Frau vom März-April 2019

Feministische Theologinnen im Porträt: Eveline Gutzwiller Perren, Klinikseelsorgerin

Welchen Stellenwert hat feministisches Gedankengut innerhalb deiner Arbeit?
Mein Blick auf das menschliche Zusammenleben ist immer auch ein feministischer: Gleich­be­rech­tigung und Selbstbestimmung, Wertschätzung und Ernstnahme von Frauen und ihren Anliegen sind für mich Grundlage meiner Seelsorgearbeit. Insbesondere meldet sich in mir fast „reflexartig“ eine „Hermeneutik des Verdachts“ (Schüssler Fiorenza), wenn es darum geht, Machtverhältnisse zu analysieren – sei dies unter Mitarbeitenden, in der Klinikhierar­chie, sei es in der Begegnung mit Patientinnen und Patienten beim Erzählen aus ihren Beziehungsgeschichten.

Wie fliesst feministische Theologie in deine Arbeit ein, und wie kommt sie bei deinen Adressatinnen an?
Auch hier ist mir das Instrument einer „Hermeneutik des Verdachts“ natürlich ganz wichtig: in meiner liturgischen Tätigkeit ziehe ich bei neutestamentlichen Texten immer den grie­chi­schen Urtext bei und erarbeite unter Beizug der Bibel in gerechter Sprache und Kommen­taren feministischer Exegetinnen eine eigene Übersetzung. Es ist mir wichtig, Frauen in verschiedenen Funk­tionen in der Bibel sichtbar zu machen und Gottesdienstbesuchende zu sensibilisieren für dama­lige Machtverhältnisse und Partikularinteres­sen und eine ent­sprechende Übertragung in unser heutiges Umfeld.
Feministisch-theologisches Denken liegt meinen Annäherungen an das Transzendentale und an Bilder von Gott zugrunde und findet seinen Niederschlag in Deutungsversuchen des Kreuzestodes von Jesus von Nazareth, sei dies in der Liturgie oder natürlich in Seelsorge­gesprächen, in denen es um Erfahrungen von Gewalt, Leiden, Schuld u.ä. geht.
Frauen reagieren oft überrascht ob der anderen Sichtweise. Neugieriges Rückfragen erlebe ich, nicht selten Erleichterung oder gar Freude.

Bist du eher anwaltschaftlich (feministisch) oder eher beschreibend (gender) unterwegs?
Ich bin mehrheitlich anwaltschaftlich unterwegs.

Braucht es in den Kirchen noch Frauenförderung, oder ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern schon Realität?
Als Theologin, die Mitglied der römisch-katholischen Kirche ist, kann ich nur nüchtern fest­halten: bevor ernsthaft von Frauen­förderung gesprochen werden kann, geht es um eine fundamentale Gleich­stel­lung. Die Kirchenleitung spricht zwar immer wieder von der Würde und Gottebenbildlichkeit von Mann und Frau, lässt jedoch weiter Theologinnen aufgrund ihres Geschlechts nicht teilhaben an der sakra­mentalen Ausgestaltung der Institu­tion Kirche, es sei denn zudienend, assistierend, als Lücken­büs­serinnen und Notlösungen. Mittlerweile haben diese Formen allerdings eine Vielzahl an soliden, neuen Realitäten geschaffen, die zumindest an der Basis Trampelpfade hinter­lassen.
Bei Frauenförderung wäre es sicher wichtig, Frauenrealitäten (Vereinbarkeit von Beruf und Familie) noch stärker zu berücksichtigen u.a. bei der Ausgestaltung der berufspraktischen Aus- und Weiter­bildung: i.e. Teilpensen, modulare Ausbildungsgänge etc.
Frauenförderung als einer Form von Antwort auf Diskriminierung muss von Kirchenhierar­chien jeglicher konfessioneller Couleur weiter betrieben werden, wollen christliche Kirchen – über den kirchlichen Tellerrand hinaus – glaubwürdig für die biblisch-christliche Botschaft einstehen, dass alle Menschen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, „Krankheitsstatus“, sexueller Ausrichtung, Alter etc. – gleichberechtigt sind und gleichberechtigt tätig sein können.

Wie bekommen für dich deine Überzeugungen Hand und Fuss?
Ich ermutige tagtäglich Patientinnen, ihren eigenen Erfahrungen Vertrauen zu schenken, sie ernst zu nehmen und persönliche Anliegen und Überzeugungen im Rahmen einer Therapie einzubringen. Mir ist es wichtig, Patientinnen und Patienten in ihren Ressourcen zu unter­stützen, im Sinne einer Selbst­ermächtigung und einer Sensibilisierung für Abhängigkeiten (Machtfrage). Ich äussere null Toleranz gegen­über jeglicher Form von Gewalt. Ich versuche, selber wach zu bleiben für den Wert „Gerechtig­keit“, d.h. nachfragen, abklären, vernetzen, nicht locker lassen, wenn Menschen – in der Mehr­heit Frauen – es selber nicht schaffen oder nicht gehört werden. Ich versuche die christ­liche Botschaft und meine feministische Grund­haltung in Gesprächen immer wieder dingfest zu machen in der Über­zeugung, dass Verän­derung möglich ist – auch eine noch so kleine. Ich brauche in einem Klinikalltag, wo die männliche Sprachform absolut dominiert – konsequent immer auch oder nur die weibliche Form, um Frauen und ihre Lebenswelten sichtbarer zu machen.

Das Interview führte Esther Gisler Fischer, Februar 2019