Frau des Monats Juli/August 2023

Interview mit Maria Regli
lic.theol. in Fribourg (CH) & Nijmegen (NL)
Stabsmitarbeit JUSESO Zürich (1999-2002)
Projektarbeit Caritas Bern (2003)
Pfarreiarbeit in Köniz (2003-13 & Bern (2018-20)
Leitung Bildungsstelle Kirchen Biel u. Umgebung (2013-1018)

MAS in Applied Spirituality
Zertifikat in naturzyklischer Prozessbegleitung
Yogalehrerin (Lu Jong/Hatha) und Pilgerbegleiterin (EJW)
Vizepräsidium jakobsweg.ch
geb. 1961 in Andermatt (UR), verh., drei Kinder

seit 2020 freischaffende Theologin, Ritual- und Zeremonienleiterin (www.mariaregli.ch)
seit 2020 Seelsorgerin in der Privatklinik Wyss in Münchenbuchsee
seit 2021 Geschäftsführerin IG Fem. Theologinnen Schweiz & Liechtenstein

1. Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?

Die erste Feministin in meinem Leben ist meine Mutter. Keck kam sie schon früh im Hosenkleid daher, als viele noch (schwarze) Röcke trugen. Sie managte die Familie, ist sehr belesen, politisch interessiert und allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, auch der feministischen Theologie. Als junges Mädchen imponierte mir, wie sie sich in der Kirche demonstrativ mit uns auf die Männerseite setzte. Ein Zeichen des stillen Protestes? Sie versucht(e) stets, den engen Spielraum, den sie in einem Bergdorf wie Andermatt hat(te), zu vergrössern. Und mit dem, was sich nicht ändern liess bzw. lässt, arrangiert(e) sie sich.

Im Klosterinternat in Ingenbohl, in dem ich sieben Jahre lang das Gymnasium besuchte, war feministische Theologie kein Thema. Aber trotzdem gab es für mich Nonnen, die überzeugten, weil sie innerhalb den Klostermauern ihren eigenen Weg suchten und fanden so z.B. die Sportlehrerin, die auch mal im Trainer daherkam oder die zwei Kunstlehrerinnen, die durch ihre internationale Berühmtheit die Normen sprengten und sich so etwas mehr Freiheit erkämpfen konnten.

Die feministische Theologin Regula Strobel war mir schon damals ein Vorbild. Sie begrüsste mich als junges Küken auf der Klostertreppe, weil sie mir als Mentorin zugeteilt war. Und auch als ich – sieben Jahre später – nach Fribourg ins Theologiestudium wechselte, legte sie mir dort den violetten Teppich aus. Weitere Protagonistinnen kamen dazu: Lisianne Enderli (+2012), Silvia Schroer, Doris Strahm, aber auch meine Studienkolleginnen Rita Pürro, Lydia Meiling, Ruth Theler, Judith Stofer, Beatrice Acklin und viele andere mehr waren wichtige feministische Begleiterinnen in meiner Studienzeit.

Eine damals für viele von uns prägende Figur war die erste feministisch-theologische Professorin in Europa: Catharina J.M. Halkes. Zu ihr pilgerten wir scharenweise nach Nijmegen. Aber auch Mary Daly, die US-amerikanische lesbische katholische Theologin und Philosophin, beeindruckte mich mit ihrem bahnbrechenden Buch «Jenseits von Gottvater, Sohn & Co» (ersch. 1973). Weitere herausragende Frauen waren: Carter Heyward mit ihrer feministischen Theologie der Beziehung, Elisabeth Schüssler Fiorenza mit der historisch-kritischen Methode der Bibellektüre, Christa Mulack und Heide Göttner-Abendroth mit ihren Forschungen zu «Maria» und den hinter ihr verborgenen Göttinnen aus der matriarchalen Vorzeit. Und nicht zu vergessen die politische Theologin Dorothée Sölle, die ich in Bern zu einem persönlichen Interview traf und über deren theologische Ansätze ich meine Lizentiatsarbeit geschrieben habe.

Als ehemalige Klosterschülerin interessierten mich auch frauenfreundliche Formen von Spiritualität. In meinem Studienjahr in Nijmegen lernte ich im «Institut for Spiritualiteit» feministische Frauen innerhalb der Beginenbewegung kennen z.B. Laetitia Aarnink. Ihre kritischen Forschungen in «Mystik – Ihre Aktualität» (1984) zogen mich in Bann und hinterliessen einen bleibenden Eindruck.

2. Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?

Kaum von Nijmegen zurück, gründeten wir in Fribourg Ende der 80igerJahre das erste Feministische Theologinnenforum. Wir organisierten Seminare, Retraiten und setzten uns für Lehraufträge für feministische Theologie ein.

Nach meinem Studienabschluss absolvierte ich zwar das Pastoraljahr zur Berufseinführung, ging dann aber zuerst auf Distanz zur Pfarreiarbeit und arbeitete als Stabsmitarbeiterin bei der Jugendseelsorge in Zürich, dann als Projektleiterin im Sozialbereich beim Wirtschafts- und Arbeitsamt Bern, engagierte mich als Regionalsekretärin bei der OFRA, der Alpeninitiative und trat dem Grünen Bündnis Bern bei, einer Partei mit klaren gleichstellungspolitischen Forderungen. 1993 Jahre wurde ich in den Stadtrat Bern gewählt.

Doch das in Holland geschürte Interesse an feministischer Spiritualität, eine motivierende Begegnung mit dem damaligen Pfarreileiter in meiner Wohngemeinde und die familiäre Auseinandersetzung bzgl. Religionsunterricht unserer drei Kinder, brachte mich mit über 40 in die kirchliche Seelsorge. 2003 übernahm ich eine Stelle in der Pfarrei St. Josef in Köniz. Es war eine Zeit der Offenheit für neue liturgische Formen und Projekte. Begleitend besuchte ich eine MAS-Weiterbildung in angewandter Spiritualität der reformierten Landeskirche in Zusammenarbeit mit den Universitäten Zürich und Salzburg (2004-2010). Es ging dort um das Verbindende unter den Hauptreligionen und nicht um das Trennende (!); damit verbunden ein Meditationslehrgang und viel Austausch über Selbsterfahrung. Mein Fokus war darauf gerichtet, Spiritualität in den Alltag zu holen, praktikable Formen dafür zu finden. So begannen wir in Köniz mit «klosterwandern» und boten verschiedene Arten von (Körper-) Meditationen an. Im Rahmen meiner MAS-Arbeit entwickelte ich die Methode «Spiritualmove» und baute einen (spirituellen) Lauftreff in Köniz auf. Die Integration von Körper – Geist – Seele war und ist auch heute die Basis für mein feministisch-theologisches Schaffen.

Weitere Einsatzmöglichkeiten boten sich im liturgischen Bereich, in der Bibellektüre, der Erwachsenenbildung, diversen Anlässen im Frauenverein, den wir zudem in die zukunftsfähige Form des Frauenforums überführten.

Als Leiterin der Bildungsstelle der katholischen Kirchgemeinde Biel und Umgebung arbeitete ich eng mit den Kolleginnen des reformierten Arbeitskreises für Zeitfragen u.a. mit der feministischen Theologin Luzia Sutter Rehmann zusammen. Unsere gemeinsamen Veranstaltungen hatten zum Ziel, Frauen – auch im interkulturellen Umfeld – zu ermächtigen. Mein eigener Schwerpunkt lag weniger in der Vermittlung von feministischer Theologie, als in der Bewusstseinsbildung und im Empowerment der Frauen allgemein. Ein Highlight war für mich das Seminar mit der protestantischen Theologin Marion Küstenmacher zu ihrem Buch «Gott 9.0» (2010), wo es um die differenzierte Entwicklung des Gottesbildes ging. Später folgte die Auseinandersetzung mit ihrem Buch «Das Integrale Christentum» (2018). Dazu hätte ich gerne in meiner damaligen Pfarrei weitergearbeitet..

3. Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?

Feministisches Gedankengut war immer zentral in meiner Arbeit: Es offenbarte sich in einer genderbewussten Sprache, in der politischen Arbeit, in der Gestaltung von Liturgien und Predigten, in der Seelsorge und der Erwachsenenbildung, vor allem auch als Leiterin der Bildungsstelle der katholischen Pfarreien Biel und Umgebung (2013-2018). Wenn frau einmal den Blick geschärft hat für die fehlende Gleichberechtigung und Diskriminierung der Frauen v.a. in der katholischen Kirche, dann kann diese (violette) Brille nicht einfach abgesetzt werden.

In den vergangenen Jahren hat sich mein ökofeministischer Ansatz vertieft. Als freischaffende Theologin und Ritualbegleiterin gestalte ich viele Rituale draussen in der Natur, fernab von kirchlichen Strukturen und einengenden Mindsets. Ich versuche, den erdverbundenen matriarchalen Wurzeln nachzuspüren und diese mit der heutigen Wahrnhemung und Erfahrung zu verbinden.

Seit 2013 bin ich bei der IG Feministischer Theologinnen CH/FL tätig, sieben Jahre im Vorstand, davon zwei als Präsidentin und seit 2021 mit einem kleinen Mandat als Geschäftsleiterin. Die Grundlagen dafür bereit zu stellen, damit feministisch-theologisches Forschen weitergehen und (junge) Berufskolleginnen gestärkt werden können, entspricht mir sehr.

4. Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?

Als Theologin ist mir der bibelkritisch-feministische Ansatz nach Schüssler Fiorenza wichtig; als Ritualgestalterin der ökofeministische Ansatz nach Heide Göttner-Abendroth und Ursula Seghezzi, die ich im UMA-Institut in Norddeutschland kennengelernt habe; als spirituelle Begleiterin und Meditationslehrerin sind es u.a. Methoden aus dem Buddhismus  und der christlichen Kontemplation, primär aus der Erfahrungsquelle von Frauen; und als Yogalehrerin Asanas aus der buddhistischen (Lu Jong Yoga) und der hinduistischen Spiritualität (Hatha Yoga).

5. Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit? Wenn ja, welche?

Im privaten Umfeld stiess ich durchwegs auf Einverständnis und Unterstützung. Im politisch linken Spektrum, in dem ich mich mehrheitlich bewege, wurde eher mit Erstaunen und Skepsis auf meine Tätigkeit innerhalb der katholischen Kirche reagiert.

Im kirchlichen Umfeld stiess ich zuerst auf Offenheit, Neugierde und Entgegenkommen, war doch im Nachklang des Aufbruchs der 80iger Jahre auch die feministische Theologie en vogue. Natürlich gab es immer auch Widerstand von jenen, die die Tradition gefährdet sahen. Doch als der Missbrauchsskandal innerhalb der Kirche aufgedeckt wurde und es zu einem zunehmenden Exodus – gerade auch der fortschrittlichen Kirchgänger*innen – kam, begann der Wind zu drehen. Die Reputation der Kirche war in Gefahr. Kritik und Aufmüpfigkeit wurden immer weniger geduldet. Und das Rad begann sich rückwärts zu drehen…

In dieser Zeit engagierte ich mich auf nationaler Ebene in der Vorbereitung des kirchlichen Frauenstreiks vom 14. Juni 2019. In der damaligen Pfarrei in Bern bildeten wir ein ökumenisches Frauenkirchenkomitee, das zu einem Streikanlass vor Ort aufrief. Das kam dann bei meinen katholischen Kolleg*innen weniger gut an. Mein feministisch motiviertes Arbeiten stiess innerhalb der Pfarreiarbeit immer weniger auf Anklang. Es kam sogar so weit, dass ich dort meinen Platz als Theologin räumen musste.

6. Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?

Innerhalb der Gesellschaft können Frauenrechte nach und nach umgesetzt werden. Es findet ein parteiübergreifender Dialog statt. Die Forderungen der jungen Generation und der LGBTIQ-Bewegung werden diskutiert und erweitern die Wahrnehmung und Bewusstseinsentwicklung.

Innerhalb der Kirche wird aber nach wie vor Chancenungleichheit kultiviert. Die Macht bleibt in Männerhänden. Zu ihrer funktionalen Macht kommt die spirituelle Überhöhung dazu. Die Forderung der Frauen nach Gleichberechtigung werden zwar gehört, aber oft nicht einmal wirklich verstanden, geschweige denn umgesetzt. Die beiden gelebten Realitäten unterscheiden sich fundamental und klaffen immer weiter auseinander. So wird wohl noch lange die einzige Ordination der Frauen innerhalb der katholischen Kirche die Subordination bleiben.

Was ich mir wünsche? Gleichberechtigung.Punkt.Amen!

7. Was waren die Gründe, weshalb du dir eine Tätigkeit ausserhalb der Kirche gesucht hast?

Es sind unzählige Erfahrungen von Diskriminierungen, die ich mit vielen Berufskolleginnen teile, auch mit unzähligen anderen Frauen. Natürlich braucht es einen langen Atem, Ausdauer und Geduld, bis sich ein über Jahrhunderte gewachsenes System transformiert hat. Aber ob dieses überhaupt dazu fähig ist? Hat es sich nicht schon meilenweit von seinen Vorbild entfernt? Jesus war ein subversiver Kämpfer für die Rechte der einfachen Leute inkl. der Frauen und nicht ein Machtträger innerhalb eines religiösen Systems.

Ein weiterer Grund ist die Entfremdung zur konfessionellen Einengung des Glaubens. Die Erfahrung der Diskrepanz, innerhalb einer Liturgie einerseits den zunehmend traditionellen Kirchgänger*innen gerecht zu werden und andererseits authentisch zu bleiben, wurde für mich immer grösser und der Spielraum dafür immer kleiner.

Last but not least gibt es meist einen «letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte». Bei mir war es die Erfahrung der Ausgrenzung als Theologin vor Ort. Und weil es für mich keine Möglichkeit mehr gab, innerhalb der Landeskirche Bern aufzutreten, bin ich ausgetreten.

Seit drei Jahren bin ich selbstständig als Theologin, Kursleiterin und Ritualgestalterin tätig mit kleinen zusätzlichen Mandaten und wechselnden Jobs.

8. Wie bekommen für dich deine Überzeugungen (nach wie vor) Hand und Fuss?

In meiner Arbeit gibt es keine konfessionellen, religiösen oder kulturellen Grenzen, sei es in meinem freischaffenden Bereich oder in der psychiatrischen Klinik, in der ich als freie Theologin angestellt bin.

Ich arbeite mit Menschen auf Augenhöhe und nicht (mehr) von der Kanzel. Wir alle sind «Priester*innen» bzw. «spirituelle Menschen mit einer menschlichen Natur» (Willigis Jäger).

In der Gestaltung von Ritualen und Zeremonien nehme ich die Bedürfnisse und Wünsche meiner Auftraggebenden ernst und giesse sie mit ihnen in eine stimmige Form.

Mein spiritueller (Arbeits-) Raum ist oft draussen in der Natur. Ich achte darauf, dass die Rechte aller Wesen gewürdigt und notfalls geschützt werden. «Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will» (Albert Schweizer) oder mit der feministischen Theologin Rosemary Radford Ruether gesprochen: «Unsere Verwandtschaft mit allen Geschöpfen der Erde ist global und verbindet uns jetzt mit der ganzen lebendigen Schöpfung». Die Konsequenz daraus ist, dass ich mich auch politisch für die Biodiversität und die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes einsetze.

Danke für deine Antworten!
Das Interview führte Esther Gisler Fischer

Weitere aktuelle Infos: https://www.kath.ch/newsd/maria-regli-ich-musste-gehen-weil-bleiben-keine-option-mehr-war/