Am 30. Mai feiert die «Helen Straumann-Stiftung für Feministische Theologie» ihr 20-jähriges Bestehen: Anlass, eine der Pionierinnen der Feministischen Theologie als Frau des Monats Mai zu würdigen! Helen Schüngel-Straumann, geb. 1940 in St. Gallen, studierte Theologie in Tübingen, Paris und Bonn. Nach Lehrtätigkeit an verschiedenen Schulen und Hochschulen im Rheinland war sie von 1987-2001 bis zu ihrer Pensionierung Professorin für Biblische Theologie an der Universität Kassel.
Helen Schüngel-Straumann gehört zu jener Generation von Theologinnen, die noch ein „Exotikum“ unter ihren männlichen Kollegen waren und sich ihre akademische Position als Doktorin und Professorin der Theologie – ganz ohne Mentoring und Frauenförderungsprogramme – hart erkämpfen mussten. In ihrer Autobiografie „Meine Wege und Umwege. Eine feministische Theologin unterwegs“ zeigt sie eindrücklich auf, welche Hindernisse und Umwege eine Frau in den 1960er Jahren auf sich nehmen musste, um als eine der ersten Frauen in katholischer Theologie zu promovieren. Und welchen Spagat es bedeutete, Schwangerschaft und Wissenschaft, Mutterschaft und Dissertation zu verbinden – zu einer Zeit als galt: eine Frau, die schwanger wird, ist für die Wissenschaft verloren! Trotz aller universitären Intrigen und Widerstände schaffte es Helen Schüngel-Straumann 1987 dann doch, als promovierte Alttestamentlerin eine Professur für Biblische Theologie an der Universität Kassel zu bekommen und endlich, mit 47 Jahren, als Professorin zu lehren.
Ihre Erfahrungen als Frau in einer von Männern dominierten Theologie und Kirche waren der Motor, sich daneben unermüdlich für die Rechte von Frauen in der römisch-katholischen Kirche und der theologischen Wissenschaft einzusetzen. Denn wie sie anhand ihrer eigenen Geschichte erkannt hatte, war es nicht ihre persönliche „Schuld“, dass ihr als Frau eine ihren Fähigkeiten entsprechende Karriere verwehrt oder zumindest erschwert wurde, sondern gesellschaftliche und kulturelle Gründe, ein struktureller Sexismus und ein negatives Frauenbild in Gesellschaft und Kirche. Gegen den Mythos von der „Schuld der Frau“, den viele Frauen ihrer Generation verinnerlicht hatten, richtete sich denn auch eine ihrer feministisch-theologischen Studien, die bis heute ein „Bestseller“ geblieben ist: „Die Frau am Anfang. Eva und die Folgen“ (1989). Nachdem sie viel über ein nicht-männliches Gottesbild und Frauen in der Bibel gearbeitet hatte, untersuchte sie im „Eva-Buch“ die frauenfeindlichen Auslegungen, die aus Eva, der ersten Frau, die Ursache allen Übels, die Verkörperung der Sünde gemacht haben. Schicht um Schicht trägt sie die negative Auslegungsgeschichte ab, bis sie zu den Bibeltexten selbst vorgedrungen ist, und zeigt: Diese sind keineswegs so frauenfeindlich, wie wir sie durch eine patriarchale Brille zu lesen gelernt haben! 2014 ist das Buch in einer neuen Version erschienen, mit dem Fokus auf die Rezeption des Eva-Mythos in Kunst, Literatur und Geschichte. Unzählige Frauen haben durch Helen Schüngel-Straumanns neue, feministische Lesart biblischer Texte den Ballast eines über Jahrhunderte tradierten negativen Frauenbildes abwerfen und ein neues Selbstbewusstsein als Töchter Gottes entwickeln können. Überhaupt zeichnet sich Helen Schüngel-Straumann bis heute dadurch aus, dass sie Forschungsergebnisse der (feministischen) Theologie in verständlicher und anschaulicher Weise an ein breites Publikum vermitteln und befreiende Prozesse in Gang setzen kann. Mit unzähligen Vorträgen und Tagungen an Akademien und Bildungshäusern, an Kirchentagen und an Katholikentagen hat sie so über viele Jahre zur Verbreitung Feministischer Theologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz beigetragen.
Daneben hat sich Helen Schüngel-Straumann in Netzwerken und Projekten feministischer Theologinnen engagiert: So war sie Gründungsmitglied der 1986 gegründeten ESWTR (Europäische Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen) und von 1995-1997 deren Präsidentin. 1991 gab sie mit anderen Pionierinnen der Feministischen Theologie im deutschen Sprachraum das „Wörterbuch der Feministischen Theologie“ heraus, ein Standardwerk, das 2002 in aktualisierter und grundlegend erweiterter Form neu aufgelegt wurde. Und 1996 gründete sie dann jenes Projekt, das sie seit ihrer Pensionierung mit viel Herzblut betreibt: die Helen Straumann-Stiftung für Feministische Theologie (www.feministische-theologie.de), die in Basel unter dem Dach des „Zentrums Gender Studies“ eine gemeinsame Bibliothek für Feministische Theologie und Gender Studies aufbaut, die im deutschsprachigen Raum einmalig ist. In dieser werden die Nachlässe von Pionierinnen der Feministischen Theologie bewahrt und das Wissen von Frauen in den Bereichen Philosophie, Theologie, Geschichte, Soziologie, Geschlechterforschung gesammelt und jungen ForscherInnen sowie interessierten Frauen und Männern zugänglich gemacht. Damit der kritische feministisch-theologische Blick auf die Wirklichkeit auch in der gegenwärtigen Zeit erhalten bleibt oder neu geschärft werden kann!
verfasst von Doris Strahm