Frage auf: ist das ihre erste Schwangerschaft?  Das kann Schleusen öffnen, darüber zu reden ist heilend.  Berührt und „gefreut“ hat mich kürzlich, als ich nach einer Geburts/Todesanzeige eine öffentliche Feier von einem Kollegen miterleben konnte. Das hat sich zum Guten verändert. Wunderbar.

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und
wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Seit Anbeginn der IG war ich mit dabei – pausiert nur durch die Kleinkinderzeit. Ich habe einige Studentinnen/Vikarinnen begleitet, als Vikariatsleiterin oder Mentorin und mir war wichtig, dass sie zu ihrer eigenen Blüte finden. Meinen Talar habe ich an eine junge Pfarrerin weitergegeben – wie ich ihn von der pensionierten Rosmarie Bruppacher damals auch bekommen habe, auf dass sie weiter verkünde das Evangelium und heile, ganz in der feministischen Tradition.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Sicher am Anfang des Pfarramtes die TZI und CPT Ausbildung. Vertieft hat sich meine Arbeit/Glaube durch die Bibliodrama-Ausbildung bei Nico Derksen und Claudia Mennen. Es war ein Raum, um biblisch langsam zu ergründen und ernsthaft spielerisch meine Beziehung zu Gott, meinem Herzanliegen zu erfahren. Ein Raum, der wertschätzt, ermutigt und spirituell tiefgründig ist. In allem, Mann oder Frau, Tier oder Natur, ist Gott gegenwärtig.

Schon über viele Jahre bin ich im Stiftungsrat der Marga Bührig Stiftung, freue mich da mit Schwestern verschiedenster Generationen zusammen, Neues oder bewährte feministische Arbeiten zu wertschätzen.

5. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

In der Coronazeit wurde ich pensioniert, was mich sehr auf mich selbst geworfen hat, denn alle Pläne von Reisen oder gemütlichem Essen und Diskussionen oder Singen, Konzerte wurden gebremst. Ich war mit mir, alleine, verunsichert und lernte neu der Spiritualität zu vertrauen. Ein bewusster mystischen Weg –  wie Robert Roth sagt – der Christusliebe dienen. Als Feministin „dienen“ – als Studentin hätte ich bei dieser Formulierung die Hände verworfen –  heute versuche ich in dieser Beziehung der göttlichen Liebe zu leben.

Handauflegen – das stille und sanfte Da-sein für Menschen ist in den letzten Jahren immer gewichtiger geworden. In der Elisabethenkirche Basel darf ich als Heilerin mit dabei sein. Handauflegen und segnende Worte sprechen, beten ins Tohuwabohu einzelner Menschen oder der (kriegerischen) Welt. Hoffen und Verbinden, was trennt und ängstigt, immer wieder.

Heute versuche ich aktiv zu sein in der Klimabewegung, auch mit Klimagesprächen von HEKS und Fastenaktion. Oder am neuen Wohnort in Basel öffnen sich wieder Möglichkeiten, dass Menschen zusammenkommen – Singen im Chor,  Mittagstisch, Gesprächsrunden, Filmabende, Suppenessen – ich bin dabei. Mut macht mir immer wieder, wenn ich heute jungen Frauen, Pfarrerinnen begegne, die in einer  – mir damals noch unbekannten – Selbstverständlichkeit und im Selbstvertrauen, die feministische Befreiungstheologie leben, verkünden und aufstehen für feministisches Blühen.

Danke für deine Antworten!
Das Interview mit Clara Moser führte Esther Gisler Fischer.