Die Leuenberger Konkordie wäre nicht nötig gewesen, wenn Martin Luther auf Katharina Zell gehört hätte. In Strassburg, wo die Ehefrau eines Reformators – oder wohl besser gesagt Reformatorin – lebte, trafen die beiden reformatorischen Strömungen, die lutherische und die zwinglianische auf einander. Die Strassburger Reformatoren Zell, Bucer, Cato gehörten dem lutherischen Lager an, standen aber in engem Kontakt mit Oekolompad, Zwingli, Calvin und anderen. Die lutherisch geprägte Strassburger Kirche war offen für Kontakte mit den „andern“, so stiegen Zwingli und Oekolompad auf dem Weg nach Marburg bei den Zell ab, bot Strassburg dem verfolgten Calvin Schutz, aber auch Täufern wie der Familie von Idelette de Bure und weiteren anders Denkenden.
Katharina und Matthäus Zell setzten sich engagiert für die Verständigung der beiden Hauptströmungen der Reformation ein. Nach dem Scheitern der Gespräche zwischen Zwingli und Luther schrieb Katharina dem von ihr hoch verehrten Martin Luther einen Brief, in dem sie diesen zur Rechenschaft zog, wegen seiner mangelnden Gnade Huldrych Zwingli gegenüber. Die Zells versuchten «die dem Evangelium folgen» zu versöhnen oder sie zumindest zu Toleranz und Akzeptanz zu bewegen, auch wenn sie sich nicht in Allem einig waren.
Nun aber zurück zu Katharina. In die Geschichte eingegangen ist die um 1497 in Strassburg als Tochter einer angesehenen Handwerkerfamilie geborene Katharina Schütz als sozialfürsorgerisch und seelsorgerlich engagierte Pfarrfrau und Laientheologin und theologische Schriftstellerin. Das gut gebildete Mädchen zeigte grosses Interesse an geistlichen Fragen und besuchte regelmässig die Gottesdienste beim Münsterpredigers Mattäus Zell, nahm auch darüber hinaus aktiv am kirchlichen Leben teil. Matthäus Zell war ein früher Anhänger der reformatorischen Idee und musste deshalb das heimatliche Freiburg i.Br., wo er als Professor amtierte, verlassen und kam als Münsterpriester ins offene Strassburg. Am 3. Dezember 1523 traute Martin Bucer den 46-jährigen Matthäus Zell mit der 26-jährigen Katharina Schütz im voll besetzten Münster. Die Priesterehe war zu jenem Zeitpunkt ein Skandal und so wurden sechs Priester des Bistums Strassburg exkommuniziert, unter ihnen Zell, Bucer und Capito, die drei führenden Reformatoren Strassburgs. Katharina ergriff selbst die Initiative und veröffentlichte 1524 eine 38-seitige Schrift «Entschuldigung Katharina Schützinn» in der sie ihren Ehemann und die Eheschliessung von Priestern verteidigt. Darin setzt sie sich mit der bestehenden Doppelmoral auseinander (dass die zölibatären Priester mit Konkubinen zusammen lebten, war damals üblich), begründet die Priesterehe biblisch und verwirft das Zölibat auch, weil es die Prostitution fördere.
Soweit die streitbare Laientheologin. Eine andere Seite, die hilfreiche Partnerin im Amt, die Pfarrfrau, die sich um Arme, Kranke, Leidtragende und Gefangene kümmert, zeigt sich in einer weiteren Schrift aus dem Jahr 1524 «Den leydenden Christglaubigen weybern der gemein zu Kentzigen minen mitschwestern in Christo Jesuszu handen», einem seelsorgerlichen Brief an die Frauen von Kenzingen, deren Männer aus der Stadt ausgeschlossen waren und fliehen mussten. Sie schreibt über die Verborgenheit Gottes und seine oft nicht leicht zu ergründenden Wege, nicht ohne ihre Aussagen fundiert biblisch zu begründen.
Das Münsterpfarrhaus glich einer Herberge. Die Zells nahmen nicht nur die durchreisenden Kollegen wie Zwingli und Oekolampad bei sich auf, während den Bauernkriegen betreute Katharina bis zu 100 Flüchtlinge in ihrem Haus, auch Schüler und Studenten gehörten zu den Bewohner. Die beiden eigenen Kinder waren beide im frühen Kindesalter verstorben.
Ein besonderes Anliegen war ihr die geistliche Begleitung der Laien. Für sie veröffentlichte sie eine Sammlung von geistlichen Liedern der Böhmischen Brüder, da ihre Kirche, wie sie fand, zu wenige Lieder für den Gebrauch des Kirchenvolkes bot. Damit auch einfache Leute in den Genuss der Sammlung kommen konnten, teilte sie die Sammlung auf in vier kleine und damit billige Büchlein. Bemerkenswert an dieser Sammlung ist das von Katharina verfasste Vorwort. Unter anderem begründet sie die Publikation, welche nicht nur zum Singen anleiten soll, sondern auch als Gebets-, Besinnungs- und Lehrschrift verstanden werden soll, damit, dass die Abschaffung des Kirchenjahres die Laien verunsichert hatte. Es gab keine Neuauflage der Liedersammlung, aber sie zeigte Wirkung, das Kirchenjahr wurde in protestantischer Form wieder aufgenommen und die späteren Strassburger Liederbücher waren eindeutig von dieser Sammlung beeinflusst.
Katharina Zell begleitete ihren Ehemann auf Reisen zu Luther nach Wittenberg, zu den Blarers nach Konstanz und mehr. Sie war in Kontakt mit vielen Reformatoren, aber auch mit den andern «Pfarrfrauen».
Ganz wichtig ist die Tatsache, dass Katharina Zell Schütz nachgewiesenermassen öffentlich gepredigt hat. Sie wurde nicht ohne Grund von ihrem Mann seine «Helfer» genannt, was im damaligen Sprachgebrauch so viel wie Hilfsprediger hiess. Sie sprach am Grab ihres Mannes. Auch nach seinem Tod wirkte sie weiter sowohl fürsorgerisch wie auch schriftstellerisch. Besonders war ihr Kontakt mit den verfolgten Täufern und Caspar von Schwenckfeld, was ihr nicht nur Freunde einbrachte. So hielt sie die Trauerrede für eine verstorbene Täuferin, nachdem sich die Theologen, die zweite Generation war bedeutend weniger tolerant, geweigert hatten. Auch eine weitere Grabrede ist nachgewiesen.
Zu Recht kann Katharina Zell Schütz als Reformatorin bezeichnet werden, auch wenn sie zusammen mit allen Pfarrfrauen der ersten Generation auch das Bild der protestantischen Pfarrfrau geprägt hat. Sie selbst bezeichnete sich als Kirchenmutter.
Quellen:
Domröse Sonja: Frauen der Reformationszeit
Giselbrecht Rebecca A., Scheuter Sabine Hrsg.: „Hör nicht auf zu singen“
McKee Elsie Anne: Reforming Popular Piety in Sixteenth-century Strasbourg – Katharina Schütz Zell and Her Hymnbook
Webpages: Wikipedia, Biographische-Bibliographisches Kirchenlexikon, Glaubenszeugen Ökumenischer Namenkalender, Frauen und Reformation.de
Bild: moderne Wandmalerei am „Reformationsgarten” – Das Künstlerhaus in der Schillerstraße 32–42 in Wittenberg.
Text verfasst von Eva-Maria Fontana