Elisabeth Gössmann, geb. 1928 in Osnabrück, ist eine der ältesten Pionierinnen der Feministischen Theologie – und unsere Frau des Monats September. Trotz schulischer und anderer Probleme durch den Zweiten Weltkrieg, konnte sie ihren Wunsch, Theologie zu studieren, verwirklichen. Sie gehörte dann zu den ersten Frauen, die in München bei Prof. Michael Schmaus promovierten (1954), und zwar zu einer Zeit, in der dies an anderen Katholisch-Theologischen Fakultäten in Deutschland für eine Frau noch nicht möglich war. In vielen Promotionsordnungen gab es noch bis Ende der 60er Jahre eine sog. Weiheklausel, d.h. für einen Dr.theol. war eine «höhere Weihe» Voraussetzung, was automatisch alle Frauen ausschloss.
Jahrelang arbeitete Elisabeth Gössmann dann zusammen mit Joseph Ratzinger am Grabmann-Institut der Universität München. Sie waren somit Kollegen, und Elisabeths wissenschaftliche Begabung war derjenigen Ratzingers sicher nicht unterlegen. Trotzdem: Welch eine unterschiedliche Laufbahn war den beiden beschieden! Für sie galt eben «Geburtsfehler: weiblich», so hat sie ihre Biographie benannt, die 2003 in München erschienen ist. Ihre Habilitation konnte sie, obwohl sie ein theologisches Thema behandelte (Summa theologica Halensis), aus obigem Grund nicht an der Theologischen Fakultät einreichen, sondern sie musste auf die Philosophische Fakultät in München ausweichen. Sie reichte sie dort 1963 ein, ihre Urkunde trägt aber das Datum von 1978!
Seit 1972 bewarb sich Elisabeth Gössmann 37x für eine Dozenten- bzw. Professorenstelle in Deutschland, sie wurde regelmässig abgelehnt, am Schluss sogar mit der Begründung, sie sei «überqualifiziert».
1954 ging sie erstmals durch Beziehungen zu Jesuiten an der Sophia Universität nach Japan, zunächst nur für kürzere Etappen, später war sie dann wegen der fehlenden Akzeptanz in Deutschland über 30 Jahre dort tätig, allerdings unter Aufgabe der Muttersprache und auf einem theologisch stark reduzierten Feld. Zuerst lehrte sie an der Sophia-Universität Tokyo deutsche Literatur des Mittelalters auf englisch, später an der Seishin-Frauen-Universität als Professorin für «christian philosophy» in japanischer Sprache. In dieser langen Zeitspanne fand sie nie die Zeit, um japanisch schreiben zu lernen, sondern sie musste ihre japanischen Lehrveranstaltungen mit Hilfe einer Japanerin immer phonetisch notieren, um dann die Vorlesungen halten zu können. Sprechen konnte sie fliessend Japanisch. Während aber ihre beiden Töchter japanische Schulen besuchten und in Wort und Schrift sich darin ausdrücken konnten, hat sie es immer bedauert, dass sie dafür nie die Zeit gefunden hatte.
Ein großes Vorhaben war für Gössmann schon 1982 die Reihe mit dem Namen «Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung», die für zehn Bände geplant war. Der erste Band ist 1984 erschienen («Das wohlgelahrte Frauenzimmer»). Der zweite Band war ausdrücklich «Eva» gewidmet («Eva – Gottes Meisterwerk», 1985). Insgesamt konnten neun Bände erscheinen, wobei der Sonderband 9 über Hildegard von Bingen, sicher ihre Lieblingsgestalt im Mittelalter, herausragt.
Arbeit von Elisabeth Gössmann wurde fortgesetzt beim «Wörterbuch der Feministischen Theologie», an dem gemeinsam mit evangelischen und katholischen Theologinnen rund vier Jahre gearbeitet wurde, bis 1991 das erste feministisch-theologische Wörterbuch weltweit beim Gütersloher Verlag erscheinen konnte. Auch an der stark überarbeiteten 2. Auflage 2002 war sie massgeblich beteiligt. Aus der Zusammenarbeit mit anderen Theologinnen ist auch eine Tagung über Maria entstanden, die zu einem Buch geführt hat, an dem u.a. Anne Jensen (1941-2008) und Herlinde Pissarek Hudelist (1932-1994) beteiligt waren («Maria – für alle Frauen oder über allen Frauen?», Freiburg 1989). Dies ist deswegen erwähnenswert, da Gössmann auch ihre Dissertation Maria gewidmet hatte («Die Verkündigung an Maria im dogmatischen Verständnis des Mittelalters», München 1957).
In den Jahren, nachdem Elisabeth Gössmann die Altersgrenze für eine Berufung in Deutschland überschritten hatte, erhielt sie mehrere Ehrendoktorate, so in Graz, in Frankfurt und in Luzern. Dort bekam sie 1997 auch den Herbert Haag-Preis zusammen mit Elisabeth Moltmann-Wendel. Häufig fühlte sie sich durch die späten Ehrungen etwas getröstet, aber eine gewisse Bitterkeit über die jahrzehntelange Zurücksetzung war trotzdem nicht zu übersehen.
Seit mehreren Jahren ist Elisabeth Gössmann sehr krank und lebt in ihrer Wohnung in München.
verfasst von Prof. Dr. Helen Schüngel-Straumann