Die Frau vom Monat Mai-Juni ist eine der Frauen, die frau kennen sollte rund um die Ereignisse, welche zur Reformation geführt haben. Der Spruch „Mutwillig und lustig dem Herrn dienen“ könnte als ihr Lebens- und Glaubensmotto verstanden werden und zur Überschrift des folgendes Portraits. Es wurde von Dr. Urte Bejick verfasst und erscheint auch auf: www.frauen-und-reformation.de
An der Delegiertenversammlung der Evangelischen Frauen Schweiz wird am 29. April der Fokus auf den Beitrag der Frauen zur Reformation gelegt. Weitere Infos unter: www.efs-fps.ch
Lebensdaten
Margarete Blarer (unter weiteren Namen bekannt als Margarete Blaurer, Margarete Blorer) wurde 1493 in Konstanz geboren. Die Familie Blarer stammte aus ursprünglich aus Thurgau, gehörte zu den wohlhabenderen und war im Rat der Stadt vertreten. Margaretes Brüder Thomas (1501-1567) als Bürgermeister und Ambrosius (1492-1564) als Prediger waren massgeblich an der Reformation der Stadt Konstanz beteiligt.
Margarete Blarer führte eine reiche Korrespondenz, sie las und kommentierte theologische Schriften, ermöglichte ihrem Bruder durch Geschäfte im Leinenhandel eine ungestörte, unbesoldete Tätigkeit im Dienst der Kirche und wirkte über Kindererziehung und Armenfürsorge auf die soziale Ausgestaltung der Reformation in Konstanz ein. Sie starb 1541 an den Folgen der Pest.
Nach Margarete Blarer sind zahlreiche diakonische Einrichtungen der Jugend- und Altenhilfe im süddeutschen Raum benannt.
Beziehungen
„Doch Ihr sagt: wo Christus Meister, sei man nicht meisterlos, und dabei bleibe es.“ Dieses Bekenntnis zur Ehelosigkeit ( „Meisterlosigkeit“) ist einer der wenigen Sätze von Margarete Blarer, die überliefert sind. Quelle für Leben und Wirken dieser schreibfreudigen und politisch engagierten Frau sind die Briefe, die ihre Brüder und vor allem der Strassburger Reformator Martin Bucer (1491-1551) an sie geschrieben haben; ihre eigenen Briefe liegen nicht mehr vor.
Dank ihrer Herkunft als Tochter eines Konstanzer Kaufmanns und Ratsherren genoss Margarete Blarer eine humanistische Bildung. Die humanistische Theorie ging davon aus, dass Menschen nicht als solche geboren, sondern dazu „gebildet“ würden; dies galt auch (zumindest theoretisch) für Frauen.
Diese „Menschwerdung“ setzte aber den Zugang zur klassischen Literatur, die Möglichkeit zu gelehrter Kommunikation, Mobilität und eine materiell abgesicherte Musse voraus. Diese Verfügung über die eigene Zeit, den eigenen Raum, war den meisten Frauen in der Regel verwehrt. Auch ausgedehnte Bildungsreisen, wie sie männliche Humanisten sich leisten konnten, waren Frauen kaum möglich. Dennoch hatte die junge Margarete Blarer die Möglichkeit, mit ihren Brüdern zusammen Latein zu lernen und in ihrer Gesellschaft Kontakt zu führenden Gelehrten aufzunehmen.
Nach dem Tod ihres Vaters pflegte Margarete Blarer ihre Mutter und führte den elterlichen Leinenhandel weiter. Dies schränkte ihre Musse zu weiteren Studien ein, sicherte ihr aber auch Unabhängigkeit und Freiheit. Margarete verspürte weder die Neigung zu heiraten, noch in ein Kloster zu gehen. Ihre Brüder Thomas und Ambrosius wandten sich nach 1519 der Reformation zu; Ambrosius floh aus dem Kloster Alpirsbach und wurde von Margarete versteckt. Die Stadt Konstanz bekannte sich früh zur Reformation, auch, um von dem in Meersburg residierenden Bischof unabhängig zu werden. Über ihre Brüder Ambrosius und Thomas, der eine seit 1525 Reformator, der andere Bürgermeister von Konstanz, und ihre Neffen, die Ratsherren Konrad und Johannes Zwick hatte Margarete Blarer Anteil an der Reformation der Stadt. Sie stand in Briefwechsel mit süddeutschen Reformatoren, insbesondere mit Martin Bucer. Eine Zeit lang stand sie in brieflichem Austausch mit Katharina Schütz (Zell); dieser war allerdings von Martin Bucer initiiert worden, damit Blarer mässigend auf die nach seinem Dafürhalten allzu selbstbewusste Strassburgerin einwirken sollte. Bucer war Diskussionspartner in theologischen und politischen Fragen, regte Margarete zur Wiederaufnahme ihrer Studien an, paktierte aber auch mit den Gebrüdern Blarer, sobald der Studieneifer ihrer Schwester zur Vernachlässigung der Haushaltung, sprich: deren Versorgung, führte.
Wirkungsbereich
Bereits vor ihrer Zuwendung zur Reformation galt Margarete als „erudita“, als eine gebildete, des Lateins kundige Frau, wie sie in Norditalien und Deutschland in den grossen städtischen Kaufmannsfamilien ihr Leben gestalten konnten. Über ihre Brüder und Vettern hatte Margarete Blarer Einfluss auf die Reformation der Stadt Konstanz.
Aufgrund ihrer Freundschaft und des regen Briefwechsels mit Martin Bucer wurde sie von diesem um Vermittlung im Abendmahlsstreit gebeten – Bucer vertrat eine gemässigte Auffassung der „Wandlung“, die von reformatorischer Seite als Zugeständnis an die katholische Kirche gewertet wurde. Margarete Blarer kam dem Wunsch ihres Freundes nicht nach, vertrat den reformatorischen Standpunkt: „Ihr sagt: ‚Wir wissen, dass wir uns nicht einigen werden, und wollen nicht umsonst Ärgernis geben’. […] Ich fürchte, Ihr vertraut zuviel auf Euere Klugheit […] was die ‚conspirationes’ und ‚concepta verba’ der Schrift nach Ewigkeit […] das Wort von den Ärgernissen habt wahrlich Ihr zu fürchten, die Ihr hartnäckig das einzige Mittel zu ihrer Beseitigung zurückweist. […] Doch wir lieben Euch wahrhaft und sind darum betrübt,“ klagt Martin Bucer und bezeugt durch die Zitate das theologische Denken Blarers. Bei der Ablehnung von Bucers Abendmahlsverständnis ging es auch politisch darum, keine Zugeständnisse an den Bischof in Meersburg zu machen, was letztlich mit dazu beitrug, dass die Konstanzer die „Wittenberger Konkordie“ nicht unterschrieben und sich an den reformatorischen Gemeinden der Schweiz orientierten.
Vor allem aber ist Margarete Blarer für ihr karitatives Wirken bekannt. „Privat“ versorgte sie in ihrem Haus Kranke, Vertriebene und Waisenkinder, wobei ihr besonders die Unterrichtung der Kinder am Herzen lag. Auch ihr Neffe Johannes Zwick sorgte sich um die Bildung von Kindern, und 1531 wurde in Konstanz eine „Deutsche Schulordnung“ erlassen. Die religiöse Unterweisung der Kinder in Margarete Blarers Haus entsprach der Praxis des Konstanzer Waisenspitals, wo die Kinder Predigten und vor jedem Essen Bibellesungen hörten.
Mit und für Frauen gründete Margarete Blarer einen Armenverein. 1537 selbst von schwerer Krankheit genesen, wandte sie sich der öffentlichen Krankenpflege zu, während der grossen Pestepidemie 1541 besuchte sie zusammen mit Johannes Zwick die Kranken im Pestspital, was beide im selben Jahr das Leben kostete. Schon zu Lebzeiten galt Margarete Blarer als diaconissa ecclesiae Constantiensis.
Reformatorische Impulse
Margarete Blarer verkörperte das humanistische, „vor-reformatorische“ Ideal der gebildeten Frau. Ihre umfassende Bildung wie ihre finanzielle Unabhängigkeit ermöglichten ihr ein eheloses Leben, das sie ihren Geschäften, ihren Studien und ihrer Korrespondenz sowie der Fürsorge für Waisen, Arme und Kranke widmete. Eines wollte sie ganz sicher nicht: einen „Eheherrn“, der „eine recht Niedrige begehrt, die sich mehr als Dienerin denn als Herrin fühlte“ (so Martin Bucer in einem Brief). Für die Entfaltung solch einer weiblichen Lebensform war die Reformation eher ein Rückschritt: Durch die Auflösung von Klöstern, die Ausweisung der Beginen 1527 und später der Tertiarinnengemeinschaften wurden nicht-eheliche Lebensmöglichkeiten und Wohnformen von Frauen stark beschnitten. Ausserdem ging der Konstanzer Rat, nicht zuletzt durch massiven Druck der Blarer-Brüder, gegen jede Form der „Unsittlichkeit“ vor: 1524 wurde ein Ehegericht geplant, 1527 ein Gesetz gegen Ehebruch und Konkubinat erlassen. 1531 erliess die Stadt Konstanz eine „Zuchtordnung“. „Ledig frowen“, denen ein unordentlicher Lebenswandel nachgesagt wurde, konnten der Stadt verwiesen oder mit Turmhaft bestraft werden.
Mit den Beginengemeinschaften wurden auch die traditionellen Instanzen für Krankenpflege und Totenversorgung aufgelöst. Margarete Blarer versuchte als „Diakonin“ Kindererziehung und Bildung, Armenversorgung und Krankenpflege nicht nur im eigenen Haus durchzuführen, sondern als öffentliche Aufgabe zu installieren. Sie war – aufgrund ihrer Herkunft und familiären Verbindungen – eine „Ausnahmefrau“. Ihre Lebensweise konnte sich in der Reformation als Rollenmodell nicht durchsetzen, ebenso wenig wie ihr „Diakonat“.
Nach Margarete Blarer sind in Baden-Württemberg diakonische Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe benannt. Dies erinnert an ihr diakonisches Wirken. Ihre humanistischen Wurzeln, ihr Versuch das auch von Luther noch anerkannte „Charisma“ des selbstständigen weiblichen Lebens zu leben, sollte darüber nicht vergessen werden.
Kommentar
Margarete Blarer versuchte ein neues Lebensmodell für Frauen, das sich der Alternative „Ehe“ oder „Ordensgemeinschaft“ entzog. Sie lebte „mitten in der Welt“ als Kauffrau, widmete sich der eigenen Bildung und Lektüre, war aber gleichzeitig anderen Menschen zugewandt. Hilfe leistete sie nicht allein im privaten Rahmen, sondern immer auch im öffentlichen Raum. Sie rettete eine ursprünglich monastische Lebensform, die Frauen Bildung ermöglichte und die der Wohltätigkeit gewidmet war, in das Alltagsleben. Konnte sich ihr Lebensmodell in der Reformation nicht durchsetzen, bietet es doch heute ein attraktives Vorbild: ein finanziell unabhängiges Frauenleben, mit oder ohne Partner, kulturell interessiert, politisch engagiert, einem gewissen Wohlstand nicht abgeneigt, aber auch nicht daran festklammernd, grosszügig und sozial engagiert.
Sekundärliteratur
Bejick: Margarete Blarer, in: A. M. von Hauff (Hg.), Frauen gestalten Diakonie. Bd.1: Von der biblischen Zeit bis zum Pietismus; Stuttgart 2007, 295-304.
Bejick, Deutsche Humanistinnen, in: E. Kleinau/C. Opitz (Hgg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 1, Frankfurt u.a. 1996, 152-171.
Heinsius, Frauen der Kirche am Oberrhein, Lahr 1978.
Quellenschriften
Von Margarete Blarer sind keine schriftlichen Zeugnisse überliefert, nur die Briefe Martin Bucers an sie sind erhalten. Die Korrespondenz Bucers wird gegenwärtig neu ediert, Briefe an Margarete Blarer in: Martin Bucer, Briefwechsel/Correspondance Bd. 6, hrsg. v. R. Friedrich u.a., Leiden/Boston 2006.