Frau des Monats Juli 2016

Moltmann-WendelElisabeth Moltmann-Wendel gehört zu den Pionierinnen, die den feministischen Aufbruch der 1970er Jahre in Theologie und Kirche im deutschsprachigen Raum in Gang gebracht haben. Aus persönlicher Betroffenheit beginnt die promovierte Theologin das traditionelle christliche Frauenbild und die patriarchal geprägte dogmatische Theologie zu hinterfragen, womit sie zusammen mit andern eine ganze Bewegung ins Rollen bringt. Frauen aus den unterschiedlichsten Kontexten entdecken neue Räume und befreien sich aus dem Korsett einengender traditioneller christlicher Denkmuster und Rollenerwartungen.

Vor kurzem, am 7. Juni 2016, ist Elisabeth Moltmann-Wendel in Tübingen im 89. Lebensjahr gestorben. Geboren ist sie 1926 in Herne, aufgewachsen in Potsdam, geprägt durch die preussische Kultur und die Bekennende Kirche, der ihre Familie angehörte. Nach dem Krieg studiert Elisabeth Moltmann-Wendel Evangelische Theologie in Berlin und Göttingen. Ihr besonderes Interesse gilt der gesellschaftskritischen reformatorischen Theologie. 1951 promoviert sie und heiratet ein Jahr danach den späteren Tübinger Professor für Systematische Theologie Jürgen Moltmann und zwar auf dem Zivilstandsamt in Basel. Durch den Ehestand verliert sie gemäss damaligem Kirchengesetz alle kirchlichen Ausbildungsrechte inklusiv das Recht auf Vikariat und Ordination!

Nachdem das erste Kind aus unerklärlichen Gründen bei der Geburt gestorben ist, bringt sie zwischen 1955 und 1963 vier Töchter zur Welt. Dazu schreibt sie in ihrer Autobiografie: „Ich genoss die Schwangerschaften… Ich war nicht mehr ein „Nobody“, wie es sich mir in meiner Nur-Ehefrau-Existenz zuweilen aufdrängte…

Aber langsam schleichend geriet ich doch in eine Rolle, die ich mir nie gedacht hatte.“ Zur Illustration schildert sie einen gemeinsamen Besuch mit ihrem Ehemann aus dem Jahr 1963.

„An einem Augustmorgen 1972 drehte sich die Welt für mich um hundertachzig Grad“. So beschreibt Elisabeth Moltmann-Wendel ihr Schlüsselerlebnis zu ihrem feministisch theologischen Aufbruch. Ausgelöst wird dieser durch verschiedene Artikel, die Freunde ihr aus den USA mitgebracht haben zur neueren Frauenbewegung, unter denen auch theologische Artikel waren. Die Verfasserinnen stellten alles bisher Gültige auf den Kopf. Anstatt von theologischen Prämissen auszugehen, stellten sie die Frauen, ihre gesellschaftliche Situation, ihre Erfahrungen und ihre Lebenswelten ins Zentrum ihrer Reflexionen. Plötzlich fühlt Elisabeth Moltmann-Wendel sich miteinbezogen. Von nun sind für sie stets konkrete Erfahrungen, insbesondere der Alltag von Frauen, Ausgangspunkt ihres theologischen Nachdenkens.

Zusammen mit andern organisiert sie die ersten und später als Marksteine des Frauenaufbruchs berühmt gewordenen Studientagungen Feministischer Theologie in Bad Boll. Ebenso trägt sie wesentlich dazu bei, dass Frauen an der zentralen Institution des Deutschen Evangelischen Kirchentags ein Sprachrohr bekommen in Form eines dreitägigen Frauenforums inklusiv Workshops (erstmals ab 1981).

Ein wichtiger Beitrag zur Begründung eines neuen Selbstbewusstsein von Frauen gelingt Elisabeth Moltmann-Wendel mit ihrem 1980 erschienenen Buch „Ein eigener Mensch werden. Frauen um Jesus“. Darin wirft sie einen neuen Blick auf bekannte Frauengestalten des Neuen Testamentes. Frauen wie Martha, Maria von Bethanien oder Maria Magdalena, Johanna und andere werden aus dem Filz langer Auslegungstraditionen herausgehoben und entpuppen sich als eigenständige und starke Frauen.

Anders als die klassische Theologie bezieht Elisabeth Moltmann-Wendel in revolutionärer Weise den Körper und Körpererfahrungen in ihr theologisches Nachdenken ein. Wir müssen mit dem Körper denken, mit unserer Erdhaftigkeit und mit all unseren Sinnen verstehen, damit wir fantasievolle Schritte tun und uns neue Lebensquellen erschließen. Ein Leben lang wehrt sie sich gegen die „blutleere“ universitäre Theologie. Sie ist überzeugt, wer an seinem Körper vorbeisieht, sieht auch an Gott vorbei. „Nur wer die Erde berührt, kann den Himmel berühren“ so der Titel ihrer Autobiografie aus dem Jahr 1997. Doch bereits mit ihrem Buch „Wenn Gott und Körper sich begegnen – Feministische Perspektiven zur Leiblichkeit“ (1988) stellt sie sich gegen die abendländische Tradition, die Gott lange Zeit nur als Geist verehrt hat. Neue Perspektiven bringt sie auch hinsichtlich der Kreuzestheologie. Nicht um unsere Sünden zu sühnen, ist Jesus am Kreuz gestorben, sondern für seine Freunde, für alle Ausgegrenzten und dazu zählten damals auch die Frauen, die Jesus begleiteten, gab er sein Leben.

Ich bin gut – ich bin ganz – ich bin schön!“ Mit diesem berühmt gewordenen Zuspruch bringt sie damals die lutherische Rechtfertigungslehre für Frauen auf den Punkt, ganzheitlich und körperlich. Aus Erfahrungen, dass Frauen aufgrund vielfältiger gesellschaftlicher Diskriminierungen und traditionellen Rollenzuweisungen oft Mühe haben, sich selber und ihren Körper anzunehmen, kreiert sie diese „Lebens-wendende“ Kurzformel. Eine Ermutigung auch für Frauen von heute?

Catina Hieber

 

Preise
1992 Johanna-Löwenherz-Preis.
1997 Herbert-Haag-Preis für Freiheit in der Kirche (Luzern), zusammen mit Elisabeth Gössmann.

 

Veröffentlichungen (Auswahl):

  • Frauenbefreiung – Biblische und theologische Argumente, München 1976.
  • Ein eigener Mensch werden. Frauen um Jesus, Gütersloh 1980.
  • Das Land, wo Milch und Honig fliesst, Gütersloh 1985.
  • Wenn Gott und Körper sich begegnen, Gütersloh 1989.
  • Als Frau und Mann von Gott reden (zusammen mit Jürgen Moltmann), München 1991.
  • Mein Körper bin Ich, Gütersloh 1994.
  • Wer die Erde nicht berührt, kann den Himmel nicht erreichen. Autobiografie, Zürich 1997, aktualisierte Neuauflage Hannover 2002.
  • Wach auf, meine Freundin. Die Wiederkehr der Gottesfreundschaft, Stuttgart 2000.
  • Mitherausgeberin des Wörterbuchs der Feministischen Theologie, Gütersloh 1991, 2. Auflage 2002.