Frau vom Januar-Februar 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Tina Bernhard-Bergmaier, Pfarrerin Gossau-Andwil, Vorstand IG Feministische Theologinnen


Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Feministisches Gedankengut prägt meinen Glauben und meine Haltung zum Leben. Deshalb fliesst es generell in meinen Alltag und damit auch in meine Arbeit ein. Es hilft mir, meine eigenen Vorstellungen und Verhaltensweisen sowie gesellschaftliche Themen zu reflektieren. Ich will die Herausforderung annehmen, mich (meinen) patriarchal geprägten Verhaltensmustern und Glaubensvorstellungen zu stellen und feministisches Gedankengut zu leben.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Die feministisch-theologische Grundhaltung fliesst einerseits indirekt in meine Arbeit ein, indem ich bewusst auf meine Sprache achte. Ich versuche nicht nur inklusiv zu formulieren, sondern auch – beispielsweise bei einem Taufgespräch oder im Konfunterricht – Fragen so zu stellen, dass sie nicht unhinterfragt geschlechterspezifische Stereotypen und entsprechende gesellschaftliche Erwartungen stützen. Wenn ich selbst mit Stereotypisierungen konfrontiert werde, versuche ich direkt darauf zu reagieren, oft mit Humor. Häufig entstehen daraus wertvolle Gespräche, die das gegenseitige Vertrauen stärken. In meiner Gottesdienstsprache schaue ich darauf, dass ich (von Gott) auch in weiblich konnotierten Bildern spreche und Frauen zitiere.
Direkte Auswirkungen hat meine feministisch-theologische Haltung auf meine Bibelhermeneutik. Ab und zu predige ich auch bewusst zu Bibeltexten oder biblischen Figuren, die wenig bekannt sind. Die Reaktionen auf die feministische Herangehensweise sind unterschiedlich. Manche sind irritiert über die – wie sie sagen – „moderne“ Auslegung, andere reagieren überrascht und manche sagen, ich hätte ihnen aus dem Herz geredet. Viele kommentieren sie nicht.

Wie beurteilst du das Verhältnis von ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ und wie haben diese beiden Konzepte einen Einfluss auf dein Theologietreiben?
Sie gehören zusammen. Der gendertheoretische Ansatz ist für mich ein Instrument, gesellschaftliche Themen, theologische Gedankengänge und Texte zu analysieren, um danach einen (neuen) Umgang damit zu finden, der meinen feministischen Überzeugungen entspricht.

Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘ oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Wie in der Gesellschaft gibt es auch in den Kirchen noch immer viele geschlechterabhängige Rollenverständnisse und Verhaltensmuster, die zu Ungleichheit führen. Wir sind alle aufgefordert, diese zu sehen, anzusprechen und Alternativen zu suchen.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Dadurch, dass ich sie versuche im Alltag, zuhause, im Beruf und bei ehrenamtlichem Engagement, zu leben.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Dezember 2019