Feministische Theologinnen im Porträt: Evelyne Zinsstag
Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Feministische Theologie ist Teil meiner Hermeneutik der Frohen Botschaft, wie sie mir in der Bibel begegnet und ich sie als Pfarrerin für die Gemeinde auslege. Sie hat meinen Blick geschärft für die Verstrickungen der Einzelnen in menschlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Strukturen. Diese versuche ich im (Berufs)Alltag im Blick zu haben, und die innere Logik und Sinnhaftigkeit in scheinbaren Widersprüchen wahrzunehmen und anzuerkennen. Das gelingt natürlich nicht immer, doch hält mich diese Perspektive offen für überraschende Einsichten und Zugänge zur Vielfalt menschlichen Lebens – und Gottes Wirken darin.
Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein und wie kommt sie bei deinen Adressat*innen an?
Sie fliesst implizit ein in meine Haltung gegenüber den Menschen in der Gemeinde und expliziter in meine Auslegung der Bibel in der Predigt und an Bibelabenden. Ich mache etwa mein persönliches Erleben mit biblischen Texten sichtbar, um die ZuhörerInnen zum eigenen Umgang mit dem Bibeltext zu ermutigen. Auf solche Predigten erhalte ich häufig Reaktionen, die mich in dieser Herangehensweise bestätigen. Wenn mir zum Beispiel nach dem Gottesdienst eine widerspricht und mir ihre eigene Sicht des ausgelegten Textes erzählt. Oder mir einer sagt, ich hätte ihm aus dem Herzen gesprochen.
Wie beurteilst du das Verhältnis von ‚Feminismus‘ und ‚Gender‘ und wie haben diese beiden Konzepte einen Einfluss auf dein Theologietreiben?
Mithilfe von Gender-Analysen von Texten, Situationen, Gedanken, komme ich zu feministischen und feministisch-theologischen Überlegungen. Mit feministischen Haltungen und Interventionen komme ich mal zu guten (Streit)Gesprächen, mal zu neuen Einsichten, mal zu tatsächlichen Aufbrüchen.
Braucht es in den Kirchen noch ‚Frauenförderung‘ oder ist die Gleichstellung der Geschlechter schon Realität?
Es braucht in den Kirchen weiterhin ein Engagement für die Aufhebung von festgefahrenen Geschlechterordnungen und Machtstrukturen. Diese Arbeit sieht in jeder Kirche anders aus, doch bleibt sie in jeder Kirche notwendig. Die Gleichstellung der Geschlechter ist noch lange nicht erreicht.
Wie bekommen deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Durch Engagement und Teilnahme in diversen Netzwerken und Vereinen, und durch tägliches Üben, Scheitern und Leben.
Das Interview führte Esther Fischer Gisler, August 2019