Frau des Monats Juli/August 2022

Interview mit Rita Pürro

Rita Pürro Spengler, 1962, hat Theologie in Freiburg i.Ue. und Nijmegen/NL studiert. Sie war als Mentorin an der Uni Freiburg tätig, dann als regionale Jugendseelsorgerin und Erwachsenenbildnerin. Jetzt ist sie in der Pfarrei Murten für die Altersseelsorge, Diakonie und Erwachsenenbildung zuständig.
In der Freizeit engagiert sie sich als Vernetzerin in der Gemeinde Schmitten und in der Gruppe «Flüchtlinge Willkommen im Sensebezirk» beim Bundesasylzentrum (BAZ) Guglera. Oft finden wir sie im eigenen Garten, im Gemeinschaftsgarten, am Fotografieren und unterwegs in Sachen «Imkerei Spengler».

 

Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Im Herbst 1982 fing ich als Zwanzigjährige in Freiburg mit dem Theologiestudium an. Hinter mir lag ein Jahr voller Fragen, ob dieses Studium, dieser Beruf, was für mich seien. In meiner Region gab es keine Frau, die diesen Weg bisher gegangen war. Was ich im Zusammenhang mit dem Priesterberuf gehört hatte, dass das was mit «Berufung» zu tun habe und eine solche wohl irgendwie gehört, gespürt, erfahren wird, das war mir völlig fremd. Ich stand einfach da mit meinem Interesse für die Fragen nach dem Leben und dem Sterben, meinem Engagement gegen Ungerechtigkeiten und dem Wunsch, zukünftig Menschen so stärkend und begeisternd begleiten zu können, wie ich es selber im kirchlichen Rahmen, vor allem in der Jugendorganisationen Blauring und Jungwacht und der Jugendseelsorge erlebt hatte.

An der Uni, bzw. in Freiburg als Stadt, kam ich zuerst mit dem Feminismus in Kontakt. Das  Frauenzentrum öffnete mir eine neue Welt und in der OFRA (Organisation für die Sache der Frau), in der ich bis 1997 engagiert war, lernte ich, wie politisch das Private ist. Erste feministische Lektüre- und Selbsterfahrungsgruppen. Ich erinnere mich, wie das Buch «Häutungen» von Verena Stefan mich durchrüttelte und weckte.

An der theologischen Fakultät gab es zu meinem Studienbeginn bereits ein feministisch-theologisches Seminar am Dogmatiklehrstuhl. Als Erstsemestrige mit meinem vorgegebenen Stundenplan hatte ich das noch nicht mitbekommen. Erst im Jahr drauf, als Li Hangartner und Brigitte Vielhaus das Seminar übernahmen, kam ich zum ersten Mal mit feministischer Theologie in Berührung und wieder tat sich eine Welt auf. In der Wohngemeinschaft war es Lisianne Enderli, die selber ein Jahr in Nijmegen/NL studiert hatte, die mich in meinem Entschluss bestärkte, dort mein Auslandjahr zu verbringen. Ja, dort…Holland war seit je ein Sehnsuchtsort von mir und in Nijmegen belegte Tine Halkes den ersten feministisch-theologischen Lehrstuhl in Europa! So besuchte ich 1984/85 ihre Vorlesung. Das Seminar mit ihr war nicht nur inhaltlich sehr intensiv, sondern Tine’s wohlwollende, unterstützende Art und die Offenheit und Gemeinschaft im Seminarraum und darüber hinaus war Frauensolidarität pur. Wir lasen und diskutierten, tanzten, lachten und weinten – Theologie als gemeinsamer Weg. Tine hatte Elisabeth Schüssler Fiorenza nach Nijmegen eingeladen. Der Studientag mit ihr war der erste Kontakt mit ihrer Bibelhermeneutik und ihrem Kyriarchats-Begriff. «In memory of her» (1983) und «Bread not stones» (1984) waren erst 1988 auf Deutsch zugänglich, in der Folge dann auch ihre weiteren grossen Publikationen, auch dank dem Schweizer Exodus-Verlag.

Es waren die kleinen und die grossen Gemeinschaften – vom selbstverwalteten Seminar in Küche und Garten unserer WG, über die Frauenkirchenfeste bis zum Verbundensein mit vielen tollen Frauen, die sich an vielen verschiedenen Orten für und mit Frauen engagieren – die mich bei der Theologie und auch bei der Kirche gehalten haben. Trotz allem.

Ich bin erst spät der IG beigetreten, weil ich mich als – theologisch – zu wenig aktiv und öffentlich wirksam einschätzte. Bei der Verabschiedungsfeier von Lisianne Enderli wurde mir klar: Da soll was weitergehen, was in der Stube in Freiburg begonnen hatte. Jetzt ist es Zeit, Mitfrau zu werden, auf meine Art, mit meinem Weg, meinem Ort!

Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Ich war – ausser bei meiner Lizentiatsarbeit zur Christologie Rosmary Radford Ruethers – immer mit anderen zusammen feministisch-theologisch unterwegs, immer Anregende und Angeregte: im Theologinnenforum an der Fakultät, über Jahre in den Vorbereitungsgruppen und als Teilnehmende der fem.-theol La-Roche-Studienwochen und dem Nachfolgeprojekt, den Studienwochenenden in Escholzmatt.

Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

In meinen beruflichen Zusammenhängen hatte ich immer die Möglichkeit in Liturgien und in der Bildungsarbeit feministische Theologie einzubringen und mal explizit, mal implizit zu vermitteln. Als langjährige Kursleiterin von «theologiekurse.ch» musste ich ab und zu mal hören: Ach Frau Pürro, Sie immer mit den Frauen…!» Ja, biblische Frauengestalten in Bild und Wort vorzustellen, die Verbindung zu machen zwischen den Erfahrungen damals und heute, das liebe ich….und dabei sowohl die Aktualität und Relevanz dieser alten Texte als auch das breite Spektrum an Frauengestalten, -realitäten – selbstbestimmt, wort- und wirkmächtig – aufzuzeigen. Das ist etwas, was ich auch heute bei meiner Arbeit in der Altersseelsorge in Gesprächen und Gottesdiensten immer wieder einbringen kann. Während meiner Zeit als regionale Erwachsenenbildnerin gestaltete ich einmal pro Monat ein «Frauen z’Morge», eine Andacht mit frauenspezifischen Themen und danach einem freundschaftlichen gemeinsamen  Frühstück. Frauen immer wieder zusprechen, dass sie gross und schön und kräftig sein dürfen, sich nicht verkrümmen, klein und unsichtbar machen….das war und ist immer noch nötig. Sicher bei den älteren Generationen, die traditionell katholisch sozialisiert wurden. Die Befreiung von all dem Krampf eines Frauen- und Mutterideals, das durch die Überfrau «Muttergottes/Gottesmutter» Generationen von Frauen klein, unwürdig und stumm gehalten hat, das bleibt den jungen Frauen hier heute doch weitgehend erspart, weil sie zum Glück nicht mehr davon geprägt werden.

Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig

Feministische Bibellektüre, -interpretation vermag mich immer wieder zu begeistern. Und die kreativen Umsetzungen, wie ich sie in den FrauenBibelArbeiten des Katholischen Bibelwerkes oder der FrauenGottesDienste-Reihe gefunden habe, sind mir Nahrung und für meine Arbeit ein inspirierender Fundus. Manchmal fehlt mir die Energie, alleine oder auch in einer Gruppe, mir neue Ansätze zu erarbeiten, zu erschliessen…so stagniere ich sicher auf theoretischer Ebene…. und schätze drum umso mehr die Lektüre der FAMA, um ein klein bisschen à jour zu bleiben.

Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?

Nur dort, wie oben beschrieben, wo ich einigen zu penetrant war –  natürlich nur aus ihrer Sicht!

Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Weil wir in so vielen Bereichen und Hinsichten immer noch diskriminiert werden, machen Frauen hier in der Schweiz und auch weltweit, auch in den katholischen Frauenorganisationen, immer wieder und immer noch auf diese Diskriminierung von uns Frauen aufmerksam. Und setzen dem in vielen Initiativen und Aktionen ihre Kompetenz, ihre Ermächtigung, ihre Entwürfe entgegen, tun, was mann ihnen verwehrt, manchmal mit grosser öffentlicher Wirksamkeit, manchmal einfach im kleinen Kreis. Ich bin immer wieder erschüttert, dass Selbstverständlichstes einfach noch nicht selbstverständlich ist. Dass die Erkenntnisse aus der Exegese, und nicht nur der feministischen, einfach ignoriert werden und von gewissen Herrschaften ungebrochen ein Ämterverständnis tradiert wird, das als gottgewollt oder von Jesus genau so gestiftet immer noch verkauft wird.

Ich kann nicht verstehen, wenn Frauen heute immer noch sprachlich unsichtbar gemacht werden – wie auch alle Geschlechter eingestampft werden auf eines oder dann bestenfalls zwei. Ich verstehe nicht, dass ein junger Kollege immer problemlos von den «Katecheten» sprechen kann, obwohl alle, die er damit meint, Katechetinnen sind. Das sind die kleinen Empörungen, die es auch gilt auszusprechen. Und das ist ernüchternd, denn zumindest diese Basics dürften doch endlich mal klar sein!

Ich wünsche mir, dass Frauen in Kirche und Gesellschaft sich nicht mehr mit Selbstverständlichkeiten aufhalten müssen, sondern sich frei, leichtfüssig und aufrecht bewegen und ihr Leben leben können – selbstverständlich!

Vielen Dank für das spannende Interview!
Esther Gisler Fischer