Frau der Monate Mai/Juni 2020

Feministische Theologinnen im Porträt: Katharina Merian, Jg. 1990, VDM, Assistentin und Doktorandin an der Theologischen Fakultät der Universität Basel

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie fliesst feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?
Persönlich habe ich mich immer als Feministin verstanden und damit auch häufig mein Umfeld genervt: So wurde z.B. in meiner Gymnasialklasse irgendwann nicht mehr von Feminismus, sondern nur noch vom «F-Wort» gesprochen. Aufgrund dieser feministischen Selbstverständlichkeit habe ich aber über lange Zeit eine explizite Auseinandersetzung mit feministisch-theologischem Denken vernachlässigt. Wenn feministische Theologie, dann nur Dorothee Sölle. Dies änderte sich aber spätestens mit meiner Masterarbeit zum Thema Bibelhermeneutik: In diesem Zusammenhang bin ich auf die ghanaische Theologin Mercy Amba Oduyoye und den Circle of Concerned African Women Theologians gestossen. Das lebensnahe Denken dieser Frauen in und aus ihren kulturellen Kontexten heraus hat mich sehr beeindruckt. Mir ist dadurch bewusst geworden, wie unterschiedlich die Lebenswelten von Frauen sein können und wie wichtig es ist, auch bei vermeintlich neutralen Positionen das Nord-Süd-Gefälle, die kulturellen Hintergründe, die unterschiedlichen Geschlechterverhältnisse und Vorstellungen mit zu bedenken, was es bedeutet eine Frau zu sein und ein gutes Leben zu führen (z.B. in Bezug auf das Thema Mutterschaft). Seither bin ich sehr viel kontextsensibler geworden – gerade auch in Bezug auf Geschlechterfragen. Diese Kontextsensibilität ist mir sowohl in meiner Doktorarbeit als auch in der Lehre an der Uni wichtig geworden.

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder beschreibend (gender) unterwegs?
Wenn ich an mein Doktoratsprojekt denke, an dem ich seit 2018 arbeite und in dem ich versuche das Leben von Marielle Franco befreiungstheologisch fruchtbar zu machen, dann bin ich im Moment sicher stärker anwaltschaftlich unterwegs. Marielle Franco war eine schwarze, lesbische Frau und Mutter aus einer Favela von Rio de Janeiro, die sich viele Jahre sichtbar und politisch für Menschen- und Frauenrechte einsetzte. Sie wurde 2016 mit einem sensationellen Resultat in den Stadtrat von Rio de Janeiro gewählt und am 14. März 2018 – nach nur 15 Monaten im Amt und im Alter von gerade einmal 38 Jahren – ermordet. Dieser Versuch, diese Frau mit ihrer subversiven Biographie zum Schweigen zu bringen ist aber nur halb gelungen, weil Marielle seit ihrer Ermordung zu einem weltweiten Symbol für Widerstand gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und soziale Ungerechtigkeit geworden ist. Indem ich nun ihre Geschichte auch theologisch verarbeite, möchte ich dazu beitragen, dass man (und frau) sich auch in der westeuropäischen Theologie und in unseren Kirchen an Marielle und die Hoffnung, die sie verkörpert hat, erinnert.

Gibt es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?
Dass ich feministisch unterwegs bin, überrascht niemanden. Die stark anwaltschaftliche Dimension in meiner Doktorarbeit hat aber für einige Verwunderung und (zurecht) auch kritische Nachfragen gesorgt, weil damit ein bestimmtes (oft unhinterfragtes) Verständnis von wissenschaftlicher Objektivität zur Debatte steht.

Braucht es in den Kirchen noch «Frauenförderung» oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Es braucht sie noch. Mir ist es aber wichtig, dass «Frauenförderung» und Gleichstellung nicht auf die Frage von Frauen in Führungspositionen und Lohngleichheit reduziert werden. Ich finde es wichtig, dass wir uns immer wieder selbstkritisch fragen und auch darüber austauschen: Von welchen Frauen sprechen wir eigentlich? Von welcher (institutionellen) Ebene reden wir? Um welche Positionen geht es? Welche Frauen bringen wir mit unseren Stimmen, unseren Forderungen zum Schweigen? Wo und wie kommen wir an diese ungehörten Frauen heran? Gibt es Bereiche der Frauenförderung und der Gleichstellung, die wir bisher vielleicht übersehen oder die sich neu eröffnet haben? Usw.
Diese Debatten müssen aus meiner Sicht nicht nur generationen- und kulturübergreifend, sondern unbedingt auch geschlechterübergreifend geführt werden. Aus meiner Sicht ist es nicht Ziel eine einheitliche Meinung zu bilden, aber einen respektvollen und produktiven Umgang mit Differenzen zu finden.

Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Das kann ganz unterschiedlich aussehen – ich habe da keine feststehenden Prinzipien. Wichtig ist mir aber, mich immer wieder bittend um ein «hörendes Herz» (1 Kön 3,9) zu bemühen. Das ist für mich der beste, wenn auch nicht immer der bequemste Wegweiser, um zu wissen, was ich tun muss.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, April 2020