Feministische Theologinnen im Porträt: Tonja Jünger
1. Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Ich arbeite nun seit mehr als 20 Jahren in der katholischen Kirche. Angestellt bin ich als sog. Pastoralassistentin – welch schreckliches Wort! Da ich Theologie studiert habe wie die Priester mit denen ich zusammen arbeite(te) und ihnen doch nicht gleich gestellt bin, ist mein Beruf ein ständiges, manchmal unausgesprochenes, Aufbegehren gegen die offenkundige Ungerechtigkeit.
2. Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Meine feministische Einstellung und Überzeugung kommt zum Ausdruck vor allem in meinem achtsamen Umgang mit allen bei uns ein- und ausgehenden Frauen: Besucherinnen, Gäste, „Kundinnen“, freiwillig Engagierte, Mitglieder unserer Gremien und Behörden, Kolleginnen im Team – ich versuche, sie in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken und dort aufzuklären, wo unhinterfragte Rollenbilder oder unfaire Machtverhältnisse wirken. Und natürlich predige ich politisch-feministisch.
Überwiegend freuen sich „meine“ AdressatInnen über meine moderne Theologie welche sich noch immer orientiert an den Zielen „Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“. „Leben in Fülle“ soll jede und jeder anstreben dürfen, das bedeutet für uns in der Schweiz aber auch Forderungen nach Bescheidenheit und Genügsamkeit. Nicht alle Katholiken teilen diese Art der Theologie – das ist für mich in Ordnung.
3. Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Beides. Dem Thema respektive der entsprechenden Situation angepasst.
4. Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘‘ oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Leider ist Gleichstellung in der römisch-katholischen Kirche noch immer nur ein frommer Wunsch. Manche Exponenten der Kirchenleitung in Rom wiederholen Leier-artig, es gehöre zum unveränderlichen Glaubensgut unserer Kirche, dass Frauen niemals zu Priesterinnen geweiht werden könnten.
Die Basis aber denkt und glaubt eigenständig. Starkes Zeichen dafür ist die Bewegung „Kirche mit*“ (www.kirche-mit.ch) welche 2016 nach Rom pilgerte. Auch ich war mit einer Reisegruppe in Rom bei der Übergabe der Anliegen im Petersdom dabei und habe dort einmal mehr den Spagat gespürt: Einerseits eine grosse Trauer darüber, dass Frauen noch immer nicht für voll genommen werden. Anderseits eine trotzige Liebe zur Botschaft Jesu, die es mir und vielen anderen noch immer verunmöglicht, dieser Kirche den Rücken zu kehren.
5. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Feministisches Gedankengut ist nicht wegzudenken aus meiner Arbeit. Denn dieses Gedankengut hat mich als Frau durch und durch geprägt. Mein Frau-Sein und meine Tätigkeit als Seelsorgerin sind untrennbar verbunden: ich gehe davon aus, dass mein ganzes Auftreten, als frohe, selbstbewusste, eigenständige, und selbst denkende Frau bereits eine Art feministische Botschaft darstellt gerade innerhalb der katholischen Kirche.
Es ist mein grösstes Anliegen, allen Menschen, denen ich beruflich begegne, auf Augenhöhe gegenüber zu treten. Ob hochaltrige Heimbewohnerin, ob Arzt, der bei uns freiwillig als Fotograf mitwirkt, ob Sängerin im Eltern-Chor, der die Familiengottesdienste begleitet, oder ob Suchende in Sachen „tragende Spiritualität“: jeder Person will ich vermitteln, dass sie in ihrer Eigenartigkeit wertvoll ist und sich einbringen darf mit all ihren Fähigkeiten und Zweifeln.
Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Juni 2018