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Frau des Monats Mai/Juni 2024

Interview mit Doris Strahm

*1953 I 1973-75 Studium der Evangelischen Theologie, Psychologie und Pädagogik an der Universität Zürich; 1975-1981 Studium der Katholischen Theologie an der Theologischen Fakultät Luzern; 1979-1981 dreijährige Ausbildung an der Akademie für Erwachsenenbildung Luzern (AEB) während des Theologie-Studiums. Von 1982 bis 1985 wissenschaftliche Assistentin im Fachbereich Philosophie an der Theologischen Fakultät Luzern; 1987-1993 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg. Schwerpunkt feministische Theologien, und 1996 Promotion zum Thema «Christologie aus der Sicht von Frauen in Asien, Afrika und Lateinamerika». Lehraufträge an den Universitäten Basel, Bern, Fribourg und Luzern. 1999-2008 Präsidentin des cfd – der feministischen Friedensorganisation. Daneben seit den 1980er Jahren freiberuflich tätig als feministische Theologin, Referentin und Publizistin. (Foto: Dorothee Adrian)

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Zwei einschneidende Ereignisse haben mich dazu geführt, Theologie zu studieren. Da war zum Einen die Konfrontation mit dem Holocaust als Jugendliche: Es war Mitte der 1960er Jahre ─ ich war damals 13 Jahre alt ─ als uns der Vikar an einem Wochenende im ausserschulischen katholischen Religionsunterricht den Dokumentarfilm «Mein Kampf» zeigte. Was sich mir eingeprägt hat und ich bis heute nicht mehr aus dem Kopf bekomme, sind die Bilder von den Leichenbergen der in den Konzentrationslagern ermordeten, vergasten Jüdinnen und Juden. Sie haben mein Welt- und Menschenbild in seinen Grundfesten erschüttert und mein Grundvertrauen in die Menschen zerstört: Seither hat die Welt für mich einen tiefen Riss. Dass ich viele Jahre später dann Theologie studiert habe, hat sehr stark mit dem Holocaust und der Frage zu tun, wie ein guter und gerechter Gott dies zulassen konnte. Diese Frage hat mich nie mehr losgelassen, wie auch die Frage, weshalb Menschen zu solchem Hass und mitleidloser Gewalt fähig sind ─ und wie Christ:innen ihren jüdischen Mitbürger:innen dies antun konnten.

Das andere Ereignis, das mich zum Theologiestudium geführt hat, war der plötzliche Tod meines Vaters, der im Alter von 47 Jahren gestorben ist. Dies hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen und eine Sinnkrise ausgelöst. Ich wechselte deshalb vom Psychologiestudium, das ich an der Uni Zürich begonnen hatte, zur evangelischen Theologie und dann zur katholischen Theologie an der Theologischen Fakultät Luzern, weil ich mir von der Theologie Antworten auf meine existenziellen Fragen erhoffte. Sehr bald musste ich erkennen, dass mir die Antworten, die ich im Theologiestudium bekam, nicht genügten, ja, dass die meisten kirchlichen Glaubenssätze mit meinen Erfahrungen kaum etwas zu tun hatten. Die berühmt-berüchtigte Erklärung der römischen Glaubenskongregation «Zur Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt» von 1976 öffnete mir dann die Augen: Die Arroganz männlicher Machtträger, die in diesem Dokument zum Ausdruck kam, machte mir bewusst, dass die gesamte christliche Theologie von Männern geprägt war und dass diese definierten, was Frauen sind, was Frauen dürfen oder eben nicht dürfen. Ich «verdanke» mein feministisches Erwachen also in gewisser Weise der Verlautbarung aus Rom. Ich hatte in Zürich ein städtisches Gymnasium besucht, das damals noch ein reines Mädchengymnasium war, und habe so, in einem Kreis selbstbewusster Frauen, nicht realisiert, dass Frauen qua Geschlecht weniger gelten als Männer. Auch im Psychologiestudium an der Uni Zürich war mir das noch nicht bewusst. Erst als ich nach Luzern kam, um katholische Theologie zu studieren, wurde ich als Frau zu einem «Spezialfall» unter fast nur Männern. Und durch das Papier von 1976 wurde mir deutlich, dass dies alles System hat. Ich erinnere mich, dass wir dann in einer Lesegruppe an der Theologischen Fakultät mit Mitstudentinnen die Bücher von Mary Daly lasen, die uns mit ihrer radikalen Kritik die Augen öffnete für die Zusammenhänge von christlicher Theologie und Frauenunterdrückung und für die patriarchale Verfasstheit unserer gesamten Kultur, nicht nur der christlichen Religion. Von da an begann ich alles mit einer feministischen Brille zu betrachten und mich für eine feministische Transformation von Theologie und Gesellschaft zu engagieren. In der feministischen Theologie fand ich dann nicht nur mein Berufsfeld, sondern auch ein Zuhause für meine existenziellen Fragen sowie Bilder und Worte für meine eigenen Gotteserfahrungen. Und dies ist bis heute so geblieben.

Geprägt worden bin ich in meiner Theologie anfänglich vor allem von Mary Daly, Elisabeth Schüssler Fiorenza und Rosemary Radford Ruether. Zwei weitere Theologinnen, die später mein eigenes Theologisieren sehr stark beeinflusst haben, sind Carter Heyward mit ihrer «Theologie der Beziehung» und ihrem Verständnis von Gott als «power in relation» und Ivone Gebara aus Brasilien mit ihrem Ansatz einer ökofeministischen Theologie, den sie bereits in den 1990er-Jahren entwickelt hat und den ich im Rahmen meiner Dissertation zu Christologien von Frauen aus dem Globalen Süden kennenlernte. Ivone Gebaras ökofeministische Theologie inspiriert mich bis heute und ist angesichts der Klimakatastrophe aktueller denn je.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Es gibt einige Projekte, die ich mit auf die Welt gebracht habe, und feministische Theologie habe ich in meinen gut 40 Jahren Tätigkeit als feministische Theologin in vielen verschiedenen Kontexten mitentwickelt oder weitervermittelt.

Projekte
:
– 1985 habe ich die feministisch-theologische Zeitschrift FAMA zusammen mit sechs Kolleginnen gegründet und war bis 2006 Mitherausgeberin und Redaktorin. Ich bin stolz darauf, dass uns restlichen Gründerinnen 2006 ein Generationenwechsel gelungen ist und freue mich, dass die FAMA von jüngeren Kolleginnen bis heute voller Elan und Begeisterung weitergeführt wird.

– 1986 war ich als wissenschaftliche Assistentin mitbeteiligt an der Einrichtung eines ständigen Lehrauftrags für feministische Theologie an der Theologischen Fakultät Luzern. Er wurde 2006 dann umbenannt in «Theologische Gender Studies» und wird seit 2016 nur noch einmal im Jahr statt jedes Semester vergeben. Doch es ist der einzige Lehrauftrag, der bis heute existiert!

– 1986 war ich bei der Gründung der ESWTR (European Society of Women in Theological Research) in Magliaso mit dabei, wurde 1987 in den ersten Vorstand gewählt und half beim Aufbau der ESWTR mit (Vereinsstatuten, Finanzen). Bis 1992 war ich zudem Schweizer Kontaktfrau.

– 1991 gründete ich die Interessenvertretung (IG) Feministischer Theologinnen der Schweiz mit und von 2014-2023 engagierte ich mich in deren Vorstand. Es war eine tolle Erfahrung für mich, als eine Theologin der Gründerinnengeneration mit jungen Kolleginnen zusammenzuarbeiten und ihre Sichtweisen kennenzulernen.

– 1996-2017 habe ich als Stiftungsrätin der Helen Straumann-Stiftung für Feministische Theologie mitgeholfen, eine Bibliothek für Gender Studies und Feministische Theologie an der Universität Basel aufzubauen, gemeinsam mit dem Zentrum Gender Studies Basel. Die Bibliothek beherbergt nicht nur die Nachlässe von Pionierinnen der Feministischen Theologie, sondern auch eine Präsenzbibliothek mit einem umfassenden Bestand feministisch-theologischer Bücher.

– Ende 2008 gründete ich zusammen mit einer muslimischen und jüdischen Kollegin den Interreligiösen Think-Tank (www.interrelthinktank.ch) und bin Vizepräsidentin und Geschäftsleiterin desselben. Der Think-Tank ist eine Herzensangelegenheit von mir und die Zusammenarbeit mit meinen muslimischen und jüdischen Kolleginnen jene Art von Tätigkeit, bei der ich in den letzten Jahren am meisten gelernt habe und immer wieder neu lerne (Stichwort Perspektivenwechsel u.a.). Und es ist ein Projekt, mit dem wir uns via Stellungnahmen und Studien in gesellschaftliche und religionspolitische Debatten einmischen, also auch politisch tätig sind.

Mitentwicklung und Weitervermittlung feministischer Theologie:
Im WS 1985/86 konnte ich an der Evangelischen Fakultät Bern den ersten regulären feministisch-theologischen Lehrauftrag der Schweiz übernehmen. 1987 wurde das Vorlesungsmanuskript im Exodus-Verlag unter dem Titel «Aufbruch zu neuen Räumen. Eine Einführung in feministische Theologie» als Buch veröffentlicht. Es fand grosses Echo, erreichte drei Auflagen, machte mich über die Schweizer Grenzen hinaus bekannt und verschaffte mir unzählige Anfragen für Vorträge, Lehraufträge und Artikel. Damit war mein weiterer beruflicher Weg vorgespurt, und ich habe mir meinen Beruf erfunden: freischaffende feministische Theologin.
Mein Vorhaben, die feministisch-theologische Auseinandersetzung mit der traditionellen Christologie im Hinblick auf deren sexistische und antijudaistische Kehrseite, die ich in den Berner-Vorlesungen begonnen hatte, in einer Dissertation zu vertiefen, führte mich 1987 nach Fribourg zum dortigen Dogmatiker Johannes Brantschen. Er unterrichtete damals in seinen Seminaren feministische Theologie, und ich fragte ihn an, ob er eine solche Dissertation begleiten würde (Theologie-Professorinnen gab es damals noch nirgends in der Schweiz). Johannes Brantschen bot mir eine Stelle als wissenschaftliche Assistentin an, mit der Aufgabe, seine feministisch-theologischen Seminare zu übernehmen sowie Seminar- und Lizentiatsarbeiten zur feministischen Theologie zu begleiten. So habe ich parallel zu meiner freischaffenden Tätigkeit viele Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Fribourg feministisch-theologische Hauptseminare durchgeführt, zunächst allein, später dann zusammen mit meiner Kollegin Regula Strobel. Diese Zusammenarbeit war nicht nur ungemein inspirierend und kreativ, sondern auch gegenseitiges Empowerment. Gemeinsam haben wir in dieser Zeit ein Buch zur «Christologie aus feministisch-theologischer Sicht» mit Beiträgen von Autorinnen aus dem europäischen Raum konzipiert und unter dem Titel «Vom Verlangen nach Heilwerden» im Jahr 1991 publiziert, das grosse Resonanz fand. Gemeinsam haben wir nach Ablauf unserer Assistentinnentätigkeit 1993 auch ein Nationalfondsprojekt begonnen, das uns für drei Monate nach Cambridge/Boston führte und uns in Kontakt mit «Women of Color» brachte.

Diese Begegnung hat meinem Dissertationsprojekt zu feministischer Christologie eine neue Richtung gegeben: Ich habe versucht, meine eurozentrische Sicht aufzubrechen, die mir bis dahin nicht bewusst gewesen war, und einen Perspektivenwechsel vorzunehmen, indem ich die theologischen bzw. christologischen Sichtweisen von Frauen aus Asien, Afrika und Lateinamerika ins Zentrum meiner Dissertation stellte. 1996 reichte ich meine Doktorarbeit in Fribourg ein, und 1997 wurde sie unter dem Titel «Vom Rand in die Mitte. Christologie aus der Sicht von Frauen aus Asien, Afrika und Lateinamerika» als Buch publiziert. Mit diesem Buch habe ich nicht nur meinen eigenen eurozentrischen Blick geweitet, sondern die Theologien von Frauen aus dem Globalen Süden in unserem Kontext bekannt gemacht und eine differenziertere Wahrnehmung von Frauenerfahrungen als kontextuell geprägte in die feministisch-theologischen Debatten hierzulande eingebracht. Mit Vorträgen im In- und Ausland sowie Lehraufträgen an den Universitäten Fribourg, Luzern und Basel konnte ich diese Sicht in breite Kreise weitervermitteln.

Die Auseinandersetzung mit kontextuellen Ansätzen feministischer Theologien führte mich dann weiter zur Beschäftigung mit interkulturellen Theologien und schliesslich zum interreligiösen Dialog aus Frauen- und Gendersicht. Mit muslimischen, jüdischen und christlichen Kolleginnen habe ich ab der Jahrtausendwende interreligiöse Theologiekurse für Frauen konzipiert und angeboten, Dialogveranstaltungen und interreligiöse Podien durchgeführt und 2006 mit meiner evangelischen Kollegin Manuela Kalsky aus den Niederlanden ein Buch zum interreligiösen Dialog herausgegeben, das erstmals im deutsch-sprachigen Raum die Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen im interreligiösen Dialog reflektierte: «Damit es anders wird zwischen uns. Interreligiöser Dialog aus der Sicht von Frauen». Die langjährigen Dialog-Erfahrungen in interreligiösen Frauenprojekten führten bei mir und meinen Kolleginnen zum Wunsch, diese Erfahrungen mit mehr Gewicht in die öffentlichen Religionsdebatten einzubringen, die einseitig von männlichen Amtsträgern der Religionsgemeinschaften dominiert werden. Dies hat dann 2008 zur bereits erwähnten Gründung des Interreligiösen Think-Tank geführt.

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Da mein Arbeitsfeld seit Abschluss des Studiums immer die feministische Theologie gewesen ist, flossen feministische Perspektiven in all meine Tätigkeiten ein: als Dozentin und Lehrbeauftrage, als FAMA-Redaktorin, als Buchautorin, als Mitglied des Interreligiösen Think-Tank und als Präsidentin des cfd – der feministischen Friedensorganisation.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Grundlegend war für mich Elisabeth Schüssler Fiorenzas Konzept des Patriarchats bzw. Kyriarchats als einem System ineinandergreifender Unterdrückungsformen wie Sexismus, Rassismus, Heterosexismus, Kolonialismus, ökonomische Ausbeutung, Altersdiskriminierung, Naturausbeutung usw. Ihr Konzept des Kyriarchats war ein Vorläufer dessen, was wir heute Intersektionalität nennen, d.h. die Verschränkung verschiedener Diskriminierungskategorien. Der intersektionelle Ansatz hat das feministische Verständnis von Frauenerfahrung grundlegend verändert und ist auch für mich zur Basis meines Nachdenkens über Frauenunterdrückung und Frauenbefreiung geworden. Wegweisend war aber auch Schüssler Fiorenzas Modell feministisch-kritischer Bibelinterpretation, vor allem die «Hermeneutik des Verdachts» und die «Hermeneutik der Erinnerung». Geprägt wurde mein Denken etwas später auch vom postkolonialen Ansatz und der Erkenntnis von Machtasymmetrien unter Frauen, und in neuerer Zeit kam die queere Sichtweise dazu. Im interreligiösen Dialog sind für mich vor allem die Methode des Perspektivenwechsels und eine Hermeneutik der Differenz und der Anerkennung wichtig geworden.

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?

Da ich nie in kirchlichen Strukturen gearbeitet habe, durfte ich sehr viele positive Reaktionen auf meine feministisch-theologische Arbeit erfahren. Für die Frauen, die an unsere Veranstaltungen kamen, unsere Artikel in der FAMA oder meine Bücher lasen, waren unsere feministisch-theologischen Beiträge stärkend und eine Befreiung aus einer patriarchalen Theologie, die uns Frauen abgewertet und klein gehalten hat. Wenn ich auf mein gut 40-jähriges Berufsleben als feministische Theologin zurückblicke, bin ich voller Dankbarkeit, dass ich meinen eigenen Weg als feministische Theologin konsequent gehen konnte und dafür sogar noch ausgezeichnet wurde: 2020 mit der Ehrendoktorinnenwürde der Universität Bern und im März 2023, gemeinsam mit meiner Schwester Silvia Strahm Bernet, mit dem Herbert Haag-Preis für Freiheit in der Kirche.

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Was die Situation für Frauen in der römisch-katholischen Kirche betrifft, bin ich sehr pessimistisch. Das klerikale absolutistische System in Rom kann von den Frauen strukturell nicht verändert werden, und alle Zeichen aus Rom deuten darauf hin, dass Frauen nie zu ihrem vollen Recht als gleichgestellte Personen kommen werden. Auch die jüngsten Verlautbarungen des Papstes zielen darauf ab, FrauenMenschenrechte wie etwa die reproduktiven Rechte zu bekämpfen und Genderfragen als Ideologie zu geisseln. Den Herren in Rom liegt nichts an den realen Frauen und ihren Rechten, und all die schönen Worte von gleicher Würde, von Mitsprache oder synodalem Prozess sind nichts anderes als eine grosse Täuschung, die das Kirchenvolk ruhig halten soll, wie der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke, Mitpreisträger des Herbert Haag-Preises 2024, in seinem Buch «Die Täuschung» (2021) glasklar aufgezeigt hat.

Auch gesellschaftlich gesehen sieht die Zukunft für Frauen nicht sehr positiv aus: Rechtspopulistische Regierungen in Europa und weltweit schränken die Errungenschaften der Frauenbewegung wieder ein, bekämpfen den «Genderwahn» und forcieren traditionelle Geschlechterrollen. Und die Militarisierung westlicher Gesellschaften im Gefolge des Krieges in der Ukraine macht es feministischer Friedensarbeit schwer. Andererseits ist seit dem Frauen*streik 2019 das feministische Bewusstsein auch vieler junger Frauen erwacht, was Anlass zu Hoffnung gibt, dass viele Frauen nicht mehr bereit sind, all diese Entwicklungen einfach hinzunehmen, und dass sich Frauen generationenübergreifend für ihre Rechte organisieren.

7. Was waren die Gründe, weshalb du dir eine Tätigkeit ausserhalb der Kirche gesucht hast?

Wie bereits gesagt, habe ich Theologie studiert, weil ich meine existenziellen Fragen klären wollte. Eine kirchliche Tätigkeit war nie mein Ziel. Mein Traumjob wäre eine Anstellung in einem Bildungshaus wie der Paulus Akademie Zürich gewesen, weshalb ich während des Theologiestudiums nebenher eine dreijährige Ausbildung zur Erwachsenenbildnerin absolviert habe. Die Erklärung von 1976 aus Rom hat mir dann vollends klar gemacht, das ich in einem solchen frauenverachtenden System, das Frauen zu Menschen 2. Klasse degradiert, nicht arbeiten will. Je länger ich als feministische Theologin tätig war und realisiert habe, wie der Vatikan weltweit Frauenrechte auch ausserhalb der Kirche bekämpft, desto grösser wurde meine innere Spannung. Ich habe jahrelang eine feministische und frauenbefreiende Theologie vertreten und mich für Frauenrechte engagiert und bin trotzdem in einem System geblieben, das die Würde und die Rechte von Frauen grundlegend verletzt. Irgendwann konnte ich dies nicht mehr länger aushalten, bin vor mir selber immer unglaubwürdiger geworden. Zuerst waren es die Missbrauchsfälle: Ich habe als Vorstandsfrau der IG eine scharfe Stellungnahme dazu verfasst und beim Schreiben gespürt, wie mich die innere Spannung fast zerreisst. Das Fass zum Überlaufen gebracht hat dann kurz darauf die Aussage von Papst Franziskus im Herbst 2018, dass Abtreibung mit einem Auftragsmord zu vergleichen sei. Einer solchen Institution, in der zölibatäre Kirchenmänner über den Körper und die Sexualität der Frau bestimmen und Frauen in einer Notlage kriminalisieren, konnte und wollte ich nicht mehr länger angehören und bin im November 2018 zusammen mit anderen Feministinnen ausgetreten.

8. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?

Aktuell immer noch in meiner Arbeit als Geschäftsleiterin und Vizepräsidentin des Interreligiösen Think-Tank. Und indem ich nach wie vor Themen im Bereich «Ökofeminismus» und «Feministische Theologie» durch Vorträge und Artikel weiterzuvermitteln versuche. Ich fühle mich dabei verbunden mit all jenen zivilgesellschaftlichen Kräften, die für Gerechtigkeit, Frauenrechte, die Bewahrung der Schöpfung und ein gutes Leben für alle Menschen eintreten.

Vielen Dank für das Interview!
Esther Gisler Fischer

Frau des Monats März/April 2024

Interview mit Irene Neubauer Gubler


Geboren 1959, Mutter von einem erwachsenen Sohn und zwei erwachsenen Töchtern und Grossmutter von drei Enkelsöhnchen, verwitwet.
Seit mehr als dreissig Jahren wohnhaft in Cressier FR, im Seebezirk des Kantons Freiburg.
Seit Januar 2024 pensioniert, aber weiter freiwillig engagiert im Bereich Asyl und hoffnungsvoll, Zeit und Energie zu finden sowohl für eigene Projekte wie fürs ziellose draussen Herumstreifen und für die Grosskinder.


1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Ich wuchs auf dem Land auf, mit zwei nur wenig jüngeren Geschwistern, mit einer klaren römisch-katholischen Sozialisierung. Den Glauben meiner Eltern erlebte ich als eine tiefe Verwurzelung und ein Gottvertrauen, das sich mir – vor allem auch rückblickend – als eine Art wohltuende Sorglosigkeit zeigte. Meine Eltern führten gemeinsam eine Gärtnerei. Meine Mutter entfaltete sich dabei erfolgreich als Floristin. Berufstätig zu sein als Frau und Mutter erlebte ich so als selbstverständlich. Es gab bei meiner Mutter aber eine seltsame Spannung zwischen Realität und inneren Vorstellungen. Letztere waren wohl stark beeinflusst durch die «Adrette-Hausfrau»-Ideale der 50er Jahre. Prägend war auch meine Appenzeller Grossmutter, bei der ich viel Zeit verbrachte. Sowohl sie wie meine Urgrossmutter widmeten sich am liebsten dem Sticken und machten sich eher wenig aus Kochen und anderen Haushaltsaufgaben. Meine Grossmutter war eine selbstständige, in sich ruhende und humorvolle Frau. Sie vermietete Zimmer an Menschen der ersten «GastarbeiterInnen»-Generation und wurde wegen ihres grossen Herzens und ihrer Toleranz von diesen sehr geschätzt. Für mich waren diese frühen Begegnungen mit Menschen anderer Herkunft wegweisend.
Entscheidend für meinen Lebensweg waren auch fördernde Lehrerinnen in der Primarschule und im Gymnasium. Ursula Huber, meine Lehrerin von der 4.-6. Primarklasse, kontaktierte meine Eltern, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass ich das Gymnasium besuchen könnte. Meine Eltern waren erfreut und stolz und haben mich auf diesem Weg immer unterstützt.
Nach der Matura entschied ich mich für ein Theologie-Studium, weil es die breiteste Palette an mich interessierenden Themen zu enthalten schien. Und ich entschied mich für Freiburg statt Luzern, weil es zu der Zeit dort nur die theologische Fakultät gab. In Freiburg waren wir ein Jahrgang mit fast gleich viel Frauen wie Männern, was damals eher neu und für uns Studierende sehr ermutigend war.

Ich studierte Theologie mit Schwerpunkt Religionswissenschaft und Ethnologie im Nebenfach. Die feministische Theologie wurde für mich sehr bald und wie selbstverständlich zum grundsätzlichen Ansatz, sei es in der Exegese, der Ethik, Dogmatik oder Kirchengeschichte. Die wichtigsten Protagonistinnen waren für mich die US-Theologinnen Mary Daly, Rosmary Radford Ruether und Carter Heyward, sowie Elisabeth Schüssler-Fiorenza und Catharina Halkes.
Ein Schlüssel-Ereignis war für mich die Ökumenische Versammlung 1989 in Basel mit einem Referat der beiden römisch-katholischen US-Theologinnen Mary Hunt und Dianne Neu auf dem Frauenboot zu Eucharistiefeiern von Frauen für Frauen. Auf die Frage aus dem Publikum, was denn ihr Bischof dazu sage, antworteten sie, sie würden das nicht tun, um den Bischof zu provozieren, sondern weil sie das gemeinsame Teilen von Brot und Wein im Namen Jesu als Stärkung und Ermächtigung ihrer Frauen-Gemeinschaft bräuchten. Aber wenn der Bischof reagieren wolle, dann dürfe er das gerne tun. Ich wäre am liebsten jubelnd aufgesprungen: Yeah! Endlich eine erwachsene Haltung. Just do it, statt zu jammern, wir wollen ja schon, aber die Bösen da oben lassen uns nicht.

Zentral wichtig ist für mich auch der ökofeministische Ansatz: Es war und ist mir ein tiefes Anliegen, dazu beizutragen, dass die Heiligkeit allen Lebens und unsere Einbettung darin als Leben unter Leben erkannt wird. Es ging und geht mir dabei auch darum, dass die Lebensweise und das Wissen der indigenen Völker über die Vernetzung alles Lebendigen endlich anerkannt werden, als was sie sind: ein unendlich wertvoller und für unser gemeinsames Überleben auf diesem Planeten unschätzbar wichtiger Beitrag. Das bedeutet für mich als bleibende Aufgabe: Befreiende Bescheidenheit einzuüben, als Mensch – ich bin einfach ein Glied in der Kette des Lebens. Und als Angehörige der – noch – dominanten Kultur, aufzuhören, uns für den Nabel der Welt zu halten.

2. Wo warst du selbst tätig und hast feministische Ansätze mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?
– Lizenziatsarbeit: «Rassismus und Sexismus. Strukturelle Parallelen», 1987, Institut für Missiologie und Religionswissenschaft, Universität Freiburg.
Ich meine ohne falsche Bescheidenheit sagen zu können, dass ich mit der Analyse dieser Parallelen zwischen Rassismus und Sexismus, wozu es im deutschsprachigen Raum noch kaum Literatur gab, ein bisschen Pionierinnenarbeit geleistet habe. Und Ich konnte danach an verschiedenen Veranstaltungen über diese Arbeit referieren.
Es ging in meiner Analyse mehr um einen allgemein feministischen Ansatz und weniger explizit um feministische Theologie, aber das wissenschaftliche Arbeiten an diesem Thema hat mich nachhaltig geprägt, auch mein theologisches und religionswissenschaftliches Denken und meine Arbeit später in verschiedenen Feldern.
– Dissertationsprojekt zu «Frauen im Interreligiösen Dialog».
– Eucharistiefeiern von Frauen für Frauen: Just do it! Sehr schöne Feiern im Temple, der reformierten Stadtkirche in Freiburg.
– Gruppe christliche und muslimische Frauen in Freiburg: Anlässe u.a. zu Maria in der Bibel und im Koran.
– Artikel und Referate zu Maria in der Bibel und im Koran, zu Frauen in der Kirche, zum Gottesbild, zur Auseinandersetzung mit dem neuen Atheismus.
– Mitorganisation der Frauenkirchentreffen; Eröffnungsrede in Interlaken zum Thema «Macht».
– Als Vorstands-Mitglied des Interreligiösen Think-Tanks .
– Als Vorstands-Mitglied der interreligiösen Dachorganisation IRAS COTIS.

3. Wo und wie kam feministisches Gedankengut zum Tragen in deinem Leben und deinen beruflichen Tätigkeiten?
– Feministisches Gedankengut als Grundüberzeugung der Gleichwertigkeit von Frauen und daraus resultierend die Haltung, dass die reale Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen anzustreben ist, ist eine Grund-Melodie meines Lebens. Das ging im Privaten vom Antrag, auch offiziell wieder meinen Familiennamen zu tragen, sobald das gesetzlich möglich war über die Rücksendung von Briefen mit der Adresse «famille Christoph Gubler» mit der Begründung, es existiere keine Familie Christoph Gubler bis zu vielen Reisen als Frau alleine, zum Beispiel einmal quer durch die USA oder in die Türkei, nach Tunesien und Marokko.
– Darin, unseren Herren Genossen während des Studiums klarzumachen, dass die Unterdrückung der Frauen kein «Nebenwiderspruch» ist, sondern der zentrale Widerspruch.
– In der ersten Anstellung nach dem Studienabschluss in einer Stadtpfarrei in Freiburg: Ich gehörte zur ersten Generation der LaientheologInnen – ein Begriff, der per se eine beleidigende Abwertung ist – auch wenn wurzelnd in der römisch-katholischen kirchlichen Ämterhierarchie. Es ging darum, den Spielraum bestmöglich auszuloten – aber er war eben begrenzt, siehe weiter unten Frage 7.
– In meiner Anstellung als Assistentin am Institut für Religionswissenschaft der Universität Freiburg. Ich hatte in dieser Tätigkeit viele Kontakte mit Studenten aus Afrika und Asien, die kaum mit feministischen Ansätzen vertraut waren und es war mir ein Anliegen, sie dafür zu sensibilisieren.
– Als Redaktorin bei der Zeitschrift «WENDEKREIS» der Bethlehem Mission Immensee BMI. Hier hatte ich sehr viel Spielraum, feministische Ansätze in die Wahl und die Bearbeitung von Themen einzubringen und keinerlei Zensur.
– Im Leitungsteam der «offene kirche» Bern: Auch hier war der Spielraum gross, aber ich machte die Erfahrung, dass männliche Leitungspersonen auf sehr subtile Weise versuchten, mich «klein» zu halten.
– In der Seelsorge für Asylsuchende: Frauen ermutigen und stützen und versuchen, ein besonderes Sensorium zu entwickeln für frauenspezifische Probleme für die Flucht und auf der Flucht. Und, falls angezeigt, auch mal Jungs und Männer freundlich, aber klar in die Schranken weisen.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?
– Immer wieder und immer noch: Just do it! Nicht warten auf Erlaubnis von irgendwo und irgendwem.
– Auch Männer sind Menschen – Spass beiseite: Aufzeigen, dass Gleichberechtigung und Gleichstellung eine gerechtere und sichere Gesellschaft und damit ein besseres Leben für alle Menschen bedeuten, wo auch immer sie sich im Geschlechterspektrum verorten.

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?
Mit meiner Mutter ziemlich viele, zum Teil heftige Auseinandersetzungen, vor allem über «innerkirchliche» Themen, wie etwa die Autorität des Papstes, sonst innerhalb der weiteren Familie eher wohlwollendes Interesse oder auch Desinteresse, ähnlich im Freundes- und Bekanntenkreis. Durchaus möglich, dass es in unserem kleinen Dorf auch ablehnende Reaktionen gab, aber wenn, dann haben sie mich nicht direkt erreicht und darum auch nicht touchiert. Vielleicht hat es auch mit der Westschweizer Mentalität zu tun, der ich mich sehr verbunden fühle: Leben und leben lassen. Und ich habe mir aus natürlicher Neigung die welsche Art zu eigen gemacht, auch toughe Dinge liebenswürdig zur Sprache zu bringen. So sind die Leute oft erst mal verblüfft, statt sofort mit Abwehr zu reagieren.
Eher schwierig war es mit meinem «Doktorvater»: Er erfuhr meine dezidiert feministische Haltung wohl als Bedrohung seines Selbstverständnisses und die damit verbundene Erwartung, von Frauen in doppelter Lebensgrösse gespiegelt zu werden. So kam dann auch die Dissertation nicht zustande.

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?
Gegen Ende meiner 14-jährigen Arbeit für die «offene kirche» Bern nahm ich einige Male teil an neu lancierten Runden der römisch-katholischen Theologinnen im Pastoralraum Bern. Ich war geradezu schockiert, von meinen tollen, gestandenen Kolleginnen zu hören, wie sich seit meiner ersten Anstellung in einer Kirchgemeinde vor dreissig Jahren nichts geändert hatte: Immer noch seien sie für Vieles abhängig vom Placet der Pfarrherren! Das Schlusswort meiner Lizenziatsarbeit ist ein Zitat von Cheryl Benard: «Denken allein genügt nicht. Mit einem schlechten Gewissen lässt es sich ganz gut regieren, und nichts ist vergesslicher als die Macht». Wie wahr, auch und gerade für die römisch-katholische Kirche!

Was mich im Moment beschäftigt, ist das Auseinander-Driften der politischen Einstellungen zwischen Frauen und Männern in der jungen Generation: Frauen immer linker, Männer immer rechter. Zusammen mit dem generellen Rechtsruck im globalen Norden ist das für mich ebenfalls Ausdruck des obigen Zitates: Viele, auch junge Männer, und eben auch besonders weisse Männer, tun sich nach wie vor schwer damit, Privilegien und Macht abzugeben. Was mir im Laufe des Lebens immer klarer wurde in ganz verschiedenen Feldern: Verdrängtes schlechtes Gewissen kann die Täter aggressiv machen gegen die Opfer. Das zeigt sich unter anderem in Rassimus und Sexismus, wie er sich in den sozialen Medien austobt. Und eine weitere Einsicht meiner Lizenziatsarbeit, dass Sexismus noch viel tiefer verankert ist als Rassimus, bewahrheitet sich auch immer wieder: Die römisch-katholische Kirche hat unterdessen viele PoC-Würdenträger, aber immer noch keine Frauen! Und ähnlich sieht es bei Führungskräften von Top-Banken und Internationalen Konzernen aus.
Dennoch bin ich nicht generell pessimistisch. Das Modell einer Gesellschaft, in der alle Menschen, ungeachtet ihres Geschlechtes und ihrer Herkunft, gleiche Würde, gleiche Rechte, gleiche Chancen haben, ist nach wie vor attraktiv, weltweit. Und es gibt für mich keine Alternative dazu, dieses Ideal mit aller Kraft zu verteidigen und seine Realisierung mit aller Kraft zu fördern.

7. Falls zutreffend: Was waren die Gründe, weshalb du dir eine Tätigkeit ausserhalb der Kirche gesucht hast?
– Der point of no return kam bei mir sehr schnell, nach wenigen Monaten im kirchlichen Dienst. Ich übernahm die Leitung eines Rosenkranz-Gebetes am Vorabend einer Beerdigung (wie im Kanton Freiburg üblich) stellvertretend für den Pfarrer. Am Ende spendete ich den Segen, statt ihn nur zu sprechen, ganz bewusst auch mit der entsprechenden Geste. Prompt trat ein, womit ich rechnete: Ein Teilnehmer beschwerte sich beim Bischof über diese Anmassung. Dieser kontaktierte meinen Chef, den Pfarrer. Der stellte sich schützend vor mich. Aber mir wurde klar: Diese Einschränkungen sind die Perspektiven im kirchlichen Dienst. Und darauf hatte ich Null Bock. Ich kündigte und damit war nach nur einem Jahr definitiv Schluss mit diesem Weg für mich.
– Ich habe aber die Verbindung nicht abgebrochen mit der römisch-katholischen Kirche und halte es noch mit «Auftreten, statt austreten», wenn auch im bescheidenen Umfang. Ich war immer wieder freiwillig engagiert, zum Beispiel als Organisatorin von Familiengottesdiensten und Inputs zur Fastenkampagne. Ich war auch kurzzeitig Mitglied des Pastoralrates unserer Gemeinde. Dort wurde einmal der bischöfliche Text «Des célébrations en attente du prêtre» thematisiert, also eine Weisung für Feiern ohne Priester. Auf meinen spontanen Kommentar: «Cela veut alors dire que dès qu’un petit prêtre pointe son nez à l’horizon, les laïques peuvent de nouveau partir» (sobald ein kleiner Priester am Horizont auftaucht, dürfen die Laien wieder verschwinden) folgte ein Schweigen wie nach einem Witz tief unter der Gürtellinie. Da wurde mir klar, dass meine Teilnahme in diesem Umfeld in diesem Gremium wie Fahren mit angezogenen Handbremsen ist, also reine Energie-Verschwendung. Zur Zeit bin ich Teil des LektorInnen-Teams und nehme mir die Freiheit, die Texte in einer konsequent inklusiven Sprache zu lesen und die Fürbitten bei Bedarf abzuändern. Und ab und zu werde ich gefragt, mitzuhelfen bei der Kommunion-Aussteilung. Das tue ich mit der Zusage «Jésus, ton frère» statt «Le corps du Christ».

8. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?
Nach wie vor gilt für mich die Devise «Walk the talk»: Wir sind nur überzeugend, wenn wir tun, was wir «predigen». Das war auch meine durchgehende Erfahrung als Mutter. Natürlich ist das ein Ideal, und oft genug ist es mehr ein Stolpern durch die alltäglichen und auch existenziellen Widersprüche als ein unbeirrtes Geradeaus-Gehen. Aber das ist kein Grund, aufzugeben.
Im Gegenteil: Ich bin überzeugt, dass gerade das Anerkennen und Aushalten von zum Teil nicht auflösbaren Widersprüchen, Ambivalenzen und Gegensätzen, sowohl persönlich und privat wie gesellschaftlich und sogar international, eine Grundvoraussetzung ist, einigermassen friedlich zusammen leben zu können.

Vielen Dank für das spannende Interview!
Esther Gisler Fischer