Frau der Monate Januar/Februar 2021

Feministische Theologinnen im Porträt: Elisabeth Miescher, Dr. theol. seit 2004

Elisabeth Miescher

Das feministische Denken hat in meiner Kindheit begonnen. Ich war vier, als mein Bruder nach drei Mädchen geboren wurde. Die ganze Verwandtschaft jubelte: endlich ein Bub. Ich dachte, ich bin nur ein Mädchen. Ich höre diese Botschaft bis heute – sie hat mich tief geprägt. Meine ältere Schwester kann sich nicht daran erinnern. Als sieben jährige habe ich meinen Vater ins Wahllokal begleitet. Ich fragte ihn, warum geht Mama nicht mitkommt. Sie darf nicht stimmen. Sie bezahlt auch keine Steuern. Mama war auch nicht interessiert. Einige Tage später war ich bei meiner Patin, Mamas beste Freundin. sie war Fürsorgerin in der PUK. Ich fragt sie: bezahlst du Steuern? Ja, wer verdient, muss Steuern bezahlen. Dann darfst du auch stimmen? Nein, das dürfen nur Männer. Ich war empört und sagte, wenn ich gross bin, kämpfe ich dafür, dass du stimmen kannst und ich auch. Sie hat das Stimmrecht nicht mehr erlebt. Sie starb 1963. Vier Jahre zuvor, 1959, haben wir uns noch geärgert. Immerhin bekamen wir bald das kantonale Stimm- und Wahlrecht.

Die feministische Theologie kam etwas später in mein Leben: zuerst durch den Münsterpfarrer Werner Reiser, mit dem ich von 1970 theologische Kurse für Laien leitete. Er lehrte mich viele Bibelstellen, in denen Gott weder Mann noch Frau ist oder sogenannte weibliche Eigenschaften hat. In meiner Arbeit als Studienleiterin auf dem Leuenberg hat mir dieser Zugang geholfen, unsern Präsidenten Fred Kunz zu überzeugen, an einem Jubiläum einen feministischen Abendmahlsgottesdienst zu feiern, zu dem ich die Liturgie verfasste.

Reinhild Traitler von Boldern lud mich ein, mit ihr Ausbildungskurse in feministischer Theologie durchzuführen. Später arbeitete ich mit Pfrn. Ruth Best zusammen. Wir freuten uns, wenn wir eine noch kaum bekannte Frau in der Bibel entdeckten.

Als Ruth Epting den Ehrendoktor der theologischen Fakultät erhielt, gründete sie 1988 den Verein Projekt Frauentheologie. Es gelang uns bald, Veranstaltungen zur feministischen Theologie im Theologischen Seminar zu organisieren, auf die viele gewartet hatten. Ich war viele Jahre Präsidentin dieses Vereins. Besonders beeindruckt haben mich die Veranstaltungen mit Dorothee Sölle. Und die langen Abende mit ihr während ihrer Gastprofessur in Basel.

Der Leuenberg bot mir zweimal die Möglichkeit zu ein einem Studienurlaub in den USA. Ich arbeitete mit drei feministischen Theologinnen zusammen: Phyllis Bird (Frauen im AT), Ruth Duck (Feministische Gottesdienste, Weibliche Spiritualität), Rosemary Radford Ruether (Dogmatik). Nach meiner Pensionierung 1997 verbrachte ich ein Jahr im Garett Seminary in Evanston bei Chicago und schloss mit einem Master in Theologie ab.

Aufgrund dieses Abschlusses erhielt ich von der Basler Kirche die Erlaubnis alle Gottesdienste durchzuführen, um die ich gebeten wurde. Fast 20 Jahre konnte ich in Riehen und im Zwinglihaus diesen Dienst tun. Eine schöne Aufgabe.

Das Interview führt Esther Fischer Gisler, Januar 2021