Frau des Monats Mai/Juni 2021

Feministische Theologinnen im Porträt: Vreni Schneider, Basel


Ich wurde 1938 in Bern geboren und bin dort aufgewachsen.
Ich bin Witwe, habe zwei Zwillingstöchter, Jg. 1962.
Ich habe eine Lebensgefährtin, die in Zürich wohnt und im Herbst 2021 pensioniert wird.
Ich bin seit Ende Februar 2000 pensioniert und lebe weiterhin in meiner Wohnung in Basel.

Beruflich gab es für mich zwei Phasen: Ich war 1 Jahr stellvertretende und 12 Jahre gewählte Pfarrerin in Moutier.

Anschliessend war ich in der KEM (Kooperation Evangelischer Kirchen und Missionen, Basel) verantwortlich für die Beziehungen zum südlichen Afrika und jene mit der CEVAA (Communauté Evangélique d’Action Apostolique).

Ich habe neben der Pflege von Beziehungen mit den Partnerkirchen, Weitergabe von Informationen, Interventionen in Kirchgemeinden, die Bildungsarbeit ausgebaut und einen Jugendaustausch aufgebaut.

Ich war Sekretärin der gemeinsamen Arbeitsgruppe von Département Missionaire, KEM und HEKS für das südliche Afrika und habe Material und Informationen beschafft für Engagierte und Kirchgemeinden. Im Auftrag des Kirchenbundes habe ich die Informationsschrift «Blickpunkt» samt Fürbittematerial auf Deutsch und Französisch für Kirchgemeindegruppen verfasst und versandt.

Während einiger Jahre habe ich bei Radio DRS für einige Wochen das Wort zum Tag gemacht. Ich war auch für drei bis vier Jahre im Team der RadiopredigerInnen.

Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Ich habe im Herbst 1956 in Bern Matur gemacht. Seit meiner Progymnasiumszeit wusste ich, dass ich Theologie studieren wollte. Meine Eltern waren dagegen und haben deshalb, um mich daran zu hindern, von mir verlangt, im Gymnasium als vierte Sprache nicht Griechisch sondern Italienisch zu lernen. Ich habe dann als Freifach Hebräisch gewählt und Griechisch nebenher an der Universität Bern belegt.

Ich habe mit Frau Dr. Dora Scheuner Kontakt bekommen und festgestellt, was es bedeutete, als Frau eine ausgezeichnete Theologin zu sein. An der Universität lehrte sie Hebräisch und hauptberuflich war sie als Religionslehrerin an der Mädchensekundarschule in der Stadt Bern angestellt. Als der Professor für Altes Testament ein Freisemester hatte, gab sie an seiner Stelle die Vorlesungen. Ich habe dabei festgestellt, dass sie es hervorragend und auch auf andere Art machte. Sie selber hätte dies noch nicht feministische Theologie genannt. Ich habe sie ein Quartal lang in der Mädchensekundarschule vertreten, als sie im Spital war. Zwanzig Wochenstunden Religionsunterricht für Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren ist eine harte Aufgabe.

Meine Begegnung mit der feministischen Theologie begann mit einem Vortrag einer holländischen Theologin in Bern. Schon während meiner Zeit am Gymnasium habe ich mich intensiv mit der Nazigeschichte beschäftigt. Ich habe politische Bücher gelesen und alles, was damals von Bonhöffer publiziert war. Zudem haben mich alle Bücher von Dorothee Sölle geprägt.

Ich habe während der Semesterferien in einem Hotel gearbeitet und dort die sagenhafte Theologin Marie Speiser aus Basel getroffen, deren Zimmer ich putzte. Von ihr hatte ich schon vieles gehört, vor allem, dass sie den Kollegen sagte, «wie und wo der Wind bläst». Frühere Kolleginnen haben noch nicht von feministischer Theologie geredet, aber sie als Frauen haben uns geprägt.

An der Universität erwarteten die Professoren mehr von der Studentin als von ihren Kollegen. Ein Professor lud jeweils in der praktischen Theologie einen Gastredner ein. Einer von ihnen vermied es, mich, die einzige Frau, zu bemerken. Er sagte jedes Mal bei der Anrede «Meine Herren». Die Reaktion unseres Professors war jedes Mal «…und Dame». Das bewirkte nichts. Ich wurde zum ersten Mal echt wütend.

Ich habe mich schon im Studium für Theologie aus Afrika und Asien interessiert und entsprechende Literatur gekauft und dabei kontextuelle und feministische Theologie entdeckt.

Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Ich habe einen Pfarrer im Jura geheiratet. Da ich vorerst kein eigenes Pfarramt hatte, habe ich ökumenische Bibelarbeit angeboten. Sie wurde von KatholikInnen fleissig besucht. Die ProtestantInnen kamen nicht. Ihnen genügte die Bibel im Büchergestell. Die KatholikInnen waren begeistert. Sie entdeckten etwas völlig Neues, da sie sich noch nie mit der ganzen Bibel auseinandergesetzt hatten. Sie kannten nur die sonntäglichen Lesungen, ohne Zusammenhang. Das war auch für mich echt spannend.

Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein? Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Ich las viel und dies ging direkt in meine Arbeit, mein Denken und Studieren ein. Simone de Beauvoir war dabei, genauso wie die Amerikanerin Kate Millet oder die Mailänderinnen. Feministische Theologie entstand für mich, je mehr mein Denken feministisch wurde, je mehr ich als Person feministisch wurde. Dazu brauchte es das ganze Spektrum des Denkens und des Lebens.

Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?

Ich wurde von der theologischen Fakultät Bern eingeladen, während eines Semesters eine Vorlesung zu halten. Da konnte ich Ansätze, die ich in der feministischen theologischen Literatur gefunden hatte, brauchen. Aber ich konnte auch meine eigenen Erkenntnisse einbringen. Das machte viel Arbeit aber auch viel Vergnügen.

Besonders als ich mich getraute, zu sagen, ich möchte von der dritten Vorlesung an nur mit den Frauen weiterarbeiten. Ich bin heute noch mit zwei Theologinnen, die an der Universität Fribourg studierten, verbunden. Sie waren nach Bern gereist. Von ihnen habe ich später viel gelernt über die Kirche, die die Frauen nicht will; über die Priesterinnen, die an ihre Berufung glauben und nicht gewollt sind.

Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Bei uns Protestantinnen sind es die «Ewiggestrigen», die noch immer der Männerherrschaft nachtrauern. Die katholischen Kolleginnen aber leiden an der Ablehnung ihrer Berufung. Sie können nicht leben, was sie sind. Solange in Kirche und Gesellschaft Frauen nicht all ihre Begabungen einbringen können, fehlen sie an entscheidenden Orten und mit entscheidenden Beiträgen zur Gesamtgesellschaft. Man merkt es am besten dort, wo eine Frau doch eine Aufgabe, ein Amt, eine Stelle einnimmt, die «ausserordentlich» ist.

Ich staune immer wieder, wie eine Frau Merkel sich politisch einbringt. Ich bin nicht politisch «rechts», ich vertrete andere Ansätze und Inhalte. Aber ich staune, wie sie das Regieren versteht, wie sie die Stiere an den Hörnern packt, Konsequenzen aufzeigt, unmöglichen Kollegen ihr Missfallen durchgibt und ihre Person einsetzt, um etwas zu ändern.

So meine ich, müsste der Anteil der Frauen in Politik, Wirtschaft und Kirche sein: anders als gewöhnlich, aufmerksamer in Bezug auf die Wirkung für die Menschen, wacher für Schieflagen,  mutiger in schwierigen Situationen, mit offenen Augen für jene, denen es schlecht geht.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Ich lese Zeitung. Ich verfolge das politische Geschehen. Ich habe eine gewisse Distanz zu meiner Kirche. Ich stimme und wähle grundsätzlich immer. Ich diskutiere mit Frauen, die ich schätze. Das heisst: ich lebe in der Gegenwart und vermeide Nostalgie.

Das Interview führte Esther Fischer Gisler, Mai 2021