Frau der Monate November/Dezember 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Miriam Schneider, Doktorandin, Beauftragte für interreligiöse Fragestellungen der Fachstelle Bildung der Christkatholischen Kirche der Schweiz*

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie fliesst feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?
Ich arbeite als Beauftragte für interreligiöse Fragestellungen bei der Fachstelle Bildung der Christkatholischen Kirche der Schweiz und doktoriere an der Vrije Universiteit Amsterdam im Bereich Dynamiken interreligiöser Begegnungen aus christlich-theologischer Perspektive. Mein Fokus liegt also in mehrfacher Hinsicht im Bereich des interreligiösen Dialogs. Zwar ist feministische Theologie nicht mein Kernthema, trotzdem liegt mir viel am feministischen Gedankengut. Feministische Fragen spielen auch im interreligiösen Dialog eine wichtige Rolle. Mir ist wichtig, dass alle Stimmen – auch die von Frauen – gehört werden. Ausserdem achte ich darauf, dass verschiedenen Gruppierungen oder Interessen – auch die von Frauen – vertreten sind.

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Ich finde es gar nicht so einfach, die beiden Zugänge klar voneinander zu trennen. Ich bin sicherlich gendersensibel; manchmal eher beobachtend und beschreibend und manchmal ergibt sich die Möglichkeit eine konkrete Ungleichbehandlung von Frauen anzusprechen.

Gibt es Reaktionen aus der Gemeinde, aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?
Mit meinem interreligiösen Schwerpunkt bewege ich mich strukturell gesehen sowohl kirchlich, wie auch akademisch am Rand und erhalte wenig Aufmerksamkeit. Zwar wird öfters betont, wie wichtig diese Arbeit sei, was aber bspw. bei Budgetplanungen oder der Verbesserung von Arbeitsbedingungen kaum zum Ausdruck kommt. Es sind Einzelpersonen, die meine Arbeit im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen und darin auch eine Relevanz erkennen.
Ich nehme aber wahr, dass die feministisch-theologischen Frauen, die im Bereich interreligiöser Dialog in der Schweiz relativ gut vernetzt sind. So freut es mich bspw. immer wieder mit Dr. theol. Doris Strahm in Kontakt zu sein und das mich offenbar die IG feministischer-theologinnen im Blick behalten hat.

Braucht es in den Kirchen noch «Frauenförderung» oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
In der Christkatholischen Kirche der Schweiz sind Frauen seit gut 20 Jahren zu den geweihten Ämtern – Diakonin, Priesterin, Bischöfin – zugelassen. Mit diesem Entscheid hat die Kirche einen grossen und wichtigen Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter unternommen.
Die Förderung der Gleichstellung ist dennoch notwendig, ich denke da an die Gleichbehandlung von Geistlichen und Laien unter den Mitarbeitenden. Z.B. werden bei Traktandenlisten und Protokollen die kirchlichen Titel meiner Kolleg*innen immer erwähnt. Mein akademischer Titel hingegen wird regelmässig vergessen, obwohl ich immer wieder darauf hinweise. Damit wird meine Expertise unsichtbar gemacht. Hier würde ich mir mehr Sensibilität wünschen.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Derzeit beschäftigt mich mit dem Sichtbarmachen interreligiöser Aktivitäten innerhalb der Christkatholischen Kirchen und der Frage, wie interreligiöse Aktivisten*innen in ihrem Engagement unterstütz werden können. Dazu bereite ich einen interreligiösen Netzwerktag für Christkatholik*innen vor, der im Frühling stattfinden soll. Sichtbarkeit und Empowerment sind hier die Stichworte.

* Zur Person: Nach meinem Abschluss im Fach Interreligiöse Studien mit Nebenfach Theologie an der Universität Bern, war ich ein Jahr lang Geschäftsführerin der IG feministischer Theologinnen der Schweiz und Liechtenstein und anschliessend für einige Jahre als Assistentin am Institut für Christkatholische Theologie, an der Theologischen Fakultät der Universität Bern tätig. Heute bin ich Doktorandin an der Freien Universität Amsterdam und forsche im Bereich von Interreligiösen Fragestellungen aus altkatholisch-theologischer Perspektive. Ausserdem arbeite ich als Beauftragte für interreligiöse Fragestellungen der Fachstelle Bildung der Christkatholischen Kirche der Schweiz, wo ich die Kirche nach innen bei interreligiösen Themen berate und nach aussen bei bestimmten Projekten oder in Arbeitsgruppen repräsentiere, so z.B. bei der Broschüre «Gegenüber ist immer ein Mensch. Interreligiöse Erklärung zu Flüchtlingsfragen», die der Schweizerische Rat der Religionen 2018 veröffentlicht hat. Daneben publiziere ich regelmässig meine Forschung Fachzeitschriften, wie auch für ein breiteres Publikum. Ich bin 37 Jahre alt und Laientheologin.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Oktober 2020