Frau vom Mai-Juni 2019

Feministische Theologinnen im Porträt: Heidi Zingg Knöpfli, Studienleiterin bei Mission 21

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Ich arbeite als Studienleiterin bei Mission 21 und das feministische Gedankengut begleitet mich tagtäglich bei meiner Arbeit, sei es in den Kursen mit Jugendlichen, mit Seniorinnen und Senioren oder Frauen- und Männergruppen, aber auch im Büroalltag. Gut ist, dass Mission 21, das evangelische Missionswerk in Basel, in ihren Grundlagen sich die spezielle Förderung von Frauen und Mädchen zum Ziel gesetzt hat und versucht, diese in ihren Programmen – zusammen mit ihren über 70 Partnerinnen-Organisationen in 20 Ländern umzusetzen. Die Basis – u.a. mit einer expliziten Gender-Policy – ist also gelegt – und das hilft mir bei meiner Arbeit.
Zudem arbeite ich als Prädikantin der Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Prädikantinnen und Prädikanten leiten im Auftrag der Landeskirche Gottesdienste, wenn die Ortspfarrerin/der Ortspfarrer abwesend ist. In diese Arbeit fliesst mein feministisches Gedankengut sehr stark ein: Anrede des DU, Auswahl der Bibeltexte, Predigten, Gebete, Lieder, Ansprechen der Anwesenden. Es gibt noch viele unbekannte Frauen in der Bibel, Persönlichkeiten, die für uns alle ein Vorbild sein können, so wir sie denn aus ihrem Schattendasein holen.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Feministische Theologie ist eine Haltung, ein Ernstnehmen des Gegenübers, auch ein Ernstnehmen von mir selber. Es geht nicht anders, als dass ich als Frau spreche, auch als Frau gemeint sein will (nicht mitgemeint). Ich frage auch Frauen an, ob es ihnen ernst sei, wenn sie von sich als Coiffeur, als Kunde, als Partner sprechen und ebenso Männer, die ausschliesslich eine männliche Sprache benützen.
Es geht mir aber nicht nur um die Sprache, sondern auch um die Wertvorstellung, um das gesellschaftliche Gefüge und die Seilschaften, um politische Haltungen und Forderungen. Hat ein Mann seine Familie als Hobby, dann sehe ich rot. Sagt eine Frau, ihr Mann helfe ihr bei den Familienpflichten, dann ebenfalls. Dass ich versuche, das Ganze oft mit Humor zu nehmen, hilft, aber bewahrt nicht davor, zäh und ausdauernd das Thema Feminismus und Theologie immer wieder zur Sprache zu bringen, zusammen mit gleichgesinnten Arbeitskolleginnen und -kollegen.
Spannend dabei sind diese Fragen oft auch im Zusammenarbeiten mit Angehörigen aus andern Kulturkreisen. Da können wir in der Schweiz noch einiges lernen, beispielsweise den aufrechten Gang, um nur etwas zu erwähnen.

Wie beurteilst du das Verhältnis von ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ und wie haben diese beiden Konzepte einen Einfluss auf dein Theologietreiben?
Feminismus und Gender, speziell Genderstudien, überschneiden sich oft. Ohne den Feminismus und ihre Protagonistinnen hätte es keine Genderstudien gegeben. Wir lernen von den Analysen, die zu Gender erstellt werden. Konkrete Beispiele aus den Analysen helfen bei den Gesprächen und Forderungen zur Förderung der Frauen und Mädchen.

Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘ oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Vieles ist schon geschehen, aber … Wie lange ist der Vaterschaftsurlaub in den Kirchen und Kirchgemeinden? Wer arbeitet mehr Teilzeit, Frauen oder Männer? Wer leitet die Kantonalkirchen? Männer oder Frauen? Wann finden die Sitzungen statt, damit auch dreifach belastete Frauen daran teilnehmen können? Wer leistet mehrheitlich Freiwilligenarbeit, Frauen oder Männer? Wer setzt sich dafür ein, dass die Arbeit von Frauen gleich bezahlt ist wie die von Männern, beispielsweise das Hüten der Kinder während des Gottesdienstes und das Auswechseln der Birnen in der Kirche?
Es gibt noch viel zu tun.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Ich versuche zu leben, was ich fordere und lerne täglich dazu.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, April 2019