Überlebensgebete

„Talking with God about Childhood Sexual Abuse“
lautet der Untertitel der 1994 bei Westminster John Knox Press, USA, erschienenen „SURVIVOR PRAYERS“.
Die Autorin Catherine J. Foote, eine Pastorin, ist selbst als Kind sexuell mißbraucht worden. Ihre Gedichte sind so wunderbar, so beeindruckend und kraftvoll, daß sie Carola Moosbach zum Schreiben von Nachdichtungen inspiriert haben, die ausdrücklich nicht als Übersetzungen verstanden werden wollen.

Erste Fragen

Was kann ich Dir sagen Gott?
Wie viel hältst Du aus und was willst Du hören?
Wie schrecklich es war und was er zerstört hat?
Wie wütend ich war und verwirrt und wie groß der Verrat
und wie tief meine Scham?
Willst Du das wirklich wissen?

Wie viel kannst Du ertragen Gott?
Wie viel hältst Du aus und was soll ich erzählen?
Von der Angst vielleicht? Dem Alleinsein? Was er getan hat?
Das mit dem Blut etwa auch Gott? Und wie er gelacht hat und
ich nicht geweint ganz weit weg war und Du wo warst Du Gott?
Willst Du das wirklich hören?
Von den Nächten ohne Schlaf und den Tagen ohne Kraft
und dem Leben ohne Sinn? Was geht es Dich an Gott? Wer will
das schon hören?

Weißt Du was damals passiert ist Gott?
Weißt Du wie es war ganz alleine zu sein?
Weißt Du wie es war um Hilfe zu schreien und Du antwortest nicht und
bist gar nicht da und wie wütend ich war Gott – wütend auf Dich?

Was soll ich noch sagen Gott kannst Du mich hören?
Bleibst du bei mir bis ich alles erzählt hab so oft und
so lang bis es endlich genug ist und wann wird das sein?
Bleibst Du bei mir bis ich weinen kann Gott? Bist Du stärker
als alles was war?

Hilf mir vom Schweigen zum Reden Gott
Sei Du mir der Grund aller Worte

(C. Moosbach 1999)

Klartext

Leute hört und laßt euch sagen
dies ist die Stunde der Wahrheit
dies ist der Ort für klare Worte
kein Drumherum mehr die Dinge beim Namen
Wut heißt Wut und Schmerz heißt Schmerz
und Blut heißt Blut
so schmeckt die Sprache der Wahrheit
endlich kann ich sagen was damals passiert ist
endlich kann ich sagen was ich wirklich fühle
mein Würgen im Hals
schreit nach der Wahrheit
das Kind im Keller
besteht auf der Wahrheit
jetzt ist die Zeit alles auszusprechen
jetzt ist die Stunde der Wahrheit

© C. Moosbach 1999

Für meine Freundin

Heute kam ein Anruf meine Freundin ist tot
verloren gegangen im Alptraum ihrer Kindheit
ertrunken im Schmerzenmeer

Sie hat Dich so gebraucht Gott immer wieder
hat sie Dein Licht gesucht Deinen Trost hat um Hilfe geschrieen
und nie eine Antwort gehört
Das muß Haß sein hat sie gedacht Gott haßt mich
sonst würde ich nicht vergewaltigt
sonst würde Gott mich schützen meine Eltern würden mich lieben
bis zum Ende hat sie nach Dir gesucht Gott bis sie zu müde war
um zu kämpfen zu tief verwundet um Dich zu spüren

Ich weiß nicht was ich noch sagen soll Gott
meine Freundin ist tot was gibt es da noch zu sagen
laßt mich bloß in Ruhe mit euren klugen Ratschlägen
euren frommen Sprüchen und schönen Geschichten
was soll das alles noch Gott was soll ich Dir noch sagen
Lügen haben sie ihr erzählt über Dich
von ihrer Sünde haben sie gesprochen
sie homeesponnen in ihr tödliches Schweigen
sie vergiftet bis auf den Grund ihrer Seele
und jetzt ist sie weg meine Freundin ist tot
Nur Du kannst sie jetzt noch auffangen Gott nur Du
kannst sie in Deiner Liebe bergen
an Deine Brust lege ich jetzt meine Freundin
laß sie nicht fallen

Und wenn ich jetzt bete zu Dir in Deine Richtung weine und schreie
laß mich Deine Trauer spüren Gott Deinen Mut Deine Kraft gib mir ein
Deine Wahrheit laß mich sagen und hören

© C. Moosbach 1999 [Synopse]

Vorsicht Schmerz

In mir war ein Messer
Vorsicht! Ich blute
Das Blut quillt als Schmerz aus der Wunde
und tropft auch auf dich wenn du nah kommst
paß auf
ich schneide mich ein
in deinen Kinderglauben
die Sonntagsruhe
wer will da schon Blut sehen
bloß keine Störung
und wer wird mich trösten von euch?

© C. Moosbach 1999 [Synopse]

Überlebensgebet

Du Heilende
Heute war einer von diesen Tagen
die halte ich aus und weiß selber nicht wie
Heute war einer von diesen Tagen
voll Schmerzen und Tränen und Bildern vom Kind das ich war
Heute war einer von diesen Tagen
der Heilung

Du Freundliche
Sei bei mir jetzt wo es Abend wird
und die Müdigkeit freundlich den Arm um mich legt
Sei bei mir hilf mir ins Dunkle hinein
in die Nacht die einst voller Schrecken war
in die Träume die Angst ganz alleine zu sein
Sei bei mir

Es gab eine Zeit da war nur alleine sein sicher
und war dann auch sicher und war so alleine Gott
Jetzt lerne ich ruhig und geborgen in Dir zu sein

Amen

© C. Moosbach 1999 [Synopse]

Ja aber

Ich will mich endlich erinnern Gott – jetzt
Noch nicht
Hilf mir die Wahrheit herausfinden Gott – jetzt
Halt Stop
Nur einen Moment noch nur noch einmal tief durchatmen
dann bin ich soweit
Laß es nicht zu Gott
Ich will es jetzt wissen Gott ich kann es jetzt aushalten
Ich muß endlich wissen was damals passiert ist hilf mir
Nicht dieses Bild Gott nicht diese Wahrheit das tut viel zu weh
viel zu nah ist das alles scheuch es weg Gott
Laß mich endlich die Wahrheit sehen
Schütze mich vor der Wahrheit

Halt mich einfach fest Gott ich kann nicht mehr
ich bin so müde von diesen schrecklichen Bildern
die warten auf mich seit ich denken kann
Ich hab solche Angst Gott hilf mir

Hilf mir wenn ich davor weglaufen muß
Hilf mir wenn ich endlich hinsehen kann wenn die Zeit
dafür reif ist sei bei mir Gott
Sei bei mir im Nein und im Ja

© C. Moosbach 1999

Heimreise

Lange Zeit glaubte ich es wäre gar nicht wirklich
passiert
einfach nur Träume und schreckliche Bilder
von irgendwoher
dann hoffte ich es wäre nur ein kleiner Umweg
nötig
die Wunde nicht so groß und der Schmerz nicht so tief
ein paar Tage weinen und dann zurück ins Leben

Jetzt weiß ich was es heißt
auf dem Heilungsweg zu sein
wieviel Kraft es kostet wieviel Zeit es braucht
und Geduld
Jetzt weiß ich was es heißt
ein ganzer Mensch zu sein

© C. Moosbach 1999

Kleines Gebet

Heute bete ich ein bißchen
grabe nach Wörtern aus der Tiefe
spreche mich ins Freie

Heute weine ich ein bißchen
löse die Schmerzen in Tränen auf
hoffe auf Deinen Frieden

Heute erzähle ich Dir ein bißchen
kann gar nicht sagen wie weh es tut
größer als alle Worte

Heute heile ich wieder ein bißchen
heute weiß ich Du trägst mich Gott
weiter von Tag zu Tag

© C. Moosbach 1999

Mein Gott

Mein Gott spricht mit sanfter Stimme
mein Gott kreist in ruhigen Bahnen
mein Gott tanzt in Wolkenmeeren
mein Gott hält die Schwachen sicher
mein Gott liebt mit Kraft und Feuer
wärmend schützend fordernd tröstend
mein Gott weiß um meine Wunden
schafft mir Raum und Luft zum Atmen
weite Nähe ohne Angst

© C. Moosbach 1999

Wunschliste

Daß ich heil werde und ganz
ohne Angst in zärtliche Augen
blicke
daß die Tage gefüllt sind
mit Leben und friedlich
die Nächte
daß die Teufelskreise zerbrechen
Kinder geliebt sind und sicher
ins Leben finden
daß die Hoffnung nicht ausstirbt
Gott mehr als ein Wort wird für alle
die Hilfe brauchen

© C. Moosbach 1999

Tränengebet

Endlich kann ich weinen gefrorene Tränen
tropfen heraus aus mir strömen und fließen
ins Freie und schwemmen die Schmerzen
zu Dir Gott du birgst sie und sammelst
die Tränen versteinerte Seele
der Kindheit als weinen verboten war
Schmerz hinter Mauern begraben
aus düsterem Schweigen

Und weine nicht ins Leere
und falle nicht ins Leere
und weiß Du hältst mich Gott
und gehst mit mir den Weg
der Tränen Schritt für Schritt
ins Leben

© C. Moosbach 2000

Frei-Mut

Keine Lügen mehr Gott keine glatten Worte
nur noch Wahrheit zu Wahrheit was für ein Wagnis
so vor Dir zu stehen
mit all meiner Wut
mit meinen Zweifeln meinen Tränen meiner Enttäuschung
mit all meiner Ehrlichkeit und all meinem Mut
sage ich Dir wie es ist Gott
kein Selbstbetrug mehr kein falsches Lächeln
keine Schönfärberei
Einfach ich selbst Gott so wie ich bin ohne Vorzeigeglauben
einfach ich selbst Gott die all ihre Hoffnung auf Dich setzt

© C. Moosbach 2000

Kein Spiel

Als ich ein Kind war mußte ich mich unsichtbar machen
mich verstecken vor ihm das war kein Spiel Gott
ich habe mich versteckt so gut es ging verborgen
was ich fühlte das war kein Spiel Gott
wenn er mich festhielt: Keine Schmerzen zeigen
wenn er mich suchte: Flach auf den Boden legen
das konnte ich gut sehr gut sogar Gott

Und heute möchte ich mich von Dir finden lassen Gott
meine Arme öffnen können mein Herz weiten für Dich
mich halten lassen von Dir Gott fest ganz fest und sicher
mich nicht mehr verstecken keine Angst mehr haben
vor Deiner Liebe Gott aber das ist schwer für mich sehr schwer
vergiß das nicht Gott wenn Du mich suchst und ich wegrenne vor Dir
vergiß nicht was ich lernen mußte damals gib nicht auf Gott
suche und finde mich

© C. Moosbach 2000