Unsere gnädige Frau Katharina von Zimmern
Katharina von Zimmern war nur gerade 18 Jahre alt, als sie im Jahr 1496 vom Fraumünster-Konvent zur Äbtissin gewählt wurde. Als Fürstäbtissin war sie nominell noch immer Zürcher Stadtherrin und damit eine wichtige gesellschaftliche und politische Figur. Ihre Konkurrentin wurde vom Bischof von Chur unterstützt, hinter Katharina stellten sich der Rat von Zürich, der Abt von Stein am Rhein und die Stadt Rottweil. (Das Bild zeigt die Altartafel von Hans Leu dem Älteren – Panoramansicht des linksseitigen Limmatufers mit dem Fraumünster.)
Bereits 1491war Katharina 13jährig zusammen mit ihrer älteren Schwester in die Abtei aufgenommen worden. Aufgewachsen war sie im Schloss Messkirch südlich von Sigmaringen. Zweimal musste die Familie vor der Pest auf die Burg Wildenstein ausweichen. Ihr Vater, Graf Johann Werner, ein begabter Diplomat, Gelehrter und Musiker, wurde 1488 nach Intrigen eines Erzfeindes vom Kaiser in Bann gesetzt und musste fliehen. Die Mutter, die vorerst mit ihren acht Kindern allein im Schloss zurück blieb, wurde gezwungen ihre ganze Habe dem Feind zu übergeben und Messkirch ebenfalls zu verlassen. Einen Teil der Kinder konnte sie, zum Teil auf abenteuerliche Weise, an sicheren Orten unterbringen, der Rest der Familie fand Unterschlupf in Weesen am Walensee. Dies in einer bewegten Zeit: Der Waldmannhandel war in vollem Gange, anlässlich eines dramatischen Volksaufruhrs wurde der Zürcher Bürgermeister hingerichtet. Katharina als damals elfjähriges, aufgewecktes Mädchen hat dies mit Sicherheit mitbekommen. Das Ereignis hat Zürich für Jahrzehnte geprägt. In Weesen lebte übrigens gleichzeitig auch der sechs Jahre jüngere Ulrich Zwingli bei seinem Onkel, der dort Pfarrer war. Sie werden wohl miteinander gespielt haben.
Die Aufgabe, die die Achtzehnjährige antrat, war gross. Sie stand dem Konvent von vier Stiftsdamen und sieben Chorherren vor. Der Verwalter der Klostergüter wurde vom Rat der Stadt gewählt, die letzte Verantwortung jedoch lag bei ihr, Beschlüsse und Verträge wurden von ihr gesiegelt. Katharinas Klosterführung war ausgezeichnet. Sie konnte vier neue Stiftsdamen aufnehmen. Nach vier Jahren waren die Schulden ihrer Vorgängerinnen abbezahlt. Sie entfaltete eine reiche Bautätigkeit und engagierte renommierte Künstler zur Ausstattung von Abtei und Kirche. Das grosse Abteigebäude, das sie bauen liess, wurde erst 1896 abgebrochen, das reich geschmückte Empfangs- und das Gastzimmer sind heute im Landesmuseum zu besichtigen. Wichtige offizielle Besucher der Stadt wurden zuerst von der Äbtissin empfangen. Sie verfügte über das Prägerecht für die kleinste Münze, ernannte den Schultheissen (Polizeichef), den Gerichtsweibel und den Gerichtsschreiber. Ebenso lag bei ihr noch das alte Begnadigungsrecht, das sie auch ausübte. Der jungen Katharina wurden diese Fähigkeiten zugetraut, ebenso die Verwaltung der riesigen Güter der Abtei, die bis ins Urnerland hinein reichten, vergleichbar wohl mit einem heutigen Grosskonzern. Sie hatte das Recht, Güter zu kaufen und zu verkaufen (Leute, Höfe und ganze Dörfer) und allein zu handeln. Sie hatte jedoch längst nicht mehr so viel Einfluss wie ihre Vorgängerinnen.
Dann aber trat Katharina von Zimmern am 8. Dezember 1524 nach 28 Jahren als Äbtissin von ihrem Amt zurück und übergab die Abtei mit allem Besitz und mit allen Rechten der Stadt Zürich.
Fünf Jahre waren vergangen, seit Ulrich Zwingli 1519 in Zürich seine Stelle als Leutpriester (Stadtpfarrer) angetreten hatte und damit begann, in seinen Predigten das Evangelium auszulegen und die Bibel zu übersetzen. Er forderte die Menschen auf, die Bibel selber zu lesen und wollte zurück zu den einfachen Glaubensaussagen des Neuen Testamentes unter Einbezug des damaligen Wissens.
Davon, wie Katharina darüber dachte, haben wir keine schriftlichen Zeugnisse. Wir haben eine einzige Bemerkung Zwinglis über die Äbtissin: „Sie gehört zur Partei Christi und brächte es nicht fertig, mir etwas abzuschlagen.“ Sie liess ihn am Markttag, an dem viele Bauern auf dem Münsterhof ihre Produkte verkauften, im Fraumünster predigen. Damit bekamen auch Menschen von ausserhalb der Stadt Gelegenheit, ihn zu hören.
In den leidenschaftlich ausgetragenen Auseinandersetzung um den Glauben widmeten verschiedene Autoren von beiden Seiten Katharina von Zimmern ihre Schriften und versuchten, sie von ihrer Sicht zu überzeugen. Erst vor 20 Jahren ist ein Buch aufgetaucht, in dem zwölf reformatorische Schriften aus den Jahren 1522-1524 zusammengestellt sind, schön gebunden, zwei Schriften sind handschriftlich Katharina gewidmet. Sie muss die Schriften gesammelt haben. Der Einband stammt aus der Zeit. Im Protokoll der Ratssitzung, in welcher sie ihre Entscheidung bekanntgab steht, dass es etliche Aufwiegler gebe, die es gerne gesehen hätten, wenn sie bei den Eidgenossen oder beim Bischof von Konstanz Hilfe geholt hätte. Das aber hätte der Stadt Zürich grosses „Ungemach und Unfrieden“ und wohl eine kriegerische Auseinandersetzung mit Blutvergiessen gebracht. Das wollte sie nicht. In der Übergabeurkunde schreibt sie, sie habe nach Erforschung ihres Gewissens, „gut und willig und nicht gezwungen“, nachdem sie sich mit ehrbaren Leuten besprochen habe, auf die Hoheits- und Besitzrechte der Abtei verzichtet, weil die Zeit und wie sich die Dinge gestalteten es erfordere. Sie hat die Zeichen der Zeit erkannt. Sie gab damit alles auf, Amt, Position, Wohnort und die Verbindung zur altgläubig gebliebenen Familie, die ihren Entscheid verurteilte.
Katharina von Zimmern hat sich mit 47 Jahren nochmals auf ein ganz neues Leben eingelassen. Kurz nach der Übergabe heiratete sie und brachte noch zwei Kinder zur Welt. Ihr Ehemann Eberhard von Reischach war vor der Heirat vom Zürcher Rat zum Tode verurteilt worden, weil er als Söldnerführer verbotenerweise junge Männer angeheuert und nach Württemberg in den Krieg geführt hatte. Katharina zog zu ihm nach Schaffhausen, dann nach Diessenhofen. Reischach wurde später begnadigt, kehrte zurück und kämpfte für Zürich, er fiel 1531 in der Schlacht bei Kappel. Katharina von Zimmern lebte noch 16 Jahre als Witwe, davon die letzten sieben im Haus zum Mohrenkopf am Zürcher Neumarkt, zusammen mit ihrer Tochter Anna. Fünfmal ist sie in den Taufbüchern des Grossmünsters als Patin eingetragen, zuerst unter dem Namen Catrin von Ryschach, den die Historiker zunächst allerdings nicht mit ihr verbanden. Sie hat damit wie viele Frauen vor und nach ihr mit der Heirat und dem neuen Namen ein Stück Identität verloren. Und anscheinend wieder gewonnen: 1545, zwei Jahre vor ihrem Tod, wird sie nochmals Patin, zusammen mit dem berühmten Stadtarzt Jacob Ruoff, und hier wieder unter „Fr. Cathrina Äbtissin“. Nur für das Fraumünsteramt, das die Klostergüter nach der Übergabe verwaltete und ihr pünktlich die vereinbarte jährliche Rente und 1537 eine einmalige Vergütung für das Wohnrecht auszahlte, und dies in den Rechnungsbüchern sorgfältig aufführte, blieb sie durch alle Jahre hindurch bis zum Schluss „unsere gnädige Frau“.
verfasst von Irene Gysel