Interview mit Li Hangartner
1953, aufgewachsen in der katholischen Innerschweiz; im Blauring grossgeworden und als Leiterin und Ausbildnerin in der Kinder- und Jugendarbeit mit feministischen Fragen konfrontiert. Ich hätte gern in einer Pfarrei gearbeitet, was mir als alleinerziehende Mutter damals verwehrt wurde. Dass ich meinen beruflichen Weg im RomeroHaus und in der von mir mitgegründeten FrauenKirche fand, war ein grosses Privileg. Im RomeroHaus lernte ich auch meinen späteren Partner kennen, mit dem ich seit über zehn Jahren in Luzern zusammenlebe. Seit fünf Jahren geniesse ich es, mehr Zeit zu haben für uns, für den Garten, unterrichte leidenschaftlich gern Deutsch für Migrantinnen und bin eine glückliche Ruderin.
Wie bist du im Verlaufe deines Lebens zur Feministischen Theologie gestossen und welche Protagonistinnen haben dich da geprägt?
Begonnen hat es bereits im Studium. Nach dem Grundstudium von 1976-78 in Fribourg lebte ich zwei Jahre in Indien und studierte in Delhi Theologie. Am Vidyajyoti College of Theology lehrten namhafte Befreiungstheologen, die meinen weiteren Weg als feministische Theologin prägten. Bei meinen Aufenthalten in verschiedenen Pfarreien und Klostergemeinschaften lernte ich die praktische Seite der feministischen Theologie kennen: engagierte Klosterfrauen, die sich für die Rechte der landlosen und bildungsfernen Frauen in den dörflichen Gemeinschaften einsetzten; Jesuiten, die mich für die gewaltige Kluft innerhalb der indischen Gesellschaft und zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften sensibilisierten und die Redaktionsfrauen des unabhängigen feministischen Magazins Manushi (gegründet 1979), die im Stockwerk unterhalb meiner Dachwohnung in Delhi einquartiert waren. Durch Manushi wurde ich mit der sozialen Stellung und Benachteiligung der Frauen vertraut gemacht; erstmals hörte ich das Stichwort Femizid und welch grausame Praxis sich dahinter verbarg, las über die Ausbeutung der Frauenkörper durch die westliche Pharmaindustrie für die Erprobung noch nicht zugelassener Medikamente im Westen.
Zurück in Fribourg lernte ich in den Vorlesungen und Seminaren von Johannes Brantschen all jene feministischen Theologinnen kennen, die seit den 1970er Jahren publizierten: Catharina Halkes, Elisabeth Moltmann Wendel, Dorothee Sölle, Rosmary Radford Ruether, Mary Daly, Elga Sorge und andere. Sie haben mich auf dem Weg der feministischen Theologie geprägt. Was ich damals noch nicht wusste: Ich sollte später in meinem Beruf die Gelegenheit haben, die meisten von ihnen persönlich kennen zu lernen.
Wo warst du selbst tätig und hast Feministische Theologie mitentwickelt, auf die Welt gebracht und/oder weitervermittelt?
Im Wintersemester 1983/84, unmittelbar nach meinem Studienabschluss, konnte ich zusammen mit Brigitte Vielhaus das Seminar zu feministischer Theologie am Dogmatiklehrstuhl durchführen, ein Jahr später ein einwöchiges Blockseminar zu feministischer Theologie an der theologischen Fakultät der Universität Bern.
Mein beruflicher Weg war damals noch nicht vorgezeichnet, als alleinerziehende Frau war ich dringend auf eine Erwerbsarbeit angewiesen und arbeitete fünf Jahre bei der Caritas als Projektleiterin für die Fremdbetreuung gefährdeter Jugendlicher und junger Erwachsener in Familien. Feministische Theologie betrieb ich nebenbei: in der Redaktion der Zeitschrift FAMA, in Kursen, Weiterbildungen, Artikeln und Vorträgen. Erst 1989 ging mein Wunsch in Erfüllung, das, wofür mein Herz brannte, zu meinem Beruf zu machen. Ich begann im RomeroHaus als Bildungsverantwortliche und gleichzeitig als Leiterin der Fachstelle Feministische Theologie der FrauenKirche Zentralschweiz, eine Stelle, die ich über Jahre mit Heidi Müller und mit Silvia Strahm Bernet teilte.
Welchen Stellenwert hatte feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit und wie floss feministische Theologie in deine Tätigkeiten ein?
Mit der Gründung des Vereins Frauen und Kirche (später FrauenKirche Zentralschweiz) wollten wir konkrete Räume zur Verfügung stellen, die Frauen nutzen und gestalten konnten. Es bedeutete, einen geistig unabhängigen Raum zu schaffen und diesen kreativ, geistreich und inspirierend zu gestalten.
FrauenKirche war für uns nicht in erster Linie ein soziologischer Begriff, sondern bezeichnete die Option und die Perspektive, aus der heraus wir Christinnen sind, Theologie treiben und politisch handeln. Das Jahresprogramm von FrauenKirche Zentralschweiz lebte von den Interessen und dem Engagement der Vereinsfrauen zum einen und von den spezifischen Möglichkeiten der Fachstelle Feministische Theologie zum andern. Neue Formen des Feierns, Gedenkens und Besinnens wurden entwickelt; in Theologiekursen und Weiterbildungen kritische und neue Zugänge zu theologisch Bekanntem entwickelt und das ermutigende christliche Erbe für unser politisches Handeln fruchtbar gemacht. Diese Schwerpunkte – Liturgie, Reflexion und politisches Engagement – bildeten die drei Handlungsorte von FrauenKirche.
Feminismus und feministisch-theologische Befreiungstheologie gehörten seit der Gründung des RomeroHauses Luzern 1986 zum Profil und zu den Kernanliegen. Ich durfte in den Jahren 1989 bis 2017 die wichtigste Zeit und bedeutsamste gesellschaftliche Rolle der konfessionellen Bildungshäuser und Akademien im deutschsprachigen Europa mitprägen. Die zahlreichen feministischen Theologinnen aus dem globalen Norden und Süden, die im RomeroHaus zu Gast waren, haben nicht nur das Profil des Hauses, sondern auch die Arbeitsschwerpunkte innerhalb der FrauenKirche geprägt. Durch die Begegnung mit unseren theologischen Müttern und Schwestern haben wir gelernt, dass die heilschaffende Gegenwart Gottes sich in vielfältiger Weise offenbart. Ihre Arbeiten haben dazu ermutigt, unseren Glauben und unsere Theologie konkreter und kreativer werden zu lassen. Inspirierend für uns westliche Theologinnen war, dass vor allem für die Theologinnen aus dem globalen Süden wissenschaftliche Arbeit und praktisches kirchliches und gesellschaftliches Engagement zusammengehören.
Das RomeroHaus gibt es inzwischen nur noch als Name. Was bleibt, ist die Erinnerung – und Dankbarkeit, Teil dieses grossartigen Netzwerkes gewesen zu sein, das über die Schweiz hinaus Impulse geben konnte.
Welche Ansätze und Methoden sind dir besonders wichtig?
Wie bereits oben erwähnt, war mir die Verbindung von Politik und Spiritualität immer sehr wichtig. Wenn ich zurückblicke, dann zieht sich dies wie ein roter Faden durch meine Tätigkeiten sowohl im RomeroHaus als auch auf der Fachstelle Feministische Theologie und im persönlichen Leben. In einer Zeit, in der es zunehmend schwieriger wurde, beharrlich bei den beiden Kernthemen Feminismus und Christentum zu bleiben und die Klammer um diese beiden „Stichworte“ nicht aufzugeben, haben FrauenKirche und Fachstelle die Entwicklungen auch innerhalb der Kirchen entscheidend geprägt. Ohne die Möglichkeiten, in geschützten Räumen Formen des Feierns, Gedenkens und Besinnens zu entwickeln und sich theologisch weiter zu bilden, wäre es heute weniger selbstverständlich, dass Frauen Gottesdiensten vorstehen, predigen, taufen, beerdigen und Pfarreien leiten.
Gab es Reaktionen aus deinem Umfeld auf deine feministische Theologie/Arbeit?
Wenn ja, welche?
Luzern war ein katholisch geprägtes Milieu, das sehr offen war für feministische und feministisch-theologische Impulse und ein speziell gutes Pflaster für aufmüpfige Frauen. Es gab einmal, es war 1989, sehr harsche Kritik auf eine fünfteilige Pfarreiblattserie über Maria, nicht von offizieller kirchlicher Seite, sondern von rechtsgläubigen KatholikInnen. Ich erhielt über Wochen und Monate Drohbriefe und Anrufe. Auch während meiner ersten Jahre im RomeroHaus gab es kritische Briefe von Veranstaltungsbesuchern und die Forderung, mich zu entlassen, die jedoch allesamt vom damaligen Direktor Justin Rechsteiner beantwortet wurden.
Wie schätzt du die gegenwärtige Situation von Frauen in Kirche, Gesellschaft etc. ein? Was wünschst du dir für die Zukunft der Frauen?
Das ist eine grosse Frage. An der kirchlichen Basis hat sich viel getan. Feministische Theologien haben das Selbstverständnis von vielen Theologinnen und Theologen verändert. Für die Gemeindemitglieder sind Frauen in Ämtern vielerorts selbstverständlich geworden. Dass es eine grundsätzliche Auseinandersetzung zum Umgang mit Macht, zu den Themen Körperlichkeit und Sexualität in Kirche und Theologie immer noch schwer hat, hat unlängst der Synodale Weg in Deutschland gezeigt.
Auch gesellschaftlich eröffnen sich heute viel mehr Möglichkeiten der Lebensgestaltung für Frauen und Männer. Gleichwohl ist der Weg zur tatsächlichen Gleichberechtigung im Alltag, vor allem für Familien mit Kindern, zum Zugang zu Bildung, Gesundheit und demokratischer Mitgestaltung der Gesellschaft immer noch weit.
Wie bekommen für dich deine Überzeugungen nach wie vor Hand und Fuss?
Unsere Überzeugungen bekommen Hand und Fuss, indem wir in unnachgiebiger Geduld an den kleinen Dingen arbeiten. Ich lege die Bibel so aus, dass sie Menschen nicht beleidigt. Ich gestalte Gottesdienste, Abschiedsfeiern und Taufrituale so, dass die Schönheit der Formen und Gesten auftauchen. Und ich bleibe die Feministin, die ich in meinem Berufsleben viele Jahre war.
Vielen Dank für das spannende Interview!
Ester Gisler Fischer.