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Zum Gedenken an unsere Kollegin und Mitstreiterin Reinhild Traitler
› Zur Todesanzeige_von Reinhild Traitler

Am 29. Oktober 2022 starb Reinhild Traitler im Alter von 82 Jahren. Auch wenn sie schon länger krank war, ist sie nun, unerwartet plötzlich gestorben.

Reinhild war eine aussergewöhnliche Frau, der die feministisch-theologische Bewegung in der Schweiz sehr viel zu verdanken hat. Als Studienleiterin des Evangelischen Tagungs- und Studienzentrums Boldern bei Männedorf (1984–2003) hat sie Räume geschaffen, in denen feministisch-theologische Themen diskutiert und weiterentwickelt wurden, und unzählige Projekte angestossen: So hat sie von 1985 bis 1990, zusammen mit Gina Schibler, „Werkstätten Feministische Theologie“ organisiert und von 1986 bis 1999 mit Gina und weiteren Mitstreiterinnen „Ausbildungskurse feministische Theologie“ angeboten. Von 1990–1994 fanden auf Boldern Frauen-Sommerakademien statt, mit Referentinnen aus der Schweiz und Deutschland und vielen Teilnehmerinnen. Die Titel zeigen die Bandbreite der damals diskutierten Themen auf: „Früh möcht‘ ich lernen, gerne Frau zu sein“ (1990); „Vergiftete Liebe – lebendige Liebe“ (1991); „Häuser bauen, in denen wir wohnen können … Frauenvorstellungen für eine wohnlichere Welt, ein wohnlicheres Europa“ (1992); „Das Leben leidenschaftlich lieben. Zugänge zu einer Ethik der Solidarität und Leidenschaft“ (1994). Daneben gab es ab 1984 im Boldernhaus in Zürich und auf Boldern unzählige Einzelveranstaltungen zu feministischen und feministisch-theologischen Themen. Boldern wurde so zu einem wichtigen Ort des feministisch-theologischen Aufbruchs in der Schweiz, der viele Frauen geprägt hat, zu einem Frauen*Raum, wo neue Ideen entwickelt und ausprobiert wurden, wo diskutiert, gestritten, gelacht und gefeiert wurde.

Reinhild hat vieles angestossen und initiiert, ihre Kurse aber stets mit einem Team von Frauen vorbereitet und durchgeführt. Ebenso hat sie viele ihrer Projekte in Kooperation mit anderen organisiert, wie z.B. der Ökumenischen Frauenbewegung Zürich oder dem Ökumenischen Forum christlicher Frauen in Europa. Mit letzterem hat sie von 1993–2001 auf Boldern „Europäische Frauensommerakademien“ veranstaltet, die christliche Frauen aus allen Teilen Europas zusammenbrachten und die bisherige feministisch-theologische Studienarbeit in einem europäischen Umfeld weiterführten. Themen waren etwa Frauenidentität und multikulturelle Gesellschaft im neuen Europa, vorsorgliches Wirtschaften und nachhaltiges Leben in Europa, Frauen und die Zukunft der Demokratie in Europa usw. Der Blick über den eigenen Kontext, die eigene Kultur und auch über die eigene Religion hinaus war ihr als ehemaliger Mitarbeiterin beim ÖRK und als feministischer Theologin schon früh ein Anliegen.

So hat sie für den interreligiösen Dialog, genauer gesagt: für den interreligiösen Dialog aus der Sicht von Frauen Pionierinnenarbeit geleistet. Von 1987–1993 veranstaltete sie mit einem Team auf Boldern „Begegnungstagungen zwischen jüdischen und christlichen Frauen“, in denen es darum ging, miteinander und voneinander zu lernen und nicht nur Wissen, sondern auch ein Stück Leben zu teilen. Ein ähnlicher Prozess begann Ende der 1990er Jahre bezüglich des Dialogs zwischen muslimischen und christlichen Frauen und mündete schliesslich 2002 in die Gründung von EPIL (Europäisches Projekt für Interreligiöses Lernen), einem europäischen Dialogprojekt von muslimischen und christlichen Frauen, das bis heute besteht und dessen Anliegen lautet: „Learning to live in a Europe of many religions.“ Nebst dem europäischen Projekt EPIL war Reinhild aber auch eine treibende Kraft bei der Organisation von „Ökumenischen Ausbildungskursen Feministische Theologie“ in der Schweiz, die sich zu „Interreligiösen Theologiekursen für Frauen“ weiterentwickelten und von den Bildungshäusern Boldern und Paulus-Akademie Zürich, der Fachstelle Frauen der Evang.-ref. Kirchen Bern-Jura-Solothurn und dem Verein Frauen und Kirche Luzern von 1998–2005 organisiert wurden. Und schliesslich war Reinhild von Anfang an im Team des 2008 gegründeten Interreligiösen Think-Tanks mit dabei und hat dessen Arbeit mit ihrer langjährigen Erfahrung im interkulturellen und interreligiösen Dialog und ihrem breiten Wissen über die europäische Geistes- und Kulturgeschichte bis zu ihrem Tod bereichert.

Mit Reinhild Traitlers Tod ist eine Stimme für immer verstummt, die von einem leidenschaftlichen Engagement für Frieden und Gerechtigkeit zeugte, die sich nicht zufrieden gab mit dem, wie es ist. Reinhilds Texte sind geprägt von radikaler Kritik an Unterdrückungsverhältnissen aller Art und einer Frömmigkeit, die sich von biblischen Texten nährte und von Glaube, Hoffnung, Liebe getragen war. Ihr Medium war nicht nur die scharfsinnige Analyse, sondern ebenso die Poesie. Wer sie kannte, war beeindruckt von ihrer Klugheit und der Weite ihres Denkens und angetan vom Klang ihrer Sprache mit ihrem wienerischen Schmäh. Ihre Stimme wird uns fehlen.

Ein kleiner Trost, der uns bleibt: Im Buch „mächtig stolz – 40 Jahre Feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz“, das im Mai 2022 im eFeF-Verlag erschienen ist, hat Reinhild Traitler einen längeren Text verfasst, in dem sie auf ihre feministisch-theologische Arbeit auf Boldern zurückblickt. Dieser Text ist nun für uns zu ihrem Vermächtnis geworden.

Für den Vorstand der IG Feministische Theologinnen: Doris Strahm

 

Trauer um Rosemary Radford Ruether

Am 21. Mai ist Rosemary Radford Ruether im 85. Altersjahr in Claremont, Kalifornien, gestorben. Ihre Arbeit, besonders die Rituale der Frauenkirche, prägten die Bewegung der Frauenkirchen weltweit. Wir verweisen auf den Lebenslauf von Rosemary Radford Ruether, geschrieben von der Feministischen Theologin Mary E. Hunt im National Catholic Reporter:

https://www.ncronline.org/news/opinion/rosemary-radford-ruether-was-groundbreaking-feminist-theologian-and-global-sister


Trauer um Dr. Eva Renate Schmidt

Am 13. Januar 2022 ist Eva Renate Schmidt in Valdora (Italien) gestorben. Ihre Weggefährtinnen und Weggefährten sowie viele ehemalige Seminarteilnehmerinnen trauern um sie.

Eva Renate Schmidt wurde 1929 in Karlsruhe geboren. Nach dem Studium der Evangelischen Theologie in Basel und Heidelberg wurde sie 1954 als eine der ersten Frauen nach dem Krieg ordiniert. Ihr besonderes Interesse galt den Strukturen und deren Einfluss auf das Erscheinungsbild und das Agieren von kirchlichen Institutionen. Ihre Studien in Volkswirtschaft und Soziologie, ihre Ausbildung zur Supervisorin in Klinischer Seelsorge, Organisationsentwicklung und Gruppendynamik sowie Gestalttherapie in England und den USA machten sie zur Pionierin und Begründerin der Gemeinde- und Organisationsberatung in Deutschland.

Ihr feministisch-theologisches Engagement war grundlegend für all ihr Schaffen. Die von ihr zusammen mit Mieke Korenhof und Renate Jost herausgegebenen 2 Bände „Feministisch gelesen“, ihre Mitarbeit im Beirat des Projektes „Bibel in gerechter Sprache“ zeugen davon. Das zusammen mit Hans Georg Berg herausgegebene Handbuch „Beraten mit Kontakt“ wird heute noch rege benutzt. 1992 verlieh ihr die Universität Bern die Ehrendoktorinnenwürde.

Seit Anfang der 1990er Jahre war sie vermehrt als Beraterin und Seminarleiterin in der Schweiz tätig. Sie war u.a. an der Durchführung des ersten feministischen Fortbildungsangebots (1991-95) „Und es gibt sie dennoch …“ für Frauen in kirchlichen Führungspositionen beteiligt. Die vom Bildungshaus Mattli in Morschach anschliessend zwischen 1999 und 2012 jährlich angebotenen Grund- und Aufbauseminare „Leitbilder weiblicher Führung“ für Führungsfrauen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, wurden rege genutzt. Im Laufe der Jahrzehnte wurde Eva Renate Schmidt für viele Frauen eine langjährige Begleiterin und Unterstützerin. Ihr grosses Wissen und Können, ihre Zugewandtheit, ihre Heiterkeit und ihr Humor bleiben in lebendiger und dankbarer Erinnerung. Eva Renate Schmidt: wahrlich ein grosses Leitbild weiblicher Führung!
Barbara Ruch und alle Frauen der IG Feministische Theologinnen