Die IG Feministische Theologinnen ist institutionelles Mitglied der NGO-Koordination post Beijing Schweiz. Diese ist ein Netzwerk von aktuell 35 Organisationen, die sich für die Umsetzung des Aktionsplans zur Gleichstellung von Frau und Mann und der Frauen*rechtskonvention CEDAW einsetzen. Hier ein Bericht von der Jahrestagung der NGO-Koordination post Beijing am 15. Oktober 2022 in Bern
V.r.: Jana König, Geschäftsführerin der NGO-Koordination post Bejing, Hilary Gbedemah, Mitglied des UN CEDAW-Komitees und Esther Gisler Fischer, die Autorin dieses Beitrags
Esther Gisler Fischer
Vor 25 Jahren wurde das wichtigste internationale Instrument zur Erreichung der Gleichstellung der Frau* von der Schweiz ratifiziert: Das «Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau* CEDAW – Committee on the Elimination of Discrimination against Women». Es wurde am 18. Dezember 1979 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet (Resolution 34/180) und trat am 3. September 1981 in Kraft. CEDAW ist das wichtigste völkerrechtliche Menschenrechtsinstrument für Frauen. Die Vertragsstaaten werden zur rechtlichen und faktischen Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen, einschliesslich der Privatsphäre, verpflichtet. Der Staat darf nicht nur nicht selbst gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstossen, sondern er muss auch aktiv dafür sorgen, faktische Chancengleichheit in der gesellschaftlichen Realität zu erreichen. Er ist verpflichtet, eine aktive Politik zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen zu verfolgen.
Das Übereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten zur Berichterstattung an den UNO-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, der als Kontrollorgan fungiert. Der erste Bericht ist innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Übereinkommens für den betreffenden Staat fällig, danach mindestens alle vier Jahre.
Für die Staatenberichte der Schweiz zur Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau ist das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann zuständig. Das Übereinkommen wird durch ein Fakultativprotokoll, welches ein Individualbeschwerdeverfahren sowie ein Untersuchungsverfahren vorsieht, ergänzt. Am 6. Oktober 1999 hat die UNO Generalversammlung das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau verabschiedet. Das Fakultativprotokoll trat am 22. Dezember 2000 in Kraft. Frauen haben die Möglichkeit, gegen konkrete Fälle von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beim Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau eine Individualbeschwerde einzureichen. Das Fakultativprotokoll sieht neben dem Mitteilungsverfahren auch ein Untersuchungsverfahren in schwerwiegenden Fällen von Diskriminierung vor. Die Schweiz hat das Fakultativprotokoll am 29. September 2008 ratifiziert, am 29. Dezember 2008 trat es für unser Land in Kraft.
CEDAW als Rechtsinstrument ist leider einer breiten Schweizer Öffentlichkeit bis heute weitgehend unbekannt. Auch Anwält*innen und Richter*innen wissen häufig nicht, wie sie das Übereinkommen in Gerichtsverfahren anwenden können. Deshalb nahm am 15. Oktober 2022 die Jahrestagung der NGO-Koordination post Beijing gemeinsam mit Business Women Switzerland dieses Jubiläum auf. Unter dem Titel: «CEDAW in der Praxis: Wie arbeite ich damit?» trafen sich rund 30 Frauen, um sich damit vertraut zu machen und deren Geltung und Anwendung in der Schweiz zu ergründen und zu diskutieren.
Die Tagung wurde mit einem Impulsreferat von Hilary Gbedemah, Rechtsanwältin aus Ghana und Mitglied des CEDAW-Ausschusses, eröffnet. Unter dem Titel «From global to local – Validity and application of CEDAW in Switzerland. The convention in practice: how do I work with it?» verschaffte sie den Zuhörerinnen einen Überblick über die Anwendung von CEDAW in der Schweiz. Sie weilte in der Schweiz, um in Genf im Namen der UNO den Staatenbericht der offiziellen Schweiz entgegen zu nehmen. Und zudem den von der NGO-Koordination post Beijing Schweiz als Dachorganisation von 35 Frauenorganisationen und gemischten NGOs erhobenen unter Mitautor*innenschaft der Mitglieder und weiteren Expert*innen erhobenen sog. ‚Schattenbericht‘, einem Alternativbericht zum Staatenbericht. Dem Bericht geht ein Monitoring voraus. Es dient dem Beobachten, ob der Staat seine Verpflichtungen einhält, Empfehlungen umsetzt oder gegen Verpflichtungen verstösst. Sinn und Zweck eines Schattenberichtes ist es, dem Ausschuss Informationen über die in der Konvention festgeschriebenen Rechte zur Verfügung zu stellen (Status der Umsetzung und mögliche Massnahmen zur Verbesserung). Dies nicht nur im Hinblick auf den Status in der Schweiz, sondern auch im Vergleich zu den Informationen des Staatenberichtes. Er ist eine Kritik des Staatenberichtes: Missrepräsentationen und Divergenzen zwischen Staat und Zivilgesellschaft sollen aufgezeigt werden. Ein grosses Knackpunkt bei dem allem seien fehlende Daten über die Lebenssituationen der Frauen in der Schweiz.
Im aktuellen Schattenbericht der Schweiz haben der SKF (Regula Ott) und die IG Feministische Theologinnen (Doris Strahm) im Kapitel „Stereotypen“ einen kurzen Bericht zur Rolle von Religion bezüglich diskriminierender Stereotypen verfasst:
„Religion: Die römisch-katholische Kirche und evangelikale Kreise tragen zu diskriminierenden Stereotypen bei. Traditionelle Geschlechterrollen von Mann und Frau und Heteronormativität werden als göttliche Schöpfungsordnung dargestellt; es wird ein negatives Bild von Frauen und LGBTIQ-Frauen/Männern/nicht-binären Personen gezeichnet, das auch heute noch im säkularen Bereich zu spüren ist. Durch den Ausschluss von Frauen von der Ordination verstösst auch die römisch-katholische Kirche gegen das Landesgleichstellungsgesetz. Wie eine neue Schweizer Studie zeigt, hat die Religion einen entscheidenden Einfluss auf die Gewaltbereitschaft junger Männer. Forderung an den Staat: Die Freiheit der Religion und der Religionsgemeinschaften darf nicht höher bewertet werden als der Verfassungsgrundsatz der Gleichstellung der Geschlechter.“
Die anschliessenden Workshops zu verschiedenen Aspekten der CEDAW brachten die Teilnehmerinnen von der internationalen Ebene zur nationalen Umsetzung und deren Herausforderungen:
In «CEDAW in Rechtpraxis und -politik: Wie können wir das Potential besser nutzen?» zeigte Dr. iur. Erica Schläppi, Konsulentin auf den Gebieten Governance und Menschenrechte auf, was CEDAW bedeutet, welche Möglichkeiten bestehen, die darin beschriebenen Rechte von Frauen auf dieser Ebene einzufordern Die EMRK wie auch die CEDAW sowie die Kinderrechtskonvention enthalten Menschenrechte, die für familienrechtliche Angelegenheiten von Bedeutung sein können. Zudem sehen alle drei Instrumente international Beschwerdeverfahren vor, die auch von der Schweiz akzeptiert werden. Leider hören Jurist:innen in der Ausbildung wenig über diese Konventionen und wie sie anzuwenden wären. Da besteht dringender Handlungsbedarf!
In der Gruppe zu «Gender Pension & Pay Gap – gesetzliche Grundlagen und Handlungsmöglichkeiten von Politik und Wirtschaft. Was muss die Schweiz noch tun, um den Vorgaben von CEDAW zu entsprechen?» informierten Beatrice Lüthi, Präsidentin BPW Oberaargau & Brigitte Ramseier, Co-Geschäftsführerin BPW Switzerland über die leidige Tatsache, dass Frauen in der Pensionskasse ganz eindeutig diskriminiert sind, weil sie durch unbezahlte Care-Arbeit, Teilzeitarbeit und tiefe Einkommen im bestehenden Pensionskassensystem oftmals nicht versichert sind. Auch weil der Koordinationsabzug für viele zu hoch ist. Das heisst: Mit Einkommen unter 25‘000 werden sie von keiner Pensionskasse aufgenommen. Das soll ja jetzt u.a. mit einem tieferen Koordinationsabzug verbessert werden. Und: Bei Lohnverhandlungen müssten Frauen unbedingt auch die Frage nach dem Vorsorgeplan des betreffenden Arbeitgebers/Arbeitgeberin stellen, was die meisten leider nicht machten. Die Folge ist Altersarmut, insbesondere für Frauen.
Ich selbst habe im Workshop zum Thema «CEDAW & die Vereinbarkeit von Familie und Beruf», geleitet durch die glp-Nationalrätin Melanie Mettler teilgenommen. Zur Sprache kam da das Risiko einer Elternschaft für Frauen und dass die Mutterschaftsversicherung nicht unbedingt die Gleichstellung fördert, wie es ein Elternurlaub tun würde, bei dem auch die Väter die Versorgung von Babies und Kleinkindern übernehmen könnten. Als Hürde für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde auch die hohen Kosten für einen Kita-Platz genannt und besonders auf dem Land das nicht ausreichende Angebot derselben. Auch, dass die Kosten dafür nicht bei den Steuern voll abgezogen werden können, wie es etwa für ein Auto möglich ist.
Auch das Thema Teilzeit in Führungspositionen kam zur Sprache: Am besten ist es, wenn der CEO eines Unternehmens Gleichstellung vorlebt. Doch auch Initiativen ‚bottom up‘ sind hilfreich: Wenn nämlich Angestellte sich selbst im Jobsharing organisieren. Klar wurde auch, dass sich weisse Mittelstandsfrauen nicht einfach auf die schlecht bezahlte Care-Arbeit von Migrantinnen abstützen sollten, um ihre Gleichstellung voranzutreiben.
Der Workshop zum Thema «Rollenstereotype – Handlungsbedarf!» mit Vivian Fankhauser-Feitknecht, Co-Präsidentin NGO-Koordination post Beijing Schweiz & Dr. iur. Mirjam Werlen, InterAction Schweiz, fiel leider wegen mangelndem Interesse aus. Dennoch finde ich das Thema wichtig. In dem von mir besuchten Workshop war es zumindest als Querschnittsthema präsent: Vorstellungen von Rollen von Männern und Frauen sind unbewusst sehr virulent und prägen unser Denken und Handeln. Dazu oben auch der Auszug aus dem Schattenbericht.
Abgerundet wurde der Anlass durch einen feinen bernischen regionalen Apéro, der den anwesenden Frauen Gelegenheit bot, sich zu begegnen und auszutauschen. Ein vollkommen gelungener Anlass, welcher mich ermutigte, an den Themen von Gleichstellung, aber auch Gerechtigkeit dran zu bleiben. Als feministische Theologin frage ich mich, inwiefern CEDAW helfen könnte, die Gleichstellung von Frauen in Religionsgemeinschaften auf dem rechtlichen Wege einzufordern. Es wäre vielleicht einen Versuch wert?
Weitere Infos zum Thema:
– Erklärfilm zur CEDAW: https://www.postbeijing.ch/de/frauenrechte/cedaw-die-frauenkonvention/video-cedaw-kurz-erklaert-die-uno-frauenrechtskonvention-und-die-schweiz.html?zur=25
– CEDAW auf der Seite des Eidgenössischen Departements des Äusseren EDA: https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/voelkerrecht/internationale-uebereinkommenzumschutzdermenschenrechte/uebereinkommen-zur-beseitigung-jeder-form-diskriminierung-frau.html
– Schattenbericht: https://tbinternet.